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[214] Eine arme Frau hatte einmal eine Tochter. Die Frau ging Wäsche waschen, die Tochter aber hatte zuhause am Sticktischchen ihre Beschäftigung.
Eines Tages sass sie beim Fenster und arbeitete, als ein kleiner Vogel auf das Sticktischchen hinflog und zur Maid sprach: »O Maid, o arme Maid, bei einem Toten ist dein Kismet.« Hierauf flog es von dannen. Das Mädchen hatte mehr keine Ruhe und abends erzählte sie ihrer Mutter, was ihr der Vogel gesagt habe. »Schliesse Tür und Fenster gut zu, wenn du dich zur Arbeit setzt,« sagte ihr die Mutter.
Am nächsten Morgen sperrte die Maid Tür und Fenster ab und setzte sich so an die Arbeit. Aber plötzlich pr r r ... sass der Vogel auf dem Sticktische. »O Maid, o arme Maid, bei einem Toten ist dein Kismet!« worauf er wieder von dannen flog. Nun erschrak die Maid noch mehr und klagte abermals ihr Leid der Mutter. »Morgen,« unterwies sie die Mutter, »schliesse Tür und Fenster, kriech in den Schrank, zünde dir eine Kerze an und arbeite dort drinnen.«
Kaum dass ihre Mutter sich am nächsten Morgen entfernte, so sperrte die Maid alles ab, zündete eine Kerze an und verkroch sich in den Schrank. Aber kaum machte sie einige[215] Stiche, so stand der Vogel vor ihr und: »O Maid, o arme Maid, bei einem Toten ist dein Kismet« und pr r r ... flog er davon. Die Maid wusste nun gar nicht mehr, wass sie in ihrer Unruhe anfangen solle. Sie warf die Arbeit bei Seite und quälte sich mit dem Gedanken, was diese Worte wohl zu bedeuten haben. Ebenso ihre Mutter, als sie abends, die Sache erfuhr; am nächsten Morgen blieb sie zuhause, damit auch sie den Vogel sehe. Aber wer da nicht mehr kam, das war eben der Vogel.
Ihre Ruhe war dahin. Sie rührten sich nicht mehr aus der Stube und warteten fortwährend, ob der Vogel vielleicht doch herbeikäme. Eines Tages kamen zu ihnen die Nachbarmädchen auf Besuch und baten die Frau, sie möge ihre Tochter mit ihnen lassen, sie wollen in's Freie gehen, um sich zu unterhalten, damit die Maid ihren Kummer vergesse. Die Frau traute sich nicht sie fortzulassen, aber sie versprachen ihr, dass sie sie nicht aus den Augen verlieren wollten und schiesslich gab ihnen die Frau die Erlaubniss.
Die Mädchen gingen hinaus auf das Feld, tanzten und scherzten, bis die Sonne unterging. Auf dem Rückwege blieben sie bei einer Quelle stehen und tranken Wasser. Die Tochter der armen Frau trat auch zur Quelle und als sie trank, erhob sich eine Mauer zwischen ihr und den Mädchen. Das war aber eine Mauer, wie solche ein Auge noch nie gesehen. Kein Ton konnte über sie hinüberdringen, so hoch war sie; kein Mensch konnte auf ihre andere Seite gelangen, so breit war sie. O, wie erschraken darob die Mädchen. Welch' ein Klagen, Weinen, Durcheinanderlaufen, welche Verzweiflung entstand; was nun mit der armen Maid geschehen werde, was mit der armen Mutter!
»Habe ich es dir nicht gesagt,« rief die eine, »dass wir sie nicht mit uns rufen sollen!« – »Was sollen wir jetzt ihrer Mutter sagen!« klagte die andere, »wie sollen wir ihr[216] vor die Augen treten!« – »Diese ist schuld daran; jene ist schuld daran; du hast sie gerufen,« also stritten sie sich und blickten die grosse Mauer an.
Die Mutter erwartete indessen ihre Tochter; sie stand im Tore und harrte der Kommenden. Da kamen die Mädchen laut weinend heran und getrauten sich der Frau kaum zu sagen, was mit ihrer Tochter geschehen sei. Die Frau lief zur grossen Mauer hin und diesseits die Mutter, jenseits die Tochter, so weinten und klagten sie.
Vom Weinen erschöpft, schlief die Maid ein und als sie am Morgen erwachte, so erblickte sie eine grosse Türe in der Mauer. Sie öffnete die Türe und ein so schönes Seraj stand jenseits der Türe, wie sie ein solches nicht einmal im Traume je gesehen hatte. Sie trat in die Vorhalle ein und erblickte an der Wand etwa vierzig Schlüssel. Sie nahm dieselben herab und schloss die Zimmer der Reihe nach auf, und sah in dem einen Silber, im anderen Gold, im dritten Diamanten, im vierten Smaragd, kurz in einem jeden eine andere Art von Edelgestein, so dass ihre Augen vom Glänze beinahe geblendet wurden.
Sie trat nun in's vierzigste Zimmer ein; dort lag ein schöner Bej aufgebahrt, neben ihm ein Perlenfächer; auf seiner Brust ein beschriebenes Papier: »Wer mich vierzig Tage lang fächelt und neben mir betet, der findet sein Kismet!« Dies stand auf dem Papier geschrieben. Der Maid fiel der kleine Vogel ein, und merkte, dass ihr Schicksal in der Tat bei einem Toten sei.
Sie wusch sich also zum Gebet und mit dem Fächer in der Hand, setzte sie sich neben dem Bej nieder. Tag und Nacht fächelte sie ihn und betete, bis der vierzigste Tag erschien. Am Morgen des letzten Tages blickte sie ein wenig zum Fenster hinaus und bemerkte ein arabisches Mädchen vor dem Palast. Sie rief sie auf einen Augenblick[217] herauf, damit sie neben dem Bej bete, während sie selbst sich waschen und in Ordnung bringen wollte.
Sie rief also die schwarze Maid herbei und stellte sie neben dem Bej, damit dieselbe statt ihr bete und ihr fächle. Die Maid ging hierauf hinab, wusch sich, kleidete sich an, damit sie den erwachenden Bej, den Kismet ihres Lebens empfangen könne.
Inzwischen las die Araberin das Papier, und während die Maid unten weilte, erwachte der Jüngling; er blickte um sich und kaum bemerkte er die Schwarze, so umarmte er sie und nannte sie seine Gattin. Die arme Maid traute kaum ihren Augen, als sie in die Stube trat. Aber erst als die arabische Magd sie also anfuhr: »Ich, die Sultanstochter, schäme mich nicht, so angekleidet zu gehen und diese Dienstmagd da, wagt geputzt vor mir zu erscheinen.« Sie jagte sie aus der Stube hinaus und schickte sie in die Küche, damit sie nach ihrer Arbeit sehe, koche und brate. Dem Bej fiel die Sache auf, aber er konnte nichts sagen; die Araberin war seine Gattin, die andere – die kochte in der Küche.
Das Bajram-Fest nahte und wie es zu dieser Zeit üblich ist, so wollte der Bej seine Hausleute beschenken. Er ging also zur Araberin und fragte sie, was er ihr zum Bajram-Feste bringen solle. Die Araberin wünschte sich ein Gewand, dass weder Nadel gestochen, noch Scheere geschnitten haben. Dann ging er in die Küche hinab und fragte die Maid, was sie haben wolle.
»Geduldstein gelbgefärbt, Geduldmesser braungestielt, diese beiden bringe mir,« sagte die Maid. Der Bej zog von dannen, kaufte der Araberin das Gewand, aber den Geduldstein und das Geduldmesser konnte er nirgends finden. Wass sollte er machen, er kehrte nicht zurück, sondern bestieg ein Schiff.
Als das Schiff den halben Weg zurückgelegt hatte, blieb es plötzlich stehen und bewegte sich weder vor wärts, noch[218] rückwärts. Der Schiffsführer erschrak und teilte den Reisenden mit, dass sich auf dem Schiffe ein Mensch befinden müsse, der sein Wort nicht hält, deshalb könnten sie nicht weiter fahren. Da trat der Bej hervor und sagte, dass er es sei, der sein Wort nicht gehalten habe. Man setzte den Bej an's Meergestade aus, damit er vorher sein Versprechen einlöse und dann erst auf's Schiff zurückkehre. Der Bej ging nun von Gestade zu Gestade, ging so lange herum, bis er endlich bei einer grossen Quelle stehen blieb. Kaum dass er sich an den Stein derselben anlehnte, so stand schon der grosslippige Araber vor ihm und fragte ihn nach seinem Wunsch.
»Geduldstein gelbgefärbt, Geduldmesser braungestielt, diese beiden bringe mir,« sagte der Bej dem Araber. Im nächsten Augenblicke befand sich schon in seiner Hand der Geduldstein und auch das Geduldmesser; er ging zum Schiff zurück, bestieg es und kehrte zum Bajram-Feste heim. Er gab seiner Gattin das Gewand; den Stein und das Messer aber trug er hinab in die Küche. Der Bej war nun neugierig, was die Maid mit diesen Sachen anfangen werde; er schlich daher abends in die Küche und harrte der kommenden Dinge.
Als der Abend hereinbrach, nahm die Maid das Messer in die Hand, legte den Stein vor sich hin und begann ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Sie erzählte, was drei Mal ein Vöglein ihr gesagt habe und in welcher grossen Angst sie und ihre Mutter gewesen seien.
Und wie sie nun auf den Stein hinblickte, so begann dieser anzuschwellen, seine gelbe Farbe brodelte und fauchte, als ob Leben in ihm wäre.
Die Maid erzählte nun weiter, dass sie sich in den Palast des Bej verirrt, vierzig Tage neben ihm gebetet habe und schliesslich das Beten der Araberin überlassen, um sich zu waschen und zu reinigen.[219]
Der Stein schwoll noch mehr an, brodelte und schäumte, als ob er platzen wollte.
Die Maid erzählte nun weiter, dass die Araberin sie betrogen und der Bej die Araberin und nicht sie zur Gattin genommen habe. Als ob der Stein ein Herz gehabt hätte, so brodelte, so schwoll er an und als die Maid ihre Erzählung beendigt hatte, zerplatzte er.
Die Maid ergriff nun das Messer und rief: »O du gelber Geduldstein; du bist ein Stein und konntest es doch nicht ertragen; und ich eine schwache Maid soll es ertragen!« Sie wollte nun das Messer sich in den Leib stechen, aber der Bej sprang herbei und ergriff ihre Hand.
»Du bist mein rechtes Kismet,« sprach der Jüngling und führte sie hinauf zum Platze der Araberin. Er liess die falsche Schwarze töten, die Mutter der Maid herbeiholen und so lebten sie denn in Glückseligkeit.
Ein Vöglein fliegt bisweilen an das Fenster des Seraj und singt fröhlich: »O Maid, o glückliche Maid, du hast dein Kismet gefunden.«
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