XI.
Niedere Elementargeister.

[107] Neben den Göttern kannte das Heidenthum eine ganze Reihe niederer Dämonen, die unter dem Namen Wichte und Elben zusammengefaßt werden. Sie bilden ein eigenes Geisterreich auf Erden, unabhängig von der Menschenwelt. Sie besitzen übernatürliche Kräfte, mit denen sie den Menschen schaden und helfen; zugleich aber scheuen sie sich vor diesen, weil sie ihnen leiblich nicht gewachsen sind. In Böhmen erzählt man sich von der Entstehung dieser Dämonen Folgendes: Als Gott die übermüthigen Engel aus dem Himmel verstieß, wurden aus ihnen die bösen Geister, welche den Menschen bei Tag und bei Nacht beunruhigen, ihn necken und schädigen. Die in die Hölle stürzten und in die Löcher und Abgründe, das sind die Teufel (čertové, d'ablové) und die Todmädchen (Moreny). Aus denen aber, die auf die Erde fielen, wurden die Kobolde (Šotkové), Schrätlein (Škratkové), die Zwerge (Trpaslici), Däumlinge (Palečkové), die Alpe (Můry a Můraůky), die Mittags- und Abendgespenster (Polednice, Klekanice), und die Irrlichter (Bludice). Die in die Wälder fielen, wurden zu[108] Waldgeistern, als da sind: die Hehmänner (Hejkalové), die wilden Männer (divi mužove), die Waldmänner (lesní mužové, Lesoňové) und die wilden Weiber und Waldfrauen (divé ženy, Lesnice). Jene endlich, die ins Wasser fielen, wurden zu Wassergeistern, zu Wassermännern (Vodnikové č. Hastermanové), zu Meerjungfern (mořké panny) und Wasserfrauen.

Wer sich diesen Geistern mit seinem Blute verschreibt, der leidet an nichts Mangel; was er wünscht, das bringen sie ihm und thun sie ihm. Aber bei seinem Tode ist er dann diesen dämonischen Mächten verfallen. Weil nun diese Geister nicht aufhörten den Menschen zu necken und zu quälen, so wurden gute Geister bestimmt gegen sie zu wirken und die Menschen zu beschützen. Von diesen lernten dann einzelne auserlesene Männer und Weiber das Beschwören der bösen Geister; das sind die Geisterbeschwörer (zaklínaci) die in verschiedenen Fällen um Hilfe angerufen werden.1

Der Cultus dieser niederen Elementargeister muß in Böhmen zur Zeit des untergehenden und sich zersetzenden Heidenthums bedeutend hervorgetreten sein;2 denn gerade er wird in den christlichen Denkmälern jener Zeit am deutlichsten berührt. Cosmas von Prag, der als 80jähriger Greis im Jahre 1125 starb, sagt von den alten Böhmen: Tetka, Libussa's Schwester, lehrte das dumme Volk die Berg- und Wald-Nymphen (Oreaden, Dryaden und Hamadryaden) anbeten und verehren, wie noch heute viele Bauern es den Heiden gleich thun, indem[109] dieser die Gewässer oder das Feuer verehrt, jener den Bergen und Hügeln opfert, ein anderer die tauben und stummen Bilder, die er selbst gemacht hat, anbetet, daß sie sein Haus und ihn selbst regieren.3 Im Jahre 1092 verwies Břetislav nach einem großen Land- und Kirchentage alle Zauberer und Zeichendeuter aus dem Lande, ingleichen ließ er die Haine und Bäume, die das gemeine Volk an vielen Orten verehrte, aushauen und verbrennen. Auch verbot er streng die abergläubischen Gebräuche, welche die Bauern, bisher noch halbe Heiden, am Pfingstdienstage und Pfingstmittwoch beobachteten, indem sie über den Quellen opfernd Opferthiere schlachteten und den Dämonen darbrachten.4 In einer Sammlung lateinischer Predigten aus derselben Zeit wird dem Volke verboten, irgend ein Geschöpf göttlich zu verehren, noch an irgend ein Phantasiegebilde5 zu glauben. Ebenso die Verehrung von Götzenbildern oder Thieren, und die Opfer bei Bäumen und Quellen; der Cultus der Verstorbenen, der Cultus der Dämonen. Der altböhmische Glossator Wacehrad nennt in seinem Wörterverzeichnisse die Běsi (dæmones) böse Geister, Plagegeister, Skřeti Hausgeister (penates intimi et secretales), Dás den Genius, Šetek den Hausgott, Morusi, den Alp, Poludnice, Waldnymphen (Dryades) und Vlkodlaci Waldgeister, die Faune der Römer. Wir theilen die Elementargeister des heutigen Volksglaubens in Feld- und Waldgeister, Wassergeister, Zwerge und Kobolde.

1

Krolmus II, 406. Časop. 6. č. Mus. 1854 č. 525 a.p.

2

Eine ähnliche Erscheinung findet Rückert auch im deutschen Heidenthume (Culturgeschichte I, S. 147.)

3

Cosmas, Chron. l. I, p. 4. ed. Dobner.

4

id. l. III. p. 197.

5

Non sit fides nostra in aliquo phantasmate. Serm. cuj. episc. Prag. fol. 138.

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 107-110.
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