Der Lohn guter Thaten.

[244] Es war einmal ein Mann, der in einen Wald gegangen kam, um sich etwas Brennholz zu schlagen. Er ging umher und sah einen Baum nach dem andern an; aber sie waren für diesen Gebrauch allzu gut; es konnte Nutzholz aus ihnen werden, wenn sie stehen blieben, so daß er sie nicht fällen mochte. Endlich fand er doch einen Baum, der ihm nicht zu gut dünkte: derselbe war krumm und verkrüppelt und welk und faul; den fand er zur Feuerung passend, und er begann auf ihn loszuschlagen.

Da sprach jemand zu ihm und sagte: »Hilf mir, daß ich loskomme, mein guter Mann!« Und als er zusah, wer es sei, da war es eine große Viper, die sich in dem Baume festgeklemmt hatte; sie war in eine Spalte eingequetscht und vermochte sich nicht selbst wieder zu befreien. »Nein, ich will dir nicht helfen,« sagte der Mann, »denn sonst fügst du mir Schaden [245] zu.« Die Schlange sagte: Nein, sie werde ihm nichts zu leide thun, er solle sie doch losmachen. Da schob der Mann ganz vorsichtig seine Axt in die Spalte unter der Schlange, so daß sie befreit wurde. Aber kaum war sie losgekommen, da ringelte sie sich an ihm empor und wies ihren Giftstachel und zischte und wollte ihn stechen.

»Sagte ich es nicht,« versetzte der Mann, »daß du eine Canaille wärest, die Gutes mit Bösem belohnen würde!« – »Ja,« antwortete die Schlange, »du hast gut reden; aber in der Welt geht es so zu, daß alle guten Thaten schlecht belohnt werden.« – »Das ist nicht wahr,« sagte der Mann, »gute Thaten werden gut belohnt.« – »Darin wird dir niemand recht geben,« sagte die Schlange; »ich weiß besser, wie es in der Welt zugeht.« – »Laß uns Umfrage halten!« sagte der Mann. »Meinetwegen!« sagte die Viper. Sie ließ ihn nicht los, sondern er mußte mit ihr durch den Wald gehen, bis sie einer alten Kracke begegneten, die auf der Weide ging. Sie war lendenlahm und vom Sattel wundgerieben; sie war auf dem einen Auge blind und hatte nur noch ein paar elende Zahnstummeln im Maule.

Die frugen sie, ob gute Thaten gut oder schlecht belohnt würden. »Sie werden schlecht belohnt,« sagte [246] das Pferd; »ich habe jetzt meinem Herrn zwanzig Jahre lang treu gedient, ihn auf meinem Rücken getragen und seine Kalesche gezogen, bei jedem Schritte auf meinen Fuß geachtet, damit ich nicht straucheln und er dadurch zu Schaden kommen möchte. So lange ich jung und stark war, hatte ich gute Tage und ward gefüttert und getränkt und gestriegelt, hatte meinen guten Stall und reichliche Streu; aber jetzt, da ich alt und schwach geworden bin, muß ich den lieben langen Tag in der Tretmühle gehn, komme nie unter Dach und Fach und erhalte kein anderes Futter, als was ich mir selbst ausrupfe. Nein, gute Thaten werden nur schlecht belohnt.«

»Da hörst du's,« sagte die Viper, »jetzt steche ich dich.« – »Ach nein,« sagte der Mann, »warte doch einen Augenblick! Dort kommt Reineke Fuchs; laß uns ihn um seine Ansicht fragen.« Reineke kam herangeschlichen und blieb stehen und blickte sie an: er sah wohl, daß der Mann in einer schlimmen Lage war. Da frug die Viper Meister Reineke, ob es sich so verhalte, daß gute Thaten schlecht belohnt würden, oder ob sie gut belohnt würden. »Sage: gut!« flüsterte der Mann, »dann bekommst du zwei fette Gänse.« Die Schlange hörte nichts von dem Geflüster. Da sagte Reineke: »Gute Thaten werden gut belohnt,«[247] und im Nu sprang er hinzu und biß die Schlange in den Nacken, daß sie zur Erde fiel. Allein ehe sie starb, konnte sie doch noch sagen: »Nein, gute Thaten werden schlecht belohnt; das mußte ich erfahren, da ich das Leben des Mannes schonte, bis er mir das meinige raubte.«

Nun war die Viper todt, und der Mann war frei. Er sagte also zu Reineke: »Komm mit nach Hause und nimm deine Gänse in Empfang!« – »Nein, danke schön!« sagte Reineke; »ich gehe nicht ins Dorf; denn da bekäme ich die Hunde auf den Hals!« – »So warte hier, bis ich sie dir bringe!« sagte der Mann, und dann lief er nach Hause und sagte in aller Hast zu seiner Frau: »Mach schnell, und stecke zwei fette Gänse in einen Sack! die hab' ich Reineke Fuchs heute zum Frühstück versprochen.« Die Frau nahm auch einen Sack und steckte etwas hinein; aber es waren keine Gänse: es waren zwei bissige Hunde, die sie besaßen. Der Mann eilte mit dem Sack zum Fuchse hinaus und sagte: »Da hast du deinen Lohn.« – »Danke,« sagte der Fuchs, »so war es doch keine Lüge, was ich vorhin sagte: daß gute Thaten gut belohnt werden.« Damit nahm er den Sack auf den Rücken und lief in den Wald hinein. »Sie sind tüchtig schwer,« sagte Reineke, dann setzte er sich nieder und zerbiß die[248] Schlinge des Sackes mit seinen scharfen Zähnen. Aber im Nu schossen die beiden bissigen Hunde aus dem Sack heraus und sprangen ihm an den Hals. Er konnte sich nicht von ihnen losmachen; sie bissen ihn ganz todt. Allein er konnte doch noch sagen: »Nein, es war doch eine Lüge, was ich vorhin sagte; gute Thaten werden schlecht belohnt.«

Quelle:
Grundtvig, Svend: Dänische Volksmärchen 2. Leipzig: Joh. Barth, 1879, S. 244-249.
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