3. Der Schmarotzer

[9] Es war einmal einer, der war faul und dumm. Gar nichts nannte er sein Eigen, die Arbeit mochte er nicht. Bei dem einen bettelte er um Essen, bei dem anderen um einen Trank, bei dem dritten um etwas Anderes. So schlug er sich durch und kannte weder Ehre noch Scham. Er hatte gutmütige Nachbarn, die ihm halfen, wenn ihnen seine Bettelei auch nicht gefiel. Wo er sich sehen ließ, hieß es »Der Schmarotzer ist da! Gewiß braucht er wieder etwas von uns.« Der aber tat, als höre[9] er nichts und ließ sein Betteln nicht sein. Schließlich wollte niemand mehr etwas von ihm wissen.

Das war nun recht schlimm für den Schmarotzer, aber arbeiten, nein, das wollte er nicht.

»Die Menschen taugen alle nichts; nicht einmal Mitleid haben sie mit einem armen Teufel. Ich will doch lieber mich an den wenden, der gnädiger ist als alle andern.«

Er versteckte sich also irgendwo, hob die Hände gen Himmel und flehte: »Herr Gott! Der du mich erschaffen hast, Schöpfer der Welt! Gib mir armem Elenden zu leben!«

Aber es kam nichts, so sehr er auch um sich sah und suchte. Zum zweiten, zum dritten Male wiederholte er sein Gebet.

»Ha, ha, ha,« tönte es plötzlich ganz in seiner Nähe, »mach nur den Mund fest auf!« Und die Jungen aus der Nachbarschaft standen da und lachten ihn aus. Da schämte sich der Schmarotzer und beschloß, auf einen hohen Berg zu steigen, wo er Gott näher wäre, und wo es keine Menschen gäbe, die ihn auslachen könnten.

Auf dem Wege begegnete ihm ein Wolf.

»Mensch, Mensch, wohin gehst du?« frug dieser.

»Zu Gott«, antwortete der Schmarotzer.

»Wenn das so ist, so erkundige dich danach: ich habe von jedem lebenden Tier schon gefressen, werde aber nicht fett dabei. Frage doch, was ich fressen soll. Ich warte hier, bis du zurückkommst.«

»Gut, gut«, sagte der Schmarotzer und ging weiter.

Bald kam er an eine Eiche.

»Mensch, wohin des Wegs?« frug ihn diese.

»Zu Gott.«

»Wenn's wahr ist, so tu mir den Gefallen und erkundige dich, warum meine eine Seite vertrocknet ist.«

»Gern will ich das tun«, sagte der Schmarotzer, setzte seinen Weg fort und kam an einen Fluß.

»Mensch, Mensch! Wohin gehst du?« rief ein Fisch aus dem Wasser ihn an.[10]

»Zu Gott.«

»Bitte, bitte, erkundige dich, warum ich auf dem linken Auge blind bin.«

»Die Bitte ist leicht zu erfüllen«, antwortete der Schmarotzer und ging weiter. Als er auf den Grat des Berges gekommen war, stand da ein Hirsch und frug ihn, was er da heroben suche.

»Ich habe mit Gott zu sprechen und deshalb bin ich heraufgekommen.«

Der Hirsch war ein gutmütiges Tier und sagte zu ihm: »Du bist jetzt oben auf dem Berge und wenn du noch weiter hinauf willst, so kannst du mein Geweih als Leiter benutzen.«

Der Schmarotzer ließ sich das nicht zweimal sagen, stieg auf den Hirsch und kletterte an dessen Gestänge empor. Plötzlich hörte er eine Stimme von oben:

»Irdischer, wohin willst du?«

»Zu dir, Allergnädigster!« antwortete erschauernd der Schmarotzer.

»Was willst du von mir?«

»Herr, ich habe nichts zu leben, sei mir gnädig!«

»Kehre nach Hause und du sollst finden, was du suchst!« antwortete der Höchste.

Dann brachte der Schmarotzer auch noch die Anliegen des Wolfes, der Eiche und des Fisches vor, erhielt die erbetene Auskunft, dankte dem Allerhöchsten, dankte auch dem Hirsch und machte sich auf den Heimweg. So froh war er, daß er mehr tanzte als er ging. Bald kam er auch wieder zu dem Fluß.

»Nun?« frug ihn der Fisch.

»In deiner linken Kieme steckt ein Diamant, den nimm heraus und du wirst wieder sehen«, antwortete der Schmarotzer.

»Wenn du mir einen Gefallen erweisen willst, so hilf mir!« sagte der Fisch. Der Schmarotzer nahm ihm den Diamanten aus der Kieme und das linke Auge des Fisches[11] wurde wieder sehend. Um seine Dankbarkeit zu beweisen, schenkte ihm der Fisch den Stein, aber der Schmarotzer warf ihn ins Wasser.

»Wozu denn? Ich finde zu Hause sowieso, was ich brauche«, sagte er hochmütig und ging weiter.

»Der muß schön dumm sein«, dachte der Fisch und schwamm fröhlich weg.

Der Schmarotzer aber kam bald auch zu der Eiche.

»Hast du etwas erfahren?« frug ihn diese.

»Freilich! Da unter deiner vertrockneten Seite liegt ein großer Weinkrug begraben, den nimm heraus und der Saft kann wieder in dich aufsteigen.«

Die Eiche bat ihn um Hilfe. Der Schmarotzer ließ sich auch nicht lange bitten und grub den Grund an der vertrockneten Seite des Baumes auf. Der Weinkrug aber war bis zum Rand voll Gold und Silber. Die dankbare Eiche schenkte alles dem Schmarotzer.

»Was soll ich damit, wenn ich doch mein Auskommen zu Hause habe«, antwortete dieser, gab dem Weinkrug einen Fußtritt und alles Gold und Silber rollte in den Abgrund.

»Muß der dumm sein!« dachte sich auch die Eiche, »wenn er es selbst nicht brauchen kann, hätte er's doch andern Leuten geben können«, und schüttelte ihr Laub zum Zeichen dafür, wie sehr sie sich über diesen Menschen wunderte.

Bald darauf kam der Schmarotzer zum Wolf.

»Was für eine Antwort bringst du mir?« frug dieser.

»Ich soll dir sagen, daß Menschenfleisch dich fett machen wird.«

»So, so! Na, du bist ja auch ein Mensch«, sagte der Wolf und riß den Rachen auf ...

Am folgenden Tag fanden Hirtenbuben Kleiderfetzen und brachten sie ins Dorf. Alle erkannten des Schmarotzers Kleider wieder und bemitleideten ihn, obwohl sie ihn gar nicht leiden mochten. Ein alter Mann aber sagte zu den Jungen:[12]

»Da seht ihr's! Die Welt ist Arbeit; der Faule nimmt's krumm. Und sein Leben, sein Tod sind zum Weinen, zum Lachen!«

Quelle:
Dirr, A.: Kaukasische Maerchen.Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 9-13.
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