[178] Als Kaiser Jimmu seine ruhmvolle Laufbahn auf Erden beendet hatte und in den Himmelsgefilden göttlicher Ehren theilhaftig ward, überlebten ihn vier Söhne. Drei dieser Söhne hatte ihm die Kaiserin, seine Gemahlin, geschenkt, während der vierte, der älteste von allen, eine andere Mutter hatte. Dieser bekam als Erbtheil von seinem kaiserlichen Vater nur eine kleine Provinz, mit der er sich begnügen sollte, während die anderen drei das große, herrliche Kaiserreich erben sollten.
Tagischimimi, so hieß der Enterbte, war indeß keineswegs gewillt, sich in sein Schicksal zu fügen, und da er wohl einsah, daß er geradezu gegen den Willen seines kaiserlichen Vaters nichts ausrichten konnte, so nahm er zu Tücke und Hinterlist seine Zuflucht. Mit freundlich geschmeidigem Wesen wußte er die Kaiserin Wittwe so zu umgarnen, daß sie einwilligte, seine Gemahlin zu werden. Kaum war dies geschehen, so versuchte er festen Fuß auf dem Herrscherthron zu fassen, indem er seine drei Brüder tödtete.[178]
Nur zu bald merkte die frühere Kaiserin, was Tagischimimi im Schilde führte. Sie war untröstlich, ihre Söhne nicht warnen zu können, denn Tagischimimi achtete gar sehr auf alle ihre Handlungen, und Lauscher horchten auf das geringfügigste ihrer Gespräche. Deshalb sang sie eines Tages bei offener Thür ein Lied, das ihre Söhne, welche sie in der Nähe wußte, wohl verstehen konnten, während allen Uebrigen die Worte harmlos erschienen. In diesem Liede warnte sie ihre Söhne und machte sie mit einer nahen, drohenden Gefahr bekannt.
Als die Prinzen dies hörten und sofort einsahen, wie ruchlos ihr Bruder gegen den Willen des verstorbenen Kaisers, ihres gemeinsamen Vaters, zu handeln beabsichtigte, beriethen sie augenblicklich, was zu thun sei, und kamen schon nach kurzer Ueberlegung zu dem Entschlusse, ihren Bruder, den schlimmsten Feind, den den sie auf Erden hatten, zu tödten. Und zwar mußte dieser Entschluß alsogleich ausgeführt werden, wollten sie nicht selber dem Falschen zum Opfer fallen.
Bescheidentlich reichte der jüngste seinem ältesten Bruder das Schwert und bat ihn, unverzüglich die rettende That zu vollführen, denn er, als jüngster Bruder, wolle den älteren Brüdern nicht vorgreifen. Der älteste aber lehnte das ab, er wies das allzugroße Wagniß von sich und wollte nichts damit zu schaffen haben. Der zweite nahm das Schwert und ging in das Zimmer Tagischimimi's, doch kaum hatte er die Schwelle überschritten und seinen Gegner erblickt, da erzitterten seine Hände und Knie, und obwohl er Tagischimimi allein fand, fehlte ihm dennoch der Muth, ihn anzugreifen. Zaghaft kehrte er um und erklärte sich außer Stande, das Werk zu vollbringen. Da trat der jüngste, Suizei, vor und erbat sich das Schwert; unverzagt und muthig trat er bei Tagischimimi ein, und im nächsten Augenblicke lag derselbe erschlagen zu seinen Füßen.
Als die That vollbracht war, da verwunderten sich seine Brüder und sahen ein, wie hoch er über ihnen stand. Deshalb sprach der zweite: »Du allein bist fähig und würdig, das Reich[179] zu beherrschen; ich könnte nimmermehr dein Gebieter sein, und deshalb bin ich bereit, in den Priesterstand zu treten und dir treu zu dienen.« Und so kam es, daß Jimmu's jüngster Sohn, der Kaiser Suizei, den Thron Japans bestieg und auf seine Nachkommen vererbte.