Woschida Seoyemon sieht seine verstorbenen Eltern im Traum.

[318] Im Sommer des Jahres 1700 ward in der Nähe von Yedo, der Hauptstadt des japanischen Reiches, im buddhistischen Kloster von Saga ein großes Fest gefeiert, das 80 Tage dauerte. Ein Mann aus der Dienerschaft des Schogun kam zu dem Feste. Derselbe hieß Woschida Seoyemon und hatte das tiefe Herzleid, daß er weder Vater noch Mutter gekannt hatte; er ward schon in früher Jugend eine Waise. Deshalb betete er inbrünstig zum Buddha, er möge ihn doch seine Eltern sehen lassen. In der Nacht des fünften Tages träumte ihm nun, er sähe Buddha selbst mit vielem Gefolge jeglichen Ranges. Ein Priester, der sich darunter befand, blickte sich nach Seoyemon um und sprach zu ihm: »Ich bin dein Vater; du hast gut gethan, an jedem der Festtage in den Tempel zu kommen, denn Buddha gestattet mir in Folge deiner frommen Gebete, mit dir zu reden.« Nun setzte Seoyemon seine frommen Übungen und Tempelbesuche eifriger fort denn je, und in der 30sten Nacht träumte ihm wiederum, daß er seine Mutter besuchte, die ihn mit Freuden bei sich aufnähme. Aus Dankbarkeit für die Gnade Buddha's besuchte nun Seoyemon den Tempel noch dreihundertmal, obgleich derselbe mehr denn eine Wegstunde von seinem Aufenthaltsorte entfernt war.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 318.
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