Mit Brille lesen

In der »guten alten« Zeit war es, da kommt ein biederer Landbewohner zu einem Uhrmacher und Brillenverkäufer in der Stadt. Brillen waren damals noch das Vorrecht studierter Leute und der ganz alten Leute. Menschen, die noch in den sogenannten besten Jahren standen, empfanden es fast als eine Schande, öffentlich mit Gläsern vor den Augen gesehen zu werden Aber Hinnerk-Ohm hatte vielfach gehört, daß man mit Brillen besser lesen könne. Er war in ganz jungen Jahren auch wohl zur Schule gegangen, hatte aber mit allen Buchstaben des Alphabets immer in erbittertem Kriegszustand gelebt. Aber nun war er hier: »Ik bruuk 'n gode Brill.«

Verkäufer: »Versuchen Sie es mal mit diesem Augenglas.«

Hinnerk-Ohm setzt die Brille auf und nimmt ein Buch: »Nee, de Brill is neet to bruken.«

Verkäufer: »So nehmt diese mal.«

Hinnerk-Ohm versucht und meint: »Nee, dar kann 'k ok noch neet mit lesen.«

Verkäufer: »Hier ist noch eine andere.«

Hinnerk, nochmals prüfend: »De Brill is nix beter.«

Verkäufer: »Aber mein lieber Freund, eine muß gut sein. Sie können wohl gar nicht lesen?«

Hinnerk, erstaunt: »Nee! Wenn ik al lesen kunn, denn koop ik mi doch keen Brill! Dar word doch seggt, mit 'n Brill kann man beter lesen, un ik doch so bi mi sülvst, denn sallst di ok ins so 'n Dingerees kopen.«


Ostfriesische Nachrichten vom 1. Sept. 1933 [Titel ergänzt].

Quelle:
Der Abschnitt enthält Texte aus Friesland, deren Quellen jeweils unterhalb des Textes vermerkt sind.
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