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Zwei adlige Eheleute waren nicht wenig stolz auf ihre Ahnen aber noch viel mehr auf ihre eigentümliche Gesichtsbildung, und beide waren es mit gleichem Recht, denn dem Manne stand der Mund zur rechten Seite, der Frau aber zur linken.
Sie hatten nur einen einzigen Sohn, der, wenn er auch die Vorzüge der Eltern nicht geerbt hatte, sich doch wieder einer eigentümlichen Schönheit erfreute, war ihm doch die Oberlippe über die Unterlippe gewachsen.
Als der Sohn zum Manne geworden war, wünschten die Eltern, daß er das Geschlecht fortführe, auch war er selber nicht abgeneigt, eine standesgemäße Gefährtin zu wählen; nur müsse sie hübsch 'in der Art' bleiben. An dieser Bedingung hielten sie alle drei fest.
Nun war es freilich nicht so leicht, eine passende Wahl zu treffen, doch gelang es endlich dem Scharfblick eines wohlmeinenden Hausfreundes, ein Fräulein herauszufinden, das allen Ansprüchen zu genügen schien, sonderlich da ihr die Unterlippe über die Oberlippe gewachsen war, wodurch sie die Reize von Eltern und Sohn zu ergänzen und das Kleeblatt erst zu einem seltenen zu machen versprach.
Die jungen Leute, die füreinander geschaffen schienen, waren sich gewogen, die Eltern willigten beiderseits ein, und der Verlobung folgte die Hochzeit auf dem Fuße und ward mit großer Pracht begangen.
Als das Brautpaar nun am Abend in die Kammer ging und die Braut sich schon verschämt in die Decken hüllte, wollte der Bräutigam das Licht ausblasen, konnte aber damit nicht zu Rande kommen, denn so sehr er auch blies, so blies er doch immer zu tief und traf die Flamme nicht.
Endlich bemerkte es die Braut und gedachte, ihm zu helfen, sprang aus dem Bette und sprach: »So mußt du blasen!«
Aber auch sie traf die Flamme nicht, sie blies und blies und blies immer zu hoch, und der Bräutigam blies mit und blies zu tief, und so bliesen sie beide darunter hin und darüber hinaus, und das Licht brannte lustig fort.
Zum Glück hatte die Brautmutter draußen an der Tür gelauscht, und um der Verlegenheit des Brautpaares abzuhelfen, öffnete sie mit dem Nachschlüssel, trat herein und sagte: »Ihr blast zu tief und blast zu hoch, so müßt ihr blasen!«
Weil ihr aber der Mund nach der linken Seite stand, blies sie immer an der Flamme vorbei, und da ihr Blasen auch nicht half, blies auch der Bräutigam wieder mit, blies von oben darunter hin, und die Braut blies auch wieder und blies von unten darüber hinaus, und so bliesen sie alle drei, und das Licht flackerte lustig fort und kümmerte sie nicht um ihr Blasen.
Inzwischen vermißte der Brautvater unten bei den Gästen die Brautmutter, schlich ihr nach vor die Kammer, lauschte an der Tür und hörte das Blasen, trat herein und sagte: »Ihr blast alle nicht recht; so müßt ihr blasen!«
Weil ihm aber der Mund nach der rechten Seite stand, blies auch er immer vorbei; und da sein Blasen nicht half, blies auch die Brautmutter wieder, und er blies rechts und sie blies links, und der Bräutigam blies von oben darunter hin und die Braut von unten darüber hinaus, und so bliesen sie alle vier, und das Licht flackerte lustig fort und kümmerte sich nicht um all ihr Blasen.
Inzwischen vermißten die Gäste Brautmutter und Brautvater und schickten den Hausfreund hinaus, zu sehen, wo die Gastgeber blieben. Der suchte sie überall im Hause und kam an die Kammertür, horchte und hörte das Blasen von oben nach unten, von unten nach oben, von der Rechten zur Linken, von der Linken zur Rechten.
Da trat er leise hinein und sagte: »Das macht ihr alle nicht recht, so müßt ihr 's machen!« Und dabei spitzte er Daumen und Zeigefinger, feuchtete sie an, griff in die Flamme und löschte sie aus, ohne zu blasen.
Ostfriesischer Haus-Kalender oder Hausfreund 18 (1860) unpaginiert.