Sechsundsechzigste Geschichte

[58] geschah: Resch Lokisch, der verkauft sich zu den Ludaim, das sind die Völker, die Menschen lebendig essen. Un er hat sich verkauft zu ihnen eh er hat Thauroh gelernt. Denn das selbige Mal war er noch ein Gasion (Räuber). Da hat er bei sich genommen einen Sack. Un in den Sack hat er ein bleiern Kugel getan. Un er gedacht sich so: die Ludaim, die haben ein solchen Seder (Gebrauch) an ihnen, an dem selbigen Tag, daß sie einen wollen töten, da lassen sie ihm für eine Bitt zu, sonder allein um das Leben. Un die selbige Bitt, die gewähren sie ihm, derwartend, daß er ihnen soll eher mochel (verzeihen) sein sein Blut. Un wie nun der Tag kam, daß man ihn sollt töten, da sagten die Ludaim zu ihm: »Bitt du uns ein Bitt vor deinem Tod, was du willst, also wollen wir sie dir gewähren, sonder allein für das Leben darfst du nit bitten.« Da sprach Resch Lokisch zu ihnen: »Wenn ich ja ein Bitt soll von euch haben, so begehr ich, daß ich euch will binden un will euch alle setzen beieinander nach einer Zeil. Un ich will euch mit diesem Sack anderthalben Schlag geben. Darnach will[58] ich euch gern mochel sein, wenn ihr mich darnach schon memis seid (tötet).« Da stunden die Ludaim sein Begehr zu, un ließen sich alle gar binden un ließen sich neben einander setzen. Da gab er jeglichem einen Schlag, daß er umfiel un daß ihm seine Neschome (Seele) ausging, un sie knirschten mit ihren Zähnen. Da sprach Resch Lokisch zu ihnen: »Ich sah wol ihr spott meiner nach. Ihr habt noch einen halben Schlag bei mir zu gut.« Un gab ihnen noch einen halben Schlag un war sie alle memis (tötete sie). Un Resch Lokisch ging von ihnen hinweg. Un all sein Tag von dem Resch Lokisch, was er hat verdient, das vertät er gleich wieder in essen un trinken. Da sagt seine Tochter einmal zu ihm: »Mein lieber Vater, kauf dir ein Bett oder ein Kissen um dein Geld, daß du darauf liegen kannst.« Da sprach er wider: »Liebe Tochter, ich hab einen großen Bauch, das is mein Bett un Kissen.« Da er starbt, so ließ er ein Mäßchen mit Safran über sein End un er sagt ich erfülle den Posuk (Vers) »un sie verlassen ihr Gut zu einem Fremden, das in andere Leuten Hände kommt«.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 58-59.
Lizenz:
Kategorien: