3. Eine siamesische Erzählung.

In alten Zeiten lebte ein mächtiger König, Huma jum genannt, der mit großer Macht und Pracht über das Land Batharath herrschte. Als er eines Tages mit seiner Armee marschirte, fühlte er Durst und verlangte noch Wasser, aber obwohl überall darnach gesucht wurde, war in der Gegend keines zu finden. Beim Umherreiten kam der König zu einem Fruchtgarten mit Granatbäumen, und er fragte den alten Hüter, der denselben besorgte, ob er ihm Wasser bringen könne, um seinen Durst zu stillen. Der Gärtner erwiderte: »Wasser gibt es hier nicht, aber Granaten die Fülle; wenn ihr einige zu essen wünscht, bitte, kommt herein und ruhet in diesem Lusthause für ein Weilchen, ich werde gehen und einen Trunk aus frischem Fruchtsaft bereiten.«

Nachdem König Humayum eingetreten war und sich in dem Pavillon niedergesetzt hatte, pflückte der Gärtner eine Frucht ab und legte sie auf ein reines, weißes Tuch. Als er sie auszudrücken begann, füllte ihr klarer Saft bis zum Rande den ganzen Becher, den er dann seinem Gaste darreichte; nachdem der König sich daran erquickt hatte, fragte er den alten Gartenhüter, ob diese Fruchtbäume Abgaben zahlten oder nicht. Der Gärtner sagte in Erwiederung: »Diese Fruchtbäume haben früher nie Abgaben bezahlt und sind auch jetzt frei davon, aber es gibt in der Nähe hier Pflanzungen anderer Eigenthümer, die steuerpflichtig sind.« Der König fragte weiter, für welchen Preis er die Früchte dieses Gartens zu verkaufen pflege? Der Gärtner erwiderte, daß sie im letzten Jahre 300 Gold-Salüng eingebracht hätten, und daß noch immer außerdem genug wäre, um nach Herzenslust zu essen.

Der König überlegte dann bei sich und dachte in seinem Sinn: »Die Pflanzungen dieses Fruchtgartens sind sehr ausgedehnt; wenn ich diese Gartenbäume besteuern sollte,[83] so würde ich ein gutes Geschäft machen.« Mit diesem Gedanken in seinem Herzen bat er den Gärtner, eine neue Frucht für ihn auszupressen und die Schale noch einmal zu füllen. Der Aufseher brachte eine Frucht, die er abgepflückt hatte, und drückte sie vor den Augen des König aus, aber er bedurfte einer zweiten, und noch einer andern, und bis zu zehn, und immer blieb die Schale ungefüllt, so lange er auch preßte.

»Was ist denn das?« fragte der König. »Vorher war der Saft einer einzigen Granate genügend, um die Schale zu füllen, jetzt habt ihr schon zehn Früchte ausgedrückt und sie ist immer noch nicht voll.«

Der alte Gärtner schüttelte den Kopf und antwortete: »Sieh, Freund, ich will dir sagen, wie das zugeht. Ohne Zweifel muß Seine Majestät, der große König, der über unser Land herrscht, so eben zu dem Beschlüsse gekommen sein, diese Granaten mit Steuern zu belegen. Sobald das der Fall ist, trocknen sie auf und man kann Nichts aus ihnen herauskriegen.«

Der König Humayum sagte zu sich selbst: »Als wir beschlossen, die Früchte zu besteuern, vertrocknete ihr Saft, wenn wir nun das Gegentheil beschließen sollten, was wird dann geschehen?« Und alsobald überlegte der königliche Herr bei sich, im Stillen sprechend: »Wir müssen diese Granaten unbesteuert lassen.« Dann bat er den Gärtner, hinzugehen, eine neue Frucht zu holen und es noch einmal zu probiren.

Der Greis that so, und als er die abgepflückte Frucht zu drücken anfing, füllte sie nicht nur den Becher bis zum Rande, sondern da war selbst eine große Menge Saft noch außerdem und nebenher.

Da jubelte der alte Mann, der Gartenhüter, und er lachte vor Freude und sagte: »Sieh hier, Freundchen, ich will dir sagen, wie das ist. Ohne Zweifel hat Seine Majestät, der große König, der über unser Land herrscht, gerade jetzt bei sich den Gedanken gefaßt, keine Steuer von diesen Fruchtbäumen zu erheben. Ich habe gehört, daß es als alte Ueberlieferung durch Geschlecht zu Geschlecht von unseren Vorfahren her mitgetheilt ist, daß, wenn der Landherr Taxen auf Fruchtbäume legt, die früher solche nicht bezahlt haben, die Bäume sich verschlechtern, die Früchte ihr Aroma und ihre Süße verlieren, und allmälig zu Grunde gehen. So ist es auch mit den anderen Sachen, auch mit den Steuerpflichtigen, wenn die Abgaben das gewöhnliche Maß überschreiten. Die Bäume fangen dann an zu verdorren, die Bebauung wird vernachlässigt, Gärten und Pflanzungen verkehren sich in eine Wildniß. Wer zu Viel will, erlangt nur Wenig, wer sich mit Wenigem begnügt, wird Viel gewinnen.«

Der König fragte nach das Ursache, warum es so sei, und der Gärtner gab ihm dann folgende Erklärung: »Wenn die Summe der zu zahlenden Steuern zu sehr erhöht wird, dann hören die Eigenthümer der Gärten, Felder und Pflanzungen zu arbeiten auf und lassen Alles verfallen. Es wird sich also in dem Steuer-Einkommen ein Abbruch zeigen. Wenn dagegen die Taxen niedrig bleiben, so sind die Leute eifrig dabei, Gärten und Felder zu bebauen und in gutem Stande zu erhalten. Weil sie sehen, daß für sie selbst Gewinn und Vortheil bleibt, so arbeiten sie mit gutem Willen und muntern sich gegenseitig auf. Solche, die früher nur zwei oder drei Bäume zu pflanzen pflegten, werden jetzt hinzufügen und neun Bäume, und zehn Bäume pflanzen, so daß die Steuersumme wachsen und größer sein wird, als vorher.«

Der König Humayum erkannte die Wahrheit dieser Bemerkungen. In der Zwischenzeit war sein Gefolge und die Edelleute, die ihn suchten, herangekommen; als sie sich am Lusthause aufstellten, merkte der Gärtner, daß er die ganze Zeit mit des Königs Majestät gesprochen habe, und er war zum Tode erschrocken. Sein Herz zitterte und sein Gesicht war leichenblaß. Der König aber befahl seinen Ministern, dem Greis für seinen Garten Indemnitäts-Papiere ausfertigen zu lassen, und er setzte ihn zum Verwalter des ganzen Distrikts ein, mit voller Macht zu handeln.

Nachdem der König Humayum nach seiner Residenz zurückgekehrt war, erließ er an seine Beamten eine Verordnung folgenden Inhalts: »Gegenstände, die früher keine Taxen bezahlt haben, müssen nicht damit belastet werden, und alle Abgaben in den Zollämtern und Marktplätzen müssen auf ein geringeres Maß als früher erniedrigt werden. Alle Beamten der Verwaltung haben diesen Vorschriften gemäß zu handeln.«

Von der Zeit nahmen die Einkünfte in Abgaben und Steuern jährlich zu, und das Volk lebte in glücklicher Zufriedenheit unter der weisen Regierung seines großen Fürsten. –

Diese und die anderen Erzählungen derselben Sammlung scheinen die Siamesen durch Vermittlung der Dscham (Çiampa) erhalten zu haben.

Quelle:
Bastian, Adolf: Erzählungen und Fabeln aus Hinterindien. In: Globus # (Juli 1866), S. 83-84.
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