Prinz Irregang und Jungfer Miseri.

[100] Es ist jetzt lange her, daß ein König lebte, der mit all seinen Rittern und Knappen auf die Jagd hinausgeritten war.


Sie pirschten Hirsche, sie pirschten Hasen

Und die Thiere all, die im Walde grasen.


Der König hatte das schnellste Pferd, und er war all seinen Leuten weit vorausgekommen. Da wurde es Abend, und es fiel ein dicker Nebel über Wälder und Wiesen, und der König verirrte sich gänzlich. Er konnte nicht Weg noch Steg finden, und ehe er es merkte, befand er sich mitten in einem großen Moorgrunde. Das Pferd sank bald mit den Hinterbeinen, bald mit den Vorderbeinen ein, und zuletzt gerieth es so in den Sumpf, daß es gar nicht wieder herauskommen konnte, sondern mit Kopf und Schwanz im Moraste versank. Der König schwang sich noch glücklich vom Rücken desselben hinab, und er war froh,[101] sein Leben gerettet zu haben. Er hüpfte von einer Erhöhung zur andern, sank oftmals ein und arbeitete sich wieder herauf: es war, als nähme das Moor gar kein Ende. »Ich werde doch hier in dem verwünschten Sumpfe noch umkommen,« dachte der König; er war jetzt ganz erschöpft und sah keine Rettung. Da sah er plötzlich einen kleinen alten Mann mit einem langen Barte und einem Stock in der Hand über das Moor geschritten kommen; es war, als ob er auf trockenem Boden wandele, aber er ging doch gerades Wegs über alle Löcher und Pfützen. »Holla!« rief der König, »hilf mir aus diesem Moraste heraus!« – »Ja, du bist auf schlimme Wege gerathen, König!« sagte der Mann, »und du kommst sicherlich nicht lebend von hinnen, wenn ich dir nicht helfe. Aber das werde ich schon thun, wenn du mir versprechen willst, daß das Erstgeborene männlichen Geschlechtes, welches nach deiner glücklichen Heimkehr in deiner Burg das Leben erblickt, mir gehören soll. Versprichst du das?« Der König hätte alles Mögliche versprochen, um der Noth, in der er sich befand, zu entrinnen; er sagte daher: »Gewiß verspreche ich dir's; hilf mir nun auf trockenen Grund kommen!« Denn er war ja bei jedem Schritt und jedem Sprung in Lebensgefahr. »Da hast du meinen Stock,« sagte der Alte, »geh dem [102] nur nach! er wird dir schon den Weg weisen.« Und damit warf er dem Könige seinen Stock zu; derselbe konnte ihn nicht ergreifen, aber das blieb sich gleich, denn der Stock hüpfte von Erhöhung zu Erhöhung, und der König hinterdrein: jetzt sank er nicht mehr ein, und bald hatte er festen Grund unter den Füßen. Der Stock ging ihm immer voran, bis der König sein Schloß vor sich liegen sah; da schlug er ein Rad in der Luft, und trabte dann allein des Weges zurück, daher er gekommen war.

Als er das Moor hinter sich hatte und dem Stocke auf trockenem Boden folgte, bedachte der König, was er versprochen hatte. Es waren so viele lebendige Kreaturen in seiner Burg, daß man schwer sagen konnte, was das Erstgeborene nach seiner Heimkehr sein würde. Es konnte ein Füllen oder ein Hündchen, ein Ferkel oder ein Lamm, eine Ziege oder ein Kalb oder vielleicht ein Kätzchen sein. Aber es konnte ja auch ein Menschenkind, und es konnte sogar des Königs eigenes Kind sein, denn seine Königin sah tagtäglich ihrer Stunde entgegen. Aber wenn es nun die Königin selber war, die zuerst ein Kleines bekam, so konnte es doch eben so gut ein Mädchen wie ein Knabe sein, und dann hatte es ja nichts zu sagen. Allein gerade als der König die Treppen hinanstieg,[103] schenkte seine Königin einem Prinzen das Leben. Es war ihr Erstgeborener, und es war das erste Wesen männlichen Geschlechts, welches in der Burg des Königs nach seiner Heimkehr zur Welt kam. Das stand außer Zweifel, und der König sah jetzt wohl ein, daß er diesen Sohn dem Kobolde für sein Leben versprochen hatte. Sobald die Königin das Bett verließ, erzählte der König ihr alles, und sie waren sich einig darüber, daß sie suchen müßten, ein Abkommen mit dem Kobold zu treffen, was es auch kosten möchte. Ihren einzigen Sohn konnten sie ihm doch nicht geben.

Der Knabe wurde getauft und Irregang genannt, und als er vierzehn Tage alt war und die Königin abends allein an seiner Wiege saß, stand der alte Mann aus dem Walde plötzlich vor ihr und sagte, sie wisse wohl, daß der Kleine ihm gehöre. Was sie ihm auch zum Tausch anbieten mochte, es half alles nichts. Aber sie erlangte doch, daß sie den Sohn noch fünf Jahre behalten dürfte, wenn der Kobold sogleich hundert Ochsen empfinge. Dann sahen sie nichts von demselben, bis die fünf Jahre um waren: da kam er wieder. Aber er erlaubte der Königin, den Knaben noch fünf Jahre zu behalten, und dafür empfing er zweihundert Ochsen. Und als der Knabe zehn Jahre[104] alt war, kam der Alte wieder, und für dreihundert Ochsen erlaubte er den Eltern, den Knaben noch fünf Jahre zu behalten.

Prinz Irregang wuchs also in der Burg seines Vaters heran, bis er sein fünfzehntes Jahr vollendet hatte. Er war der vielversprechendste Jüngling, groß und schön und wohlunterrichtet und gesittet in jeglicher Weise. Da stand der alte Mann aus dem Walde wieder eines Abends vor der Königin mit seinem Stock in der Hand und sagte: »Jetzt komme ich, um meinen Jungen zu holen.« Sie bat und flehte und bot ihm alles, was es auch sein möchte, um den Sohn, wäre es auch nur noch fünf Jahre lang, behalten zu dürfen. Aber da half kein Reden und Weinen. Der Kobold sagte, jetzt wolle er endlich haben, was ihm gehöre. »Morgen soll er zu mir kommen,« sagte der Kobold; »jetzt stelle ich meinen Stock hier an die Thür, der wird ihm schon den Weg weisen. Und kommt er nicht, so werde ich das Schloß mit ihm und euch allen in die Erde versenken, daß sieben Klafter Moorwasser darüber stehen. Es sind jetzt fünfzehn Jahre her, seit ich dem König das Leben rettete, und ein Königswort darf man nicht brechen.«

Dann ging der Kobold fort, aber seinen Stock ließ er an der Thür stehen. Und der König und die Königin [105] konnten jetzt nichts anderes thun, als am nächsten Morgen Irregang unter strömenden Thränen Lebewohl sagen und ihn den Stock in die Hand nehmen und die Reise antreten lassen. Sobald er draußen vor dem Schlosse war, fuhr ihm der Stock zwischen die Beine: er wußte nicht, ob er ritt oder flog; aber er wurde in sausender Fahrt über Berg und Thal, über Land und Wasser dahin getragen, bis er gegen Abend wieder festen Grund unter seinen Füßen und den Stock in seiner Hand fühlte und vor einem Schlosse stand, das wie in einen Berg gehöhlt zu sein schien. Der kleine alte Mann mit dem langen Barte stand draußen vor dem Thore. Irregang wußte gleich, wer es war. »Guten Abend, Kobold!« sagte er. »Guten Abend, Königssohn,« sagte der Kobold; »hier nennt man mich übrigens König und Herrn, und nicht wie du sagst. Und ich hätte nicht übel Lust, dir gleich den Hals umzudrehen, ein so loses Maul wie du führst. Und das thue ich auch, wenn du mir nicht stehenden Fußes drei Wahrheiten sagen kannst, an denen keine Lüge zu erfinden ist.« – »Gut,« sagte Irregang, »die sind bald gesagt: nie lag ich weicher, als in meiner Mutter Schooß; nie kostete ich Süßeres, als aus meiner Mutter Brust; und nie hab' ich meiner Mutter größeren Kummer bereitet, als heute.« Daran war keine Lüge zu [106] erfinden; daher ward der Kobold ganz freundlich gegen ihn, und sagte, er könne hören, daß er guten Unterricht genossen habe. »Aber du kannst doch noch viel bei mir lernen,« sagte der Kobold, »und du wirst dich tüchtig anstrengen und arbeiten müssen. Heute ist Feierabend, da magst du frei umhergehen und dich allenthalben umsehen; aber morgen ist ein Arbeitstag.« Es war allerdings viel in dem Schlosse des Koboldkönigs zu sehen, dessen Gleichen Irregang nie zuvor gesehn hatte. Ueberall strahlte es von Gold und Silber; aber daran war Irregang ja gewöhnt. Er sah jedoch viele seltsame Gegenstände, deren Zweck er durchaus nicht kannte. Und viele seltsame Vögel und Thiere sah er drinnen und draußen, und Blumen und Bäume, die mit nichts Aehnlichkeit hatten, was ihm bekannt war. Es waren noch mehr Leute in dem Schlosse, außer dem Kobold und ihm; da waren die zwölf Diener des Kobolds, die sahen garstig und grimmig aus und waren alle von echtem Koboldgeschlechte. Und da war die alte Mutter des Kobolds, die wohnte im obersten Gemache, und eine schlimmere Hexe hatte es niemals gegeben. Sie hatte nur noch zwei schwarze Zähne, und die hingen ihr weit aus dem Munde. Und eine Nase hatte sie, so krumm und so lang, daß sie ihr über das Kinn hinab fiel. Sie war greulich [107] anzusehn. Aber sie hatte zu ihrer Bedienung ein hübsches kleines Mädchen, das ihr gar nicht glich. Sie wurde Jungfer Miseri genannt, und sie war kein geborenes Koboldskind, sondern ein rechtes Menschenkind, eine Königstochter, welche der Kobold geraubt hatte, als sie noch ganz klein war. Sie hatte jetzt so lange mit dem alten Hexenweibe verkehrt, daß sie ihr all' ihre Künste abgeguckt hatte. Sie war über alle Maßen gescheidt, aber sie war trotzdem sehr lieb und gut. Sie richtete ein forschendes Auge auf Prinz Irregang, und er gefiel ihr weit besser als all' das Koboldsgeschmeiß, unter dem sie leben mußte; aber sie ließ sich nichts davon merken. Irregang erhielt sein gutes Abendessen und ein gutes Bett, und dann schlief er süß bis zum nächsten Morgen.

Da erschien der Kobold und rief ihn und nahm ihn mit in einen Wald, der ihm gehörte. Den solle er fällen, sagte der Kobold, das solle für heut seine Arbeit sein: »Und bist du bis zum Abend nicht damit fertig, so drehe ich dir den Hals um.« Dann ging er fort, und der Knabe stand alleine draußen im Walde mit einer Axt, die er kaum tragen konnte. Er begann unten an der Wurzel in einen Baum zu schlagen, so hoch er die Axt des Kobolds zu heben vermochte, und es flogen auch einige Späne ab; aber was konnte das helfen! So viel er [108] sich plagte und plackte, konnte er nicht den einen Baum bis zum Abend fällen, das sah er wohl ein; daher setzte er sich nieder und wischte sich den Schweiß ab und dachte, jetzt sei es aus mit seinem Leben. Da kam Jungfer Miseri herangetrippelt, mit einem Körbchen am Arme; darin brachte sie ihm sein Mittagessen Dann frug sie ihn, warum er so verzagt aussehe. »Weil es jetzt aus mit mir ist,« sagte er; »ich soll den ganzen Wald bis zum Abend fällen, und ich kann nicht mit einem einzigen Baum fertig werden. Und habe ich nicht den ganzen Wald rechtzeitig gefällt, so wird mir der Hals umgedreht.« Da sagte Jungfer Miseri, das sei doch kein Grund zum Jammern: das Bischen Wald könne man ja leicht fällen. »Ach, so hilf mir,« sagte Prinz Irregang. »Helfe ich dir, so wirst du treulos gegen mich sein,« sagte Jungfer Miseri. Nein, gelobte er ihr zuversichtlich, er werde ihr alle Zeit hold und treu sein, wenn sie ihm jetzt helfen wolle. Da sagte das Hexenmädchen, er möge sich nur hinsetzen und das gute Essen verzehren, das sie ihm gebracht habe: mit dem Walde würden sie bald fertig sein. Dann setzte sie sich zu ihm, und blieb dort sitzen und plauderte mit ihm, und die beiden fanden immer mehr Gefallen an einander. Als es nun gegen Abend war, sagte das Hexenmädchen, jetzt müsse sie nach Hause [109] gehn, ehe die alte Hexe aufwache: sie halte immer einen solchen langen Mittagsschlaf. Und dann verlange sie, daß Jungfer Miseri die ganze Zeit über, während sie schlafe, neben ihr sitze und ihr den Kopf kraue. »Aber das lasse ich nun heut unsere schwarze Katze besorgen,« sagte sie; »dafür bekommt sie diesen Abend Sahne, und dann schwatzt sie es nicht aus. – Aber wir sollten ja den Wald fällen.« Dann wehte sie mit ihrer Schürze und sagte: »Bisch, bisch, bisch!« Und im selben Augenblick stürzte der Wald nieder, der eine große Baum auf den andern. Das war schnell gethan. Dann ergriff Jungfer Miseri ihr Körbchen und lief zu der alten Hexe heim, und die war noch nicht aufgewacht.

Gerade als die Sonne untergegangen war, kam der Kobold zu Irregang hinaus und wollte sehen, was er beschafft habe. Da lag der ganze Wald gefällt, Baum neben Baum. »Du kannst mehr, als ich dachte,« sagte der Kobold, »aber das hast du gewiß nicht aus deinem eigenen Hirn gesponnen.« Dann kehrte Irregang nach dem Koboldschlosse zurück, erhielt sein Abendessen und begab sich zur Ruhe.

Am nächsten Morgen führte der Kobold ihn zu einem Schafstalle. »Der soll reingemacht werden,« sagte er, »und das mußt du heute bis zum Abend [110] vollbracht haben; sonst drehe ich dir den Hals um.« Dann ging er fort, und der Königssohn stand allein in dem leeren Schafstalle, der so groß wie eine Edelhofsscheune war. Und der Mist lag klaftertief über der ganzen Diele und ganz bis ans Dach hinauf. Dort stand eine Schaufel, die war so schwer, daß Irregang sie kaum heben konnte. Er begann in all dem Miste zu stochern, aber es war nicht zu sehen, was er bis zum Mittag beschafft hatte. Da kam Jungfer Miseri mit seinem Essen, und er klagte ihr seine Noth. »Ja, helfe ich dir, so wirst du treulos gegen mich sein,« sagte sie. Aber er versicherte, er werde ihr so treu und so hold wie das lautere Gold sein. »Ja, ja,« sagte sie, »dann will ich dir helfen. Der Stall ist übrigens seit hundert Jahren nicht reingemacht, so daß es ein gut Stück Arbeit ist, was er dir aufgetragen hat.« Dann stach sie die Schaufel fest in den Mist hinein und sagte:


»Schaufel, schaufle den Mist geschwind!

Das ist kein Werk für ein Königskind.«


Da begann die Schaufel den Mist hinauszuwerfen, daß er ihnen um die Ohren flog. »Hier wollen wir lieber nicht bleiben,« sagte Jungfer Miseri, und nahm Irregang bei der Hand und führte ihn in den Garten des Kobolds hinaus, und gab ihm von dem schönsten [111] reifen Obste, und sie blieben im Garten beisammen und hatten viel mit einander zu plaudern, bis sie ihm gegen Abend Lebewohl sagte: jetzt müsse sie hinein, ehe die alte Hexe aufwache; die schwarze Katze sei wieder statt ihrer an der Arbeit; und er müsse in den Schafstall zurück, ehe die Sonne untergehe und der Kobold sich einstelle. Als Irregang in den Stall kam, war derselbe so rein wie ein frischgewaschener Milchzuber. Dann kam der Kobold. »Nun,« sagte er, »du bist nicht so dumm, wie die Jungen auf der Erde zu sein pflegen. Aber das hast du gewiß nicht aus deinem eigenen Hirn gesponnen.« Dann ging Irregang hinein und erhielt sein Abendessen und legte sich in sein Bett.

Am nächsten Morgen sagte der Kobold zu ihm: »Nun hast du zwei Tage lang schwere Arbeit gehabt; aber heute sollst du nichts anderes thun, als meinen Hengst in die Schwemme reiten; das ist etwas, woran du gewöhnt bist.« Irregang ging also in den Stall; der Kobold hatte viele Pferde im Stalle, aber keins, das sich mit seinem Hengste vergleichen ließ; das war ein großer Grauschimmel, der allein in dem obersten Stallbaume stand. Er stand an einer goldenen Krippe, aber die Krippe war leer. Er war mit einem Halfterbande von Eisen angebunden, mit sieben Hängeschlössern davor; und er stand und stampfte auf die Steindiele, [112] daß die Funken um ihn her sprühten. Und als Irregang in den Stallbaum zu ihm hineintreten wollte, legte der Hengst die Ohren zurück und wieherte und schnob, daß ihm Feuer aus den Nüstern fuhr. Der Königssohn wußte sonst gut mit unbändigen Pferden umzugehen, aber ein solches hatte er nie zuvor gesehen. Er pfiff und redete ihm zu; aber das Thier blieb eben so wild: es wollte beißen und schlagen, und es war nicht gut mit ihm anzubinden. Irregang stand noch da und war nicht weiter gekommen, als Jungfer Miseri mit seinem Mittagsessen erschien. »Ja, das ist noch das Schlimmste, was er dir aufgetragen hat,« sagte sie; »dennoch könnte Rath dafür geschafft werden.« Er bat sie inständig, ihm zu helfen; daß sie es könne, wußte er schon. »Helfe ich dir, so wirst du treulos gegen mich sein,« sagte sie. Nein, antwortete er, sie dürfe sich überzeugt halten, daß er ihr allezeit hold und treu sein werde; er habe nie jemand so lieb gehabt wie sie. Da nahm das Hexenmädchen einen Strohhalm und legte ihn dem Hengst auf den Rücken, und dann sagte sie:


»Steh, Schimmel, für Jungfer Miseri still,

Die Hafer und Heu dir geben will!«


Da stand er still wie ein Lamm; das Hexenmädchen ging zu ihm hin und warf ihm das beste Futter vor;[113] dann hauchte sie sieben Mal auf die sieben Hängeschlösser, da war er los von der Krippe; und dann sagte sie:


»Geh nun, Schimmel, für Gotteslohn,

Und trage Irregang Königssohn!«


Da ließ er Irregang sich hinaufschwingen, und derselbe ritt ihn mit dem eisernen Halfterbande zur Schwemme und wieder zurück und stellte ihn in den Stallbaum, wo er vorhin gestanden hatte. Das Hexenmädchen hauchte wieder sieben Mal auf die sieben Hängeschlösser, da war alles wieder, wie es gewesen war. Sobald das geschehen und Jungfer Miseri wieder zu der alten Hexe hineingeschlüpft war, kam der Kobold zu dem Königssohne in den Stall und sagte: »Ja, ich sehe wohl, du hast gethan, was ich dir auftrug, und das ist gut. Jetzt magst du hineingehen und dir dein Abendbrod geben lassen.«

Dann ging der Kobold zu seiner alten Mutter hinauf, um ein Gespräch unter vier Augen mit ihr zu führen. Aber Jungfer Miseri paßte auf, und sie horchte an der Thür und hörte die ganze Unterhaltung. Sie hörte den Kobold sagen: »Jungfer Miseri ist uns zu klug geworden, und sie muß jetzt auch mit dem Königssohn im Bunde gewesen sein; sonst hätte er niemals vollbringen können, was er vollbracht hat. [114] Jetzt müssen wir uns ihrer beider entledigen. Es ist am besten, daß wir sie verspeisen; so ein paar Königskinder schmecken prächtig. Jetzt lasse ich sie selbst den Ofen heizen, und wenn das geschehen ist, sollen sie hineingeschoben und gebraten werden.« Das gefiel der alten Hexe wohl, und die beiden schwarzen Zähne, die sie noch hatte, begannen sich von selbst zu bewegen, als sie daran dachte, wie gut das schmecken würde. »Laß sie nur recht mürbe werden!« sagte sie. Das versprach der Kobold, und dann ging er hinaus, und sagte zu Irregang, sie müßten diese Nacht backen, und er solle Holz für den Ofen holen; und zu Jungfer Miseri sagte er, sie möge gut einheizen: er gehe jetzt hinein und lege sich ein wenig schlafen; sie solle ihn wissen lassen, wenn der Ofen heiß genug sei.

Dann trug Prinz Irregang Holz herbei, und Jungfer Miseri heizte den Ofen, bis sie den Kobold schnarchen hörte. Dann nahm sie zwei Holzscheite, und stellte sie aufrecht, jedes an einer Seite des Ofens, und dann flüsterte sie ihnen etwas zu, und dann spie sie auf jedes derselben, und dann nahm sie Irregang bei der Hand und zog ihn hinaus, und dort sagte sie zu ihm: »Jetzt sollst du gebraten werden, Königssohn! Dazu heizen wir den Ofen.« – »O, hilf mir!« sagte er. »Helfe ich dir, so wirst du treulos gegen mich [115] sein,« sagte sie. Allein er betheuerte und schwor, daß er ihr allezeit hold und treu sein werde; sie sei ja seine Herzliebste, und sie solle auch seine Frau werden. Da lief sie mit ihm in den Stall und zu dem Hengste des Kobolds; sie redete demselben zu und löste ihn von der Krippe, und dann schwangen sie und Irregang sich beide auf seinen Rücken und ritten von dannen, so schnell der Hengst ausgreifen konnte.

Inzwischen erwachte der Kobold und rief hinaus: »Ist der Ofen heiß, Jungfer Miseri?« – »Nein, noch nicht,« lautete die Antwort; die kam von einem der beiden Holzscheite, aber es klang, als wäre sie es, die antwortete. »So heize besser ein!« schrie der Kobold, und dann legte er sich wieder hin, um zu schlafen. Eine Weile darauf erwachte der Kobold wieder und rief hinaus: »Ist der Ofen noch nicht heiß?« – »Nein, noch nicht,« antwortete jemand; es klang wie Irregang's Stimme, aber es war das andere Holzscheit. »Jetzt muß er doch bald heiß sein,« schrie der Kobold, und dann schlief er wieder ein. Nach einiger Zeit erwachte er abermals und rief hinaus: »Ist der Ofen noch nicht heiß?« Aber niemand antwortete. Da machte sich der Kobold auf die Beine und schoß zum Ofen hinaus: der war fast kalt. Da rannte er umher und suchte allenthalben; aber keine Jungfer Miseri und kein [116] Prinz Irregang war zu finden, und als er in den Stall kam, war auch sein Hengst verschwunden. Da stieß er ein Gebrüll aus, daß das ganze Schloß erbebte, und alle kamen auf die Beine, seine alte Mutter sowohl wie seine zwölf Diener. Es war kein Zweifel: die beiden Königskinder waren auf dem Hengst entflohen, und die zwölf Koboldsdiener wurden ausgesandt, um sie zurück zu holen. »Bringt alles Auffällige mit heim, was ihr seht!« sagte die alte Hexe; sie war ja die Klügste von allen.

Der Königssohn und Jungfer Miseri waren mittlerweile ein gut Stück Weges vom Koboldsschlosse hinweg gekommen. Da sprach das Pferd und sagte: »Ich schwitze am Schenkel.« – »Dann setzen sie uns nach,« sagte das Hexenmädchen; »schau dich um, Königssohn! Was siehst du?« – »Ich sehe einen Schwarm Krähen heranfliegen,« sagte er. »Das sind die zwölf Diener des Kobolds,« sagte sie; »die sollen uns holen.« – »Sinne doch auf ein Rettungsmittel!« sagte er. »Helfe ich dir, so wirst du mir treulos sein,« antwortete sie. »Nein, meine Herzliebste! Ich werde dir allezeit hold und treu sein,« sagte er. »Nun, die können wir leicht genug foppen,« sagte Jungfer Miseri.


»Sei du ein Dorn, der Schimmel ein Stein,

Ich will am Zweig eine Rose sein!«


[117] Da war der Königssohn ein Rosendornstrauch geworden, und sie eine Rose auf demselben, und der Hengst war in einen Stein am Wegesrande verwandelt. Die Krähen kamen herangeflogen, sie sahen wohl den Dornstrauch und alles andere, aber sie flogen weiter. Endlich kehrten sie um und kamen zum Koboldsschlosse zurück. »Habt ihr nichts gesehen?« frug der Kobold. »Nein, wir sahen nichts anderes, als einen Rosendornstrauch mit einer Rose darauf und einem Stein daneben,« sagten sie. »O ihr Dummköpfe!« sagte der Kobold, »das waren sie ja gerade. Ihr hättet nur die Rose nehmen sollen, dann wäre das Uebrige schon mitgekommen. Jetzt muß ich selber fort!« Und er nahm seinen Stock zwischen die Beine und sauste wie der Wind durch die Luft.

Die Flüchtlinge waren mittlerweile ein gut Stück weiter hinweg gekommen. Da sprach das Pferd wieder und sagte: »Ich schwitze am Schenkel.« – »Dann setzen sie uns nach,« sagte das Hexenmädchen; »schau dich um, Königssohn! Was siehst du?« – »Ich sehe ein feuriges Rad in der Luft,« sagte er. »Das ist der Koboldkönig selbst,« sagte Jungfer Miseri; »jetzt gilt's!« – »O, hilf doch!« sagte der Königssohn. »Helfe ich dir, so wirst du treulos gegen mich sein,« sagte das Mädchen; »aber ich will's versuchen.« Dann sagte sie:


[118] »Sei du eine Kirche, und ich ein Pastor,

Und der brave Schimmel ein Kirchhof davor!«


Da war der Hengst in einen Kirchhof, der Königssohn in eine Kirche neben demselben, und Jungfer Miseri in einen Priester verwandelt, der am Altare stand und die Messe las. Der Kobold erblickte die Kirche; es kam ihm vor, als hätte er dieselbe früher nicht gesehen, er schoß daher hinab und streckte die Nase zur Kirchenthüre hinein; als er aber den Priester sah und ihn die Messe lesen hörte, zog er die Nase zurück und flog zu seiner alten Mutter zurück. »Nun?« fragte sie, »hast du auch nichts von ihnen gesehen?« – »Nein,« sagte der Kobold, »ich war ganz draußen auf christlichem Boden; dort stand eine Kirche mit einem Pfaffen darin; aber von ihnen sah ich nichts.« »Ach, du bist eine rechte Kaulquappe,« sagte die alte Hexe; »das waren sie ja. Du hättest den Pfaffen beim Wickel nehmen sollen, dann wären Kirche und Kirchhof schon mitgekommen. Jetzt muß ich ihnen selber nach!« Und sie ergriff eine Ofengabel und ritt auf derselben spornstreichs durch die Luft, daß es hinter ihr sprühte und knisterte.

Mittlerweile waren die Flüchtlinge ein gut Stück weiter gekommen. Aber da sprach das Pferd wieder und sagte: »Ich schwitze am Schenkel.« – »Schau dich [119] um, Königssohn! Was siehst du?« sagte das Mädchen. »Ich sehe einen glühenden Drachen in der Luft,« sagte er. »Das ist die alte Koboldsmutter,« sagte sie; »das ist das Schlimmste.« Und in demselben Augenblick sagte sie:


»Ein Entrich sollst du, ich 'ne Ente sein,

Und der Schimmel ein klares Wässerlein!«


Und in demselben Augenblick schwammen sie beide draußen auf dem Wasser herum. Gleich darauf kam die alte Hexe dort an, und schoß zum Wasserrande hinab. »Putchen, Putchen! Rap, rap rap!« sagte sie, und sie lockte die Enten so freundlich, wie sie konnte, und sie warf ihnen Gerstenkörner hin. Aber die Ente schwamm fort, und der Entrich folgte ihr. Da nahm die Alte ihren Hexenapfel und warf denselben nach ihnen hinaus; es war ein langer Faden daran, und hätte sie eins von ihnen getroffen, so hätte sie sie alle ans Land ziehen können. Aber die Ente ergriff den Entrich am Flügel und tauchte mit ihm unters Wasser hinab, der Apfel flog über ihnen hin, und in demselben Augenblick zerbiß die Ente den Faden, so daß der Apfel auf den Grund sank, und mit ihm versank alle Hexenkunst der Alten. Jetzt hatte sie keine Gewalt mehr. Da wurde sie so zornig und giftig, daß sie aus der Haut fuhr und in lauter Kieselsplitter zersprang, und ein [120] ganzes Feld mit Kieselsteinen bedeckt ward. Aber Jungfer Miseri und Prinz Irregang und der Hengst des Kobolds nahmen wieder ihre frühere Gestalt an, und sie ritten nun ruhig weiter, bis sie in das Land und an das Schloß kamen, wo der Königssohn zu Hause war.

Da verwandelte Jungfer Miseri den Hengst in einen grauen Feldstein am Wege; auf den setzten sie sich alle beide, und dann sagte sie: »Du darfst jetzt nicht glauben, Prinz Irregang, daß es erst wenige Tage her ist, seit du von Hause fortgingst; denn es sind sieben volle Jahre seitdem vergangen. Es ist noch weit länger her, seit ich von Hause kam, und mittlerweile ist mein Geschlecht ausgestorben, oder so gut wie ausgestorben,« sagte sie, und dann streichelte sie den Feldstein. »Und auch bei dir zu Hause hat sich manches verändert: deine Mutter ist todt, aber dein Vater lebt noch; er hat sich wieder mit einer Königswittwe verheiratet; die hat eine große Tochter, und außerdem haben sie und dein Vater einen kleinen Sohn mit einander. Geh' jetzt zu deinem Vater hinein und erzähle ihm alles. Wenn du das gethan hast, magst du wieder herauskommen und mich hinein holen. Aber nun mußt du acht geben, daß du dich von niemand küssen läßt, ehe du mich hinein geholt hast; denn geschieht[121] das, so wirst du mich ganz und gar vergessen.« Der Königssohn glaubte, das leicht versprechen zu können; war er doch so froh und dankbar und hatte sie so herzlich lieb! Er küßte daher Jungfer Miseri, und dann ging er in seines Vaters Schloß, aber sie blieb auf dem Feldstein am Wege sitzen.

Prinz Irregang kam also zu seinem Vater, der ihn sofort wieder erkannte und hocherfreut über seinen Anblick war; und in demselben Augenblick trat auch die neue Königin, Irregang's Stiefmutter, ein, und sie trug seinen kleinen Bruder auf dem Arme. Und als sie hörte, wer er sei, wollte sie ihm sogleich einen Bewillkommnungskuß geben. Aber Irregang entzog sich demselben. Da hielt sie ihm seinen kleinen Bruder entgegen, damit er diesen küsse; aber Irregang that das nicht, er streichelte ihm nur die Wange. Da kam ein weißes Windspiel herein; Irregang dachte, es müsse sein eigenes sein, das er besessen hatte, als er daheim war, so bekannt kam es ihm vor, und er streichelte es und rief es beim Namen. Da sprang der Hund an ihm empor und leckte ihm das Gesicht, aber im selben Augenblick hatte er Jungfer Miseri und all seine Liebe zu ihr gänzlich vergessen; er konnte sich weder auf ihren Namen noch auf irgend etwas von allem besinnen, was sie für ihn gethan hatte. Er [122] sollte jetzt erzählen, was ihm in den sieben Jahren begegnet sei, die ihm kaum als eben so viele Tage erschienen; aber er vermochte keine Rechenschaft darüber zu geben. Da bat sein Vater ihn, sich nicht weiter damit zu quälen, sondern sich das Ganze lieber aus dem Sinne zu schlagen: er sei ja verhext gewesen, aber jetzt sei er wieder er selbst und daheim bei den Seinigen. Dessen wollten sie sich freuen, und sie gaben Gesellschaft und vergnügten sich auf dem Schlosse an jenem Abend. Dort war die Tochter der Königin, eine schöne junge Prinzessin, von der Prinz Irregang sofort ganz eingenommen war. Und Sang und Tanz und Lustigkeit herrschte auf dem Schlosse, wo Irregang mit der schönen Prinzessin tanzte, während seine rechte Liebste Jungfer Miseri alleine draußen auf dem Feldstein an der Landstraße saß.

Als sie dort so lange gesessen hatte, daß sie wohl wissen konnte, wie es gegangen sei, stand sie auf, und dann verwandelte sie den Feldstein in ein kleines graues Kalb, und ging mit dem zum Vorwerk des Schlosses hin, das eine Strecke vom Schlosse entfernt lag, und dort erzählte sie, daß sie ein armes Mädchen sei, das weder Vater noch Mutter habe und nichts besitze als das kleine graue Kalb, und frug, ob sie nicht dort einen Dienst erhalten könne. Ja, sie könne [123] Hühnermagd werden, sie habe dann alles Federvieh des Königs zu warten, und man wies ihr ein kleines Haus an, in welchem sie allein wohnen sollte, und wo sie auch ihr kleines graues Kalb bei sich haben konnte. Dort saß sie also und besorgte ihr Geschäft; sie sah nichts von Prinz Irregang, und er dachte niemals an sie, denn er hatte sie ja gänzlich vergessen; aber er hatte sich noch an demselben Abend mit der Prinzessin verlobt, welche die Tochter seiner Stiefmutter war, und sie sollten allerehestens Hochzeit geben.

Es ward übrigens auf dem Schlosse viel von der neuen Hühnermagd gesprochen; denn sie war so über die Maßen hübsch, und dann war sie so fingerfertig, daß man nie dessen Gleichen gesehn hatte. Einen Saum, wie sie ihn nähen konnte, hatte man nie zuvor auf dem Schlosse gesehen. Jetzt sollten sich ja alle für die Hochzeit des Königssohnes aufs beste herausputzen. Daher kam der Leibkutscher des Königs auf den Einfall, die hübsche Hühnermagd zu bitten, ihm für die Festlichkeit ein Staatshemd zu nähen. Es war wohl zumeist ein Vorwand, um sich ein Gewerbe bei ihr zu machen; er kam also eines Abends zu ihr hinunter und bat sie, ob sie ihm nicht den Gefallen erweisen wolle, ihm ein solches Hemd zu nähen; er wolle es ihr auch gut bezahlen. Ja, darin wolle sie [124] ihm gern zu Diensten sein, das sei bald gethan, sagte sie, und er könne das Hemd fertig mit nach Hause nehmen. Dann sagte sie:


»Scheere, schneide, und Nadel, näh' fein!

Zur Schlafenszeit muß es fertig sein.«


Da ging die Arbeit von selber, und er saß mittlerweile und erzählte ihr mit endlosem Geplauder von der großen Pracht, die auf dem Schlosse entfaltet werden würde. Als aber das Hemd fertig war, wollte er noch immer nicht gehen, sondern begann naseweis zu werden und davon zu schwatzen, daß sie seine Liebste sein solle. Da sagte sie: »Ach, erweise mir erst einen Dienst! Ich habe vergessen, mein Feuer zu verwahren; geh du hinaus und decke Asche darauf! Es steht eine Schaufel auf dem Herd, die du dazu gebrauchen kannst; aber sage mir, wenn du sie in der Hand hast!« Dazu war der Gesell gleich bereit, und er ging zum Herde hinaus, und als er die Schaufel gefunden hatte, rief er ihr es zu. Da sagte sie:


»Schaufel, halte den Burschen fest,

Bis der Hahn sein Krähen erschallen läßt!«


Dann ging sie hinauf und legte sich schlafen. Aber er konnte die Schaufel nicht loslassen und sich nicht von der Stelle rühren, sondern stand und stöberte die ganze Nacht hindurch mit der Schaufel in der Asche,[125] so daß ihn dieselbe wie eine Wolke umhüllte. Erst am Morgen, als der Hahn krähte, war der Bann gelöst, und er beeilte sich zum Schlosse zurück zu schleichen.

Im Laufe des Tages prahlte er gegen die andern Lakaien und zeigte ihnen das schöne Hemd, das die hübsche Hühnermagd für ihn genäht hatte. Aber von seinem nächtlichen Abenteuer erzählte er ihnen nichts. Da bekam der Kammerdiener des Prinzen Lust, sich auch ein so feines Hemd zu verschaffen; und an demselben Abend machte er sich dies Gewerbe bei der hübschen Hühnermagd. Und sie sagte gleichfalls: Ja, das sei bald gethan, er könne das Hemd mitnehmen, wenn er zur Schlafenszeit heimgehe.


»Scheere, schneide, und Nadel, näh' fein!

Zur Schlafenszeit muß es fertig sein.«


Er hatte sehr viel zu erzählen von all den königlichen Herrschaften; aber als das Hemd fertig war, ließ er sich noch gute Weile, und er begann auch, eine Liebschaft mit ihr anknüpfen zu wollen. Da sagte sie: »Ach, jetzt hab' ich vergessen, einen Pflock vor mein Torfgelaß zu schieben; das thue ich sonst jeden Abend; könntest du das nicht für mich thun? Der Pflock hängt am Thürpfosten an einem kleinen Bande; sag mir, wenn [126] du ihn in der Hand hast!« Er war gleich bereit dazu, und rief ein Ja hinein, als er den Pflock erfaßt hatte.


»Pflock, nun halte den Burschen fest,

Bis der Hahn sein Krähen erschallen läßt!«


sagte sie, und dann begab sie sich zur Ruhe. Aber der vorwitzige Bursch mußte die ganze Nacht draußen stehn und mit dem Pflock herumstochern, und zwar so hart, daß die ganze Thür Loch an Loch hatte, als am Morgen der Bann gelöst wurde und er mit seinem Hemde nach Hause schlich.

Der Kammerdiener konnte es aber doch nicht unterlassen, mit seinem feinen Hemde zu prahlen und von der wunderhübschen Hühnermagd zu erzählen, die ihm dasselbe genäht habe. Da meinte der Stallmeister des Königs, er müsse auch ein derartiges Hemd haben. Und abends ging er zu dem kleinen Häuschen der Hühnermagd hinunter und bat sie schön, ob sie nicht auch ihm solch ein prächtiges Hemd nähen wollte, das er bei der Hochzeit tragen könnte. Ja, das wolle sie gern, das sei bald gethan:


»Scheere, schneide, und Nadel, näh' fein!

Zur Schlafenszeit muß es fertig sein.«


Das ging flink wie der Wind, und der Stallmeister saß inzwischen und machte sich so angenehm, wie er vermochte. Als es aber Schlafenszeit und das Hemd [127] fertig war, war er noch immer nicht fertig, sondern wollte sich gern noch angenehmer machen. Da sagte das Mädchen: »Das ist doch ärgerlich, ich muß hinaus und etwas besorgen, was ich vergessen habe.« Der Stallmeister frug, was es sei, und ob er es nicht thun könne? Nein, sagte sie, sie müsse sich ja schämen, einem so feinen Herrn dergleichen zuzumuthen; es handle sich um ihr Kalb, welches draußen stehe und jeden Abend in den Stall gesperrt werden müsse. Das wolle er thun, sagte der Stallmeister, er gestatte durchaus nicht, daß sie sich damit bemühe. »Das Thier ist aber etwas schwer zu behandeln,« sagte sie; »es ist nicht anders in den Stall zu bringen, als wenn man es beim Schwanze packt und es hinein zieht.« Uebrigens solle er bedankt sein, wenn er es für sie einsperren wolle; er solle ihr nur zurufen, wenn er den Schwanz in der Hand habe. Der Stallmeister ging also zu dem kleinen grauen Kalbe hinaus und packte es am Schwanze und rief dann dem Mädchen zu, jetzt habe er es. Da sagte sie:


»Kalb, nun halte den Burschen fest,

Bis der Hahn sein Krähen erschallen läßt.«


Da konnte er es nicht loslassen, und das Kalb ließ sich an diesem Abend nicht in den Stall sperren: es rannte davon über Gräben und Hecken, über Pfützen[128] und Sümpfe die ganze Nacht hindurch, und der Stallmeister mußte mit, so daß ihm all' seine Glieder zerschlagen waren, als das Kalb morgens vor dem Hause der Hühnermagd stehen blieb und er dasselbe loslassen konnte. Da humpelte er zum Schlosse hinauf und legte sich in sein Bett, und er vergaß ganz, sein neues Hemd mitzunehmen.

Der Stallmeister mußte jedoch am selbigen Tage seine Glieder nach Möglichkeit zusammenlesen, denn es war der Hochzeitstag des Königssohnes und der Prinzessin. So zerschlagen und zerschunden er war, mußte er sich doch ankleiden und nach den Pferden und Wagen sehen, welche die königlichen Herrschaften gebrauchen sollten. Und er mußte sogar zu Pferde steigen, um mitzureiten, als sie zur Kirche fuhren.

Aber sie wären fast niemals dorthin gekommen, so viel Unglück hatten sie unterwegs. Gleich als der Wagen des Brautpaars aus dem Schloßhofe herausgefahren war, zerbrach das eine Zugscheit. Es wurde ein neues geholt und aufgesetzt, aber auch dieses zerbrach auf der Stelle. Da sagte der Kutscher, in dem kleinen Hause dort drüben wohne eine Hühnermagd, die eine Ofenschaufel besitze, welche man wohl als Zugscheit benutzen könne: die sei stark genug, daran zweifle er nicht. Man schickte also einen Boten zu der Hühnermagd, [129] um ihr sagen zu lassen, daß die königlichen Herrschaften ihre Ofenschaufel gebrauchten. Allein sie antwortete: »Meine Mutter ließ sich niemals von Lakaien etwas befehlen, und das thut ihre Tochter auch nicht.« Da mußte der Bräutigam selber aussteigen und hingehen und sie höflichst bitten, ihm ihre Ofenschaufel zu leihen. Nun erhielt er dieselbe; sie ward als Zugscheit befestigt und die Stränge darum gewunden, und die hielt gut. Aber sie waren nur eine kurze Strecke weiter gefahren, da zerbrach der Bolzen, welcher die Wagendeichsel festhielt; und jeder neue Bolzen, den man hineinsteckte, zerbrach ebenfalls auf der Stelle. Da fiel dem Kammerdiener ein, daß die Hühnermagd einen Pflock vor ihrem Torfgelaß habe, der stark genug sei, das wisse er: der werde schon als Deichselbolz halten. Er ward daher hineingeschickt, um ihn zu holen; aber sie antwortete wie vorhin, daß sie sich von Lakaien nichts befehlen ließe, und der Bräutigam mußte wieder selbst hinein gehen und sie um den Pflock bitten. Der paßte gut und konnte die Deichsel genügend halten. So fuhren sie denn weiter; allein plötzlich, gerade vor dem Häuschen der Hühnermagd, fuhr sich der Wagen auf dem Wege solchermaßen fest, daß die sechs Pferde, welche man vorgespannt hatte, ihn nicht von der Stelle zu ziehen vermochten. Sie [130] spannten noch sechs andere Pferde vor, aber das half nichts: der Wagen stand wie festgemauert. Da entsann sich der Stallmeister, er habe sagen hören, die Hühnermagd besitze ein kleines graues Kalb, das über die Maßen stark sei: vielleicht könne das die Last ziehen. Der Bräutigam ging also selber hinein und bat das Mädchen, ihnen das Kalb zu leihen. »Wie sollte das eine Last ziehen können, die zwölf Pferde nicht von der Stelle zu rücken vermögen?« sagte sie; aber man könnte es immerhin versuchen. Da strängten sie die Pferde ab und spannten das Kalb vor den Wagen; und nun war ihnen geholfen: sobald dasselbe anzog, flog der Wagen auf dem Wege dahin, daß man keine Speiche in den Rädern mehr sehen konnte, sie liefen für die Augen alle in einen Ring zusammen, und so ging es weiter bis zur Kirche. Diese lag oben auf einem steilen Hügel, und sie hätten drunten anhalten und zur Kirche hinaufgehen sollen, und die schönsten Teppiche waren auf dem ganzen Wege über den Kirchhof ausgebreitet. Aber das Kalb zog den Wagen in sausender Eile durch die Kirchhofsthür und den Hügel hinan über all' die schönen Teppiche und hielt gerade vor der Kirchenthüre still.

Das Brautpaar stieg jetzt aus dem Wagen und war ganz verstört; aber sie gingen hinein, und das [131] Gefolge war versammelt, und Prediger und Küster waren da, und sie wurden getraut, und dann fuhren sie zum Schlosse zurück, wo der Hochzeitsschmaus stattfinden sollte; aber auf der Heimfahrt hatten sie wieder sechs Pferde vor dem Wagen; und es ging lange nicht so schnell wie auf der Herfahrt. Da sagte der Bräutigam, es sei nicht mehr als ihre Pflicht und Schuldigkeit, die Hühnermagd zum Festschmause mit einzuladen; sie hätten ihrer freundlichen Hilfe ja so viel zu danken. Und so wurde ihr denn eine Einladung gesandt. Sie erschien, als man gerade zu Tische gehen sollte, und keiner der Gäste kannte sie; aber keiner von ihnen kam auch auf den Gedanken, daß das eine Hühnermagd sein könnte: sie war wie eine Prinzessin gekleidet und benahm sich wie eine Königin, und sie war ohne Vergleich die Schönste in der ganzen Gesellschaft, die Braut nicht ausgenommen. Sie setzte sich mitten an den Tisch, gerade dem Brautpaar gegenüber, und ein Vogel saß ihr auf jeder Schulter: auf der einen eine Taube und auf der andern ein Täuber.

Als die ganze Gesellschaft Platz genommen hatte, langte die Hühnermagd drei Gerstenkörner hervor und warf sie auf den Tisch. Sofort flogen die Tauben zu ihnen hin: der Täuber pickte zwei Körner weg und ließ der Taube nur eins. Da sagte das Mädchen:


[132] »Jetzt zahlst du der Helferin treulosen Lohn,

Wie der Jungfer Miseri der Königssohn.«


Alle Gäste schauten sie verwundert an, der Bräutigam zumeist: ihm war, als müßte er sie kennen, und als hätte er den Namen schon früher gehört. – Dann streute sie sechs Gerstenkörner auf das Tischtuch; die Tauben flogen zu ihnen hin, der Täuber pickte vier davon weg und ließ der Taube nur zwei. Da sagte sie wieder, wie vorhin:


»Jetzt zahlst du der Helferin treulosen Lohn,

Wie der Jungfer Miseri der Königssohn.«


Der Bräutigam riß die Augen weit auf und starrte sie an; er begann zu ahnen, daß von ihm die Rede sei. – Dann warf sie neun Gerstenkörner auf den Tisch zwischen ihnen; die Tauben flogen hin, der Täuber pickte sechs davon weg und ließ der Taube nur drei. Da sagte das Mädchen:


»Jetzt zahlst du der Helferin treulosen Lohn,

Wie der Jungfer Miseri der Königssohn.


Er setzte sie auf den breiten Stein;

Für all ihre Hilfe ward ihr nur Pein.«


Dann flogen die Tauben wieder empor und setzten sich auf ihre Schultern. Aber Prinz Irregang fuhr von seinem Sitz in die Höhe: jetzt besann er sich auf alles und erkannte sie wieder. Dann sagte er zu den [133] Gästen: »Einstmals ließ ich mir einen schönen Schrein anfertigen, um meine kostbarsten Sachen darin zu verwahren, und ich ließ mir einen herrlichen goldnen Schlüssel dazu machen. Da verlor ich den goldnen Schlüssel und erhielt statt dessen einen silbernen. Jetzt habe ich den goldnen Schlüssel gefunden, und jetzt frage ich alle, die hier versammelt sind, welchen Schlüssel sie mir zu gebrauchen rathen: den goldnen oder den silbernen?« Alle antworteten einstimmig, er solle den goldnen gebrauchen. Da sagte Prinz Irregang: »Alldieweil ihr mir alle diesen Rath gebet, darf es auch keinem von euch zum Aergerniß sein, daß ich die Prinzessin verstoße, mit der ich mich heute vermählt habe, und die Prinzessin heirate, die mit den Tauben auf den Schultern mir gegenüber sitzt. Sie allein ist meine rechte Herzliebste, der ich alles verdanke, und die mir ganz aus dem Gedächtniß entschwunden war seit dem Tage, da ich wieder dies Haus betrat.« Jetzt erinnerte er sich an alles, was er erlebt hatte, und er erzählte es vom Anfang bis zum Ende. Als er aber zu dem Umstande kam, daß er so plötzlich und so unerklärlich das Gedächtniß verloren habe, als er ins Schloß hinauf gekommen sei, da ergriff Jungfer Miseri das Wort und sagte: »Du erinnerst dich jetzt wohl auch, daß ich sagte, du dürftest dich von niemand küssen [134] lassen, ehe du mich zu deinem Vater hinein geführt hättest. Du küßtest auch nicht deine Stiefmutter, als sie dich küssen wollte, und du küßtest auch nicht ihren kleinen Sohn, der dein Halbbruder ist; aber du ließest dich von dem weißen Windspiele küssen, – und das war niemand anders, als die Prinzessin, welche hier heute die Braut gespielt hat.«

Da begriffen alle, daß die Königin eine Hexe sei, und daß sie und ihre Tochter dem Königssohne Schlingen gelegt hätten, und der König ließ sofort die Königin sammt ihrer Tochter und ihrem kleinen Sohne in einen Wagen setzen und nach dem Lande heimfahren, von wo sie gekommen waren. Und dann ward die rechte Hochzeit des Prinzen Irregang mit Jungfer Miseri gefeiert.

Am Abend vor Schlafenszeit sagte dann Jungfer Miseri zu ihrem Bräutigam: »Willst du mir jetzt den Gefallen thun, das graue Kalb holen zu lassen, welches daheim in meinem kleinen Hause steht? Es ist niemand anders als der Schimmel des Kobolds, der uns den ganzen Weg hieher getragen hat. Laß es in einem Gastzimmer hier auf dem Schlosse einschließen, und laß einen neuen Anzug hinlegen, der für dich selbst angefertigt ist.« Und als dies geschehen war, wie sie [135] es gewünscht hatte, da sagte die Braut noch zu ihrem Bräutigam: »Jetzt wirst du mein sein, und ich werde fortan dein sein, und ich will nichts für mich selber behalten. Allein ich habe noch all meine Zauberkünste, all die Hexerei, die ich im Schlosse des Kobolds gelernt habe, und deren will ich jetzt entledigt werden.« Dann sagte sie ihm, wie das geschehen könne: neben das Brautbett solle er eine große Badewanne voll kalten Wassers hinstellen lassen, und wenn sie nun ins Bett steigen wolle, dann solle er sie ergreifen und sie rücklings in das Wasser werfen, so daß sie ganz darin untertauche. Wenn er sie dann wieder heraushöbe, so würden all ihre Zauberkünste vergessen sein, sie würde sich an nichts mehr von ihnen erinnern.

Er that, wie sie gebeten hatte, und am nächsten Morgen gingen Braut und Bräutigam mit einander nach dem Gastzimmer, in dem das Kalb eingeschlossen war. Da stand dort ein Prinz, welcher der Jungfer Miseri glich, wie ein Bruder nur einer Schwester gleichen kann. Und es war auch ihr Bruder, den der Kobold verwunschen hatte, so daß er erst wieder Mensch werden konnte, wenn es keine Jungfer Miseri mehr gab, und jetzt war sie ja die Frau des Prinzen. Als die Hochzeitsfestlichkeiten noch acht Tage lang gewährt hatten, reiste der Bruder der Braut nach Hause, und übernahm [136] das Reich, das ihr Vater besessen hatte. Und Irregang's Vater trat ihm das Reich ab, so daß er dort im Lande König ward. Und das ist die Geschichte des Königs Irregang und der Königin Miseri.

Quelle:
Grundtvig, Svend: Dänische Volksmärchen 2. Leipzig: Joh. Barth, 1879, S. 100-137.
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