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[318] geschah: Es steht geschrieben: ein Mensch soll in die Herberge gehn, wenn er wandert, wenn es Tag is, un soll auch wieder aus der Herberg gehn, wenn es Tag is. Un soll nit in der Nacht in die Herberg kommen, oder bei Nacht aus der Herberg gehn. Denn es is einmal ein Wirt gewesen, der die Leut herbergt. Un der Wirt hat sein Haus mitten auf dem Feld stehn. Un wenn nun Leut kamen, die sich verspätigt haben, daß sie konnten in keine Stadt kommen, da mußten sie bei diesem Wirt über Nacht bleiben. Un wenn er sah, daß einer wieder weg wollt, da fragt er den Gast, wo er hin wollt oder was für Straße er ziehen wollt. Un wenn der Gast gegen ihn sagt, da will ich hin, da sagt der Wirt, da muß ich morgen auch hin, denn es is eben meine Straße. Un wenn es dann um Mitternacht kam, also weckt er den Gast auf un ruft: »Steh auf, es is bald Tag.« Also stund dann der Gast auf, un ging mit dem Wirt fort. Denn der Gast meint nebbich, er wär gar wol dran, daß er mit einem Gesellen durch den Wald ging. Un wenn der Gast denn heraus kam, da sah er, daß es noch finster war. Da sprach er gegen den Wirt: »Es is doch noch ganz finster.« Da sagt der Wirt: »Da können wir auch früh in der Stadt sein.« Un sobald sie in den Wald kamen, da tötete er (Gott bewahre) die Leut, un nahm ihnen das ihrige weg. Nun, es begab sich einmal, daß Rabbi Meier sich auf dem Weg verspätigt hat, daß er nit in die Stadt kommen konnt. Un mußt übernacht in dem Wirtshaus schlafen. Wie nun Rabbi Meier an dem Tisch saß un eßt, so kam der Wirt zu ihm, un fragt ihn, wo er morgens früh hinwollt. Da sagt Rabbi Meier ihm die Wahrheit, wo er hin wollt. Da sprach der Wirt: »Das is auch mein Weg. Ich muß morgen diesen Weg auch ziehn.« Da sprach Rabbi Meier: »Ich bin gar wol zufrieden, daß ich Chawrusse (Gesellschaft) hab.« Nun, mein Rabbi Meier legt sich schlafen un wie es nun um Mitternacht war, da kam mein guter Wirt un weckt Rabbi Meier auf, un sagt: »Steht auf, mein guter Gast, es is ganz spät, der Tag is schon vorhanden.« Da antwortet Rabbi Meier[318] dem Wirt: »Mein lieber Wirt, ich wart auf meinen Chawer (Gesellen), der is noch nit vorhanden. Wenn er kommt, alsdann will ich gehn.« Nun, über eine Stunde kam der Wirt un weckt Rabbi Meier wieder auf. Da antwortet Rabbi Meier wieder: »Ich geh noch nit.« Über eine Stunde kam der Wirt, wieder un sprach: »Steh auf, es is Zeit, denn es is ganz spät.« Da sprach Rabbi Meier wieder: »Ich geh noch nit, denn mein Gesellen muß erst kommen.« Da frägt ihn der Wirt: »Wie heißt denn dein Geselle oder wo is dein Geselle?« Da sprach Rabbi Meier: »Er heißt ›Ki-tauw‹ (es ist gut).« Er meint damit, der Tag is gut geheißen, das is des Menschen Gesellen, der mit einem Menschen geht. Aber die Nacht is niemandes Freund. Da will er nit mit ihm gehn. Da frägt der Wirt: »Wo is der Ki-tauw?« Da sagt Rabbi Meier wider: »Er liegt in meiner Stadt in der Schulen.« Das heißt, er meint also: der Mensch soll des Morgens vorher oren (beten) un soll vorher Talles (Gebetmantel) un Tefillin (Gebetriemen) anlegen; un dernach soll er wandern. Da lauft der Wirt vor das Haus auf das Feld un ruft »Ki-tauw«. Da war aber niemand der ihm antwortet. Da ging der Wirt wieder nach seinem Haus un sagt gegen Rabbi Meier: »Ich hab Ki-tauw gerufen, aber er will mir nit antworten.« Nun unter diesem war es Tag. Da sprach Rabbi Meier: »Jetzunder is es meine Zeit, daß ich geh, denn mein Geselle Ki-tauw is gekommen. Un das is der Tag, geheißen Ki-tauw, der is nun vorhanden. Un das is dem Menschen sein Gesellen, der mit ihm wandert.« Also geschah dem Rabbi Meir, daß er gerettet von dem Rozeach (Blutvergießer) is geworden, derweil er gewartet hat. Wär er aber mit dem Rozeach bei Nacht fortgegangen, so wär er, Gott bewahre, um sein Leben gekommen. Derhalben sagt er, jeglicher, der da wandert, soll früh in die Herberg gehn, un soll auch wieder bei Tag heraus gehn. So geschieht ihm auch nix Böses.