XLV.

[79] Als Harun Raschad den Thron bestieg, kamen [Rand: Lobbal-al-bab.] die Gelehrten, welche ihm als Kronprinzen Gesellschaft geleistet hatten, ihre feyerlichen Glückwünsche[79] abzustatten. Er nahm sie gnädig auf und beschenkte sie reichlich. Einer seiner vertrautesten Freunde war Sofjan Elhuri gewesen, mit dem er ganz auf brüderlichem Fuße gelebt hatte. Dieser, statt dem Chalifen seine Aufwartung zu machen, floh weit vom Hofe. Harun, ein wenig beleidigt durch dieses Benehmen, schrieb ihm: Im Namen Gottes des Allbarmherzigen, des Allgütigen. Harun der Diener Gottes seinem Bruder Sofjan Gruß zuvor! Du weißt, daß ich dich immer wie meinen Bruder geliebt; ich käme zu dir, wäre ich nicht durch das Halsband, das mir der Himmel angelegt, zurückgehalten.

Alle meine Freunde haben mich besucht, und sind nicht leer weggegangen. Komm denn auch du, sobald du diesen Brief empfangen. Eile dich. Heil dir! Der Brief war geschrieben, aber nun mußte auch Jemand gefunden werden, der die Zustellung übernähme, denn Jedermann kannte den wilden, rauhen Charakter Sofjans.

Der Chalife rief Ibad von Talakan, der eben an der Thüre stand, und sagte: Geh mit diesem Briefe gegen Kufa, erkundige dich um den Stamm der Beni Tur, und um Sofjan, der mit ihnen wohnet. Wirf ihm den Brief vor die Füße, und sperre dann Augen und Ohren auf, um zu sehn und zu hören, was er sagen und thun wird.

Ibad kam in Kufa an und fand den wunderlichen Heiligen in der Moschee. Er betete eben nicht, sobald[80] er aber den Abgesandten des Chalifen erblickte, sprach er die Formel aus: Wir flüchten uns zu Gott wider die Nachstellungen Satans, und fieng sein Gebet an. Rund um ihn herum auf der Erde lagen seine Schüler, das Haupt gegen den Boden gekehrt, indem sie dasselbe aus Scheu vor ihrem Meister zu erheben sich nicht getrauten. Ibad grüßte sie, keiner antwortete ihm, keiner hieß ihn sitzen. Ibad warf den Brief, seinem Auftrage gemäß, vor die Füße Sofjan's, der davor wie vor einer Schlange zurücksprang, und immer die Formel wider Satans Nachstellungen wiederholte.

Dann wickelte er seine Hand in sein Kleid, nahm den Brief damit, als ob er eine glühende Kohle wäre, warf denselben dem entferntesten seiner Schüler zu, und sprach:

Gott verzeih mir meine Sünde, daß ich Etwas berühret habe, was aus eines Tyrannen Hand kommt. Nachdem er den Innhalt des Briefes lesen gehört hatte, lächelte er, und diktirte die folgende Antwort auf den Rücken des Briefes: Im Namen Gottes des Allbarmherzigen, des Allgütigen. Vom Sünder Sofjan, dem stolzen Harun, der die Religion ihrer süßesten Früchte beraubt hat. Du hast Kirchengüter angetastet, und Schätze verschwendet, auf die du kein Recht hattest. Die Armen, Wittwen und Waisen schreyen um Rache gegen dich zum Himmel. Du hast des Umgangs der Weisen, der Gesellschaft der Frommen[81] und Tugendhaften genossen. Ist dies die Frucht ihres Umgangs und deiner Wissenschaft? O Harun! Du sitzest auf dem Thron in Gold und Seide gekleidet, Kämmerer umrauschen deine Thüren, Garden bewachen deinen Pallast; aber dein Volk schreitet einher auf dem Wege des Verderbnisses. Gedenke, alle Thaten werden einst gewogen in der großen Wage des Gerichtes. Folge meinem Rath, sey gerecht gegen Gott und die Menschen, bewahre des Propheten Gebote; fliehe den Wein und die Weiber; jener ist Satans Nahrungssaft, und diese sind seine Polster. Erspare dir übrigens die Mühe, mir ein andermal zu schreiben, denn ich werde nicht mehr antworten. Ibad, ganz zerknirscht durch die Antwort, nahm dieselbe, und gieng von hinnen; als er aus der Moschee auf den Markt gekommen war, schrie er laut: Rechtgläubige, wer will einen Menschen kaufen, der von Gott kömmt, und zu Gott geht? Die Leute, die das hörten, glaubten, es sey eine neue Art zu betteln, und wollten ihm Geld geben. Das brauche ich nicht, sagte er, mir ist ein härenes Kleid und ein Bußgürtel noth. In diesem Aufzuge stellte er sich dem Chalifen vor, der die Hände über den Kopf zusammenschlug, und als er den Innhalt des Briefes vernommen hatte, bittere Thränen der wahren Rührung und Reue vergoß. Einige Hofleute machten den Vorschlag, den neuen Apostel in Ketten zu legen, zum Beyspiel für diejenigen, denen es einfallen möchte,[82] in seine Fußstapfen zu treten, und dem Chalifen Lehren zu geben. Aber Harun, großmüthiger und edler gesinnt, antwortete ihnen: Kinder der Welt! laßt Sofjan in Ruhe und habt Ehrfurcht vor ihm.

Er legte den Brief Sofjan's auf den Polster seines Sofas, wo er während seiner ganzen Regierung lag. Auch that er manchesmal einen Blick hinein zur Stunde des Gebets.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 79-83.
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