Der Großvater und sein Enkel.

[196] Die Leute gehen wol leicht aus ihrem eignen Lande, wenn sie es aber bei den Fremden zu übel kriegen, thun sie grade wie die jungen Vögel, die Gefahr merken, sie fliegen nach dem Nest, wo sie ausgebrütet sind, und suchen Trost unter den Flügeln der Alten. Dies sah man vor Jahren noch an einem Frisen, der in seinem funfzigsten Jahr nach einem Außenort in Overyssel ging, um da zu wohnen. So manches Jahr hatte er dort still und angenehm verlebt, als er endlich mit ein paar Rittern in dickes Wetter gerieth, da sie meinten, daß sie allein und niemand anders die Hasen auf seinem Felde jagen dürften. Der Frise trat unerschrocken gegen seine Nachbarsleute auf, und frug, ob das Naturrecht nicht sagte, daß die Hasen dem Mann zukämen, der sie mit seinem eignen Kohl gefüttert hätte? Aber die Ritter wußten ihm das bald mit dem Faustrecht oder dem Gesez der Gewalt anders zu bedeuten, und sie trieben ihn so in die Aenge, daß er mit allem seinem Haben und Thun wieder nach Ljouwert zog, wo er geboren und erzogen war. Als er Jüngling war, hatte er den Statthaltern von Frisland im Kriege mit viel Noth und Gefahr gedient, und das trieb ihn an, den Prinz zu Ljouwert einmal aufzusuchen, der ihn auch noch ganz wol kannte, und versprach, ihm fortzuhelfen, wo es nöthig war. Das waren keine süßen Redensarten, womit solche Leute alte Dienste sonst meistens belohnen, sondern der Prinz von Nassau meinte, was er sagte, und es dauerte ganz kurz, als er den Mann als Hof-Buchhalter anstellte, ein Amt, das noch schon ziemlich was abwarf, und womit weiter nichts zu thun war, als die Rechnungen der prinzlichen Haushaltung nachzusehen, in Ordnung zu halten und zur bestimmten Zeit zu bezahlen. Er konnte darum auch noch einen kleinen Flachshandel dabei treiben, der ihm ziemlich gut glückte und außer seinem sonstigen Einkommen jährlich noch ein artiges Sümmchen in die Haushaltung brachte.

Dieser Mann war eigentlich vom Blut der Hettingas, wovon er auch noch den Namen trug, allein seine Vorältern hatten gethan wie viele frisische Edelleute, die ihre Pergamente vermodern und ihre Titeln schlafen ließen, um sachteswegs im Bürgerstande zu verrinnen. Hettinga hatte es da auch schon so gut nach seinem Sinn, daß er keine Lust[197] krigte, die alten Rechte seines Stammes wieder aufzuwärmen. Es war ihm in den Zeiten auch zu viel daran fest, um den Character eines frisischen Edelmannes zu behaupten, denn wer dann durch Gelehrsamkeit oder treue Thaten für das Land seiner Geburt keine Ehre machte, ward des Blutes unwerth geachtet, welches die wirklich edeln Vorfahren ihm hinterlassen hatten. Mit etwas niedrigeren Tugenden, dachte Hettinga, könnte man unter den Bürgern ein Mann von Ansehen sein, und das wiesen auch die Dinge wieder aus, als er ein wenig zu Ljouwert gewesen war.

Zu seiner Wohnung miethete der Mann ein kleines Haus am Zwiebacksmarkt, und er hatte nicht lange da gewohnt, als die Nachbarn so viel von ihm hielten, daß sie ihn wol auf Händen hätten tragen sollen. Er war freundlich und dienstfertig, konnte er jemand mit einer Hand am Werk gefällig sein, so stand er immer bereit, denn der Mann war zu lange mit Menschen umgegangen, um nicht zu wissen, daß solche kleine Dienste und ein freundliches Gesicht sie mehr ansprechen und zufrieden stellen, als die größten Tugenden, über welche hin der Glanz nicht gestrichen ist. So waren sechs Jahr zu Ljouwert vergangen, als am Ende seine Frau starb, mit welcher er dreißig Jahr vermählt gewesen war. Seinem einzigsten Sohn, den er mit ihr gezeugt hatte, damals ein Jüngling von neunzehn Jahren, ging dieser Tod sehr nahe, er war so außer sich, so untröstlich, daß er weder essen noch trinken konnte. Der Vater war auch tiefgebeugt, bewältigt sich aber, um seinem Sohn Trost einzusprechen, und das that er mit diesen Worten. »Deine Mutter ist hinweg, mein Sohn!« sprach er, »Gott hat sie abgefordert! mit unsern Thränen können wir sie nicht wiederholen, und wenn wir könnten, würden wir es doch nicht mögen. Denn deine Mutter, mein Sohn! erfreut sich nun derselbigen Abreise von dieser Erde, worüber du und ich so bitterlich weinen müssen. Aber über ein Kleines werd' ich bei ihr sein, sei darauf gefaßt. Wenn die Jahre so hoch sind wie bei mir, so kann das Endchen Leben, was übrig ist, nicht lang mehr sein. Von dir allein, mein Sohn! muß jezt all mein Trost, all mein Vergnügen kommen. Unsre Leute wohnen alle auf[198] ihrem Marschheim, hier ist keiner. Paß wohl auf, dann wirst du ein Segen für dich selbst und deine Nebenmenschen, und du wirst eine Krone auf diese greisen Haare sezen. Wenn du mit der Zeit ein nettes sittsames Frauenzimmer weist, und ihr Volk für mich eine gute Gesellschaft ist, werd' ich sie als eigne Tochter annehmen, und bei euch beiden will ich denn meine lezten Tage beschließen.« Mit diesen Worten ließ der Sohn sich ein wenig sagen, aber die Zeit sprach ihm mehr Trost ein, als die schönsten Worte zu thun vermogten.

Unglücklicherweise wohnte dort am Zwiebacksmarkt auch ein Edelmann, welcher machte, daß alle Aussichten des alten Hettinga in eitel Verdruß übergingen. Der Vater dieses Edelmannes war ein Deutscher, der einst als Hauptmann bei der Leibgarde des Prinzen ins Land gekommen und sofort mit einem reichen und braven frisischen Fräulein verheirathet worden war, welche ihren Kindern recht viel Geld hinter lassen hatte, aber dieser Sohn, der mit Gewalt Grietman1 werden wollte, hatte den Besizern eine Anzahl stimmende Wohnstellen mit Geld aus den Händen gebrochen, und hiezu war bei den Mennonisten so viel Geld aufgenommen worden, daß die Zinsen ihn gänzlich in den Grund bohrten. So war sein mütterliches Erbe zur Hälfte verbröckelt, und dazu kam, daß er eine hochnasige deutsche Frau geheirathet hatte, die ihm mehr Quatiere in seinem Wapen, als Geld im Beutel besorgte, und mit Prunken auch die andre Hälfte bald verzehren half. Gegenwärtig war es so weit gekommen, daß er nichts übrig hatte, als ein magres Aemtchen und sein großes Haus am Zwiebacksmarkt, aber er bewahrte noch einen Schaz darin, der für das Auge eines jungen Mannes schöner war, als alle Kleistellen von Frisland zusammen2. Er hatte eine einzige Tochter, das schönste Frauenzimmer, die man je in Ljouwert gesehen hatte. An ihrer Farbe sah man, daß sie ein frisisches Mädchen war, denn sie war so schierweiß wie eine Lilie, aber ihre Augen zeigten ihre deutsche Abkunft an, denn die waren so braun wie Mispeln, und[199] flimmerten bei der hagelweißen Haut ihres Angesichts wie die Sterne im Blau des Himmels. Der Sohn von Hettinga, der sie alle Tage am Rahmen3 sitzen sah, konnte so viel Schönheit nicht lange widerstehen, in kurzem fand er so viel Geschmack an ihr, daß er seinen Vater bat, ihm dieses Frauenzimmer zum Weibe zu geben. Der alte Mann hatte für das üble Mischlings-Blut von halb deutsch und halb frisisch gar keinen Sinn, aber was soll man sagen? Er war sein einziger Sohn, dem er nichts weigern konnte, und gleich wie viele Eltern, welche sonst recht weise sind, ihre Kinder aber in verkehrter Güte morden, stand er eine Heirath zu, welche für ihn und seinen Sohn eine Hölle auf Erden werden mußte.

Hettinga ging denn zu dem Edelmann, um ihn für seinen Sohn um dessen Tochter zu fragen. Es war ein hochfahrender Mann, der seine Tochter nicht gern an einen Bürgerssohn hingab, so angst war ihm, seines Stammes Adel und Alter schmuzig Blut wegzusudeln, doch in seiner Geldpein trieb er Kaufmannschaft in seinem eigen Blut, und wer sich zu dem schwersten Preis verstehen wollte, war Käufer. Er begann deshalb Hettinga augenblicklich sich über die Heirathsbedingungen zu vernehmen, aber davon wollte dieser anfänglich ganz und gar nichts hören. So wie alle Frisen, verabscheute Hettinga die holländische Manier, Güter gemein zu haben auf dem Bett, und im Beutel geschieden zu sein. Die Heirath, sagte er, ist keine Compagnieschaft zweier Kaufleute. Es ist durch Gottes Anordnung das Ineinszerfließen eines Menschenpaars, die Leib und Seele, wie viel mehr das weltliche Geld, mit einander gemein haben. Aber all sein Reden half nichts, der Edelmann wollte wissen, was Hettinga in der Welt zu rathen, das heißt an Vermögen hätte, der denn am Ende durch den Korb fiel, und sein Capital an Land und Briefen auf funfzigthausend Gulden schäzte. »Das stimmt mich nicht um,« sprach der Edelmann. – »Ja!« versezte Hettinga, »und was mehr werth ist, Herr, als funfzigthausend Gulden, sie sind[200] alle, bis zum letzten Stüwer, ehrlich gewonnen. Nie ist ein Tag vergangen, daß ich nicht Abends beim Verriegeln meiner Thür sagen konnte, Hier ist ein ehrlicher Mann beschlossen.« »Von allem Gut, was ich habe, werd' ich meinem Sohn jezt die Hälfte geben, und die andre Hälfte kommt von selbst an ihn, wenn ich todt bin.« – »Das läßt sich hören, sprach der Edelmann, und ich glaube, daß Sie meinen, was Sie sagen, allein von jezt an bis zu Ihrem Tode kann viel viel Wasser durch den Rhein laufen. Wenn Ihr Capitälchen dann geflogen wäre, könnte meine Tochter ins Nest kucken.« Hettinga hatte nur recht wenig Lust, sich auf einmal gänzlich auszukleiden, und er stämmte sich mir aller Macht dagegen, allein der Gedanke, daß sein Sohn sonst nicht erhalten könnte, worauf sein Sinn war, verrieth ihn, und vor sieben Gezeugen übertrug er all sein Haben und Thun an seinen einzigsten Sohn. O! hätte er gewußt, mit welcher Münze diese Güte belohnt werden sollte, ewig würde er jenen verhängnißvollen Augenblick, als er seine Hand sezte, verwünscht haben.

Jezt war der Kauf geschlossen. Am nächsten Sonntage fiel das Paar schon von der Kanzel, und in drei Wochen waren sie Mann und Weib. Die jungen Leute krigten binnen dem Jahr einen Erben, der ein flinker Knabe war und gutes Gedeihen hatte, Großpapa aber war noch geckhafter mit ihm, als mit seinem eignen Sohn. Für einen Knaben war das Kind recht still und sanft, doch sah er aus den Augen wie ein Falke, und wenn Vater Gesellschaft krigte, saß er oft und horchte, was die alten Leute sprachen. Dem alten Mann, der bei seinem Sohn einwohnte, ging es unterweilen nur etwas mäßig. So lange als er sich selbst rühren und helfen konnte, konnten die Kinder ihn noch vertragen, allein mit den Jahren nahm er ab, endlich konnte er nichts mehr beschicken, und da ward er ganz und gar eine Null. Der Sohn war übrigens so schlimm noch nicht, seine Frau aber, worin die Hochnasigkeit ihres Vaters und ihrer Mutter stak, hatte es lieber am Arm als im Darm, wie man sagt, und was sie mit der rechten Hand verprunkte, wollte sie mit der linken wieder einscharren. Mitten in der unmäßigsten Verschwendung war sie so knickerig und schmuzig wie eine Gabel. Auf[201] ein Bündchen Schwefelhölzer würde sie abdingen, die Dienstboten wurden durch die Ribbe gefüttert, und es war ihr zu viel, daß ihr Schwiegervater den Leib vollaß. Was auch der alte Mann ihr zu Gefallen that, es konnte alles nichts helfen. Alle Tage saß sie und neckte und foppte ihn, um ihm das Haus so zuwider zu machen, daß er es verließe, jedoch er verschluckte alles in aller Güte. Denn er konnte nirgends hin, und wenn er auch könnte, in seinen alten Tagen bei Fremden, das war auch übel, das Ungewohnte gibt Blattern. Und dann noch die Schande, daß sein eigner Sohn ihn aus dem Hause gestoßen! Als nun dies der Frau nicht glückte, versuchte sie es auf eine andre Weise, und fing an ihren Mann zu plagen, er solle seinen Vater verstoßen. Nun sagen die Frisen wol, daß die Kinder, die eine Stiefmutter kriegen, auch einen Stiefvater kriegen, aber hier sah man, daß die Aeltern mit einer bösen Schnur zugleich an ihrem Sohn wol 'nmal einen bösen Schwiegersohn kriegen. Der Sohn, vergessend was er Gott und Natur schuldig war, sagte seinem Vater, er müßte sich nach einem andern Unterkommen umsehen. Dies Wort ging dem alten Mann durch Mark und Bein. Er saß grade in der Hinterkammer und flickte ein Nezchen für sein Kindeskind, aber er ließ Nez und Nadel aus den Händen sacken und blickte unverwandt auf den Boden nieder, grade als wenn ihn ein Wirrsein befallen hätte, wovon sein armer Kopf sauste. Endlich mit ein paar scheuen Augen aufblickend, sprach er zu seinem Sohn: »Welches Wort geht da aus deinem Munde, Ige? Hör' ich recht? Ich habe dir alles gegeben, wofür ich funfzig Jahr geschwizt und gemüht habe, und zur Dankbarkeit jagst du mich aus dem Hause. Das ist denn meine Sünde, daß ich zu viel von dir gehalten habe, dafür willst du deinen alten Vater züchtigen. Um Gottes willen, laß mich nicht vor Hunger umkommen. Du siehst, meine Füsse wollen mich nicht weit mehr tragen, gib mir denn in diesem deinen Hause ein kleines überflüssiges Eckchen, wo ich meine kurze Zeit rasten möge. Ich bitte um kein Dunenbett, nicht um das süße Essen von deiner Tafel, ein wenig Stroh zum liegen, etwas Brod und Wasser, das ist alles was ich von dir wünsche.« Auf diese Worte folgte ein Augenblick Stille, aber zulezt hub der Sohn wieder an und sprach:[202] »Wie soll ich's machen mit meiner Frau? Jeden Tag hat sie das böse Fell an.« – »Was?« versezte der alte Mann, »kannst du dein Weib nicht lieb haben, ohne deinen Vater zu verstoßen? Hängt der Beweis, den eine Frau von der Liebe ihres Mannes fordert, davon ab, daß er die Stimme der Natur und der Dankbarkeit ersticket? Ich werde die Hand nicht zwischen Bast und Baum stecken, aber das ist eine arge Liebe. Dennoch nicht um meinetwillen, um deinetwillen, um deinerselbstwillen, mein Sohn, sei mir gnädig! Denk an den Segen, den Gott über alle guten Kinder ausgebreitet hat, denk an die Gluth seines Fluchs, welcher ewig brennen wird über dem Haupt der Bösen. Ehre Vater und Mutter, spricht der große Gott, so wird es dir wohlgehen in dem Lande, das der Herr dein Gott dir gegeben hat. Aber die ihren unterdrückten Vater ins Grab stoßen, wehe den Unglücklichen! Ihr Wurm wird nicht aufhören zu nagen, auch dann nicht, wenn es von außen eitel Gold und Herrlichkeit ist.« Diese Worte trafen zu und brachten den Sohn in einige Unruhe, doch grade als wenn dreifache Schwiele um sein Herz gewachsen wäre, kam er bald wieder auf den alten Ton, daß es seines Weibes Schuld wäre, daß aber seine Schwiegermutter auch darunter stak, und daß er, um Friede mit den beiden zu halten, gerne haben mögte, daß sein Vater aus dem Hause ginge. »Aber wo willst du denn, frug der alte Mann, daß ich hin soll? Sollen wildfremde Menschen den alten Mann aufnehmen, der von seinem eignen Sohn verstoßen ist? Ohne Geld, ohne Broderwerb, ist betteln von dieser Stunde an mein Looß, um nicht Hungers zu sterben.« Während er dieses sprach, tropfte ihm eine große Thräne bei den runzeligen Backen herab, aber der Sohn blieb wie ein Stein. Endlich alles dieses Predigens und Flehens müde, nahm der alte Mann sein Stäbchen, worauf er sich beim Gehen lehnte, in die Hand, und während er seine steifen Glieder in die Höhe schleppte, blickte er jammervoll hinauf und klagte bei sich selbst, »Unerträglich weh thut es! Aber, Gott, vergib es meinem Kinde, er weiß nicht, was er thut.« Gleichwol ehe er zur Thür hinausging, hatte er noch Ein Ersuchen. »Die Zeit eilet,« sprach er, »und zum Winter habe ich keinen Zufluchtsort. Wenn Gott mich verurtheilt, den noch zu erleben, habe[203] ich weder Feuer noch Flamme, um mich vor der Kälte zu schüzen. Ich bin dünn gekleidet, und mein Jas, wie du siehst, ist in Fezen. So gib mir denn für alle die neuen Röcke, die ich dir habe machen lassen, einen Jas von deinen wieder, gib mir den schlechtesten, den du selbst nicht mehr tragen willst.« Auch diese Bitte ward abgeschlagen, die Schnur warf ihm das beißende Wort zu, sie hätte die alten Jassen an einen Juden verkauft. Da bat der alte Mann zum allerlezten Mal noch, ob er denn nicht eine von den beiden Pferdedecken haben dürfte, welche im Stall hingen, und als der Sohn sah, daß er das nicht weigern könnte, winkte er seinem Knäblein zu, eine zu holen. Das Kind war damals zehn Jahre alt, hatte aber den Verstand eines Menschen von zwanzig. Mit gefalteten Händen und großen Augen hatte er bald seinen Vater, bald wieder seinen Großvater, der kläglich weinte, angestiert, aber als sein Vater ihm zunickte, lief der Knabe flugs nach dem Stall. Da zog er ein scharfes Messerchen, welches Altvater ihm zu Ljouwerter Markt gegeben hatte, aus der Tasche, und schnitt die schönste Decke, die er finden konnte, auf eigne Mannbuße in zwei Stücke. Mit diesen Stücken, einem in jeder Hand, kam er wieder ins Zimmer, und gab Pake4 die eine Hälfte. Der alte Mann, welcher meinte, daß das dem Knäbchen eingegeben worden, ward böse, sprach kein einziges Wort, und schmiß dem Kind das Deckenstück um die Ohren. Dies war seinem Sohn denn endlich auch zu grob! Er schalt das Kind aus, daß es mehr gethan hätte, als ihm befohlen wäre, und mit dem Schneiden die Pferdedecke beides für Pake und für ihn verdorben hätte. Aber das Kind entschuldigte sein Thun mit guten Gründen. »Wie kann Vater so auf mich schelten?« fragte das Knäblein, »ich meinte, daß Sie Pake bald todt haben wollten, und dabei wollte ich Ihnen eine Hand helfen. Und denken Sie, daß die andre Hälfte der Decke weg ist? Jawol! Die bewahre ich wie Gold! Das Stück Decke werd' ich Vater gegen die Kälte geben, wenn Vater auch 'nmal so alt als Pake geworden ist.«

Diese Antwort schlug die harte Seele des hochnasigen Weibes[204] platt, und schnitt dem undankbaren Sohn wie ein Schnäpper durch Herz und Sehnen. Sie sahen alles das Grausame ihres Verfahrens ein, und beide, wie wenn sie vom Wetterstrahl getroffen wären, knieeten vor ihrem Vater nieder und baten um Vergebung. Auf dieses Zeichen der Reue wogte dem alten Mann alle die Liebe, die ein Vater jemals fühlte, wieder im Herzen. »Sollte ein Vater,« so sprach er, »sollte ein Vater sich nicht erbarmen über seine Kinder? Der verlorne Sohn ward angenommen, sollte ich euch verstoßen? Da ist meine Hand, alles ist vergeben, vergessen, ausgewischt mit den Thränen, die ich aus euren Augen träufeln sehe. Und du, [dies sprach er zu dem kleinen Knäbchen] und du, mein liebes Bübchen! Sohn meines Sohnes! Komm in meine Arme, schlage die Händchen um meinen Hals und küsse deinen Pake! Denn du bist es werth, daß ein Frise dich lieb hat. Fremdes Blut kriegt in deinen Adern, aber dein Herz ist lauter, rein frisisch.«

Gabe. Darüber könnten Sie wol eine schöne Predigt machen, Herr Pfarrer.

Der Pfarrer. Ja Gabe. Und so würde ich in der Anwendung dies hinzufügen. – »O ihr Alten! Behaltet diese Geschichte, und spiegelt euch! Seid klüger als der gute Mann, der sich auskleidete, ehe denn er zu Bette ging. Eure Kinder werden euch achten und ehren, das wollen wir hoffen, denn Gott und die Natur heißen es sie, allein das klügste ist, nicht darauf zu bauen. Es ist nichts glücklicher als abzuhängen von ihm, der im Himmel wohnet, wer sich aber abhängig macht von jemand auf Erden, wird der Sklaw der Grillen jenes wetterwendischen Guts, das man Menschen nennt.«

Gabe. Dazu sagt jeder Frise Amen.

Alle. Amen, Domeny! Amen!

Nichte Jieldouw war so weich, daß ihr von Domenys Teltje das Gemüth ganz voll geworden war, und die Thränen standen ihr in den Augen. Aber die an dern Nichten hielten mehr von etwas Lustigem, und langen Gabe stark an, daß er noch 'nmal auf die Beine müßte. »Ei nun, wer sollte nicht vor solchen netten Mädchen, wie ihr seid, erzählen wollen?« erwiederte Gabe, »und, o, theure! wenn ihr wüßtet, was für[205] ein hübsches Teltje ich noch im Stillen aufbehalten habe! Aber es ist auch ein seltsames Teltje. Es beginnt mit einem Räthsel, und wenn ihr das rathet, wird es auf der Stelle auserzählt. Doch wenn ihr es nicht rathet, dann müsset ihr alle mit einander sogleich zu Bett und vier und zwanzig Stunden warten. Das müsset ihr nun selbst wissen. Ihr begreifet wol, es kann mir völlig einerlei sein.« Sie frugen, ob das Räthsel schlimm wäre. »Schlimm?« sprach Gabe, »ach, was meint ihr! Ein kleines Kind kann es rathen.« Nun, dann müßte es nur angehen, sagten die Mädchen. Da gab er ihnen dieses Räthsel auf: »Was für eine Aehnlichkeit ist zwischen einem guten Pfarrer und dem Donner und Bliz? Rathet, rathet, was ist das?« Die eine rieth dies, die andre das, jedoch, um es kurz zu fassen, sie wußten es alle nicht. »Nun, sprach Gabe, so wünsche ich euch allen gute Nacht, und wenn ihr ausgeschlafen seid, eine ernstliche Ueberlegung bis morgenabend.« Damit ging die Gesellschaft aus einander, der Pfarrer mit seinen Gästen nach Hause, die Nichten greinend zu Bett, und Pibchen nach dem Stall, um das Vieh abzufüttern. Aber den Nichten lief das Räthsel schon im Kopf herum, und die Neugierde stach sie so schrecklich, daß sie keinen Schlaf in die Augen krigten. Mutter Saske, die noch etwas herumkreuzte, um Alles aufzuräumen, ward auch von der Neugier geplagt, und auf die lezt beredeten die Nichten sie, Gabe auf dem Bett zu fragen, was er damit sagen wollte. »Habt ihr's so schlimm? ihr armen Geschöpfe!« sprach Gabe, nun denn, so muß ich's doch nur sagen. »Ein guter Pfarrer, der donnert mit seinen Worten, blizt voran mit seinem Beispiel. Gute Nacht!«

1

Großer Landeigenthümer, Edelmann (im frisischen Sinn), Richter.

2

Kleistellen sind Marschgüter, Bauerhöfe.

3

D.i. am Fenster. In Frisland sind die Fenster wie in England, sie werden nach oben geschoben.

4

So sagen die Westfrisen für Großvater.

Quelle:
Clement, Knut Jungbohn: Der Lappenkorb von Gabe Schneider aus Westfrisland, mit Zuthaten aus Nord-Frisland.. Leipzig: 1846, S. 196-206.
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