Hängen spielen

(a) Die Fälinger waren nur so lange ehrliche Handelsleute, wie man ihnen scharf auf die Finger sah. Schlechtes Ellenmaß, doppelter Preis und falsches Rechnen waren bei ihnen die Regel. Die Ostfriesen aber waren ihnen zu schlau und zahlten es ihnen doppelt heim. Es kam nicht selten vor, daß ein unehrlicher Handelsmann einige Wochen im 'Turm' (Ortsgefängnis) verbringen mußte, auch waren schon Fälinger geköpft oder erhängt worden.

Nun saß einst 'n heele Tucht, eine ganze Schar, Fälinger zusammen, wobei sie einander von ihren Erlebnissen erzählten, die sie mit der Justiz gehabt hatten.

Nach und nach kam das Gespräch auf den Galgen.

Da fiel es ihnen ein, an sich selbst einmal auszuprobieren, wie das Hängen denn wohl sein möchte. Sie kamen überein, daß einer nach dem anderen das Gehängtwerden versuchen sollte. Ein Strick war rasch zur Hand, und der Ast des nächsten Baumes gab den Querbalken ab.

Der erste Fälinger legte sich das Tau um den Hals. Ehe er aber in die Höhe gezogen wurde, wurde noch vereinbart, sobald der Hängende einen pfeifenden Laut von sich gäbe, wolle man ihn losschneiden.

Der 'Galgenbruder' wurde hochgezogen, und der Strick festgeknotet. Das Tau schnürte sich aber sogleich so fest um seine Kehle, daß er kein Zeichen mit dem Munde geben konnte. Im Sterben steckte er nur noch die Zunge zum Halse hinaus.

Die Darunterstehenden aber freuten sich über die verzerrten Gesichter, die der 'Galgenvogel' schnitt, und glaubten, ihm geschähe noch lange kein Leides und wollten sich schier ausschütten vor Lachen. Und obgleich sie schließlich doch wohl merkten, daß es dem Zappelnden zuviel wurde, bestanden sie doch auf der nun einmal getroffenen Absprache und riefen hinauf: »Hier helpt kien Muulspitzen! D'r moot fleitet worrn!«

Aber ihr Genosse gab weder ein Pfeifen noch einen Pfiff oder ein anderes Zeichen von sich, und nach langem vergeblichen Warten mußten sie feststellen, daß er tatsächlich gehenkt war.

Die Fälinger aber meinten dennoch, das Erhängen sei doch immerhin eine spaßige Todesart.


Sundermann, Fr[iedrich]: Schwänke. In: Ostfriesisches Jahrbuch (1870) S. 50 [Titel ergänzt].


(b) Zwei Räuber setzten sich unter den Galgen und warteten auf den dritten, der mit ihren Sachen nachkommen sollte. Da sagte der eine zum andern: »Unser Gesell ist ein großer Dummbart, er läßt sich noch ein mal erwischen, und dann kann es uns auch schlecht gehen: wir müssen sehen, daß wir ihn loswerden.«

Der andere sagte: »Das wollen wir bald fertig kriegen: laß mich nur machen.«

Als der dritte nun nachkam, und sich über ihren Warteplatz entsetzte, sagte der zweite: »Bist du denn bang vor dem Galgen?«

»Freilich«, sagte er, »ich mag nicht daran hängen.«

»Ach«, meinte der andere, »ich glaube, das ist ein leichter Tod; laß uns das einmal versuchen. Ich will dir den Strick um den Hals legen und dich hinaufziehen, und wenn du das nicht länger aushalten kannst, so brauchst du nur zu pfeifen, so laß ich dich wieder herab: darauf kannst du dich verlassen.«

Der dritte war gutmütig genug, sich das gefallen zu lassen.

Als er nun hing und den würgenden Strick nicht länger aushalten konnte, spitzte er den Mund, wollte pfeifen und konnte es nicht. Da sagten die andern aber: »Hier hilft kein Maulspitzen, es muß gepfiffen werden!« und ließen ihn hängen.


Ostfriesischer Haus-Kalender oder Hausfreund 16 (1860) unpaginiert.

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