14.
Die ehstnischen Wölfe.
(Aus Pieksämäki.)

[243] An einem Sommertage ging ein Mann in den Wald hinaus, um eine Rodung zu pflügen. Da merkte er, dass hinter dem Zaune am Felde ein Wolf lauerte, und plötzlich spritzte ihm dessen Wasser in das Gesicht. In seinem Aerger darüber segnete ihn der Mann,1 und siehe da, der Wolf verwandelte sich alsbald in einen Menschen. Verwundert fragte ihn nun der Mann: »Wer bist du?«

Der Wolf erzählte: »Ich bin ein ehstnischer Wolf, einer aus der Hochzeitsschaar, von der Alle in Wölfe verwandelt wurden. Einst wanderten Sankt Peter und der Andere umher, um zu taufen und zu lehren, und kamen in ein Dorf, in dem eine Hochzeit gefeiert wurde. Sie baten um Speise und um ein Nachtlager; aber man versprach ihnen nichts und gab ihnen nichts. Da fluchte ihnen Sankt Peter und sagte: ›Wartet, bis Einer euch segnet!‹ schlug die Thür zu und ging fort. Nach einiger Zeit schickte Sankt Peter seinen Gefährten zu sehen, was die Leute im Hochzeitshause trieben. Der kam wieder zurück und berichtete: ›Sie springen an den Wänden hinauf! Da habe ich die Thür zugemacht und bin fortgegangen.‹ – ›Nun, gehe[243] wieder hin und sieh, was sie jetzt thun?‹ – ›Sie heulen da drinnen wie Wölfe!‹ – Nach einer Weile sagte Sankt Peter aufs neue: ›Sieh mal nach, was sie jetzt thun?‹

Da waren sie alle zu Wölfen geworden und die ganze Gesellschaft rannte in Wolfsgestalt in den Wald hinaus.«

Die Sage erzählt, dass einst ein Jäger einen Wolf erbeutete, der silbernen Frauenschmuck trug. Seinesgleichen traf man so viele in dem Lande, dass ein Sprichwort aufkam: »Der ist wie ein ehstnischer Wolf.«2 Der Wolf, von dem vorhin die Rede war, trug einen Frauengürtel und eine kupferne Brustschnalle.

1

Im Finnischen wird oft der Ausruf: Gott segne dich! im Aerger gebraucht.

2

Sprichwort aus Haapavesi: »Der ist wie ein ehstnischer Wolf«, bezeichnet einen sehr bösen Menschen.

Quelle:
Schreck, Emmy: Finnische Märchen. Weimar: Hermann Böhlau, 1887, S. 243-244.
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