Zweihundertfünfundzwanzigste Geschichte

[282] geschah an einem Chossid, der hat drei Töchter. Die älteste war eine Ganewte (Diebin), die zweite war ein Schlapfsack, die dritte war eine Schakern (Lügnerin), alles, was sie redet das war eitel Scheker (Lüge) un ging lauter Rechilus (Verleumdung) nach, wenn niemand eppes könnt gewahr werden. Es begab sich einmal, daß ein Chossid kommt daher zu ziehn. Un sagt: »Ich hab drei Söhne, un du hast drei Töchter. Laßt uns sie miteinander verheiraten, meine drei Söhne un deine drei Töchter.« Da sprach der andere Chossid: »Laß ab von mir, denn meine Töchter taugen nix für dich. Denn eine jegliche hat einen Mangel.« Da sprach der andere Chossid: »Was haben sie denn für einen Mangel?« Da hebt der Chossid an un sagt: »Die älteste is eine Ganewte, die andere is eine faule Schlapfsack un die dritte is eine Schakern.« Da sprach der andere Chossid: »Haben sie keine andern Fehler mehr als diese, so will ich's ihnen wol abgewöhnen. Laß mich nur derfür sorgen.« So legten sie Knaß (Verlobungszeremonie) miteinander un er führt sie mit sich heim un macht zu Gutem die Broche (Segen) mit seinen drei Söhnen un den drei Töchtern. Wie nun die Broche gemacht war, da gab er der Ganewte alle die Schlüssels zu seinem Mammon un verfilt ihre Augen, daß sie nit konnt ganewen (stehlen). Un der Faulen dingt er Knechte un Maiden genug um daß sie nix braucht zu tun. Der Dritten gab er all ihren Willen, alles was sie nur haben wollt, damit daß sie kein Rechilus sollt treiben un Scheker sollt reden. Un wenn ihr Schwäher von ihr aus dem Haus ging, da halst un küßt er sie. Denn er meint, er wollt es gar gut machen um sie von den bösen Gedanken abzugewöhnen um daß sie keine bösen Sachen mehr treiben soll. Nun, es begab sich einmal, daß der Vater dort hinzug un wollt sehen, was seine Töchter täten, ob sie noch gesund sind, oder wie es mit ihnen ging. So kam er zu ihnen un frägt sie, wie sie mit ihren Mannen lebten, un wie sie ihr Schwäher un Schwieger hielten. Da sprach die Ganewte: »Gebenscht (gesegnet) sollst du sein, mein lieber Vater, daß du mich hast herein gegeben, denn ich hab alles zu Gewalt, was mein Herz gelüstet un begehrt. Un derzu hab ich die Schlüssel unter meinen Händen un brauch nun nimmer zu ganewen (stehlen).« Dernach ging er zu der Schlapfsacken un frägt auch wie es ihr ging. Da sprach sie auch: »Gebenscht sollst du sein, mein Vater, daß du mich hast herein gebracht. Denn ich bedarf keine Hand aufzuheben, denn ich hab Knecht un Maiden genug. Un mein Mann un mein Schwäher un meine Schwieger halten mich gar wol.« Da ging er zu der Schakern um auch zu fragen wie es ihr ging. Da sprach sie: »Du bist wahrlich ein feiner Vater. Denn ich hab gemeint, du hast mir einen Mann gegeben, so hast du mir zwei Mannen gegeben,[283] einen Vater un einen Sohn. Denn wenn jener aus dem Haus geht, so kommt mein Schwäher un küßt mich un druckt mich un will haben, ich soll ihm seinen Willen tan. Mein lieber Vater, wenn du es nit glauben willst so komm morgen früh, so wirst du es sehen, daß ich wahr hab.« Zu morgens kam der Vater. So stellt sie ihren Vater in ein Cheder (Zimmer), daß er konnt in die Stube sehn. Wie nun der Schwäher kam, gleich seine Gewohnheit war, daß er nit aus oder ein ging, un er küßt sie, so tät er diesesmal auch. Un küßt sie un halst sie un sprach: »Liebe Schnur, wie geht es dir? Geht dir auch was ab?« Un das tät er als zum Guten un meint sie damit von Rechilus abzubringen. Dieses sah ihr Vater als mit großem Zorn zu. Un sprang aus dem Cheder heraus un tötete seinen Mechuten (Gegenschwiegervater). Nun, da er ihn hat getötet, da wollt er wieder hinweg ziehn. Da kamen der Rechilus-Treiberin, ihre zwei Schwägers heim zu gehn. Da sahen sie ihren Vater tot liegen. Da töteten sie ihren Schwäher auch. Da hebt die Rechilus-Treiberin an zu schreien, »Mord über Mord«. Da merkten sie, daß das durch die Rechilus-Treiberin solche böse Sache geschehen is. So gingen sie hin un derschlugen ihre Geschweie auch zu tot. So sind durch das Rechilus drei Menschen um gekommen. Drauf hat Rabbi Hüne gesagt: Es is größer die Awere (Sünde) von Loschen horeh (böser Rede), als die drei Aweres du sollst nit morden, du sollst nit unkeuschen, du sollst nit stehlen. Nun komm un sieh, wie es ein böses Ding is um böse Zunge un Rechilus-treiben un Scheker zu sagen. Das Gehinnem kann nit vor ihm bestehn, wenn der Heilige, gelobt sei er, wird richten, die da haben Rechilus getrieben, un die Scheker gesagt haben, so spricht Gott zu dem Gehinnem: Tu auf deinen Mund un verschling, die da haben böse Zunge getrieben. Da spricht das Gehinnem wider: »Herr all der Welt, ich kann vor ihm nit bestehn, denn im Himmel tun sie ihre Rede.« Un der Posuk (die Schrift) sagt teutsch nach dem Midrasch: Im Himmel tun sich auf ihre Reden un der Mund der Schwätzer. Un ihre Zunge geht auf die Erde. So schüttet Gott seine Pfeile an dieselbigen Menschen, un dernach empfängt sie das Gehinnem. So urteilt sie Gott mit dem ersten Gericht, un dernach werden sie gerichtet vom Gehinnem. Derhalben, Mensch, hüte deinen Mund, das is für deine Seele gar gesund, un laß jedermann schwätzen das Sein, un schlag du deinen Mund nit allemal drein. Dann kannst du mit Ehren überall bleiben un in Gan Eden deine Zeit vertreiben.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 282-284.
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