Der unbekannte Feind

Als es einmal hieß, der Krieg zwischen Münster und Ostfriesland werde bald wieder ausbrechen, waren viele Fälinger bei der Heuernte.

Es war ein heißer Tag, und die Fälinger hatten einen großen Kupferkessel voll Buttermilch mitgenommen, den sie bald geleert hatten. Der saure Geruch hatte nun eine Hummel durch das Deckelloch hineingelockt, die nun mit Gebrumm im Kessel herumflog und mit dumpfen Schlägen immer wieder an die dünne Kupferhülle stieß.

»Wat dunset dar?« fragte einer.

Alle lauschten und hörten nun auch das Geräusch.

»Dat is de Trumm, de Fresen kamet!« rief schreckensbleich der Erfahrenste der Schar. Sogleich ließen die Fälinger alles im Stich und eilten ihrem Dorfe zu.

Nur der Dümmste griff noch den Kupferkessel, stülpte rasch den Deckel darüber und folgte keuchend seinen Landsleuten. Die Hummel aber summte und brummte lustig fort, und der Kesselträger wagte nicht, sich umzusehen, denn er glaubte, der Feind sei ihm auf den Fersen.

Als er endlich völlig verschwitzt das Dorf erreichte, warf er den Kessel zu Boden, um sich wie die andern zu verstecken. Dabei fiel der Deckel herunter, und die Hummel schwirrte davon. Da erkannten die Fälinger, daß sie sich umsonst gefürchtet hatten. Sie haben aber auch später niemals wieder einen Kupferkessel mit zum Mähen genommen und lieber gedürstet, als noch einmal einen solchen Schrecken ausstehen zu müssen.


Sundermann, Fr[iedrich]: Schwänke. In: Ostfriesisches Jahrbuch (1870) S. 57f. [Titel ergänzt].

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