CXV.

[243] [Rand: Alaim.] Der Chalife Moteaßem erhielt seiner Strenge wegen den Namen: der Blutvergießer, wie Abbas blutgierigen Angedenkens. Die Geschichtschreiber unterscheiden sie von einander, indem sie Abbas den ersten, und Moteaßem den zweyten Blutvergießer nennen. Dieser war besonders gegen seine eigenen Diener und Wesire äußerst strenge. Einer der letzten hatte von der Terrasse seines Pallastes in einem benachbarten Hause ein Mädchen entdeckt, von ausgezeichneter Schönheit. Es war die Tochter eines Kaufmanns, der von den Anträgen des Wesirs nichts hören, und dieselbe nur einem Manne seines Standes vermählen wollte. Wider einen meines Gleichen, sagte er, kann ich mir Gerechtigkeit verschaffen, wenn er dich mißhandeln sollte; meine Tochter, nicht so wider einen Großen und Mächtigen. Der Wesir wußte nicht, was er anfangen sollte, und eröffnete das Anliegen seiner Brust einem seiner Vertrauten. – Um tausend Miskale, Herr, schaff' ich dir das Mädchen. – Wie so? wenn du Wort hältst, gebe ich dir gerne hunderttausend. – Ich brauche nur tausend. –

Sobald dieselben ausgezahlt waren, suchte der Unterhändler zehn Männer aus, von denen er sich versprechen konnte, daß ihnen das Geld lieber seyn würde als die Ehre. Er verhieß jedem hundert Miskal, wenn sie falsches Zeugniß vor Gericht ablegen wollten, daß die Tochter des Kaufmanns schon seit[244] Langem mit dem Wesire vermählet worden sey, um ein bestimmtes Heirathsgut. Die Männer verstanden sich hierzu, und legten falsches Zeugniß ab um hundert Miskale.

Auf des Richters Ausspruch mußte das Mädchen dem Wesire ausgeliefert werden. Der Vater, voll Verzweiflung, suchte sich den Weg zu bahnen zum Fuße des Thrones. Moteaßem war schwer zu sprechen, und nur eine geringe Zahl seiner engsten Vertrauten hatte Zutritt zu ihm. Man rieth dem Kaufmann, sich unter die Arbeiter eines Gebäudes zu mengen, das der Chalife täglich besuchte, und dann den Augenblick seines Besuches abzuwarten. Dies geschah; der Kaufmann warf sich zu seinen Füßen, den Kopf mit Staub bestreut.

Er trug seine Geschichte vor, und Moteaßem sandte alsobald Boten, um den Wesir und die Zeugen und den Hofbeamten, der dieselben bestochen hatte, herbeyzuholen. Die Wahrheit kam ans Licht, und die Strafen, so der Chalife verhängte, waren fürchterlich. Die Zeugen wurden gehängt, der Hofbeamte gespießt, der Wesir aber in eine frische Thierhaut genäht, wo er von Ameisen und Würmern zerfressen, den Geist aufgab, in den schrecklichsten Quaalen.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 243-245.
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