Der treue Svend.

[249] Es waren einmal ein Vater und eine Mutter, die einen Sohn hatten, welcher Svend hieß und in die Welt hinaus sollte, um sich sein Brod zu verdienen. Der Vater gab ihm die Ermahnung mit, er möge immer mit den Lachenden lachen und mit den Weinenden weinen, mit den Fröhlichen fröhlich und mit den Betrübten betrübt sein. Und die Mutter fügte hinzu, er möge nie an einer Kirche vorübergehen, ohne dort einzutreten und den Segen mit auf den Weg zu nehmen.

Svend diente nicht lange nachher auf einem Edelhofe, wo seine Herrschaft so gut mit ihm zufrieden war, daß er von dem einen Posten zum anderen aufstieg und bald ihr vertrautester Diener war. Darüber wurden seine Mitdiener neidisch, und besonders war einer da, welcher nie eine Gelegenheit vorübergehen ließ, wenn er ihn verleumden konnte. Er bat einmal[250] den Herrn, darauf zu achten, daß, wenn die gnädige Frau lache, Svend mitlache; wenn sie weine, so weine Svend ebenfalls; wenn sie fröhlich sei, sei Svend ebenfalls froh; und wenn sie betrübt sei, lasse er den Kopf hängen.

Das war ganz richtig. Der Herr bemerkte es, und er begann sowohl von Svend wie von seiner Frau Arges zu denken. Er ward immer mißtrauischer und ergrimmter gegen seinen vertrauten Diener, und endlich beschloß er, sich seiner auf die Art zu entledigen, daß er ihn mit einem Auftrage zu einer Ziegelbrennerei sende, die er besaß, und wo er zuvor Befehl gegeben hatte, daß man den Ersten, der mit einem Auftrag von ihm käme, ergreifen und ihn in den glühenden Ofen werfen solle.

Svend brach sogleich auf, als ihm aufgetragen wurde, etwas in der Ziegelbrennerei zu bestellen; allein unterwegs kam er an einer Kirche vorbei, und er vergaß nicht, zu thun, was seine Mutter ihn geheißen hatte: er ging hinein, um auch bei diesem Gange den Segen mit auf den Weg zu nehmen. Der böse Diener, welcher Svend bei ihrem Herrn verleumdet hatte, machte sich gleich nachher auf den Weg, denn er wollte sich überzeugen, daß Svend wirklich in den Ofen gewandert sei. Er trat nicht in die Kirche ein, so daß er [251] zuerst nach der Ziegelbrennerei kam und auf der Stelle ergriffen und in den glühenden Ofen geworfen ward. Aber Svend, der sich ein wenig in der Kirche aufgehalten hatte, kam erst später zum Ziegelofen, richtete seinen Auftrag aus und kehrte dann unversehrt zum Hofe zurück, ohne eine Ahnung von dem zu haben, was vorgefallen und welchem Geschick er entronnen war. Sein Herr war sehr erstaunt, ihn wiederzusehen, und fragte ihn aus, ob er sogleich zum Ziegelofen gegangen sei. Svend bekannte, daß er unterwegs in eine Kirche getreten sei, um den Segen mit auf den Weg zu nehmen, wie er seiner Mutter versprochen habe; und zugleich erzählte er die ganze Ermahnung, welche er daheim von Vater und Mutter mit auf die Wanderschaft bekommen habe. Da begriff der Herr, daß Svend ein treuer und braver Diener sei, und daß der Verleumder nur den verdienten Lohn bekommen habe.

Von der Zeit an nannte sein Herr ihn niemals anders als den treuen Svend, und er überzeugte sich jeden Tag mehr und mehr, daß er sich in allem ganz auf ihn verlassen könne. Da geschah es eines Tages, daß ein fremder Gutsherr zum Besuch auf den Hof kam, und das Gespräch sich auf Dienertreue lenkte. Der fremde Gutsherr sagte, es gäbe keinen, auf den [252] man sich ganz verlassen könne. Jeder sei ein Spitzbube in seinem Gewerbe, und keiner bleibe länger bei der Wahrheit, als er seinen Vortheil darin sehe. Aber der Wirth sagte, er habe einen Diener, seinen treuen Svend, der habe nie eine Lüge gesagt und werde es auch nicht thun, möge die Wahrheit ihm nun Nutzen oder Schaden bringen. Der fremde Gutsherr meinte, er werde ihn schon dazu bewegen, und sie gingen eine Wette darüber ein, und jeder von ihnen setzte seinen Edelhof aufs Spiel.

Dann wurde Svend herein gerufen, und erhielt den Auftrag, der Frau des fremden Gutsherrn einen Brief zu überbringen. Er erhielt einen der besten Anzüge seines Herrn und dessen bestes Pferd aus dem Stalle, und dann ritt er fort und sollte an demselben Abend wieder heim kommen. In dem Briefe, den der fremde Gutsherr ihm für seine Frau mitgegeben hatte, war genau vorgeschrieben, wie man ihn aufnehmen sollte. Er wurde daher wie ein feiner Herr aufgenommen. Das Pferd wurde in den Stall geführt, und er mußte sich mit der gnädigen Frau obenan zu Tische setzen, und sie stieß mit ihm an und brachte Gesundheiten aus; und es waren andere zugegen, die auch mit ihm tranken, und sie ließen nicht ab, bis sie ihn betrunken gemacht hatten. Dann ließen sie Karten [253] bringen, und er mußte mitspielen, und wie es nun zugegangen sein mochte oder nicht, sie sagten, er habe alles verspielt, was er bei sich gehabt, nicht nur sein Geld, sondern auch die schönen Kleider, die er anhabe, und das beste Pferd seines Herrn, auf dem er hergeritten sei. Dann zogen sie ihm die Kleider aus und legten ihn in ein Bett, und erst spät am anderen Tage hatte er seinen Rausch ausgeschlafen.

Die Kleider, in denen er hergekommen, hatte er ja verspielt, und das Pferd obendrein. Man gab ihm also ein Paar elende Lumpen, die er anziehen mußte, und einen Stock in die Hand und setzte ihn vor die Thür. In diesem kläglichen Aufzuge mußte er sich auf den Heimweg begeben, und er mochte seine Beine gebrauchen, so gut er wollte, er konnte doch vor Abend nicht nach Hause gelangen.

Der treue Svend war an diesem Tage sehr übel mit sich zufrieden, und wie er so des Weges dahin stolperte, meinte er, es sei ihm doch ganz unmöglich, dem Herrn zu erzählen, wie er sich benommen habe. »Es wird schlimm,« dachte er, »wenn ich nach Haus komme. Ich kann mir schon denken, was der Herr mich fragen wird; aber was ich dann antworten soll, ist nicht so leicht zu sagen.« Als er jetzt dem Hofe so nahe gekommen war, daß er ihn vor sich liegen sah,[254] wollte er eine Probe machen. Er steckt also seinen Stock in die Erde und hängt seinen alten Pracherhut auf denselben. »Jetzt bist du der Herr,« sagt er. Dann entfernt er sich ein Paar Schritte von demselben und sagt zuerst: »Willkommen, treuer Svend!« Mit den Worten, dachte er, würde sein Herr ihn begrüßen. »Danke, gnädiger Herr!« Das war eben so aufrichtig. Dann sagt er: »Aber wie siehst du aus? Wo sind Pferd und Kleider?« – »Ja, gnädiger Herr, die hab' ich verloren. Draußen im Walde ward ich von Räubern überfallen, und sie plünderten mich aus und nahmen mir Pferd und Kleider ab, und ich rettete nichts als das nackte Leben.« Es schien ihm, als schüttele der Hut dazu den Kopf, mochte ihn nun der Wind bewegen, oder was es sonst war. Die Erklärung tauge nichts, merkte er wohl. »Und sage ich das,« dachte er, »so schickt der Herr Leute nach allen Richtungen aus, um nach den Räubern zu suchen. Aber es sind keine zu finden, und kein Mensch hat sie gesehen. Dann stehe ich als ein Lügner da.«

Dann entfernte er sich wieder ein Paar Schritte von dem Stocke und begann von neuem: »Willkommen, treuer Svend!« – »Danke, gnädiger Herr!« – »Wie siehst du aus? Wo sind Pferd und Kleider?« – »Ich hatte mich verirrt und kam in ein Moor, [255] und dort versank das Pferd im Sumpfe, so daß ich hinabspringen mußte und nichts retten konnte.« – Nein, es schien ihm wieder, als schüttele der Hut mit dem Kopfe, und er dachte bei sich selber: »Wenn ich das sagte, so würden sie hingehen und nach dem Pferde suchen, und irgend etwas von den Kleidern müßte doch auch zu finden sein. Nein, das geht auch nicht.«

Dann trat er wieder ein Paar Schritte von dem Stocke zurück, wandte sich zu demselben um und begann, wie vorhin: »Willkommen, treuer Svend!« – »Danke, gnädiger Herr!« – »Aber wie siehst du aus? Wo sind Pferd und Kleider?«


»Schwül war's, und der Meth so lieblich floß,

Drum verlor ich Kleider und rothes Roß.«


Da schien ihm der Hut zuzunicken. »Ja, so war es,« sagte er, »und so muß es sein.« Dann setzte er den alten Hut wieder auf sein Haupt und nahm den Stock in die Hand, und schritt geradesweges zum Hofe. Er ging zum Herren hinauf, und der fremde Gutsherr war ebenfalls dort. Aber sein Herr begann nicht damit, ihn willkommen zu heißen, und er nannte ihn auch nicht »treuer Svend;« er fuhr ihn sehr barsch an: »Plagt dich der Teufel, Svend? Hast du mein [256] Pferd und meine guten Kleider verlottert?« – »Ja,« sagte der treue Svend,


»Schwül war's, und der Meth so lieblich floß,

Drum verlor ich Kleider und rothes Roß.«


Und er erzählte weiter, wie alles gekommen sei: er habe sich betrunken und alles verspielt.

»Du hast doch das Spiel gewonnen, treuer Svend!« sagte sein Herr; »denn jetzt kannst du den Edelhof in Besitz nehmen, auf dem du gestern zu Gaste warst; er soll dir fortan gehören.« Und so geschah es auch, daß der treue Svend Gutsherr wurde, und zwar weil er immer bei der Wahrheit geblieben war.

Quelle:
Grundtvig, Svend: Dänische Volksmärchen 2. Leipzig: Joh. Barth, 1879, S. 249-257.
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