Einunddreißigste Geschichte

[27] geschah an einem Menschen, der gab einer Almone (Witwe) einen Goldgulden zu bewahren in einem teueren Jahr. Un der Mann hat den Goldgulden in einen Krug gelegt, der war voll mit Mehl. Un die gute Frau, die hat das Mehl gebacken un hat ein Kuchen daraus gemacht. Un die Frau hat den Kuchen einem Oni (Armen) gegeben, un die Frau hat[27] nit gewußt, daß der Goldgulden is darinnen gewesen. Nit lang dernach, da kam der Mann un wollt den Goldgulden von der Frau wieder haben, den er ihr hat aufzuheben gegeben. Da sagt die Frau wider den Mann: »Hab ich eine Hanoe (Vorteil) von dem Goldgulden gehabt, so soll mein Kind Gift essen, daß es dervon sterben soll.« Da haben die Leut gesagt, es stund nit lang dernach an, daß der Frau ein Kind sturb. Un da nun die Chachomim (Weisen) das hörten, da sagten sie: »Sieh doch, die Frau, die hat doch recht geschworen, denn sie hat doch nit gewußt, daß der Goldgulden in dem Kuchen is gesteckt, noch gleichwol hat sie der Heilige, gelobt sei er, gestraft, daß ihr ein Kind is gestorben. Mikolscheken (um wie viel mehr), daß einer nit soll scheker schwören (falsch schwören). Un weil die Frau hat scheker geschworen, sie hat keine Hanoe von dem Goldgulden gehabt, un sie hat doch ja Hanoe von dem Goldgulden gehabt, denn sie hat den Teig gespart, da der Goldgulden drinnen gelegen is, derhalben hat sie der Heilige, gesegnet sei er, gestraft. Derhalben ihr lieben Leut, seht was die Maasse (Geschichte) beteut (bedeutet): Tut ein jeglicher recht schwören, so tut ihm derjenige, dessen Name gelobt sei, seine Kinder mehren.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 27-28.
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