[187] 66. Der Erwerb der Nacht

Zu Anfang war der Himmel der Erde viel näher als jetzt. Da beschlossen die Vögel, ihn ein Stück höher zu heben. Sie vereinigten sich alle zu dieser Arbeit und luden auch die Fledermaus dazu ein. Diese wollte sich aber nicht anstrengen und verweigerte ihre Hilfe. Seitdem muß sie mit dem Kopf nach unten schlafen.

Die alten Tembe hatten ihre Hütten auf einer Steppe. Zu jener Zeit war es immer hell, und man mußte am Tag schlafen. Sie wünschten sich sehr ein wenig Dunkelheit, um besser schlafen zu können. Da erzählte ihnen ein Alter, er habe zwei große Töpfe gesehen, bei denen ein alter Azang (Dämon) wache. Die Töpfe seien schwarz, und darinnen sei es dunkel. Da dachten sich die Tembe, in den Töpfen müsse wohl die Nacht enthalten sein, die sie sich so sehnlichst wünschten, und sie gingen hin, um zu sehen, wie sie etwas davon erlangen[187] könnten. Als sie herangeschlichen kamen, hörten sie in den Töpfen die Stimmen von Eulen, Nachtaffen, des Azang, der »taty« schreit, und anderer Nachtwesen. Sie zerbrachen den kleineren der beiden Töpfe mit Pfeilschüssen und liefen rasch zurück, denn hinter ihnen kam die Nacht mit ihrem Getier. Zu Hause benutzten sie die Dunkelheit, um zu schlafen, sie ging aber viel zu schnell zu Ende. So beschlossen sie, auch den größeren Topf zu zerbrechen, um eine längere Nacht zu bekommen. Arakwang und Jakupewa entschlossen sich zu der Tat. Sie luden auch Uruwawa dazu ein, den sie »Schwager« nannten. Alle diese Vögel waren damals noch Menschen. Sie rieten dem Uruwawa, ja recht schnell zu laufen, aber als sie auch den größeren Topf zerschossen hatten, kam die Nacht so rasch hinter ihnen drein, daß Uruwawa, der über eine Liane gestolpert und gefallen war, von der Dunkelheit überholt wurde. Infolgedessen wurde er in einen Nachtvogel verwandelt.

Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 187-188.
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