Vorrede.

Hiermit übergebe ich dem Publikum die schon seit mehreren Jahren von mir versprochene kleine Sammlung neugriechischer Märchen, Sagen und Volkslieder, deren Herausgabe hauptsächlich durch meine Uebersiedelung nach Freiburg und den Eintritt in einen neuen Wirkungskreis länger als ich geglaubt hatte verzögert worden ist. Ich wünsche dieselbe wegen ihres geringen Umfangs nur als einen Anhang zu meinem Buche ›Das Volksleben der Neugriechen und das hellenische Alterthum‹ betrachtet zu sehen.

Was die Märchen (neugriechisch παραμύθια) betrifft, so habe ich diejenigen von der Insel Zakynthos, die den weitaus grössten Theil der Sammlung bilden, sämmtlich von dem damals am Ausgange des Knabenalters stehenden Zakynthier Dimitrios Lountsis, welcher in seiner Kindheit viel mit Frauen aus den unteren Volksschichten, bekanntlich den hauptsächlichsten Inhaberinnen und Pflegerinnen der Märchenpoesie, in Berührung gekommen war, an Ort und Stelle mir erzählen lassen und in griechischer Sprache niedergeschrieben. Die kleine Zahl der übrigen ist später, nachdem ich nach Deutschland zurückgekehrt war, hinzugekommen, und zwar verdanke ich die beiden Märchen aus dem Dorfe Steiri im alten Phokerlande (Nr. 2 und 3) und dasjenige aus dem parnasischen Arachoba (Nr. 25) Herrn Georgios Kremos,1 das Märchen aus Kallipolis (Nr. 10) Herrn Spyridon Boulgaridis, endlich das lesbische (Nr. 22) Herrn Lykourgos Maliakas.2 Die Genannten[1] mit Ausnahme von Boulgaridis sind, wie gleich hier bemerkt sei, auch meine Gewährsmänner für die Sagen.

Bei der Uebersetzung der griechischen Texte ins Deutsche habe ich nach möglichster Treue gestrebt und daher auch aller schmückenden Beiwörter mich enthalten: nur wo ich Verse wiederzugeben hatte, war einige Freiheit in dieser Beziehung um des Metrums willen unvermeidlich, aber in diesen Fällen findet man auch stets den griechischen Wortlaut in einer Anmerkung unter dem Texte zur Controle beigefügt. Die wenigen und ganz unbedeutenden, auf ein paar Worte sich beschränkenden Zusätze, die ich gemacht habe, berühren den Inhalt in keiner Weise und bezwecken nur grössere Deutlichkeit, Herstellung mangelnder Verbindung oder Beseitigung sonstiger Härten in der Rede. Aus denselben oder ähnlichen Gründen ist hie und da ein sinnverwandtes Wort für das dem griechischen Ausdruck zunächst entsprechende gebraucht oder eine geringe Umstellung der Sätze vorgenommen worden. Denn nicht alle Stücke wurden mir in gleich guter Form erzählt. Das hier Bemerkte gilt selbstverständlich auch von den Sagen. In Nr. 15 der Märchen ist durch Tilgung einiger Worte des griechischen Textes ein Widerspruch beseitigt worden, der ohne Zweifel auf Rechnung des Erzählers kommt, worüber die Anmerkung unter dem Texte das Nähere enthält. Hie und da, namentlich in Nr. 13 der Sagen, sind auch einige für den gebildeten Leser allzu lästige, wenn auch vom Volke selbst nicht gescheute Wiederholungen gestrichen worden. Die meisten der Märchen wie der Sagen wurden mir ohne Titel mitgetheilt, und es sind daher die Ueberschriften, wo sie fehlten, von mir hinzugefügt.3 Von einem einzigen Märchen (Nr. 5) lagen mir zwei im Einzelnen abweichende Fassungen vor; über das in diesem Falle von mir eingeschlagene Verfahren belehrt die Anmerkung.

Als ich auf Zakynthos Märchen aufzuzeichnen begann, war die grosse Sammlung des Consuls J.G. von Hahn4 noch nicht erschienen, noch wusste ich davon, dass sie vorbereitet[2] werde; was aber damals von neugriechischen Märchen vorlag, beschränkte sich auf wenige vereinzelte Stücke, die ich übrigens erst später kennen lernte.5 Nach dem Erscheinen des Hahn'schen Werkes, und zum Theil jedenfalls in Folge der hier gegebenen Anregung sind dann noch mehrere kleinere[3] Sammlungen neugriechischer Volksmärchen an die Oeffentlichkeit getreten, so dass derselben nunmehr eine beträchtliche Anzahl und aus den verschiedensten Gegenden der griechischen Lande vorliegt.6 Trotzdem darf ich wohl hoffen, dass[4] die Veröffentlichung der von mir aufgezeichneten Märchen auch jetzt noch willkommen sein werde, zumal da meine Sammlung unter einem besonderen Gesichtspunkte angelegt ist. Als ich nämlich auf der Insel Zakynthos die mir gebotene Gelegenheit, griechische Volksmärchen kennen zu lernen, ergriff, war es keineswegs der Standpunkt des speciellen Märchenforschers oder des vergleichenden Mythologen, der mich hierzu veranlasste, sondern ich hatte dabei ein engeres, rein antiquarisches Interesse: es reizte mich als Philologen zu erfahren, ob und wie viel Reste der hellenischen Mythologie in den heutigen griechischen Märchen etwa fortleben möchten. Daher zeichnete ich denn auch von den mir mündlich mitgetheilten Stücken in der Regel nur diejenigen auf, welche aus dem angeführten Grunde für mich ein näheres Interesse hatten; was ich freilich später einigermassen bereuet habe, zumal da es vorkommen kann, dass die Bezüge eines Märchens zu einem hellenischen Mythos nicht so ganz offen zu Tage liegen, dass man sofort beim ersten Anhören sie zu erkennen vermöchte. So ist denn meine Sammlung trotz ihres geringen Umfangs viel reicher an antiken Reminiscenzen als die Hahn'sche, und es sind nur sehr wenige Nummern, welche nichts dieser Art enthalten, und die ich aus anderen Gründen ausnahmsweise dennoch aufgezeichnet hatte.7 Einige Märchen haben, wie ich nicht verkenne, als solche nur geringen Werth (was indessen vielleicht nur an der mangelhaften Erinnerung meines Erzählers liegt), und hat eben nur der antiquarische Gesichtspunkt zu ihrer Mittheilung mich bestimmt. Uebrigens will ich doch auch nicht verschweigen, dass einer der ersten Kenner auf diesem Gebiete, Reinhold Köhler in Weimar, dem sowohl die Märchen als die Sagen seiner Zeit im Manuscript vorgelegen[5] haben, sie sämmtlich als der Veröffentlichung werth bezeichnet hat.

Manches in den aus Zakynthos herstammenden Märchen, das durch seine Anklänge an althellenische Sagen oder Vorstellungen überrascht, wird vielleicht gerade darum Verdacht erregen, als beruhe es nicht auf lebendiger Ueberlieferung, sondern sei auf irgend eine Weise eingeschwärzt. Ich selbst habe in Betreff der Nummern 16 und 18 (so weit in der letzteren Eros und seine Umgebung geschildert wird) meine starken Zweifel ausgesprochen (s. die Anmerkungen). Aber abgesehen von diesen beiden Stücken glaube ich, je mehr ich Erfahrungen auf dem Gebiete des griechischen Volkslebens gesammelt und je länger ich über die Sache nachgedacht habe, um so zuversichtlicher für die Echtheit des in diesen Märchen abgelagerten antiken Stoffes, d.h. für die Erhaltung und Fortpflanzung desselben im Volke durch unmittelbare Ueberlieferung von Geschlecht zu Geschlecht mich verbürgen zu können. Zunächst hat mir mein oben genannter Gewährsmann wiederholt versichert, die ihm bekannten Märchen sämmtlich aus dem Volksmunde, und zwar grossentheils von Bäuerinnen, gehört zu haben. Dass im Geiste meines Erzählers selbst mitunter etwas in der Schule Gelerntes mit den Erinnerungen seiner Kindheit unvermerkt sich vermischt haben sollte, wird gewiss niemand für wahrscheinlich halten. Ich selbst habe, als ich die Gebirgsdörfer der Insel Zakynthos bereiste und unter anderem auch nach dem Inhalte der dort cirkulirenden Märchen forschte, mich überzeugen können, dass dieselben in der That vielerlei Antikes enthalten, wie ich denn von einem Knaben aus Bolímais zwei Stücke in Umrissen – denn vollständig und ausführlich wusste er sie leider nicht – mitgetheilt erhielt, von denen das eine stark an die Sage von der Niobe, das andere an Herakles' Abenteuer mit der Hydra erinnerte. In der Regel sind es nur einzelne Züge hellenischer Mythen, die in natürlicher ungezwungener Weise in die hier veröffentlichten Märchen verwoben erscheinen, und zwar in Märchen, welche zum grössten Theile bei anderen Völkern ihre Parallelen haben, deren Volksthümlichkeit im allgemeinen also ausser allem Zweifel ist. Wer nun trotzdem jene Züge als eingeschwärzt betrachten wollte, müsste annehmen, dass die Erzählungen, in denen[6] sie vorkommen, von einem der alten Mythologie Kundigen etwas umgestaltet und versetzt wieder unter das Volk, von welchem sie ausgegangen, gebracht worden seien. Das hätte aber gewiss nicht geschehen können ohne litterarische Fixirung derselben. Für eine solche Annahme fehlt nun jeder Anhalt. Und wenn man auch hierauf kein sonderliches Gewicht legen wollte aus dem Grunde, weil wir eben über die in Griechenland verbreiteten oder verbreitet gewesenen Volksbücher im Ganzen wenig unterrichtet sind,8 so wäre doch jedenfalls der Zweck einer absichtlichen Versetzung jener volksthümlichen Gebilde mit ihnen fremden Elementen unerfindlich. Denn hätte etwa jemand die Absicht gehabt, dem Volke so zu sagen antike Nahrung darzureichen, so würde er sich doch sicher nicht damit begnügt haben, ganz vereinzelte Züge aus den Sagen der Vorzeit seinen Märchen einzuverleiben. Wichtiger noch ist die Thatsache, dass jene antiken Züge keineswegs immer genau mit demjenigen übereinstimmen, was uns durch die schriftliche Ueberlieferung aus dem Alterthum überkommen ist, sondern mehrfach modificirt erscheinen. Wenn z.B. Nr. 6 meiner Sammlung aus der angeschwollenen Wade eines unverheiratheten Königs eine am ganzen Körper bewaffnete, Lanze und Helm tragende Jungfrau geboren werden lässt, so wird jedermann sofort an die Geburt der Athene aus dem Haupte des Zeus erinnert, und es kann schwerlich[7] einem Zweifel unterliegen, dass dieser Zug des Märchens wirklich aus dem hellenischen Mythos herstammt. Aber gerade der Umstand, dass in dem Märchen die Geburt aus dem Haupte mit einer Geburt aus der Wade vertauscht ist, verbunden mit der originellen Motivirung der Sache, spricht gegen die Annahme einer Einschmuggelung des Zuges von schriftkundiger Seite und beweist vielmehr die Entstehung desselben aus dem Volke heraus. Endlich fehlt es ja an dergleichen vereinzelten antiken Reminiscenzen auch in den von anderen veröffentlichten neugriechischen Märchen keineswegs, nur dass sie dort im Ganzen seltener zum Vorschein kommen als in meiner gerade unter diesem speciellen Gesichtspunkte angelegten Sammlung. So hat sich z.B. in dem von L. Ross mitgetheilten Schiffermärchen ›Georg und die Störche‹ ein Zug der Polyphemossage erhalten, der Held der Erzählung rettet sich aus der Behausung eines menschenfressenden blinden Drachen auf ganz ähnliche Weise wie Odysseus aus der Höhle des geblendeten Riesen,9 und Ross macht dazu die Bemerkung, dass solche Anklänge an die althellenischen Mythen und Geschichten in den neugriechischen Volksmärchen sich nicht selten finden, und meistens, wie hier, in eigenthümlichen Modificationen.10 Das von Eulampios mitgetheilte Märchen enthält, abgesehen von der schönen, das[8] Wirken der Schicksalsgöttinnen bei der Geburt des Menschen schildernden Episode, auch eine deutliche Erinnerung an die Symplegaden, indem es von zwei hohen Bergen erzählt, die ewig auseinandergehen und wieder zusammenklaffen, und zwischen denen ein Königssohn hindurch muss, um das dahinter am Ende der Welt fliessende wunderthätige Wasser für seinen kranken Vater zu holen;11 wie denn auch das achte der von Sakellarios mitgetheilten kyprischen12 und mehrere der Hahn'schen Märchen13 einen freilich schwächeren Nachhall derselben Sage bewahrt haben.14 Diese letztere Sammlung enthält ausserdem noch eine Anzahl anderer mehr oder minder deutlicher Anklänge an alte Sagen, worüber ich mich begnüge auf die Anmerkungen und das Sachverzeichniss des Herausgebers zu verweisen.

In einer kleinen Anzahl meiner Märchen beschränkt sich nun allerdings der hellenische Gehalt nicht auf den oder jenen Einzelzug einer alten Sage, sondern hat grössere Ausdehnung. Allein auch hier liegt, von den beiden schon oben bezeichneten Nummern abgesehen, kein irgend triftiger Grund zu einem Verdachte vor. Das volksthümliche Gepräge auch dieser Stücke und ihre theilweise Uebereinstimmung mit Märchen anderer Völker werden die Anmerkungen in das gehörige Licht setzen. Aber auch schon die Thatsache, dass in einigen von ihnen, wie in Nr. 11 und 23, eine Vermischung verschiedener hellenischer Sagen stattgefunden hat, spricht durchaus gegen die Annahme einer Beeinflussung von gelehrter Seite. Und sodann stehen überhaupt auch hinsichtlich dieses stärkeren Gehaltes an altgriechischem Gute jene zakynthischen Märchen keineswegs allein. Ich verweise zunächst auf die aus der Oedipussage hervorgegangene arachobitische Erzählung in Nr. 12 meiner Sagensammlung, ein Stück oder[9] vielmehr Bruchstück, das, wie ich hinterher sehe, viel passender zu den Märchen gestellt worden wäre, und von welchem auch auf Zakynthos eine Variante existirt, die aber, weil sie mir in allzu mangelhafter Form erzählt wurde, nur in der Anmerkung zu dem arachobitischen Stücke Erwähnung gefunden hat, woselbst auch ein in denselben Kreis gehöriges kyprisches Märchen besprochen ist. Dr. Kremos versicherte mir obendrein, dass überhaupt mehrere in seiner Heimath Arachoba gangbare Märchen in sehr vielen Zügen theils mit der Oedipus- theils mit der Heraklessage übereinstimmen, wenn auch die alten Mythen etwas verändert seien; auch habe er einmal von einem parnasischen Hirten ein Märchen gehört, welches der Geschichte Laokoons sehr ähnlich gewesen. Politis führt ein unverdächtiges Zeugniss dafür an, dass der Mythos von Phineus und den Harpyien noch jetzt, in ein Märchen verwandelt, in Lakonien vom Volke erzählt werde.15 C. Wachsmuth erhielt durch Koumanoudis in Athen Kunde von dem Vorhandensein eines Märchens, das die Sage von Prokne und Philomele getreu wiedergibt und worin auch der Name von der Prokne Sohn Itys, nur leicht verstümmelt in Ἴζυc, haften geblieben ist, während die Namen der übrigen in dem althellenischen Mythos auftretenden Personen vergessen sind.16 In Samos auf der Insel Kephalonia erzählte mir ein etwa dreizehnjähriger Knabe, er habe als kleines Kind ein schönes Märchen gekannt, und als er dann in der Schule die Geschichte von Theseus und seinen Heldenthaten gehört, da sei ihm jenes Märchen wieder eingefallen,17 und er habe sich sehr verwundert über die grosse Aehnlichkeit zwischen beiden. Endlich sei noch an das wahrscheinlich auch irgendwo in Griechenland verborgene albanesische Märchen bei Hahn Nr. 98 erinnert, welches eine so auffallende Aehnlichkeit mit der Perseus- und zum Theil auch mit der Oedipussage zeigt, dass Hahn ehemals selbst den Verdacht einer Fälschung[10] äusserte,18 den er indessen später ausdrücklich zurückgenommen hat.19

Dies alles stellt es, denke ich, ausser Zweifel, dass überall in Griechenland gewisse hellenische Mythen in Märchenform unter dem Volke in Umlauf sind, und zeigt zugleich, dass der Reichthum an neugriechischen Märchen durch die uns vorliegenden Publicationen noch lange nicht erschöpft ist, und dass das Sammeln eifrig fortgesetzt zu werden verdient, um auch das zur Zeit noch Verborgene oder nur mangelhaft Bekannte, welches möglicher Weise alles bisher Veröffentlichte an Bedeutung überragt, allmählich ans Licht zu ziehen.

Wiewohl nun erst dann, wenn der neugriechische Märchenschatz in annähernder Vollständigkeit vorliegt, ein abschliessendes Urtheil über sein Verhältniss zu den Sagen des hellenischen Alterthums einerseits und zu den Märchen der verwandten Völker andrerseits sich wird fällen lassen, so darf doch schon jetzt so viel als feststehend gelten, dass diejenigen Märchen, welche nicht blos sporadische Anklänge an alte Sagen enthalten, sondern, wie z.B. Nr. 4 und 23 meiner Sammlung, einen hellenischen Mythos geradezu zur Grundlage haben, eben unmittelbar aus dem hellenischen Alterthum herstammen, sei es nun, dass die betreffenden Mythen noch während des Alterthums selbst so weit erblassten, dass sie vom Volke in Märchen verwandelt wurden, sei es, dass sie erst beim Untergange des Hellenismus diese Form annahmen: denkbar wäre ja auch wohl für gewisse Fälle ein selbständiges Nebenhergehen des Märchens neben der so zu sagen officiellen Heldensage.20 Dass es aber überhaupt bereits im klassischen Alterthum wirkliche Märchen unter dem Volke gegeben habe, ist zwar von mancher Seite in Abrede gestellt worden,21 kann aber meines Erachtens nicht im mindesten[11] bezweifelt werden. Selbst wenn keine einzige Notiz bei den alten Schriftstellern auf das Vorhandensein von Volksmärchen hinwiese, so würde, abgesehen von vielem Anderen, schon die Thatsache allein, dass in der Odyssee mehrere Bestandtheile sich vorfinden, die einen ausgeprägt märchenhaften Charakter an sich tragen und mit der Märchen- und Sagenwelt anderer Völker die merkwürdigsten Uebereinstimmungen zeigen, mit vollem Rechte dafür geltend gemacht werden können.22 Aber was soll denn unter den ›μῦθοι‹, durch welche z.B. im rasenden Herakles des Euripides Amphitryon der Megara ihre über des Vaters Abwesenheit betrübten Kinder zu beschwichtigen räth,23 oder wie sie an dem Feste der Oschophorien in Athen erzählt zu werden pflegten zur Erinnerung daran, dass dergleichen in alter Zeit die attischen Mütter ihren für den Minotauros in Kreta bestimmten Kindern vor der Abreise zur Aufmunterung erzählt haben sollten,24 oder mit denen nach Platon's und anderer geringschätzigen Aeusserungen die alten Weiber sich zu befassen pflegten25 –, was soll, frage ich, hierunter anderes zu verstehen[12] sein, als eben jene Haus- und Kindermärchen, die noch heute in dem gleichen Besitze sind und dem gleichen Zwecke dienen? Ja auch dafür, dass der charakteristische Stil der heutigen Kindermärchen im Wesentlichen schon im hellenischen Alterthum gefunden war, haben wir ein Zeugniss aus klassischer Zeit bei Aristophanes in den Wespen, wo die ersten Worte eines Thiermärchens angeführt werden, welche dem allbekannten stehenden Anfang unserer Märchen entsprechen.26 Aus dieser Stelle27, wie auch schon aus den angeführten platonischen, erkennen wir zugleich die Geringschätzung, mit welcher die griechischen Männer auf diese Art Volkspoesie herabzublicken pflegten – wie ja das auch heute noch gewöhnlich ist –, und dadurch erklärt es sich hinlänglich, warum in der gesammten griechischen Litteratur zwar Märchenhaftes genug, aber kein einziges wirkliches Märchen uns entgegentritt. Auch bei den Römern hat erst im zweiten Jahrhundert nach Christus der aus Afrika gebürtige Apuleius das Märchen in die Litteratur eingeführt. Denn dass die in seine Metamorphosen eingeflochtene berühmte Erzählung von Amor und Psyche von Apuleius nicht erfunden worden, sondern wesentlich auf einem im Volke umlaufenden Märchen beruht, welches jener nur leicht überarbeitet und mit einer Allegorie verschmolzen hat, indem er die Rolle der schönen Königstochter im Märchen auf Psyche und die ihres Geliebten auf Cupido übertrug, das hat Friedlaender durch Vergleichung derselben mit heutigen deutschen und indischen Volksmärchen sowohl aus dem Inhalt im allgemeinen als auch aus einer Reihe einzelner Züge und Wendungen überzeugend nachgewiesen.28[13]

Anders steht es nun aber bei denjenigen meiner Märchen, in welchen nur vereinzelte Züge eines hellenischen Mythos zum Vorschein kommen, die auf den Gang und Verlauf der Erzählung keinen wesentlichen Einfluss haben. Hier ist kein zwingender Grund zu der Annahme vorhanden, dass die Märchen selbst aus dem Alterthum stammen, sondern es können in jüngere, aus der Fremde eingewanderte Erzählungen bei ihrer Weiterverbreitung ältere im Volke noch fortlebende Erinnerungen absichtlos und unvermerkt einverwebt worden sein.

Aus dem bisher Gesagten wird man bereits erkannt haben, welche Stellung ich in der neuerdings lebhaft erörterten allgemeineren Frage über den Ursprung der heutigen Volksmärchen einnehme. Bekanntlich stehen sich hier zwei Hauptansichten einander gegenüber, diejenige der Gebrüder Grimm, welche im Wesentlichen übereinstimmend unsre heutigen Märchen[14] als einen Niederschlag uralter Mythen betrachten und die zwischen den Märchen der verschiedenen indogermanischen Völker sich herausstellende Verwandtschaft, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, aus der gemeinsamen Abstammung dieser Völker erklären, eine Ansicht, welche der Herausgeber der griechischen und albanesischen Märchen durch beachtenswerthe äussere Gründe zu stützen gesucht hat,29 und diejenige Theodor Benfey's, nach welchem die heutigen Volksmärchen fast ohne Ausnahme ursprünglich indische Gebilde sind und erst in christlicher Zeit von dort aus über die Erde sich verbreitet haben.30 Ich glaube, dass hier, wie so oft, die Wahrheit in der Mitte liegt, und freue mich zu sehen, dass ich mich in dieser Beziehung mit einem Forscher wie Felix Liebrecht in der Hauptsache in Uebereinstimmung befinde, indem auch er eine vermittelnde Stellung zwischen der Grimm'schen und der Benfey'schen Theorie einnimmt.31 Dass indische Märchen in geschichtlicher Zeit theils durch mündlichen Verkehr, theils auf litterarischem Wege in die Länder des Westens eingewandert sind und hier im Volke Wurzel geschlagen haben, stelle ich nicht in Abrede, glaube aber auch nicht, dass dieses in der von Benfey behaupteten Ausdehnung geschehen sei, und bin vielmehr der Ueberzeugung, dass ein nicht geringer Theil unsrer heutigen europäischen[15] Märchen von den betreffenden Völkern aus der gemeinsamen asiatischen Urheimath mitgebracht, also ererbt, oder auf europäischem Boden selbständig und unabhängig geschaffen worden ist. Die Uebereinstimmung der Märchen im Allgemeinen und im Einzelnen bei den verschiedenen Nationen wird zum Theil allerdings auf späterer Entlehnung, zum Theil auf der Gleichheit der Abstammung beruhen: es gibt aber auch noch ein Drittes, worauf, wie mir scheint, in der Regel zu wenig Gewicht gelegt wird, nämlich die eigenthümliche natürliche Anlage des menschlichen Geistes, welche selbst bei unverwandten, auf den verschiedensten Culturstufen stehenden und durch weite Entfernung von einander getrennten Völkern allezeit Aehnliches und doch Selbständiges hervorzubringen vermag.32 Es wird nun aber in vielen Fällen ungemein schwierig, ja – wenigstens bei dem heutigen Stande der Forschung – geradezu unmöglich sein, das Ursprüngliche und das Entlehnte mit Sicherheit zu unterscheiden; zumal da es doch offenbar sehr leicht geschehen konnte, dass ein beispielsweise im achten Jahrhundert unserer Zeitrechnung aus Indien nach Griechenland vorgedrungenes Märchen hier schon längst, wenn auch in mehr oder weniger abweichender Fassung, vorhanden war und nunmehr die beiden Gebilde, das einheimische und das ausländische, mit einander verschmolzen. Dass, wie Benfey meint,33 die indischen Märchen durch ihre innere Vortrefflichkeit alles, was etwa Aehnliches bei den verschiedenen Völkern, zu denen sie gelangten, schon existirt hatte, absorbirt haben sollten, vermag ich weder im Allgemeinen noch speciell in Bezug auf Griechenland zuzugeben. Vielmehr wird, wer des Volkes Eigenart, seine Zähigkeit im Festhalten des ihm einmal zugehörigen Besitzes und seine Sprödigkeit gegenüber dem Fremdländischen erwägt,34[16] eher zu der entgegengesetzten Annahme sich gedrängt fühlen, dass nämlich von den indischen Conceptionen nur diejenigen Eingang fanden und dauernd haften blieben, welche sich mit einheimischen Ueberlieferungen mehr oder minder nahe berührten.

Aber selbst wenn die Benfey'sche Theorie in der von ihrem Urheber ihr gegebenen Ausdehnung richtig wäre, was ich bestreite, und demnach auch die neugriechischen Volksmärchen sammt und sonders auf indischen Conceptionen beruhten, so würden dieselben natürlich trotzdem, soweit auch sonst nachzuweisender neugriechischer Volksglaube in ihnen hervortritt, für die wissenschaftliche Darstellung dieses Volksglaubens ganz unbedenklich herangezogen werden dürfen. Ich würde diese Bemerkung über eine so selbstverständliche Sache gar nicht für nothwendig halten, wenn nicht C. Wachsmuth an diesem in meinem Buche über das Volksleben der Neugriechen in der That ohne Weiteres von mir beobachteten Verfahren Anstoss genommen und nur in der Voraussetzung, dass ich mich in der Vorrede zu der vorliegenden Sammlung deshalb rechtfertigen werde, vorläufig mit seinem Tadel mich verschont hätte. Derselbe sagt in den Götting. gel. Anzeigen v.J. 1872, S. 244 wörtlich Folgendes: ›Wenn der Verf. auch die neugriechischen Märchen als Zeugen für den Volksglauben der Junghellenen unbedenklich benutzt, so stimme ich ihm darin zwar sachlich im Wesentlichen bei. Allein die von Benfey (Pantschatantra, Vorrede S. XXII f. und Götting. gel. Anz. 1860, S. 874; vgl. auch Beil. z. Augsburger allg. Zeit. 12. Juli 187135) aufgestellte, neuerdings auch von Max Müller (Essays. 3. Bd., aus dem Engl. übertr. von Liebrecht. 1872. S. 303 ff. und 530 ff.) angenommene36 Ansicht über den Ursprung der Märchen kann in einer wissenschaftlichen Arbeit nicht einfach ignorirt werden; und wenn man, wie ich es[17] auch, wenn schon mit bestimmten Einschränkungen thue, dennoch an der Grimm'schen Ansicht über die Bedeutung der Märchen festhält, so muss man diesen Standpunkt doch ausdrücklich der Benfey'schen Theorie gegenüber motiviren. Es müsste daher auffallen, dass der Verf. für den Gebrauch, den er von ihren Angaben macht, kein Wort der Rechtfertigung für nöthig hält, wenn man nicht erwarten dürfte, dass er sich in der Vorrede der von ihm versprochenen – Sammlung neugriechischer Märchen, Sagen und Volkslieder über diesen Punkt ausführlicher verbreiten wird.‹ Diese Auslassung mag vielleicht einem Laien durch den Schein strenger Gewissenhaftigkeit imponiren: dem Sachverständigen zeigt sie nur, dass Wachsmuth die Benfey'sche Ansicht völlig verkannt und nicht einmal die Vorrede zum Pantschatantra mit der gebührenden Aufmerksamkeit gelesen hat. Denn Benfey spricht doch hier ausdrücklich von der ›Nationalisirung‹ der nach seiner Meinung durchweg indischen Gebilde, er erkennt es ausdrücklich an, dass dieselben dadurch, dass sie aus der Litteratur ins Volk, aus diesem verwandelt wieder in die Litteratur, dann wieder ins Volk u.s.w. übergingen, den Charakter nationaler Wahrheit angenommen haben (S. XXV f.). Und konnte er Angesichts der europäischen Märchen anders? Ist etwa in ihnen von indischen Göttern und Dämonen, von Brahmanen und Krokodilen die Rede? Es ist doch wahrlich sonnenklar, dass Benfey, indem er indischen Ursprung der europäischen Märchen behauptet, damit nur die Grundlage der Ueberlieferung meint, welcher dann, um mit Wilhelm Grimm zu reden,37 die jedem Volke innewohnende dichterische Kraft unbewusst den Stempel des eigenen Lebens aufgedrückt hat. Gleichwie also beispielsweise in den deutschen Märchen Wichtelmänner und Zwerge, Nixen und Frau Holle vorkommen, so treten in den griechischen Neraïden, Moeren, Lamien, Charos und andere wohlbekannte Gestalten des griechischen Volksglaubens auf, und was von diesen in den Märchen ausgesagt wird, das sollte nicht als Beleg für eben diesen Volksglauben ohne Weiteres verwendet werden dürfen? Die Frage, ob die Märchen selbst aus Indien oder anderswoher stammen oder ob sie uraltes Eigenthum der Griechen sind,[18] kommt hierbei ganz und gar nicht in Betracht.38 Wenn man nun schon darüber höchlich sich verwundern muss, dass Wachsmuth dieses einfache Sachverhältniss so vollständig hat verkennen können, so steigt das Befremden noch, wenn man sich erinnert, dass derselbe in der im J. 1864 erschienenen Schrift ›Das alte Griechenland im neuen‹, welche er doch gar sehr als eine ›wissenschaftliche Arbeit‹ betrachtet, ganz das gleiche Verfahren, das er jetzt mir zum Vorwurf machen möchte, seinerseits eingeschlagen und die Hahn'sche Märchensammlung für den Volksglauben der Neugriechen ausgenutzt hat,39 ohne der doch schon fünf Jahre vorher bekannt gewordenen Benfey'schen Ansicht von dem Ursprung der Märchen auch nur mit einem einzigen Worte zu gedenken!

Ich habe hinsichtlich der Märchen in dieser Vorrede weiter nichts hinzuzufügen, als dass ich in den Anmerkungen zu denselben am Ende der Sammlung zwar die anderwärts veröffentlichten griechischen Märchen zum Vergleich herangezogen, in besonderen Fällen auch verwandte Märchen anderer Völker berücksichtigt, dagegen auf einen vollständigen Nachweis aller parallelen Märchen und Märchenzüge aus der gesammten einschlägigen Litteratur verzichtet habe. Oefters ist zum Ersatz dafür namentlich auf R. Köhler's reichhaltige Anmerkungen zu Laura Gonzenbach's Sicilianischen Märchen verwiesen worden. Billige Beurtheiler werden diese Beschränkung auf das Nothwendigste schon durch den Standpunkt, von welchem aus ich meine Sammlung unternommen habe, für hinlänglich gerechtfertigt halten und überhaupt von mir als Philologen nicht die Belesenheit in der Märchenlitteratur verlangen, durch welche die Köhler und Liebrecht sich auszeichnen.

Zwischen Märchen und Sage gibt es keine ganz feste Grenze, sie gehen mehrfach in einander über, und man kann bei manchen Erzeugnissen in Zweifel sein, zu welcher von beiden Gattungen man sie rechnen solle. Ich glaube indessen die Sonderung richtig vollzogen zu haben, nur dass, wie[19] schon oben bemerkt worden, Nr. 12 meiner Sagen besser den Märchen zugewiesen worden wäre.40 Die vorliegende kleine Sammlung neugriechischer Volkssagen nun ist meines Wissens die erste, die zur Veröffentlichung gelangt.41 Möchte sie den Griechen, welche neuerdings angefangen haben ihren Märchen ein lebhafteres Interesse zuzuwenden, nun auch zur Aufzeichnung und Bekanntmachung der in ihrem Volke lebendigen Sagen die Anregung geben. Der Reichthum an solchen ist gross, und eine möglichst vollständige Sammlung derselben, insbesondere der Ortssagen, würde vielleicht bezüglich des Gehalts an althellenischem Erbgut noch weit interessantere Resultate ergeben als der gesammte Märchenschatz. Denn wennschon ein Theil der griechischen Ortssagen erst im Mittelalter unter dem Einfluss der fränkischen Eroberer sich gebildet haben mag, so ist es doch andrerseits gewiss, dass in manchen Gegenden Sagen haften, welche altgriechische, an dieselben Gegenden sich knüpfende Mythen zur Grundlage haben, und es würde, wenn sie uns sämmtlich vorlägen, abgesehen von allem Uebrigen, schon das einen nicht geringen Reiz gewähren, des Genaueren die Wandlungen zu verfolgen, welche die hellenischen Erzählungen im Lauf der Zeiten erfahren haben. Vielleicht ist es dem Leser nicht unwillkommen, wenn ich hier alles dasjenige, was ich an neugriechischen Volkssagen in der mir zugänglichen Litteratur vorgefunden und notirt habe, in einem allgemeinen Ueberblicke zusammenstelle; wobei ich jedoch alle diejenigen ausschliesse, welche ich bereits im ersten Theile meines Volkslebens der Neugriechen[20] mitgetheilt oder erwähnt habe42 oder im zweiten Theile anzuführen gedenke, sowie ausserdem diejenigen, welche mit Sagen meiner Sammlung verwandt sind und daher passender in den Anmerkungen zu diesen ihre Stelle finden.

In der Ebene von Pheneos in Arkadien, deren Erdschlünde man im Alterthum für einen Eingang zur Unterwelt hielt, und durch den einen von welchen nach der örtlichen Ueberlieferung Pluton mit seiner schönen Beute, dem Demeterkind Persephone, nach seinem unterirdischen Reiche hinabgefahren sein sollte,43 haftet eine gewisse Dämonologie noch heute. Zwei böse Geister, so erzählen die umwohnenden Bauern, machten sich den Besitz des Sees streitig. Der schlauere von beiden kam auf den Gedanken seinen Gegner mit Kugeln von Pech zu bekämpfen, welche bei der Berührung mit dessen Körper Feuer fingen. Der Unglückliche, ganz in Flammen stehend, riss in seiner Verzweiflung einen Felsen los und stürzte sich durch den so entstandenen Schlund in den Schoos der Erde. Seit dieser Zeit ergiessen sich die Wasser des Sees auf dem nämlichen Wege in die Tiefe.44

Die Umwohner des benachbarten Styxfalles (jetzt τὰ Μαυρονέρια, bisweilen auch τὰ Δρακονέρια genannt) haben die im Alterthum an sein Wasser sich knüpfenden Sagen ihrem wesentlichen Inhalte nach aufbewahrt, sie erzählen noch[21] heute fast dasselbe wie Pausanias (VIII, 18), nämlich dass der Genuss dieses Wassers verderblich sei, und dass kein Gefäss es aufnehmen könne, ohne zerstört zu werden.45

Vom kopaïschen See weiss das dortige Landvolk folgende, poetischen Werthes nicht ermangelnde Sage zu erzählen. ›Ein alter König herrschte einst über die ganze Ebene, die völlig trocken war, da die Gewässer sich durch die Katabothren46 verliefen. Er besass zahllose Herden und zweihundert schöne Dörfer, die dort standen, wo jetzt in den Sümpfen Rohr wächst, und im Winter ein weiter See steht. Als er sein Ende herannahen fühlte, vertheilte er seinen Reichthum unter seine zwei Söhne. Dem einen gab er die Aecker, dem andern die Herden. Nach der Zeit begab es sich, dass ein heftiger Frost und Schneegestöber plötzlich alles Vieh vernichtete. Der verarmte Bruder kam zum reichen und bat um einen Antheil an seinem Ueberfluss. Dieser wies ihn schnöde von seiner Thür hinweg. Der Hirt ersann eine schreckliche Rache. Er verstopfte heimlich die Katabothren, und als der Winterregen kam, verliefen die Gewässer sich nicht mehr. Der See stieg, und die schönen Dörfer gingen alle in den Wellen unter.47

Sagen von versunkenen Ortschaften finden sich auch sonst noch in Griechenland. So knüpft sich an den im Alterthum wenigstens in der jetzigen Ausdehnung noch nicht vorhandenen, zwischen dem Minthegebirge und der Meeresküste sich hinziehenden See Kaiapha in Elis die Sage von einer versunkenen Stadt, die man in seiner Mitte unter dem Wasserspiegel noch zu erkennen vermeint.48 Auch an der lykischen[22] Küste wissen die griechischen Schiffer und Schwammfischer viel von versunkenen Städten, βουλιαcμέναιc χώραιc, zu reden;49 und auf eine derartige Sage weist auch der Name ἡ Βουλιαcμένη (erg. χώρα) hin, welchen heutzutage der See Eschatiotis in der korinthischen Peraea führt.50

Eine sehr bekannte Sagenfigur im heutigen Griechenland ist die ›Alte mit der Herde‹, welche, als der Frühling gekommen war, stolz und frohlockend ausrief, dass nun ihren Schafen und Ziegen nichts mehr geschehen könne, aber auf einmal trat noch ein scharfer durchdringender Nachtfrost ein, der alle ihre Thiere zu Grunde richtete. Diese Geschichte, die als eine ernste Warnung vor Uebermuth und voreiligem Sicherheitsgefühl dem Geschmack des Volkes besonders zuzusagen scheint, wird in verschiedenen Gegenden des Landes, wenn auch mit manchen Abweichungen im Einzelnen, als Ortssage erzählt, so in der marathonischen Ebene, wo man die Ueberreste einer Anlage des Herodes Attikos in der Nähe des Dorfes Branás als den Schafstall dieser Alten (τῆc γρῃᾶc τὸ μανδρί) bezeichnet; so auf der Insel Thasos, wo sie den Namen ›Pópina‹ führt und eine grosse Einfriedigung von Steinen für das Vieh ›die Hürde der Pópina‹ (τῆc Πώπιναc ἡ μάνδρα) heisst; so auf Samothrake, wo man von den hier vorkommenden Ziegen oder vielmehr Steinböcken glaubt, dass sie ehemals zur Herde der Alten gehörten, und gewisse weisse, in eine Felswand eingesprengte Streifen deren Wäsche (τῆc γρῃᾶc τὰ πανιά) nennt.51 In Arkadien, etwa drei Stunden[23] von Tripolitsa in der Gegend, welche Φραγκόβρυcο (Frankenquelle) heisst, zeigt man an einem Berge die versteinerten Schafe der Alten.52 Mehrere altgriechische Ortsbezeichnungen, wie Γραὸc cτῆθοc, Γραὸc γάλα, Γραίαc γόνυ, Γραίαc cᾶμα, Καλογραίαc βουνόc,53 scheinen auf das einstige Vorhandensein ähnlicher Sagen hinzuweisen.

Bei den Bewohnern der marathonischen Ebene fand L. Ross auch eine Erinnerung an die alte Perserschlacht vor. Einst in der Zeit der Hellenen, so erzählten sie ihm, seien viele ›Fustanellen‹54 in diese Ebene gekommen; die Athener, die oben im Thale bei der ›Schafhürde der Alten‹ gelagert gewesen, hätten sie angegriffen und ihrer so viele erschlagen, dass der Fluss von dem Blute roth gefärbt worden. Allein es ist, wie Ross selbst bemerkt, zweifelhaft, ob diese Sage als eine echte, unmittelbar aus dem Alterthum herstammende Volksüberlieferung zu betrachten oder ob sie erst in neuerer Zeit dadurch entstanden ist, dass ein halbgelehrter Priester[24] oder ein Reisender den Bauern von der einst hier geschlagenen Schlacht erzählte.55

Aber es knüpft sich noch eine weitere, sicherlich echte Volkssage, über die nur leider allzu dürftige Berichte vorliegen, an diese berühmte Ebene. Die Hirten reden noch heute von einem seltsamen Getöse, das in den Sümpfen sich vernehmen lasse, und wollen auf der Anhöhe von Branás einen kleinen Reiter sich tummeln sehen.56 In diesem gespenstischen Reiter hat man, ohne haltbaren Grund, eine Erinnerung an den alten Landesheros Echetlos zu erkennen geglaubt, welcher, wie Pausanias bei seinem Besuch der marathonischen Ebene sich sagen liess, in der Schlacht gegen die Perser in der Gestalt und Kleidung eines Bauern erschien und, nachdem er viele von den Barbaren mit einer Pflugschar erschlagen, nicht weiter gesehen wurde.57 Vielmehr werden wir beide Theile der heutigen Erzählung zusammen als eine abgeschwächte Fassung jener anderen Sage zu betrachten haben, die Pausanias gleichfalls aus dem Munde der Eingeborenen hörte, dass allnächtlich auf der Wahlstatt Rossegewieher und Kampfgetümmel sich vernehmen lasse.58 Es sind die Geister der gefallenen Helden, welche hier nach dem Glauben der Alten tobende Schlachten weiter kämpften, und diese Vorstellung vom ›wütenden Heere‹, die auch in Deutschland vorzugsweise an ehemaligen Schlachtfeldern haftet,59 hat sich an dieser Stätte bis auf die Gegenwart erhalten.[25]

Eine steile, dem höchsten Gipfel gegenüberliegende Felswand des Parnasos heisst bei den Anwohnern der ›Greisenfels‹, ὁ γεροντόβραχοc, und hat diesen Namen von der Volkssage erhalten, dass hier die Alten ihre greisen, zu Arbeit und Erwerb unfähig gewordenen Väter in die furchtbare Schlucht hinunter zu stürzen pflegten.60 Dieselbe Sage haftet auch auf der Insel Hydra an einem in der Nähe des Strandes befindlichen Felsen Namens Ζαcτᾶc, von welchem nach dortiger Ueberlieferung ehemals die Greise in einem Korbe von ihren eignen Kindern herabgestürzt wurden, bis einst ein Alter in dem Augenblicke, da er in den Korb gelegt ward, zu seinem Sohne sagte: ›Bewahre den Korb gut auf, mein Sohn, damit, wenn du alt geworden, auch deine Kinder ihn benutzen können;‹ eine Bemerkung, die auf den Sohn solchen Eindruck machte, dass von der Zeit an der barbarische Brauch unterblieb.61 Eine ganz ähnliche Ueberlieferung findet sich auch bei den Walachen vor.62 L. Ross wirft bei Erwähnung der parnasischen Sage die Frage auf, ob derselben vielleicht ein in vorhistorische Zeit hinaufreichendes Factum zu Grunde liege, und erinnert an den auf der Insel Keos herrschenden Brauch, wonach hochbejahrte Personen beiderlei Geschlechts durch einen Schierlings- oder Mohntrank sich den Tod gaben, um den jüngeren Platz zu machen.63 In der[26] That kann, nach den zahlreichen Analogien, die wir bei anderen und zwar auch stammverwandten Völkern finden,64 kaum bezweifelt werden, dass einstmals auch in Griechenland die grausame Sitte der Tödtung der Greise geübt worden ist, und der bis in die späten Zeiten des Alterthums hinabreichende Brauch auf Keos wird als Milderung einer ehemaligen härteren Gewohnheit aufzufassen sein.

Eigenthümliche Sagen von heidnischer Grausamkeit haften auch an dem lykaeischen Gebirge in Arkadien, und ihnen mag eine dunkle Erinnerung an die noch im späten Alterthum hier dargebrachten Menschenopfer zu Grunde liegen. Die heutigen Bergbewohner knüpfen an die halbverbrannten Ueberreste von Knochen, mit denen die Fläche des heiligen Gipfels noch jetzt überdeckt ist, die Erzählung an, die alten Hellenen seien so grausam gewesen, dass sie ihre Kriegsgefangenen auf dieser Stätte, wie auf einer Dreschtenne, von Pferden hätten zerstampfen lassen; oder sie hätten dieselben an einer andren Stelle des Gebirges in die Erde vergraben oder endlich dort, wo der Weg ins Nedathal steil hinabführt, sie als Treppenstufen verwendet.65

Von einem Riffe bei der Insel Samothrake Namens Sgoúrapha erzählen die Schwammfischer, dass dort in einer Felshöhle unter der Meeresfläche ein grosses Unthier wohne, daher sie nicht sehr tief an diesem Riffe zu tauchen sich getrauen; von einem Schwammfischer, der dies einstmals doch gewagt, sei nur der halbe Mensch wieder heraufgekommen, so übel habe das Thier ihn zugerichtet: eine Geschichte, zu welcher es nahe lag das alte Märchen von der Cκύλλη πετραίη[27] zu vergleichen, die dem Odysseus sechs seiner Gefährten aus dem Schiffe riss.66

An das kleine vulkanische Eiland Kayméni im Golf von Santorini haben sich, wie leicht begreiflich, mancherlei Sagen angeknüpft, deren eine, erst neuerdings bekannt gewordene von drei verstorbenen Sündern erzählt, welche dort – in Maulthiere verwandelt – schwere Lasten unaufhörlich bergab und bergan zu tragen haben.67

Auf der Insel Salamis wird ein hellenischer Bau, in welchem man das Temenos der Athene Skiras erkannt hat, vom Volke cπίτι τοῦ Ἀράπη, d.i. Mohren- oder Gespensterhaus genannt, und die Phantasie der Hirten und Schiffer sieht darin den Wohnsitz eines gewaltigen heimtückischen Geistes, der hier reiche Schätze hütet und menschliche Neugier und Vorwitz mit dem Tode bestraft.68

Allerlei Sagen von Königen, Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen knüpfen sich in Griechenland an zahlreiche hellenische oder auch mittelalterliche Ruinen an, sind uns aber nur zum kleinsten Theile des Genaueren bekannt. Ich möchte nicht mit L. Ross behaupten, dass diese Sagen selten eine weitere Ausbildung und ein bestimmtes Gepräge erhalten haben und daher meistens poetischen Werthes ermangeln.69 Wohl aber darf man aus der von Reisenden unseres Jahrhunderts vielfach bezeugten und von mir selbst erfahrenen grossen Schwierigkeit, die es hat, derselben wirklich habhaft zu werden, mit Bestimmtheit schliessen, dass sie nur noch im Besitze von sehr wenigen sind und daher Gefahr laufen in nicht ferner Zeit gänzlich unterzugehen. Eine planmässige Sammlung derselben wäre demnach eine um so dankenswerthere Aufgabe für die Griechen, die aber einen längeren Aufschub nicht verträgt.[28]

Mehrere Ruinen führen den Namen τὰ Βαcιλικά, d.i. die Königsburg. So z.B. die Trümmer vom Tempel des nemeischen Zeus, und die Sage berichtet, dass hier, ebenso wie in dem Theater beim epidaurischen Heiligthum des Asklepios, ein althellenischer König gewohnt habe.70 – Von einer verfallenen Feste auf dem Taygeton, welche den in Griechenland ungemein häufigen Namen Παλαιόκαcτρο, d.h. die alte Burg, trägt, aber nach L. Ross ein Werk des Mittelalters ist, erzählen die Bewohner des in der Nähe gelegenen Dorfes Sochá, dass dieselbe älter als Sparta sei, dass die Könige des Landes ursprünglich hier gewohnt und erst von da aus den die Ebene bedeckenden Wald ausgerottet hätten.71 – Dergleichen Sagen mögen auch an der grossen Zahl derjenigen alten Trümmer haften, welche beim Volke τὰ Παλάτια, d.i. der Königspalast, heissen, wie z.B. die Ruinen von Methydrion,72 die Ueberreste des Poseidontempels auf Kalauria,73 und eine Gegend mit alten Trümmern auf Karpathos.74 – Die Bauern von Kastrí haben, da sie ihren Ort oft Delphi nennen hörten, gemäss der beim Volke überhaupt vorhandenen Neigung, Wörter und Namen, die ihm unverständlich sind, durch schonende Umwandlung sich mundgerecht zu machen,75 daraus ἡ Ἀδελφοῦ und οἱ Ἀδελφοί, d.i. ›Bruderstadt‹, gebildet und verstehen darunter eine an Schätzen reiche Feste, die von zwei Königssöhnen, welche sie erbaut, ihren Namen erhalten habe. Von diesen beiden Brüdern wissen sie eine Geschichte zu erzählen, welche derjenigen von Romulus und Remus nicht unähnlich ist. Zugleich bringen sie oder brachten sie vor Jahrzehnten – denn der Fortschritt der Bildung mag die höchst seltsame Vorstellung mittlerweile verdrängt haben – die ihren Ort besuchenden englischen Reisenden, die so genannten ›Milordi‹, mit den ehemaligen Bewohnern dieser Feste, den heidnischen Adelphiern, in Verbindung, die, als das Christenthum in diesen Gegenden sich auszubreiten begann, ins Frankenland sich geflüchtet hätten, und deren[29] Nachkommen nun als Pilger hierher kämen und die alten Steine anbeteten.76

Auf einem steilen Hügel nördlich von Lixouri auf Kephalonia, welcher Παλαιόκαcτρο heisst und wo man die alte Stadt Pale ansetzt, liegt ein mächtiger Felsblock mit einem in seine Oberfläche eingehauenen Grabe, welchen das Volk τοῦ βαcιλόπουλου τὸ μνῆμα, das Grab des Königssohnes, nennt: aber etwas Näheres über die zu Grunde liegende Sage in Erfahrung zu bringen gelang mir nicht. – In Kalábryta, einem kleinen Städtchen des arkadischen Hochlandes, befindet sich am östlichen Ende des Burgfelsens eine schroffe Felsplatte, welche ›die Platte der Königstochter‹, τῆc βαcιλοπούλαc ἡ πλάκα, genannt wird, von wo nach der Sage ein vornehmes Fräulein dem Kommen des Geliebten entgegensah und, als derselbe nicht erschien, sich in den Tod stürzte.77 – In der Nähe der Ruinen von Phigaleia und des heutigen Dorfes Paulitsa heissen die Ueberreste eines alten Grabmals ›das Grab der Königstochter‹, ὁ τάφοc τῆc βαcιλοπούλαc;78 die Trümmer der beiden Tempel bei Rhamnus in Attika werden von den Bewohnern der Umgegend ›die Königstochter‹, ἡ βαcιλοποῦλα, genannt.79 Auch auf dem Isthmos von Korinth haftet eine Sage von einem Königssohne, der hier, und von einer Königin, die in dem westwärts davon gelegenen Trickala regiert haben soll, aber auch sie ist nicht näher bekannt.80

Dagegen wurde dem Franzosen Heuzey von den Bauern in der Umgegend von Trikardókastro, d.i. der alten Stadt Oiniadae am Acheloos, eine interessante Sage dieser Art mitgetheilt. Hiernach wohnte daselbst vor Zeiten ein Prinz von grosser Schönheit. Das seltsame Geschick, zu welchem er verurtheilt war, hatte ihm den Namen Anilios (Ἀνήλιοc), d.i.[30] der Sonnelose, eingebracht. Er durfte sich nämlich dem hellen Lichte des Tages nicht aussetzen, ohne dem Tode zu verfallen, und lebte demzufolge im Dunkel eines unterirdischen Palastes. Sobald aber die Nacht eingetreten war, begab er sich auf das andre Ufer des Flusses in das Schloss der Frau Rini:81 so nennt man die Ruinen der alten aetolischen Stadt Pleuron. Frau Rini, eine Zauberin von grossem Rufe, sah ihn mit Schmerz jeden Morgen lange vor Sonnenaufgang sich heim begeben. Um ihn zurückzuhalten, ersann sie eine eigenthümliche List, welche darin bestand, dass sie allen Hähnen in der Umgegend den Hals abschnitt. Dadurch liess Anilios sich täuschen und brach zu spät auf: kaum, dass er die Furt des Acheloos erreichte, da stieg zu seinem Verderben die Sonne bereits hinter den Gebirgen Aetoliens empor. – Heuzey irrt vielleicht nicht, wenn er in dieser Geschichte eine romantische Umdichtung der alten Landessage von Deïanira, der Tochter des Oineus, Königs von Pleuron, und den Werbungen des Stromgottes Acheloos um ihre Hand vermuthet.82

Auf dem ehemaligen diktynnaeischen Vorgebirge der Insel Kreta, dem heutigen Cap Spada, fand im vorigen Jahrhundert der Engländer Pococke eine Volkssage vor, welche, an die Ueberreste einer kleinen, von den Umwohnern ›Magnia‹ genannten Stadt sich anknüpfend, von einer Jungfrau gleiches Namens berichtet, die den ihr lästigen Bewerbungen eines vornehmen Mannes um ihre Hand durch eine listig ausgesonnene Flucht sich zu entziehen wusste, eine Sage, die ohne Zweifel aus dem alten, in der nämlichen Gegend heimischen Mythos von der Flucht der Göttin Diktynna vor König Minos‹ Nachstellungen entstanden ist.83

In Thessalien liegt zwischen Domokó und Phérsala eine[31] Ruine, welche den Namen Γυναικόκαcτρο, Frauenburg, führt, und in der Nähe des ersteren Dorfes sieht man einen aus dem natürlichen Felsen herausgearbeiteten Sarkophag, in dessen eine Seite von Schätze Suchenden ein Loch gehauen ist, da man den ungeheuren Deckel über dem Sarge nicht zu heben vermochte. Beides hat man durch folgende Sage mit einander in Verbindung gebracht. In der Burg, erzählt das Volk, habe einst eine reizende Prinzessin gewohnt; da sie ohne Wissen ihres Vaters ein Kind geboren, so habe sie, um es zu verbergen, jenes steinerne Haus aushauen und, damit es keine Noth leide, das erwähnte Loch darin anbringen lassen, durch welches sie jeden Morgen ihrem Kinde die Brust gereicht.84 – Aehnliches wird auf der Insel Samothrake erzählt. Hier knüpft das Volk an einen aus dem Mittelalter stammenden viereckigen Thurm die Sage, dass eine Königstochter mit ihren zwei Brüdern darin gewohnt habe. Zu derselben Zeit aber, heisst es weiter, lebte oben im Gebirge ein Riese, dessen Höhle noch jetzt τοῦ ἀνδρειωμένου τὸ cπίτι genannt wird. Derselbe kam einst herunter an den Strand und schwängerte die Königstochter; weswegen er von ihren Brüdern, denen sie endlich den Buhlen entdeckte, nachdem sie anfänglich vorgegeben, sie hätte Bohnen gegessen, mit Pfeil und Bogen – denn Schiessgewehre gab es damals noch nicht – angegriffen und getödtet ward.85

An die Ruinen der mittelalterlichen Feste von Aetós in Akarnanien knüpft sich die Sage, dass diese Burg zur Zeit des Einfalls der Türken von einer Zauberin Namens Koultchina86 bewohnt war, die, nachdem sie eine lange Belagerung ausgehalten, ihre Zuflucht zu den Geheimnissen ihrer Kunst nahm, um ihre Flucht zu sichern: sie stellte musikalische Instrumente auf, welche zwei Wochen lang spielten, ohne dass jemand sie berührte, und den Feind glauben machten, dass sie noch drinnen im Schlosse sich befände; sie traf sogar die Vorsicht, ihre Schuhe verkehrt anzulegen, um ihre Verfolgung zu verhindern.87

Zahlreiche Oertlichkeiten und Ruinen heissen ›das Schloss[32] der Schönen‹, τὸ κάcτρο τῆc ὡραίαc, τῆc ὡρῃᾶc τὸ κάcτρο, oder auch in einem Worte τὸ ὡρῃόκαcτρο. Das häufige Vorkommen dieser Namen in Griechenland beweist die grosse Verbreitung der damit zusammenhängenden Sagen. So z.B. gibt es ein Schloss der Schönen in der alten Thyreatis in der Landschaft Argolis, wo eine mittelalterliche, aber vielleicht auf hellenischen Fundamenten stehende Burg diesen Namen führt,88 ferner am Berge Lykaion,89 in der Mani südlich von Métsapo und auf der Insel Thermia (Kythnos).90 Eine dieser Sagen liegt in einem Volksliede bearbeitet vor und ist uns dadurch bekannter geworden. Dasselbe erzählt, wie das prächtige Schloss nach langjähriger erfolgloser Belagerung durch die Türken endlich durch eine auf das Mitleid des weiblichen Herzens berechnete List – einer der Feinde, als hungernden Mönch oder als arme hochschwangere Frau sich ausgebend, erbittet und erhält Einlass in die Festung – eingenommen wird, und nun die betrogene Schöne verzweifelnd sich selbst den Tod gibt oder von den Stürmenden getödtet wird.91

In denselben grossen Sagenkreis gehört endlich auch eine merkwürdige Erzählung, welche G. Perrot im Jahr[33] 1858 aus dem Munde attischer Bauern vernommen und jüngst veröffentlicht hat. Hiernach lebte vor Zeiten eine wunderbar schöne Königin, Namens Aphrodite, welche ein Schloss zu Daphni auf der Strasse von Athen nach Eleusis hatte und auch Akrokorinth besass. Um von dem einen Herrschersitz zum andren zu gelangen, hatte sie sich einen unterirdischen Gang graben lassen, der unter dem Meere hinlief. Zwei Könige, von ihrer Schönheit bezaubert, warben um ihre Hand. Der eine von ihnen sagte ihr zu, während sie den anderen verabscheute. Sie wollte indessen ihre Vorliebe für jenen nicht frei heraus erklären und nicht den Zorn des anderen herausfordern durch eine offene Ablehnung, und so zog sie sich auf folgende Weise aus der Verlegenheit. Da sie gerade damals einen Palast auf der Höhe von Korinth sich bauen liess, so gab sie dem einen ihrer Liebhaber auf, den Gipfel des Hügels mit Mauern zu umziehen, dem anderen aber, Wasser hinaufzuführen, und versprach demjenigen von beiden ihre Hand, der am frühesten seine Arbeit vollenden würde. Sie hatte aber dem von ihr begünstigten Bewerber die leichtere und schneller auszuführende der beiden Aufgaben, die Versorgung des Hügels mit Wasser, übertragen. Unglücklicher Weise jedoch trat das Gegentheil von dem ein, was die Königin erwartet hatte: unvorhergesehene Schwierigkeiten hielten gerade denjenigen auf, der Wasser auf den Gipfel des Berges führen sollte, während die Mauern von Stunde zu Stunde mit beängstigender Schnelligkeit in die Höhe wuchsen. Schon waren sie vollendet, und nichts blieb noch übrig, als den Schlussstein über die grosse Pforte zu legen. Aphrodite, die Gefahr bemerkend, wandte sich mit einschmeichelnder Stimme und holdem Lächeln an den, der zu siegen im Begriffe stand, hiess ihn die Kelle niederlegen, da er ja doch des Preises sicher sei, zog ihn auf eine Rasenbank und wusste ihn hier durch süsse Worte und Liebkosungen so lange aufzuhalten, bis der andere, der jetzt seine Anstrengungen verdoppelte, den Felsen endlich durchbohrt hatte, und eine starke Quelle hervorsprudelte.92 – Schon Perrot selbst hat hervorgehoben, dass ganz in der Nähe des[34] in dieser Sage genannten Klosters Daphni im Alterthum ein Tempel der Aphrodite stand;93 bekannt ist ferner, dass die höchste Spitze von Akrokorinthos ein Heiligthum der nämlichen Göttin krönte,94 und aus der besonderen Verehrung, welche dieselbe überhaupt in Korinth genoss, erklärt es sich, dass eine attische Sage gerade dort die schöne Königin sich ein Schloss erbauen lässt. In der mit einem Male aus dem Fels hervorsprudelnden Quelle mag man mit Perrot eine Erinnerung an die alte Peirene erkennen. Die treue Erhaltung des Namens der Göttin selbst in der modernen Sage könnte es allerdings zweifelhaft erscheinen lassen, ob wir hier wirklich eine echte Volksüberlieferung vor uns haben; wiewohl sich denken lässt, dass dieser Name, wenn er auch sonst dem Volke abhanden gekommen ist, doch in einer vereinzelten örtlichen Sage sich behauptet habe.

Es mögen hier noch einige Ortsbezeichnungen erwähnt werden, die ihrer Beschaffenheit nach deutlich auf Localsagen hinweisen. In Athen heisst, wie mir seiner Zeit von dem Wärter am Theseion mitgetheilt wurde, ein Felsen in der Nähe der so genannten Pnyx ἡ Κακὴ Πεθερά, d.i. ›die böse Schwiegermutter‹. Es ist dies ohne Zweifel jener losgerissene Fels, welchen schon Dodwell95 in der nämlichen Gegend unter dem Namen ›Kake Pethara‹96 erwähnt, und der nach seiner Angabe von der Ferne aus genau den Anblick einer sitzenden weiblichen Figur gewährt. Der britische Reisende dachte dabei an die in Stein verwandelte Aglauros, nach der von Ovid in den Metamorphosen mitgetheilten Sage.97 – Drei gesonderte felsige Spitzen der Olonos-Kette führen den Namen Τρεῖc Γυναῖκεc, ›die drei Frauen‹.98 – Eine Brücke über den Ladon heisst τὸ Γεφύρι τῆc Κυρᾶc, ›die Brücke der Herrin‹.99 – Auf der Insel Kalymnos, in der Nähe der Stadt, ist eine Höhle, welche Ἑφτὰ Παρθέναιc, d.i. ›die sieben[35] Jungfrauen‹, genannt wird;100 an die wohl eine christliche Legende sich anknüpft. – Auf Karpathos heissen zwei Felsgräber τοῦ Ὑγιανῆ ὁ τάφοc καὶ τῆc γυναίκαc του, ›das Grab des Hygianis und seiner Frau‹, und das Volk lässt hier einen tapfren Helden, einen ἀνδρειώμενοc, bestattet sein.101

Ich schliesse diese Uebersicht mit der Mittheilung einiger Heldensagen, die gegenüber den bisher betrachteten eigentlichen Ortssagen als landschaftliche bezeichnet werden können.

Eine dem alten Mythos von Admetos und Alkestis auffallend ähnliche Sage ist in einem trapezuntischen Volksliede bearbeitet, welches im Allgemeinen zu demjenigen Kreise von Liedern gehört, die ich im Volksleben der Neugriechen I, S. 230–232 besprochen habe. Iannis, so erzählt dieses Lied, seiner Eltern einziger Sohn, trifft eben Vorbereitungen zu seiner Hochzeit, als Charos mit drohender Geberde an der Thüre erscheint, um des Bräutigams Seele zu holen. Der junge Mann schlägt demselben vor, auf eherner Tenne einen Ringkampf mit ihm zu bestehen: siege Charos, so gebe er seine Seele preis, bleibe er selbst dagegen Sieger, so solle er frei sein, um seine Hochzeit auszurichten. Indessen Charos geht hierauf nicht ein: nicht um die Zeit mit Kämpfen und Spielereien zu vergeuden, sondern um Seelen zu holen, habe Gott ihn abgesandt. Da fleht Iannis den heiligen Georg an, bei Gott es zu vermitteln, dass sein Leben verlängert werde. Gott macht ihm denn auch das Zugeständniss, dass er am Leben bleiben und seine Heirath vollziehen dürfe, falls sein[36] Vater von den dreissig Jahren, die ihm noch zu leben bestimmt sei, die Hälfte seinem Sohne geben wolle. Allein der Vater mag nicht einmal einen Tag ihm schenken. Abermals legt der Heilige Fürbitte ein, und Gott gestattet, dass Iannis weiter lebe, falls seine Mutter ihm die Hälfte von den dreissig Jahren geben wolle, die sie noch zu leben habe. Aber auch die Mutter weigert sich, selbst nur um eines Haares Breite von ihrem Leben abzutreten. Endlich erlaubt Gott, dass Iannis dieselbe Gunst von seiner Verlobten fordere, und diese geht mit grösster Bereitwilligkeit auf ihres Bräutigams Bitte ein, indem sie sagt, dass die ihr vergönnten Jahre für sie beide hinreichend seien. Und so richtet Iannis seine Hochzeit aus.102

Eine merkwürdige, vielbesungene, besonders auf Kypros und in der Gegend von Trapezunt hochgefeierte Sagengestalt ist der kühne, durch riesenmässige Grösse und Stärke ausgezeichnete Held Digenis. Den Kypriern gilt er als das vollendete Ideal eines Helden, jede That, die menschliche Kraft zu übersteigen scheint, wird ihm zugeschrieben, er ist so zu sagen ihr Herakles, mit welchem man ihn denn auch hat identificiren wollen, indem man – freilich völlig verfehlt, wie wir unten sehen werden – seinen Namen Διγενήc als aus διογενήc entstanden erklärte. Eine auf der Stätte des alten Amathunt gefundene Kolossalstatue, welche auf Veranlassung der ottomanischen Regierung nach Konstantinopel geschafft worden ist, hielt das Volk für das Bild seines Lieblingshelden. Zwei in dem kyprischen Dorfe Audímou (Αὐδήμου) befindliche mächtige Säulen heissen die ›Stöcke‹ oder ›Keulen des Digenis‹, ῥάβδοι τοῦ Διγενοῦc.103 Eines der kyprischen Volkslieder besingt seinen Kampf mit Charos, den er nach dreitägigem furchtbaren Ringen überwältigt, und welchem er erst dann erliegt, nachdem der Todesgott sein Vermögen der Verwandlung zu Hülfe genommen. Der Sterbende erzählt darauf den ihn umringenden dreihundert Pallikaren auf deren Verlangen seine Heldenthaten, seine siegreichen[37] Kämpfe mit Drachen und Löwen und mit einem riesenhaften Sarazenen am Euphratflusse.104 Ein anderes, gleichfalls auf den Tod des Digenis bezügliches Volkslied gibt ihm eine Lebensdauer von dreihundert Jahren und bezeichnet seinen Tod als die Folge der Erlegung eines auf seiner Schulter mit dem Bilde der heiligen Jungfrau gezeichneten Hirsches;105 ein Gedanke, dem möglicher Weise eine Erinnerung an den alten Mythos von der Tödtung der heiligen Hirschkuh der Artemis durch Agamemnon zu Grunde liegt.106 Auch die Brautwerbung des Helden besingt ein kyprisches Lied.107 – Ueber diesen Digenis hatte schon Theodor Kind geäussert, dass derselbe eine geschichtliche Person gewesen sein möge, dessen Tapferkeit nachmals einen mythischen Charakter angenommen habe.108 Diese Vermuthung hat neuerdings eine wichtige Stütze erhalten, indem in Trapezunt, also gerade in einer derjenigen Gegenden, wo die lebhaftesten Erinnerungen an Digenis unter dem Volke sich erhalten haben, in einer jetzt der Bibliothek der griechischen Schule daselbst gehörigen, freilich lückenhaften Handschrift ein grosses byzantinisches, ursprünglich aus zehn Büchern bestehendes Epos aufgefunden worden ist, welches die Abenteuer eines Helden Namens Basileios Digenis Akritis zum Gegenstande hat und dessen Inhalt trotz der vielerlei sagenhaften Ausschmückungen deutlich auf eine historische Grundlage, auf Ereignisse des zehnten Jahrhunderts, hinweist. Dieses Gedicht ist, nachdem Sabbas Ioannidis, Professor an der griechischen Schule zu Trapezunt, zuerst Mittheilung von seinem Vorhandensein gemacht hatte,109 vor zwei Jahren von[38] Konstantinos Sathas und Émile Legrand gemeinsam, begleitet von einer französischen Uebersetzung, herausgegeben worden;110 eine zweite Ausgabe steht zu erwarten von dem Professor Giuseppe Müller in Turin, dem es gelungen ist, in einer der Bibliotheken Italiens eine ältere und vollständigere Handschrift des nämlichen Gesanges aufzufinden, durch welche die erheblichen Lücken des zur Zeit vorliegenden Textes bis auf eine einzige ausgefüllt werden.111 Dass der Digenis dieses Epos identisch ist mit dem in den Volksliedern gefeierten, kann nach dem, was hier wie dort von ihm gemeldet wird, keinem Zweifel unterliegen, wenn auch die Volkslieder nur einzelne Hauptbegebenheiten aus dem Leben des Helden hervorheben und diese, wie leicht begreiflich, noch mehr ins Mythische ausschmücken, als es in dem byzantinischen Gedicht geschieht. Aus diesem letzteren erhalten wir nun auch Aufschluss über den Namen Διγενήc, welcher ihm gegeben ward, weil er von Eltern verschiedener Nationalität abstammte,112 denn er war der Sohn eines syrischen Emir und einer Griechin, der Tochter des Andronikos Doukas; während Basileios sein Taufname und Akritis ein Zuname war, den er als Grenzwächter, als Vertheidiger der Reichsgrenze (Ἀκρίτηc ὠνομάcθη γάρ, ὡc τὰc ἄκραc φυλάccων) erhielt.113 Akritas wird der Held übrigens auch in einigen trapezuntischen Volksliedern genannt,114 und dieser sein Zuname lebt in den Küstenländern des schwarzen Meeres in gewissen Ortsund Geschlechterbezeichnungen fort, wie denn eine Ansiedlung in Chaldia noch heute Akritánte heisst und Akritidis und Akritopoulos häufige Familienzunamen in diesen Gegenden sind. Ausserdem gelten viele Festungen als von diesem[39] Helden angelegt, und bei Telikli-tasi in der Nähe von Trapezunt zeigt man das Grabmal des Akritas, wohin die Mütter ihre neugeborenen Kinder zu bringen pflegen, um sie vor Behexung sicherzustellen.115 Unter dem Namen Ἀκρίτηc wird endlich unser Held auch von einem bekannten Dichter des zwölften Jahrhunderts, von Theodoros Prodromos, zweimal kurz erwähnt, welcher an der einen Stelle den Kaiser Manuel Komnenos preisend ›den neuen Akritis‹ (τὸν νέον τὸν Ἀκρίτην) nennt und an der anderen einen zweiten Akritis zur Züchtigung der schwelgerischen und hartherzigen Aebte seines Klosters herbeiwünscht.116 Aber dies ist auch die einzige sichere Erwähnung des Helden bei den Schriftstellern der byzantinischen Periode, und die Annahme von Sathas, welcher denselben mit einem von Michael Psellos erwähnten Pantherios identificirt,117 ebenso unbewiesen, wie die Ansicht, welche das ihn feiernde Epos in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts, kurze Zeit nach dem Tode des Digenis selber, entstanden sein lässt.118

Was endlich die hier veröffentlichten Volkslieder betrifft, so habe ich dieselben auf den Inseln Zakynthos, Kephalonia und Ithaka grösstentheils unmittelbar aus dem Munde des Volkes niedergeschrieben: nur einen kleinen Theil erhielt ich durch schriftliche Mittheilung. Auch beim Sammeln von Liedern ging ich von einem ganz bestimmten Gesichtspunkte aus und richtete mein Hauptaugenmerk auf solche, in denen das häusliche Leben des griechischen Volks sich wiederspiegelt, weil diese für die Sittenkunde mir am ergiebigsten schienen und am ehesten Reste antiker Anschauungen erwarten liessen. Und hier waren wiederum zwei Gattungen von besonderer Wichtigkeit für mich, nämlich die Hochzeitgesänge und noch mehr die sogenannten μυρολόγια, unter welchen man zunächst und eigentlich die von Frauen an der Leiche eines Verstorbenen mit specieller Beziehung auf diesen vorgetragenen, im weitern Sinne überhaupt alle von Tod und[40] Unterwelt handelnden Lieder versteht. Von beiden Gattungen waren damals, als ich zu sammeln begann, im Verhältniss zu der grossen Zahl von Klephten- und anderen Liedern im Ganzen nur wenige Stücke bekannt, und namentlich an Myrologien im en gern Sinne mangelte es sehr. Es ist in der That auch viel schwieriger, zumal für einen Ausländer, Klagelieder zu erlangen, als andre Lieder. Denn dieser Zweig der Volkspoesie ist im ausschliesslichen Besitz des weiblichen Geschlechtes: nur Frauen dichten und kennen Myrologia. Das Misstrauen derselben dem Fremden gegenüber ist aber schwer zu überwinden. Da sie das Interesse, welches man an ihren poetischen Erzeugnissen nimmt, meistentheils sich nicht zu erklären vermögen, so kommen sie leicht auf den Gedanken, dass man sie nur ausforschen wolle, um hinterher sich über sie lustig zu machen; auch haben sie überhaupt eine sehr begreifliche Scheu, die Lieder, in denen sie ihre innersten und tiefsten Empfindungen niederlegen, einem fremden Ohre anzuvertrauen. In dem zakynthischen Dorfe Koilioméno bat ich den Priester, bei welchem ich eingekehrt war, irgend eine Frau, die das Amt eines Klageweibs ausübe, kommen zu lassen. Das geschah. Allein die Frau gerieth, als sie mir nun einige Klagelieder mittheilen sollte, in sichtliche Verlegenheit und gab vor, dergleichen Gesänge nicht zu kennen: es war trotz vielen Zuredens nichts aus ihr herauszubringen. Endlich nahm der Priester Feder und Papier, führte die Frau hinaus in die Küche und kam nach kurzer Zeit mit einigen Myrologien, die jene ihm allein nun ohne Sträuben mitgetheilt hatte, in das Zimmer zurück. In Kerí, einem andren Dorfe auf derselben Insel, brachte mich das unvorsichtige Benehmen meines Agogiaten, der mir in der Erreichung meiner Zwecke, die er kannte, behülflich sein wollte, aber so zu sagen mit der Thür ins Haus fiel, sogar in eine ziemlich ernstliche Gefahr, indem ein Bauer über dieses, wie er sagte, neugierige Aushorchen ihrer Weiber in heftigen Zorn gerieth und die ganze Bevölkerung des Dorfes gegen uns aufzuregen drohte. Ist man aber auch hie und da so glücklich eine Frau anzutreffen, die zu dergleichen Mittheilungen ohne Umstände sich bereit finden lässt, so entstehen neue Schwierigkeiten. Nicht selten stocken die Klagefrauen beim Vortrag ihrer Lieder, verwirren sich und[41] vermengen das eine mit dem anderen. Auf Kephalonia und Ithaka versicherten mir einige wiederholt, so oft das Gedächtniss sie im Stiche liess, dass es ihnen schwer falle, so ohne eigentliche Veranlassung ihre Lieder herzusagen, während, wenn sie vor der Leiche sässen und ihr Amt wirklich ausübten, ihnen die Texte ohne Mühe wie von selbst zuströmten, eine Versicherung, der man vollen Glauben schenken darf, da es in der Natur der Sache liegt, dass dem Vortrag solcher Lieder die Ekstase der Stimmung wesentlich zu Hülfe kommt. Endlich begegnet es auch, dass die Klagefrauen beim Vortragen ihrer Lieder von der Empfindung überwältigt werden.119 In Samos auf Kephalonia vermochten einige alte Frauen mir ihre Lieder nur mit von Thränen halb erstickter Stimme mitzutheilen, einige Knaben und Mädchen, die umher sassen und zuhörten, brachen dabei in lautes Schluchzen aus, und ich hatte den Eindruck, als ob die Leute im Stillen meine Hartherzigkeit verurtheilten, dass ich gerade an solchen Gesängen so besonderes Gefallen fände. Trotz solcher Schwierigkeiten ist die Ausbeute an Liedern dieser Art keine ganz geringe gewesen – während von Hochzeitgesängen nicht mehr denn vier Nummern mir zu Theil geworden, was blossem Zufall zuzuschreiben ist –, und ich hoffe, dass man den hier veröffentlichten Myrologien auch jetzt noch Interesse schenken wird. Denn obwohl neuerdings auch von dieser Art der griechischen Volkspoesie Mehreres ans Licht getreten, so ist doch die Zahl der gedruckt vorliegenden Klagelieder noch immer keine grosse, und überdies sind die jüngst hinzugekommenen fast sämmtlich in griechischen, bei uns in Deutschland wenig bekannten Schriften enthalten.120[42] Ich habe in meiner Sammlung die Myrologia im engeren Sinne, welche auf Geschlecht, Stand, Alter und Eigenschaften des Verstorbenen in bestimmter Weise Bezug nehmen oder doch nach ihrem sonstigen Inhalte als ganz speciell für die eigentliche Todtenklage gedichtet sich erweisen, von den allgemeineren charonischen Liedern sondern zu müssen geglaubt, wiewohl auch die letzteren öfters an der Leiche selbst vorgetragen werden,121 wo sie also keinen andren Zweck haben als zur Begleitung jener ersteren zu dienen und durch ihre schwermüthigen Gedanken und Bilder der Klage und Trauer gleichsam neue Nahrung zu geben.

Wenngleich ich nun aber auf die beiden bezeichneten Gattungen des Volksgesanges es vorzugsweise abgesehen hatte, so habe ich doch auch andre Lieder, die sich mir darboten, nicht verschmäht, und ich hoffe, dass auch diese willkommen sein werden. Nach dem Abschluss meiner Sammlung habe ich dieselbe übrigens gesichtet und alles, was ich in den grösseren Sammlungen von Passow und Chasiotis schon vorfand, ausgeschieden, da ich nicht bereits dort gedruckte Sachen wiederholen, sondern den uns vorliegenden Liederschatz des griechischen Volkes wirklich bereichern wollte. Nur in einigen Fällen habe ich hiervon eine Ausnahme gemacht, nämlich wo mir besonders ausführliche oder aus einem andren Grunde wichtige Versionen von Liedern zu[43] Gebote standen, welche in jenen Sammlungen in unvollkommenerer Gestalt vorhanden sind. Damit glaube ich dem künftigen Herausgeber eines möglichst vollständigen Corpus der neugriechischen Volkslieder einen Dienst erwiesen zu haben. Dass ein solcher in nicht zu ferner Zeit sich finden möge, ist dringend zu wünschen. Denn abgesehen davon, dass die in den beiden letzten Jahrzehnten veröffentlichten Lieder, unter denen manche einen hervorragenden Werth haben, allenthalben und zum grossen Theil in schwer zugänglichen neugriechischen Werken und Zeitschriften zerstreut sind, so ist die bekannteste und umfangreichste Sammlung, die von Arnold Passow, mit viel zu unvollständiger Sprachkenntniss unternommen worden, als dass sie noch lange vorhalten könnte.

In kurzen Anmerkungen unter dem Texte der Lieder habe ich theils Varianten angeführt, theils von meinem kritischen Verfahren Rechenschaft gegeben, jedoch mit Beschränkung auf das Wesentlichste: ganz selbstverständliche Berichtigungen durchweg anzumerken habe ich unterlassen, denn es lag mir fern mit Emendationen zu prunken, die auf diesem Gebiete im Allgemeinen ziemlich wohlfeil sind. In den Texten selbst habe ich mich bestrebt die wirkliche volksthümliche Aussprache so genau wiederzugeben, als dies mittelst des gewöhnlichen griechischen Alphabetes möglich ist: gewisse Zeichen zur Verdeutlichung derselben anzuwenden oder gar eines besonderen phonetischen Alphabets mich zu bedienen, wie neuerdings von einigen geschehen und vom rein grammatischen Standpunkte aus ja auch ganz gerechtfertigt ist, war hier weder geboten noch rathsam, da das Sprachliche nicht der erste Zweck meiner Sammlung ist, wennschon diese Lieder auch als ein Beitrag zur näheren Kenntniss des heptanesischen Dialektes gelten können. So habe ich denn auch nach längerer Ueberlegung besonders aus ästhetischen Gründen darauf verzichtet, die in der Sprache und demgemäss auch in der Dichtung des Volkes so häufige Synizese durch ein äusseres Zeichen anzudeuten, will aber hier doch nicht unterlassen zu bemerken, dass gar mancher auf den ersten Blick sehr holperige Vers durch richtige Anwendung derselben glatt und gefällig wird. So, um nur einige wenige Beispiele anzuführen, ist 2, 2 zu lesen: Κῂ ὅγιοc δὲν ἔχει cκοτωμό, δὲν[44] κλαίει τcοὺ cκοτωμένουc; 5, 1: Κρίμα εἶν᾽ νὰ χάνουνται οἱ καλοί; 8, 2: Κῂ ἂ δὲ φωνάcῃ ὅποιοc πονεῖ, u.s.w. Einmal darauf aufmerksam gemacht wird man leicht in jedem einzelnen Falle erkennen können, welche Silben mit einander zu verschleifen sind. Einige Neuerungen, die ich in der Orthographie getroffen und der Gleichmässigkeit halber auch auf die Citate aus anderen Sammlungen ausgedehnt habe, beruhen auf sorgfältiger Erwägung, aber es würde zu weit führen, wenn ich hier darauf eingehen wollte, und ich darf dies um so eher unterlassen, als ich gelegentlich an einem andren Orte über diesen Punkt mich zu äussern gedenke. Den griechischen Texten habe ich eine deutsche Uebersetzung auf Wunsch der Verlagsbuchhandlung beigefügt. Zu einer Wiedergabe in Prosa konnte ich mich nicht entschliessen, ich habe die Versmasse der Originale beibehalten, wiewohl dies in manchen Fällen etwas misslich war. In den wenigen Liedern, die den Reim darbieten, habe ich denselben auch im Deutschen festzuhalten mich bestrebt; überall aber konnte dies nicht geschehen, sollte nicht die Treue der Uebersetzung dadurch Schaden leiden. In Nr. 54 ist freilich durch Aufgeben des Reims in der deutschen Uebersetzung ein nicht geringer Reiz dieses Tanzliedes verloren gegangen. Für das genauere Verständniss des Einzelnen ist ausserdem durch Anmerkungen am Ende der Sammlung Sorge getragen worden, und dort findet man auch die wichtigeren sprachlichen Eigenthümlichkeiten kurz erläutert.


Damit könnte ich diese Vorrede, welche ohnehin schon das gewöhnliche Mass einer solchen weit überschritten hat, beschliessen, sähe ich mich nicht veranlasst, über meine dem heutigen griechischen Volksthum mit nicht geringem Aufwand von Zeit und Mühe gewidmeten Studien hier ein allgemeines Wort zu sagen. Welcher Zweck mich dabei geleitet hat, ist in dem Vorwort und der Einleitung meines Buches ›Das Volksleben der Neugriechen und das hellenische Alterthum‹ deutlich ausgesprochen, und schon dieser Titel lehrt es hinlänglich. Ich war und bin der Ueberzeugung, dass sorgfältige Forschungen auf diesem Felde, abgesehen von ihrem allgemeinen kulturgeschichtlichen Werthe, auch speciell der klassischen Philologie zu Gute kommen müssen. Ich wies[45] auf das von Jacob Grimm und seinen Nachfolgern aus dem Schatze lebendiger Ueberlieferung für die deutsche Mythologie und Sittenkunde Gewonnene hin, unterliess aber dabei nicht hinzuzufügen, dass in Folge des verhältnissmässig sehr bedeutenden Reichthums an schriftlichen und monumentalen Quellen, welche uns für die Erkenntniss des hellenischen Alterthums zu Gebote stehen, die vom antiquarischen Gesichtspunkte aus unternommene Forschung auf dem Gebiete des neugriechischen Volkslebens desto grössere Sicherheit gewinne und also schon darum vor der analogen Forschung auf germanischem Gebiete entschieden etwas voraus habe. Ich hätte noch ein zweites für meine Behauptung kaum minder wichtiges Moment hinzufügen können, dass nämlich Griechenland seit den Zeiten des Alterthums bis auf den heutigen Tag keine neue und eigenthümliche Cultur gehabt hat und aus diesem Grunde von vorn herein eine treuere Erhaltung antiker Sitten und Anschauungen erwarten lässt als diejenigen Länder, die, wie Deutschland und Italien, eine mittelalterliche Kunst und Bildung entwickelt haben. Sodann setzte ich des Ausführlicheren auseinander, dass und warum die bekannte Fallmerayer'sche Slaventheorie nicht im Stande sei, irgend welche Bedenken gegen den Erfolg der bezeichneten Aufgabe zu erwecken. Die Anerkennung, welche der bis jetzt allein erschienene erste Theil meines Buches so wohl in Deutschland, als auch in England und Frankreich, um von Griechenland zu schweigen, bei vorurtheilsfreien Fachgenossen gefunden hat, zeigte mir denn auch, dass man den Nutzen, den die Erforschung des neugriechischen Volkslebens der Alterthumswissenschaft zu bringen vermag, vollkommen zu würdigen weiss. Nur zwei Recensenten meiner Arbeit haben sich in ziemlich entgegengesetztem Sinne geäussert, nämlich Curt Wachsmuth in den Göttingischen gelehrten Anzeigen v.J. 1872, S. 241–264, und A. Döring in Leutschens Philologischem Anzeiger B. VI, 1874, S. 510–514. Die Gründe derselben sind zu bezeichnend, als dass ich der Versuchung widerstehen könnte, sie etwas näher zu beleuchten, und ich hoffe bei meinen Lesern Entschuldigung dafür zu finden, weil ich es in der Vorrede zu einem Büchlein thue, das ich als einen blossen Anhang zu jenem grösseren Werke betrachtet zu sehen wünsche. Nach Wachsmuth's eigenem[46] Bekenntniss (S. 247) ›kann eine unbefangene Forschung nicht umhin anzuerkennen, dass der Grundstock der neugriechischen Sitten und Anschauungen an das hellenische Alterthum anknüpft.‹ Allein er vermöge sich, heisst es dann S. 257 ff. weiter, nicht zu überzeugen, dass der Alterthumswissenschaft aus der genauen Kunde von Glaube und Brauch der Neugriechen ein so reicher Gewinn erwachsen werde, als ich in Aussicht stelle. Gewiss könne hie und da eine vereinzelte unklare Notiz aus althellenischen Quellen durch Neugriechisches eine hellere Beleuchtung, eine erwünschte Verlebendigung erhalten. Allein es werde doch nothwendig sein, hier namentlich bei Rückschlüssen auf Glauben und Aberglauben der Alten mit der äussersten Behutsamkeit zu verfahren. Denn wie sich für das Alterthum eine Fortentwickelung dieser Vorstellungen nachweisen lasse, so habe eine weitere Ausbildung und Gestaltung auf dem Gebiete der niederen Mythologie und des Aberglaubens ohne Zweifel auch in den langen Jahrhunderten der Zwischenzeit stattgefunden. Wenn für die deutsche Mythologie aus dem Schatz der lebendigen Ueberlieferung viel gewonnen sei, so erkläre das die traurige Aermlichkeit der directen Tradition hinlänglich. ›Für das klassische Alterthum sind wir ja aber glücklicher Weise ganz anders gestellt: viele und reiche Quellen fliessen da für die Erkenntniss des durch Kunst und Litteratur wie im öffentlichen Cultus ausgebildeten Glaubens, und auch über die roheren Vorstellungen der niederen Volksschichten, um die es sich hier ja im Wesentlichen handelt, besitzen wir manche monumentale, und wenn auch meist mehr gelegentliche litterarische Auskunft. Es scheint mir also kein genügender Grund vorzuliegen, den Zustand, der für die deutsche Mythologie durch eine Nothlage erzwungen ist, auf das klassische Gebiet zu übertra gen.‹ Das heisst also, um den Wachsmuth'schen Gedankengang kurz zusammenzufassen: das neugriechische Volksleben, das im Wesentlichen eine Fortsetzung des altgriechischen ist, kann allerdings zum besseren Verständniss des hellenischen Alterthums einiges beitragen. Allein die grosse Zahl und Reichhaltigkeit der für das letztere uns zu Gebote stehenden unmittelbaren Quellen lässt es überflüssig erscheinen, von jener abgeleiteten Quelle Gebrauch zu machen. – Ich überlasse es dem Leser zu beurtheilen, wie es sich mit der[47] Logik einer derartigen Argumentation verhält, und möchte für meinen Theil nur fragen, ob das die Sprache eines Forschers ist, und ob, wer so spricht, sich jemals ein mythologisches Problem kann vorgelegt haben. Wenn wir für das hellenische Alterthum an directen Quellen so arm wären, wie für das deutsche, so würde Wachsmuth gegen ein Herbeiziehen des neugriechischen Glaubens und Brauches zu Gunsten des ersteren nichts einzuwenden haben, denn für die deutsche Mythologie ist ja aus der Volkstradition nach seinem eigenen Zugeständniss ›viel gewonnen‹ worden. Aber da wir in Betreff des klassischen Alterthums in einer glücklicheren Lage sind, so wird jenes Hülfsmittel vornehm bei Seite geschoben, trotzdem dass seine Anwendung hier bei weitem gefahrloser ist, weil dieselbe in so vielen Fällen durch die unmittelbaren Quellen controlirt werden kann. Man darf sich billig wundern, dass gerade Wachsmuth jetzt eine solche Sprache führt, der im Jahre 1864 in seiner Schrift ›Das alte Griechenland im neuen‹ sagte, dass es für alle, denen daran liege eine lebendige Anschauung vom klassischen Alterthum zu erlangen, ›eine der anziehendsten und fruchtbringendsten Aufgaben‹ sei, ›im heutigen Griechenland das alte zu suchen und zu finden‹ (S. 1), der die von fast jedem schärfer beobachtenden Reisenden in Griechenland gemachte Bemerkung wiederholte, dass häufig ein einfacher Blick auf klassischen Boden ›überzeugende Aufklärung‹ über Dinge gewähre, ›die uns auf der Studirstube ewig im Halbdunkel bleiben würden‹ (S. 4), der behauptete, dass auf diesem Boden nicht blos die Natur Gegenstand ›lehrreichen‹ Studiums werde, sondern ›nicht minder das jetzige Griechenvolk selbst mit der ihm vom Alterthum in ununterbrochener Kette überkommenen und in ihm fortlebenden Ueberlieferung‹ (S. 8), der es für eine ebenso anziehende wie ergiebige Arbeit erklärte, aus Schriftstellern und Kunstwerken zusammenzustellen, was wir bei den Alten von Gesten und Pantomimen kennen, und ›zur aufklärenden Vergleichung‹ der heutigen Griechen und Neapolitaner Gebrauch heranzuziehen, und an Jorio's Schrift La mimica degli antichi unter anderem eben auch das auszusetzen fand, dass sie den neugriechischen Usus gänzlich ausser Acht gelassen (S. 63); dem bei seinem Aufenthalte in[48] Griechenland selber der ernstliche Gedanke eines ausführlichen Werkes über Aberglauben, Sitten und Gebräuche der heutigen Griechen entstanden war (S. 69) und der eine solche Arbeit für eine sehr dankbare hielt (S. 43); der es sehr bedauernswerth fand, dass ›die Nachrichten über die Hochzeitsgebräuche der alten Griechen so gar spärlich auf uns gekommen sind‹ (S. 82). Mit diesen damals gethanen Aeusserungen steht sein jetziges Bestreben, den Nutzen von Forschungen auf dem Gebiete des neugriechischen Volksthums für die klassische Philologie auf ein Minimum herabzudrücken, seine jetzige Genügsamkeit mit den aus dem Alterthum uns überlieferten Quellen in seltsamem Widerspruch. Was mich betrifft, so wird, gerade je länger ich mich mit dem klassischen Alterthum beschäftige, um so stärker die Ueberzeugung in mir, dass unser Wissen überall eben nur Stückwerk ist. Wer diese Ueberzeugung mit mir theilt – und deren dürften doch wohl nicht wenige sein –, dem wird es nicht beikommen, sich ablehnend gegen weitere Hülfsmittel zu verhalten, welche für die fortschreitende Erkenntniss desselben mehr oder minder Nutzen versprechen. Der volksthümliche Glaube und Brauch der Neugriechen, welcher nur für die Mythologie (im weitesten Sinne), sowie für die sogenannten Religions- und Privatalterthümer in Betracht kommen kann, ist nicht das Einzige, was das heutige Griechenland ausser seinem Boden und den auf ihm erhaltenen monumentalen Resten des Alterthums für die Erforschung seiner Vorzeit an die Hand gibt. Um von der Menge belehrender und veranschaulichender Einzelheiten hier abzusehen, welche sonst in Erscheinung, Tracht, Charakter, Geräthschaften, Schmucksachen und überhaupt in dem ganzen Leben und Treiben der jetzigen Bewohner, zumal in den abgelegeneren Gegenden, dem aufmerksamen Beobachter entgegentreten,122 so ist die lebende Volkssprache mit ihren zahlreichen örtlichen Mundarten, sowohl in Hinsicht des Sprachschatzes, als auch der Formen und der Aussprache,123 ein unverächtliches Unterstützungsmittel für ein vertieftes Studium des Altgriechischen. Auf germanischem Gebiete hat[49] man längst die Bedeutung der lebendigen Volksdialekte für das Studium des älteren Sprachzustandes anerkannt, und es ist erfreulich zu sehen, dass jetzt endlich auch unter den Vertretern der klassischen Philologie mehr und mehr diese Ueberzeugung sich Bahn bricht, nachdem lange Zeit eine entschiedene Abneigung der meisten Philologen gegen eine Berücksichtigung des Neugriechischen zu bemerken gewesen war.124 Hat doch neuerdings auch die königl. preussische Akademie der Wissenschaften dieser Ueberzeugung Ausdruck verliehen, indem sie Michael Deffner in Athen ›zur Unterstützung seiner Forschungen über neugriechische Volkssprache‹ eine Geldsumme bewilligte, und die Zeit dürfte nicht mehr fern sein, wo man die umfassende, wahrhaft wissenschaftliche Erforschung dieses Idioms allgemein als eine der klassischen Philologie sehr förderliche Aufgabe anerkennt. Sodann können die klimatischen Verhältnisse, die Pflanzenwelt, das Thierreich, kurz die gesammte Natur des Landes bei sorgfältiger Beobachtung der antiquarischen Forschung trefflich zu Statten kommen. Wie fruchtbare Gesichtspunkte insbesondere aus der genaueren Kenntniss der griechischen Jahreszeiten für Religion, Cultusgebräuche und Zeitrechnung der Hellenen sich ergeben, hat neuerdings August Mommsen dargethan,125 und es ist im Interesse der Alterthumswissenschaft sehr zu wünschen, dass die einschlägigen Publicationen dieses Gelehrten nicht durch Mangel an Theilnahme ins Stocken gerathen möchten. Es wird niemandem einfallen, diese verschiedenen indirecten Quellen den directen an Bedeutung gleichzustellen. Aber sie principiell abzuweisen wäre einseitig und pedantisch. Dass Mangel an Vorsicht und Kritik bei[50] Benutzung derselben auf Abwege führen kann, ist doch wahrlich kein Grund, um sie überhaupt zu verschmähen; als ob nicht der gleiche Mangel bei Anwendung unserer schriftlichen, inschriftlichen und monumentalen Quellen die gleichen Folgen nach sich zöge. Und hat nicht Wachsmuth selbst in demjenigen Abschnitte seines Werkes über die Stadt Athen im Alterthum, welcher ›die attische Ebene nach Bodenbeschaffenheit, Klima und Atmosphäre‹ bespricht, von den jüngsten sorgfältigen Beobachtungen über die heutigen klimatischen Verhältnisse und den Vegetationswechsel in Attika zur Vervollständigung und lebendigen Erläuterung der spärlichen Nachrichten und Andeutungen der Alten über diese Punkte einen sehr ausgiebigen Gebrauch gemacht?126 Er schickt zwar voraus, dass der Rückschluss aus der Gegenwart auf das Alterthum in diesen Dingen an sich nicht zwingend sei, findet aber doch, dass die Angaben der Alten soweit sie reichen und gerade an entscheidenden Punkten so gut zu den gegenwärtigen Verhältnissen stimmen, dass man hoffen dürfe, im Wesentlichen mit der Schilderung der jetzigen Zustände auch die antiken richtig zu zeichnen. Ich kann hiernach nicht annehmen, dass Wachsmuth mit seinen ehedem ausgesprochenen, oben angeführten Ansichten vollständig gebrochen hat, muss mich aber nun allerdings um so mehr verwundern, dass er für meine auf ein ganz ähnliches Ziel gerichteten Bestrebungen ein so geringes Verständniss zeigt. Ueber Glaube und Sitte der Hellenen ist uns aus dem Alterthum selbst im Ganzen doch nur wenig Zusammenhängendes überliefert, und das Gebäude der Mythologie und noch mehr dasjenige der gottesdienstlichen und der sogenannten Privat-Alterthümer beruht zu einem grossen Theile auf Verknüpfung einer Menge nicht selten sehr knapper, ungenauer oder auch unklarer Einzelbemerkungen. Wo nun nachweislich althellenische Vorstellungen oder Sitten im heutigen Griechenland unter dem Volke sich wiederfinden, da kann und soll diese lebendige Volkstradition, vorausgesetzt, dass sie sorgfältig erforscht und in ausführlicher Darstellung vorgelegt wird, fördernd und aufklärend wirken. Darin sehe ich den Hauptwerth der Forschungen auf dem Gebiete des neugriechischen Volksthums,[51] und diesen Nutzen nehme ich z.B. für meine Mittheilungen über Opfergebräuche, über den Glauben an Hausgeister, Neraïden, Moeren u.a. allerdings in Anspruch;127 auch sei hier noch darauf hingewiesen, eine wie gewichtige Unterstützung durch den Volksglauben der Neugriechen die von mehreren Gelehrten aufgestellte, auf deutliche Spuren aus dem hellenischen Alterthum selbst gestützte und nach meiner Ueberzeugung vollkommen richtige Ansicht erhält, dass die etruskische Bedeutung des Charon als Todes- und Unterweltsgottes auch die ursprünglich griechische, dass also Charon mit Pluton eigentlich identisch sei.128

Es handelt sich also zunächst und hauptsächlich gar nicht darum, eine durch alte Zeugnisse nicht belegte Vorstellung oder Sitte der heutigen Griechen dem Alterthum zuzuweisen, sondern darum, altgriechische Nachrichten durch die lebendige Ueberlieferung der Neugriechen zu ergänzen oder schärfer zu beleuchten. Wie man das eine Uebertragung des für die deutsche Mythologie durch eine Nothlage erzwungenen Zustandes auf das klassische Gebiet nennen kann, ist mir unerfindlich. Wenn Wachsmuth geltend macht, dass auf dem Gebiete der niederen Mythologie und des Aberglaubens doch ohne Zweifel auch in den langen Jahrhunderten vom Ausgang des Alterthums bis auf die Gegenwart ›eine weitere Ausbildung und Gestaltung‹ stattgefunden habe, so liesse sich dagegen bemerken, dass, gleichwie es für den Sprachforscher nicht unwichtig ist, eine Sprache oder einzelne Sprachformen durch alle Stadien ihrer Entwickelung hindurch bis zu ihrem Verfalle zu verfolgen, ebenso auch für den Mythologen der successive Wandel mythischer Vorstellungsweise belehrend[52] sein müsse, er übrigens das Spätere unschwer zu erkennen und vom Früheren zu unterscheiden wissen werde. Allein dies ist, von der Verfinsterung mancher heidnischer Anschauungen unter dem Einflusse des Christenthums abgesehen, in Griechenland sicher nicht in grossem Umfang der Fall gewesen, wie eben mein Buch deutlich zeigt, und es hängt das mit der schon oben berührten Thatsache zusammen, dass keine neue Cultur über Griechenland gekommen ist, daher denn auch die neugriechische Sprache der altgriechischen noch viel näher steht, als irgend eine lebende europäische Sprache ihrer Wurzel. Setzen wir einmal den Fall, wir hätten über den Glauben der Hellenen an die Nymphen oder an die Moeren oder an schlangengestaltete Hausgeister aus dem Alterthum selbst keine Kunde und wären nur auf Rückschlüsse aus den entsprechenden Vorstellungen der Neugriechen angewiesen: würde denn das Bild der antiken Zustände, das diese wiederspiegeln, ein so gar ungetreues und verschwommenes sein?

Uebrigens habe ich nirgends, wie Wachsmuth mir unterlegt, unserer Wissenschaft einen sehr reichen Gewinn aus der genauen Kunde von Glaube und Brauch der Neugriechen ausdrücklich verheissen: ich zog es vor mein Buch für sich allein sprechen zu lassen, und selbst ein geringer Gewinn in dieser Beziehung würde immerhin anzuerkennen sein, da genug Bücher über das Alterthum geschrieben werden, durch welche dessen Erkenntniss nicht um einen Schritt weiter gefördert wird. Um aber hierüber ein allgemeines Urtheil fällen zu können, müsste man doch erst die Vollendung des Werkes abwarten.

Ueberhaupt ist die ganze Wachsmuth'sche Recension meines Buches ein wahres Muster nörgelnder Polemik, und wenn ich einem jungen Manne an einem Beispiele klar machen wollte, wie man nicht recensiren soll, so könnte ich kaum ein geeigneteres finden als diese Anzeige. Hierfür möge mir der Leser gestatten noch einige Belege beizubringen. Bei Zusammenstellung der äusserst geringen directen Spuren, welche der Zeuscultus in Griechenland zurückgelassen, hatte ich S. 27 auch den von Soutsos bezeugten kretischen Ausruf ἠκοῦτέ μου Ζῶνε θεέ angeführt. Ich sagte, man nehme an, dass in dem Wort Ζῶνε der Name des Zeus erhalten sei,[53] und in der That könne dasselbe kaum auf andere Weise gedeutet werden. Die Art meines Ausdrucks zeigt zur Genüge, dass es mir fern lag, die Sache als eine ganz sichere hinstellen zu wollen. Wachsmuth selbst hatte ehedem (S. 19), mit Beziehung auf dieselbe Nachricht, geäussert, dass sich der Name des Zeus ›vielleicht‹ in einen kretischen Schwur geflüchtet habe, dann aber in einer Anmerkung (S. 50) hinzugefügt, dass ihm die Sache sehr bedenklich sei wegen des in Nordalbanien üblichen Schwurs περ τένε ζόνε, d.i. ›bei dem Herrn.‹ Dazu bemerkte ich, dass, da albanesische Einwanderungen in Kreta meines Wissens nicht stattgefunden, dieses Bedenken mir nicht erheblich zu sein scheine. Hiergegen bietet nun Wachsmuth, obwohl er zugesteht, dass auch ihm von einer solchen Einwanderung nichts bekannt sei, nicht weniger als drei Druckseiten auf und sucht mir zu beweisen, dass auch sonst albanesische Wörter in das kretische Idiom eingedrungen seien. Selbst wenn dieser Versuch gelungen wäre, würde damit noch immer nicht viel bewiesen sein, denn es ist doch etwas ganz anderes, ob irgend ein Fremdwort in die tägliche Rede sich Eingang verschafft hat oder ob es in einer volksthümlichen feierlichen Schwurformel erscheint, welcher letztere Fall eine viel stärkere Berührung mit dem fremden Volke voraussetzen würde. Von den Türken z.B. haben die Griechen bekanntlich ziemlich viele Wörter in ihre Volkssprache aufgenommen, allein eine türkische Schwurformel hat wohl noch niemand in derselben nachgewiesen. Indessen diese ganze linguistische Abschweifung hätte Wachsmuth in seinem eigenen Interesse besser unterlassen. Denn dass er in der griechischen Vulgarsprache nicht hinreichend bewandert ist, woraus ich ihm übrigens an sich keinen sonderlichen Vorwurf machen will, habe ich schon früher an einigen Beispielen zu zeigen Gelegenheit gehabt,129 und was nun gar das Albanesische betrifft, so dürfte seine Kenntniss darin schwerlich weiter reichen, als das Hahn'sche Wörterverzeichniss. Da wird denn u.a. die Behauptung gewagt, dass das kretische βουτcέ, welches ›Mist‹ bedeute, und das nach den ihm gewordenen Informationen weder slavisch noch türkisch sei, vielmehr albanesisch scheine. Freilich ist[54] es weder slavisch noch türkisch, aber ebenso wenig albanesisch, aus dem ein fachen Grunde, weil es – gut griechisch ist. Hätte er sich nur weiter informirt bei einem Kenner des Vulgargriechischen oder auch nur bei einem griechischen Studenten, deren ja in Göttingen sicherlich zu finden waren, so würde ihm die Belehrung geworden sein, dass βουτcέ (ἡ) mit βοῦc zusammenhängt und speciell den Ochsenmist bedeutet. Das Wort kommt in verschiedenen Formen vor, am nächsten der kretischen steht die auf Kalymnos, Patmos, Leros und einigen anderen Inseln gebräuchliche Form βουτcιά oder βουζιά; auf Rhodos sagt man βωδία, eine Form, die, beiläufig bemerkt, zu den Resten des Dorismus auf diesem ehemals dorischen Eiland gehört,130 auf Thera βουδιά, auf Kythnos ebenso und daneben auch βουνιά, und diese letztere Form ist die verbreitetste.131 Das albanesische βούcε-α, d.i. Mistkäfer, worauf der Recensent verweist, ist demnach griechisches Lehnwort. Da übrigens das soeben besprochene kretische Wort von Bibylakis im Philister (IV, S. 513), welchen Wachsmuth citirt, ganz richtig durch κόπροc τοῦ βοόc erklärt wird, so wäre es gewiss auch ihm selbst ein Leichtes gewesen, die Etymologie desselben zu erkennen, wenn nicht der Eifer, mir zu widersprechen, die Klarheit seines Blickes getrübt hätte. Bezüglich des zweiten mit einer gewissen Bestimmtheit von ihm für albanesisch gehaltenen Wortes νάκαρα beschränke ich mich der grossen Unsicherheit der Sache halber auf die Bemerkung, dass dasselbe nicht blos auf Kreta, sondern auch auf Thera gebräuchlich ist.132 Um nunmehr auf jenen kretischen Schwur zurückzukommen, so wiederhole ich, dass mir die Beziehung desselben auf Zeus keineswegs zweifellos erscheint, aber doch auch nicht so unsicher oder unglaublich, dass man die ganze Sache einfach über Bord zu werfen berechtigt wäre. Wenn mein Recensent bemerkt, dass die Auctorität der Notiz ohnehin nur auf dem ›voreingenommenen‹ Soutsos beruhe,[55] so sollte man doch mit dergleichen Schlagwörtern nicht so rasch bei der Hand sein, am wenigsten, wenn man selbst, wie seiner Zeit Wachsmuth, von den übrigen Mittheilungen dieses ›Voreingenommenen‹ unbedenklich Gebrauch gemacht hat; und wenn er weiter hinzufügt, Baron Ow könne nicht in Betracht kommen, so erwidere ich, dass ich auf dessen Mittheilungen im Allgemeinen allerdings sehr wenig gebe und sie daher auch viel seltener benutzt habe als Wachsmuth selbst; dass ich aber in diesem besondren Falle seine Nachricht gänzlich zu unterdrücken um so weniger Grund hatte, als dieselbe von Soutsos' Notiz etwas abweicht, woraus hervorzugehen scheint, dass er aus einer anderen Quelle geschöpft hat. Seltsam ist übrigens, dass mein Recensent aus eben diesem Ow, der hier nicht in Betracht kommen soll, doch S. 259 einen ›Nachtrag‹ zu meinen Mittheilungen gibt. Endlich kann ich auch den Schluss aus dem Schweigen des Chourmouzis über jenen kretischen Schwur nicht gelten lassen, da dessen kleine Schrift über Kreta doch in keiner Hinsicht als eine erschöpfende betrachtet werden kann, und überhaupt auch dem sorgfältigsten Forscher auf diesem Felde sich sehr leicht manches entzieht, was ein anderer ohne Mühe durch einen Zufall gewinnt. – Indem ich die Zeugnisse über die den Moeren vom weiblichen Geschlechte zu Theil werdende Verehrung zusammenstellte, brachte ich (S. 217f.) dasjenige des Briten Galt, wonach junge heirathslustige Athenerinnen am ersten Abend des Neumonds am Ufer des Ilissos, in der Nähe des Stadion, denselben ein aus Honig, Salz und Brod bestehendes Opfer darbringen, mit der Nachricht Pouqueville's in Verbindung, nach welcher in Athen die Frauen, um fruchtbar zu werden oder leichte Geburt zu erlangen, an einem Felsen in der Nähe der Kallirrhoe sich reiben und dabei die nämlichen Wesen anrufen, ihnen gnädig zu sein, denn die beiden bezeichneten Orte sind entweder identisch oder doch einander sehr benachbart, und ich konnte unter diesen Umständen nicht umhin, auf die Wahrscheinlichkeit – denn Sicherheit lässt sich ja in solchen Dingen nicht erreichen – eines Zusammenhangs dieser Bräuche mit dem vor Alters in dieser Gegend bestehenden Cultus der Aphrodite Urania als ältester der Moeren hinzuweisen, zumal da ein ganz analoger Fall in einem andren Theile Griechenlands[56] vorzuliegen scheint: denn in einer Grotte am Fusse des Riganigebirges werden oder wurden bis in unser Jahrhundert hinein den Moeren von Seiten heirathslustiger junger Mädchen Kuchen- und Honigopfer dargebracht, und in derselben Gegend erwähnt Pausanias eine der Aphrodite geweihete Grotte, in welcher besonders Wittwen die Gottin um Wiederverheirathung anflehten. Es will mir scheinen, als ob Wachsmuth an diese Combination von vorn herein nicht mit der erforderlichen Unbefangenheit des Urtheils herangetreten sei. Er selbst hatte ehemals der erwähnten Notiz Pouqueville's eine nach dessen deutlichen Worten ganz unmögliche Beziehung auf den bekannten Rutschfels am Nymphenhügel gegeben, worin ich nur eine Uebereilung sehen konnte. Wenn er nun jetzt (S. 253f.) bemerkt, von einem derartigen Felsen in der Nähe der Kallirrhoe wisse ausser dem ›flüchtigen‹ Pouqueville niemand etwas, und er habe deshalb, keineswegs blos (?) in Folge einer Uebereilung, die Notiz desselben auf den zu gleichen Zwecken benutzten Rutschfels am Nymphenhügel beziehen zu müssen geglaubt, so wird die Sache dadurch freilich etwas anders: nur hätte er da nicht unterlassen sollen, diese seine Abweichung von Pouqueville anzumerken und zu begründen, da es doch sonst nicht Sitte ist, dass man für eine bestimmte Thatsache ohne Weiteres auf einen Gewährsmann verweist, der von dieser Thatsache gar nicht redet. Dass Pouqueville mit Vorsicht zu benutzen sei, habe ich selbst (S. 24, A. 1) hervorgehoben, und ich bin mir bewusst, diese Vorsicht in etwas höherem Grade geübt zu haben als seiner Zeit Wachsmuth.133 Allein die Nachricht, um die es sich hier handelt, zu beanstanden sehe ich keinen triftigen Grund: Pouqueville's Worte lassen an Bestimmtheit und Klarheit nichts zu wünschen übrig, und offenbar geht seine Mittheilung auf Fauvel, den langjährigen französischen Consul in Athen, zurück, in dessen Begleitung er seine archäologische Wanderung durch die Stadt machte. Eine gewisse Stütze erhält sie ja obenein eben durch Galt's Zeugniss. Das von diesem Berichtete bezieht nun freilich Wachsmuth auf den unterirdischen Gang des Stadion, in welchem gleichfalls den Moeren geopfert[57] wird. Allein das ist nicht minder willkürlich. Denn Galt spricht von einem Orte am Ufer des Ilissos in der Nähe des Stadion: jener Gang aber befindet sich bekanntlich keineswegs am Ufer des Ilissos, sondern ziemlich weit davon entfernt ganz am Ende des Stadion, abgesehen davon, dass, wenn Galt's Berichterstatter diesen gemeint hätte, er sicherlich nicht von einem ›Orte‹, sondern eben von einem unterirdischen Gange oder einer Höhle gesprochen haben würde. Und wenn Wachsmuth hinzufügt, es sei jedenfalls charakteri stisch, dass alle modernen Cultstätten der Moeren in Grotten seien, so ist das freilich leicht behaupten, wenn man sich über ein entgegenstehendes Zeugniss ohne Bedenken hinwegsetzt. – S. 246 hält Wachsmuth den ἀναικαθούμενοc, d.i. den ›Aufhockenden‹, wie nach ausdrücklichem Zeugniss der Vampyr auf der Insel Tenos genannt wird (der ja wirklich auch nach dem sonstigen neugriechischen Volksglauben den Leuten aufhockt, vgl. S. 165 meines Buches), für identisch nicht mit dem Vampyr, sondern vielmehr mit dem sogenannten Kalikantsaros, einem anderen dämonischen Wesen der Neugriechen. Sollten das die Bewohner von Tenos nicht besser wissen, als ein wenn auch noch so gelehrter deutscher Professor? – Unter den Beispielen von dem Uebergang hellenischer Mythen auf Heilige der griechischen Kirche habe ich S. 43 die anmuthige Legende von dem die erste Rebe pflanzenden heiligen Dionysios, welche Professor Christian Siegel von einem böotischen Bauer hörte und die in Hahn's Märchensammlung veröffentlicht ist, ihrer Wichtigkeit wegen vorangestellt. Dieselbe war ehemals meinem Recensenten als Schmuck für seinen Vortrag recht gelegen gewesen. Jetzt aber erklärt derselbe S. 243: er wolle doch nicht verschweigen, dass mehrere hellenische Bekannte und Freunde ihm den bestimmten Verdacht geäussert, dass diese Erzählung ein eigenes Product von Siegel sei. Hat sich Wachsmuth wohl gehörig überlegt, was für einen schweren Verdacht er hiermit auf einen Mann lenkt, an dessen Name kein Makel haftet? Man denke sich: Hahn bittet seinen vielgewanderten Freund um einen Beitrag zu seiner Märchensammlung, falls er einen solchen zu geben im Stande sei, und dieser sendet dem Freunde – ein eigenes Fabrikat! Wer in Griechenland gewesen ist, sollte doch wissen, dass die Griechen gegen jeden[58] Fremden, der in ihrem Lande etwas Wichtiges findet oder erforscht, Neid empfinden, und dass leichtsinniges Verdächtigen zu ihren Hauptfehlern gehört. Die Sage, um die es sich handelt, bietet in ihrer reizenden Einfachheit und Natürlichkeit durchaus nichts, was zu einem Misstrauen berechtigte. Zum Ueberfluss hat mein Freund Dr. Richard Schillbach in Potsdam, der Siegel genau kennt, bei ihm in Athen gewohnt hat und mit ihm gereist ist, auf mein Befragen mir erklärt, dass er denselben eines derartigen Betrugs für durchaus unfähig halte. Und somit erfülle ich nur eine Pflicht, wenn ich den Landsmann, der sich selbst zu vertheidigen gar nicht in der Lage ist, gegen den unbesonnenen Angriff auf seine Ehre hiermit in Schutz nehme. – S. 69 habe ich des Brauchs der Seeleute gedacht, dem in Sturmesnoth um Hülfe angerufenen Heiligen nach glücklicher Rettung ein Schiffchen von Gold oder Silber darzubringen. Dass die alten Griechen denselben gekannt, lasse sich, so fügte ich hinzu, meines Wissens nicht bestimmt nachweisen, könne aber, zumal in Anbetracht der sonstigen zahlreichen Analogien zwischen neugriechischer und hellenischer Sitte in Bezug auf Weihgeschenke, nicht bezweifelt werden; möglicher Weise sei das im J. 1862 im Erechtheion aufgefundene eherne Schiff, das als Lampe gedient zu haben scheine, von einem Seefahrer aus gleichem Anlass in jenes Heiligthum gestiftet worden. Diese letztere, wie mein Ausdruck lehrt, ganz anspruchslos und beiläufig gemachte Bemerkung, die, hätte ich sie unterdrückt, vielleicht irgend einer meiner Recensenten würde nachgetragen haben, nennt Wachsmuth eine ziemlich gewagte Vermuthung und macht dagegen geltend, dass jene antike Lampe ja wohl sicher als Cultusgeräth gedient habe! Als ob man nicht gerade auch Gegenstände, die zum Gebrauch im Cultus dienten, schon im Alterthum, gleichwie heutzutage, als Weihgeschenke dargebracht hätte! Ich verweise meinen Recensenten auf S. 67 und 68 meines Buches, wo er mehrere Belege dafür finden kann. Was derselbe weiter noch über den nämlichen Punkt hinzufügt, kommt ja schliesslich eben auf das als das wahrscheinlichste hinaus, was ich selbst nur als möglich bezeichnet hatte. – In dem Abschnitte über die Dämonen S. 91 ff. habe ich zunächst gezeigt, welche Wesen das Volk unter diesem Namen versteht,[59] dass zu dem Begriffe des Dämon vor allem die gegensätzliche Stellung zur christlichen Weltordnung, die Theilhaberschaft an einem ihr widerstrebenden Reiche gehört, wie dies zum Theil auch in den sonstigen Bezeichnungen derselben ausgedrückt liegt. Demnach mussten von den Dämonen alle diejenigen Wesen abgetrennt werden, welche, obwohl dem Heidenthum angehörig, doch nicht in Gegensatz zum Christenthum treten, sondern entweder unvermittelt neben demselben hergehen, wie die Ortsgeister und die Moeren, oder sogar in den Dienst des christlichen Gottes gestellt erscheinen, wie namentlich Charos. Diese meine Unterscheidung beruht auf langem sorgfältigen Nachdenken, und dass sie richtig ist, beweist schon der eine Umstand, dass von den zahlreichen allgemeineren Namen, mit denen das Volk die Dämonen benennt, und die ich an jener Stelle aufgeführt habe, kein einziger jemals z.B. auf die Moeren angewendet wird. Trotzdem findet der Recensent S. 260 ›die principielle Abtrennung der Moiren von den Dämonen nicht hinlänglich gerechtfertigt‹! Mit so leicht hingeworfenen Worten stösst man aber eine reiflich erwogene Ansicht noch nicht um.

Diese Beispiele, die sich noch beträchtlich vermehren liessen, hätte ich die Geduld meiner Leser nicht schon zu lange auf die Probe gestellt, werden zur Genüge zeigen, in welchem Geiste die Wachsmuth'sche Recension abgefasst ist. Ich will daher zum Schlüsse nur noch bemerken, damit man den Grad der Aufmerksamkeit erkenne, mit welcher der Recensent mein Buch gelesen hat, dass unter denjenigen Dingen, welche er am Ende seiner Besprechung als Nachträge geben zu müssen glaubt, nicht weniger als drei sich befinden, die von mir erwähnt worden sind. Bei dem allgemeinen Abschnitt über die Dämonen, sagt Wachsmuth, hätte er gern die Bemerkung gesehen, dass als Sitz derselben namentlich jede Art von Höhlen, Felsgrotten, unterirdischen Gemächern gilt. Dies steht bei mir zu lesen genau da, wo jener es zu sehen wünscht, nämlich S. 93. Die vom Recensenten vermisste Nachricht über den an eine grosse Höhle in den pierischen Bergen sich knüpfenden Volksglauben habe ich sehr ausführlich mitgetheilt S. 125. Auf die von ihm vermisste Notiz de la Guilletière's über die Höhle am taenarischen Vorgebirge habe ich verwiesen S. 248, Anm: 1. Unter[60] den übrigen Nachträgen ist nicht weniges, was ich entweder als zu geringfügig absichtlich weggelassen oder dem in dieser Vorrede gegebenen Ueberblick über die griechischen Ortssagen von vornherein vorbehalten hatte.

Wenn ich auf die Kritik meines Buches von Seiten Wachsmuth's ausführlicher eingegangen bin, so geschah es, weil derselbe früher auf dem nämlichen Gebiete gearbeitet hat und daher seiner Stimme von den dem Gegenstand ferner Stehenden leicht ein gewisses Gewicht könnte beigelegt werden. Mit Herrn Döring's Anzeige werde ich mich nicht so lange aufhalten, und würde das selbst dann nicht thun, wenn seine Bemerkungen nicht schon durch das bisher Gesagte zum grössten Theil widerlegt wären. Derselbe behauptet, ich erkläre die von mir begründete Disciplin (?) für eine neue Hülfsdisciplin der Alterthumswissenschaft, so gut wie Topographie, Epigraphik, Archäologie. Es bedarf wohl kaum erst der Versicherung, dass ich nirgends so thöricht und ungeschickt gesprochen habe. Für Herrn Döring glänzen nun aber der Hellenen ›unvergängliche Culturdenkmäler im hellsten Sonnenlichte der Geschichte‹, und mit dieser schönen Phrase, die nur demjenigen ansteht, der seine ganze Weisheit vom Alterthum aus dürftigen Compendien zu schöpfen gewohnt ist, glaubt er über mein Buch und seine Zwecke das Urtheil gesprochen zu haben. Was bedarf es denn da weiterer Forschung? Herr Döring hat nun zwar eigentlich die löbliche Absicht, sein Urtheil über den der Alterthumswissenschaft aus meinem Buche erwachsenden Gewinn bis nach Vollendung desselben aufzusparen, indessen kann er doch nicht umhin, am Schlusse seiner Uebersicht über den Inhalt des ersten Theils zu dieser Frage zurückzukehren, und da findet er ›das Resultat allerdings gering‹. In manchen Fällen, fügt er recht naiv hinzu, fühle man allerdings antikes Leben sich näher gebracht, und S. 96 erlange eine Stelle Theokrits durch eine neugriechische Vorstellung eine auffallende Illustration. Allein das alles ist für den sehr gewissenhaften Recensenten eben doch nur ein ›geringes Resultat‹. – Wie unreif das Urtheil dieses gestrengen Herrn im Einzelnen ist, mag folgendes Beispiel lehren. Die alte bis zum Ueberdruss wiederholte Mär von der Ersetzung des Helios durch den heiligen Elias in christlicher Zeit, an welche gegenwärtig[61] in Deutschland sicherlich kein einziger Gelehrter mehr glaubt – auch Wachsmuth, der die Sache in seinem Vortrag wieder vorgebracht hatte, ist ohne Zweifel davon zurückgekommen, wie seine Aeusserungen in dem Buche über die Stadt Athen im Alterthum I, S. 53ff. lehren können –, diese Mär also erscheint Herrn Döring noch jetzt sehr einleuchtend, und meine S. 48 gegebene Widerlegung derselben – thatsächlich nur eine kurze Zusammenfassung der schon längst von anderen dagegen erhobenen schlagenden Einwendungen – stützt sich nach dem Ausspruch dieses Kundigen ›auf ziemlich schwache Gründe‹! – Auf S. 512 sagt mein Recensent: ›Zu den Reiseschriften könnte noch hinzugefügt werden die Schrift von Henry M. Baird, Modern Greece: a narrative of a residence and travels in that country; with observations on its antiquities, literature, language, politics and religion New-York 1856, die freilich nicht gerade viel Ausbeute liefern möchte.‹ Er kennt also diese Schrift gar nicht, und ihm selber scheint es zweifelhaft, ob sie mit Nutzen herangezogen worden wäre. Allein vorgebracht musste das gleichwohl werden, da es nun einmal Princip des handwerksmässigen Recensententhums ist, auf alle Fälle etwas nachzutragen.

Jeder, der eine Arbeit unternimmt, die aus dem altgewohnten Geleise der zünftigen Wissenschaft einigermassen heraustritt, muss darauf gefasst sein, dass einzelne aus was immer für Gründen ihn anfechten und den Nutzen seiner Bestrebungen in Zweifel ziehen. Es ist dies das Schicksal alles Neuen, und es liessen sich aus andren Wissenschaften ganz analoge Fälle anführen. Man darf sich dadurch nicht verstimmen lassen. Und so werde ich denn, soweit sonstige, mir gleich sehr am Herzen liegende Studien und Gesundheit es erlauben, den eingeschlagenen Weg weiter gehen, trotz Herrn Döring's und seiner Gesinnungsgenossen ›Sonnenlichte‹, welches mir denn doch noch nicht hell genug strahlt, als dass ich nicht das lebhafte Bedürfniss empfände nach mehr Licht.


Freiburg i. B.

B.S.

1

Die Märchen und Sagen, welche derselbe von seiner aus Steiri gebürtigen seligen Mutter gehört zu haben sich erinnerte, sind als von dorther stammend bezeichnet worden. Das heutige Dorf cτείρι liegt in der Nähe der alten phokischen Stadt Steiris, deren Namen es erhalten hat.

2

Vgl. Volksleben der Neugriechen I, S. 20 f.

3

Vom Erzähler angegeben wurden nur die Titel der Märchen Nr. 5. 6. 9 (wo ich aber an Stelle des überlieferten Titels einen passenderen gesetzt habe, vgl. die Anm. hinter den Texten). 10. 11. 12. 15. 18. 23., und der Sagen Nr. 3 und 5.

4

Griechische und albanesische Märchen, 2 Theile, Leipzig 1864.

5

Die Litteratur vor Hahn hat neuerdings Reinhold Köhler in den Göttingischen gel. Anzeigen v.J. 1871, B. II, S. 1402 ff. ziemlich vollständig verzeichnet, nämlich: 1) zwei von Zuccarini im ›Ausland‹ v.J. 1832, Nr. 58, S. 230 und Nr. 61, S. 242 auszugsweise mitgetheilte Märchen. 2) das reizende psarianische Schiffermärchen ›Georg und die Störche‹, welches L. Ross in den Blättern für literar. Unterhaltung 1835, Nr. 10–12 veröffentlicht hat, und das dann wiederabgedruckt ist in den von O. Jahn herausgegebenen Erinnerungen und Mittheilungen aus Griechenland (Berlin 1863), S. 281 ff. 3) das schöne Märchen Τ᾽ἀθάνατο νερό bei Eulampios in dem Buche Ὁ Ἀμάραντοc ἤτοι τὰ ῥόδα τῆc ἀναγεννηθείcηc Ἑλλάδοc (St. Petersburg 1843), S. 76 ff. 4) drei Märchen bei J.A. Buchon, La Grèce continentale et la Morée (Paris 1843), S. 263–280. 5) das von Anastasios Lountsis – denn so lautet in Wahrheit sein Name – in Mannhardt's Zeitschrift f. deutsche Mythol. und Sittenkunde IV, S. 320 ff. mitgetheilte Märchen von Zakynthos ›Die Citronenjungfrau‹. – Hierzu habe ich noch Folgendes nachzutragen: 1) Παραμύθι τῆc Ἀλουποῦc κατὰ τὴν γλῶccαν τῶν παιδίων. Ἔκδοcιc δευτέρα ἐπηυξημένη. Ἐν Ἀθήναιc 1860. Dieses ist eine Variante des Märchens ›Vom Bauer, der Schlange und der Füchsin‹ bei Hahn Nr. 87, aber weit ausführlicher und sehr gut erzählt. Da das kleine Volksbüchlein nicht leicht zu erreichen sein dürfte, so will ich die Hauptpunkte im Interesse der vergleichenden Märchenforschung hier hervorheben. Der Mann rettet die Schlange vom Tode durch Feuer. Schiedsrichter zwischen beiden sind nach einander ein Pferd, ein Esel, ein Rind, welche sämmtlich zu Ungunsten des Mannes entscheiden, der aber ihre Urtheile als parteiisch und von der Leidenschaft eingegeben bezeichnet. Daher wird zuletzt noch ein Fuchs aufgerufen, welcher durch eine List den Menschen von der Umarmung der Schlange befreit, nachdem jener ihm durch ein Zeichen mit der Hand fünf Küchelchen und einen Hahn als Belohnung versprochen hat. Der schliessliche Undank des Menschen, der dem Fuchse statt der verheissenen Leckerspeise einen Jagdhund im Sacke bringt, findet sich auch hier. Vgl. über dieses weit verbreitete Märchen ausser Benfey Pantschatantra I, S. 113 ff. besonders noch R. Köhler's Nachweise zu Nr. 69 der von Laura Gonzenbach gesammelten Sicilianischen Märchen (Leipzig 1870). Zwei weitere griechische Varianten desselben bei Morosi in dem unten anzuführenden Werke, Nr. 4, S. 75 f., und bei Ioannidis in dem gleichfalls unten zu nennenden Buche S. 266 f. (in beiden fehlt der Undank des Menschen). 2) In der athenischen Zeitschrift Πανδώρα, XI, 1861, φ. 259, p. 452 f. theilt Skordelis vier in seiner Heimath Stenimachos in Thrakien umlaufende Märchen mit, aber leider in sehr knapper Form und auch nicht in der Volkssprache, sondern im heutigen Schriftgriechisch. Das erste und relativ ausführlichste ist das M. von der Schwalbe (ὁ μῦθοc τῆc χελιδόνοc), in welchem der hellenische Mythos von Prokne und Philomele, wenn auch nur schwach, nachklingt. Die drei übrigen Stücke sind blosse Gerippe von Märchen. – Dagegen was der Franzose Guys in sei nem Voyage littéraire de la Grèce, 3. Ausg., Paris 1783, I, S. 347–364 unter der Ueberschrift ›Les Contes Grecs ou Paramythia‹ mittheilt, das sind keine Volksmärchen, sondern durchaus künstliche Erzeugnisse mit vorwiegend ethischer Tendenz.

6

Bereits von Köhler a.a.O. S. 1406 f. zusammengestellt ist Folgendes: ausser den vier in demselben Jahre wie die Hahn'sche Sammlung von K. Simrock hinter seinen ›Deutschen Märchen‹ (Stuttgart 1864), S. 358 ff. in deutscher Uebersetzung veröffentlichten neugriechischen Märchen, welche aus Argos herrühren, 1) acht kyprische Märchen bei Sakellarios Κυπριακά, Β. III, Athen 1868, S. 136–173 (ins Deutsche übersetzt und mit ganz kurzen Anmerkungen versehen von F. Liebrecht in Ebert's Jahrbuch für romanische und englische Literatur, B. XI, 1870, S. 345–386). 2) fünf in den griechischen Colonieen Unteritaliens umlaufende Märchen bei Morosi Studi sui dialetti greci della Terra d'Otranto, Lecce 1870, S. 73–76. 3) elf aus verschiedenen Theilen Griechenlands stammende Märchen in den von der philologischen Gesellschaft ›Παρναccόc‹ in Athen herausgegebenen Νεοελληνικὰ Ἀνάλεκτα, Β. I, 1870, φ. Α'. – Hierzu sind nun noch hinzuzufügen: 1) zwei von dem dänischen Gelehrten Jean Pio in der Tidsskrift for Philologi og Paedagogik, 7. Aarg. 1866, im Dialekt der Kykladen trefflich mitgetheilte Märchen. 2) acht unter den Griechen am Pontus cursirende Märchen bei loannidis Ἱcτορία καὶ cτατιcτικὴ Τραπεζοῦντοc καὶ τῆc περὶ ταύτην χώραc ὡc καὶ τὰ περὶ τῆc ἐνταῦθα ἑλληνικῆc γλώccηc, Konstantinopel 1870. S. 264–267 (grösstentheils sehr kurz und unbedeutend). 3) siebenunddreissig Märchen von der Insel Naxos in den Νεοελληνικὰ Ἀνάλεκτα, Bd. II, 1874, φ. A' und B' (sämmtlich vortrefflich erzählt und für die Kenntniss der dortigen Mundart sehr werthvoll, dagegen ihrem Inhalte nach grossentheils ohne sonderliche Bedeutung; übrigens sind manche dieser Stücke nicht sowohl Märchen, als vielmehr Parabeln und Schwänke; auffällig ist der viele Schmutz in ihnen). 4) Einige bisher ungedruckte oder auch in irgend einer griechischen Zeitung versteckt gewesene Märchen sind theils vollständig, theils nur stückweise mitgetheilt von N.G. Politis an verschiedenen Stellen seines Buches Μελέτη ἐπὶ τοῦ βίου τῶν νεωτέρων Ἑλλήνων, Β. Ι, von welchem Bande die erste Abtheilung im J. 1871, die zweite im J. 1874 zu Athen herausgekommen ist. Darunter befinden sich ein paar Märchen, die an die Redaction der Νεοελλ. Ἀνάλεκτα. eingeschickt worden sind und in diesen veröffentlicht werden sollen. – Noch ungedruckt ist die längst verheissene Sammlung epirotischer Märchen von dem Herausgeber der epirotischen Volkslieder, Chasiotis, welche Politis in dem o.a. Buche an einigen Stellen benutzt hat. Weitere kyprische Märchen hat für den 2. Band in Aussicht gestellt G. Loukas in der Vorrede (p. ια᾽) seiner Φιλολογικαὶ Ἐπιcκέψειc τῶν ἐν τῷ βίψ τῶν νεωτέρων Κυπρίων μνημείων τῶν ἀρχαίων, deren 1. Band zu Athen im J. 1874 erschienen ist. Auch von Émile Legrand ist die Veröffentlichung griechischer Märchen, in deren Besitz er auf seiner im J. 1875 unternommenen griechischen Reise gelangt ist, zu erwarten. Vgl. den Brief desselben an Perrot in der Revue archéol., Septemberheft 1875, S. 189 f. – Die von Bretós in seinem Ἐθνικὸν Ἡμερολόγιον vom J. 1867, S. 110–144 unter der Aufschrift ›Δημοτικὰ τραγούδια καὶ παραμύθια‹ gegebenen Erzählungen sind von ihm selbst verfertigt mit theilweiser Benutzung von Lieder- und Märchenstoffen, gehören also nicht hierher. Endlich sei noch erwähnt, dass in einem mir nicht zu Gesicht gekommenen Buche von Arabantinos über Epirus (wahrscheinlich der ›Ἐθιμογραφία τῆc Ἠπείρου‹, die auf dem Umschlag des im J. 1863 erschienenen Παροιμιαcτήριον als unter der Presse befindlich bezeichnet wird), u.a. auch einige Märchen sich befinden sollen.

7

Die Märchen aus Zakynthos sind, um dies beiläufig zu erwähnen, auch zarter, sittlicher, als die Hahn'schen, die nicht nur vielen Schmutz, sondern öfters auch eine auffällige Rohheit und Verwilderung der Gesinnung zeigen. Dadurch wird selbstverständlich der wissenschaftliche Werth jener Sammlung nicht im geringsten geschmälert, aber man mag daran den im Vergleich zu Epirus, woher Hahn den bei weitem grösseren Theil seiner Märchen bezogen hat, immerhin viel höheren Bildungsgrad der Bewohner der ionischen Inseln erkennen.

8

Von zwei Märchen der Hahn'schen Sammlung ist es allerdings erweislich, dass sie ihren Stoff aus Volksbüchern geschöpft haben, allein diese Fälle sind ganz anderer Art. Dem Märchen ›von dem weiberscheuen Prinzen‹ (Nr. 50), einem aus Aïbali in Kleinasien stammenden Stücke, liegt, wie zuerst Liebrecht bemerkt hat in den Heidelb. Jahrb., 57. Jahrgang, 1864, S. 217, die im Mittelalter weit verbreitete Erzählung von Apollonius von Tyrus zu Grunde, deren uns erhaltene lateinische Bearbeitung unzweifelhaft auf ein verlorenes griechisches Original zurückgeht. Das neugriechische Märchen wird nicht unmittelbar aus diesem letzteren hervorgegangen sein, sondern aus einer späteren vulgargriechischen Uebersetzung des lateinischen Textes (eine solche in Versen bei Wagner Carmina graeca medii aevi, Lips. 1874, S. 248–276); mit Tycho Mommsen (s. A. Riese in der Praefat. zu seiner Ausgabe der Historia Apollonii, Lips. 1871, S. VII) zu vermuthen, dass es durch die Kreuzfahrer nach Kleinasien gebracht worden, sehe ich keinen triftigen Grund. Das zweite Märchen, Nr. 16, aus Iannina stammend, beruht, wie E. Rohde Der griech. Roman und seine Vorläufer (Leipzig 1876), S. 534 bemerkt, auf der Sage von der guten Florentia, von welcher es gleichfalls eine vulgargriechische Bearbeitung gegeben haben wird. Beide Stücke gewähren einen lehrreichen Einblick in die Art, wie das Volk dergleichen Litteraturproducte zu Märchen sich zurecht zu machen weiss.

9

Georg gelangt in dem Felle eines von ihm getödteten Widders, auf allen Vieren kriechend, an dem die kleine Pforte des Vorhofs bewachenden Drachen vorüber glücklich ins Freie. – Die Worte des Märchens: ›sei es, dass er von dem berühmten Helden Odysseus gehört hatte, sei es, dass es seine eigene Erfindung war‹, gehörten demselben ursprünglich offenbar nicht an, sondern sind späterer Zusatz, vielleicht erst jenes Psarianers, von dem Ross die Erzählung hörte. – Die Polyphemossage ist freilich auch bei zahlreichen anderen Völkern nachweisbar. S. Lauer Geschichte der homerischen Poesie (Berlin 1851), S. 319 ff. und besonders W. Grimm in d. Abhandlungen der kön. Akad. der Wissensch. zu Berlin v.J. 1857, S. 1–30, welcher (S. 23 f.) aus inneren und äusseren Gründen, deren Gewicht man anerkennen muss, die Abstammung dieser Erzählungen aus der homerischen läugnet und für sämmtliche eine gemeinsame ältere Quelle voraussetzt. Vgl. noch E. Rohde Der griech. Roman S. 173, Anm. 2, wo man einige Nachträge zu Grimm's Zusammenstellungen findet. Bemerkenswerth ist, dass das griechische Märchen die angeführte Modification, wonach der Held nicht, wie Odysseus, unter dem Bauche eines Widders hängend, sondern im Felle eines solchen dem Ungeheuer entschlüpft, mit den meisten der übrigen Erzählungen (z.B. mit der oghuzischen Fassung, mit dem serbischen und dem romänischen Märchen) gemein hat, woraus indessen zu folgern, dass es von dorther geborgt habe, voreilig wäre.

10

Erinnerungen und Mittheilungen aus Griechenl. S. 289 Anm.

11

S. 88 und 108.

12

Κυπριακά III. S. 171 und 172.

13

S. Nr. 37 und 69, ferner die Variante zu Nr. 5 und die zweite Variante zu Nr. 65.

14

Der Symplegadensage analoge Mythen finden sich übrigens auch bei einer Reihe anderer sehr ferner Völker, z.B. bei den Eskimos (Liebrecht in d. Heidelb. Jahrb., 62. Jahrgang, 1869, S. 127), den Mongolen (Jülg in d. Verhandl. der Philologenversamml. in Würzburg, S. 64), den Karenen in Hinterindien (Tylor Die Anfänge der Cultur, I, S. 342 d.d. Uebers., Leipzig 1873). Vgl. noch Liebrecht in d. Gött. gel. Anzeigen 1872, S. 1290, und 1876, S. 478.

15

Μελέτη I, S. 159, Anm. 3: Ὁ περὶ Ἁρπυιῶν καὶ φινέωc μῦθοc cώζεται μέχρι τοῦδε μετατραπεὶc εἰc παραμύθιον, ὡc ὁ φίλοc μου κ. Γ. Κ. Χούμηc, cχολάρχηc ἐν Σύρα, μὲ ἐβεβαίωcεν, ἀκούcαc αὐτὸν παρὰ γραίαc κατοίκου τῶν Καρδαμύλων (soll jedenfalls heissen τῆc Καρδαμύληc).

16

Das alte Griechenl. im neuen, S. 19 und 50.

17

Möglicher Weise eine Variante von Nr. 23 meiner Sammlung.

18

Albanesische Studien II, S. 164.

19

S. seine Anmerk. zu Nr. 98.

20

Dass in den ersten christlichen Jahrhunderten die Ammen der Theseussage sich bemächtigt hatten, zeigt Philostr. Imag. I, 15: Ὅτι τὴν Ἀριάδνην ὁ Θηcεὺc ἄδικα δρῶν – κατέλιπεν ἐν Δίᾳ τῇ νήcῳ καθεύδουcαν, τάχα που καὶ τίτθηc διακήκοαc, cοφαὶ γὰρ ἐκεῖναι τὰ τοιαῦτα καὶ δακρύουcιν ἐπ᾽ αὐτοῖc, ὅταν ἐθέλωcιν.

21

So von Fr. Pressel in den ›Erläuterungen‹ am Ende seines Schriftchens ›Psyche. Ein allegorisches Märchen. Nach dem Lateinischen des Appulejus‹ (Ulm 1864), welcher sehr leichtwiegende Gründe dagegen ins Feld führt und überhaupt den ganzen Gegenstand nicht klar erfasst hat, indem er das Erscheinen des Märchens in der Litteratur und seine Existenz im Volke – zwei ganz verschiedene Dinge – durcheinanderwirft. Auch Welcker gibt das Vorhandensein von Volksmärchen im Alterthum nur in sehr bedingter Weise zu, wie seine Ausführungen in der griech. Götterlehre I, S. 107–114 zeigen, besonders S. 109–111. Gegen diese Ansicht, die sich doch im Wesentlichen auf nichts weiter als die Thatsache stützt, dass in der alten Litteratur nur sehr vereinzelte Erwähnungen und Spuren von Märchen zu finden sind, hat Friedlaender Darstell aus der Sittengesch. Roms I, S. 509 der 4. Aufl. eine sehr zutreffende Bemerkung gemacht.

22

S. das S. 8, Anm. 1 über die Polyphemsage Bemerkte, und ferner die Schrift von Georg Gerland ›Altgriechische Märchen in der Odyssee‹ (Magdeburg 1869), wo mehrfache Verwandtschaft zwischen der Geschichte des Brahmanen Saktideva und den Abenteuern des Odysseus aufgezeigt ist. Am schlagendsten ist die Uebereinstimmung in der Rettung beider aus der vom Meeresstrudel (Charybdis) drohenden Gefahr durch Anklammern an den darüber sich ausbreitenden Feigenbaum (S. 7 und 18). Auch der Zusammenhang der Phaeaken mit den Vidyâdharen, die gerade in der indischen Novellen- und Märchendichtung eine grosse Rolle spielen, scheint mir hinlänglich nachgewiesen.

23

V. 98 ff.:

ἀλλ᾽ ἡcύχαζε καὶ δακρυρρόουc τέκνων

πηγὰc ἀφαίρει καὶ παρευκήλει λόγοιc,

κλέπτουcα μύθοιc ἀθλίουc κλοπὰc ὅμωc.

Vgl. auch Philostr. Heroic. 1, 1: καὶ κατεμυθολόγει με ἡ τίτθη χαριέντωc u.s.w.

24

Plut. Thes. 23: καὶ μῦθοι λέγονται διὰ τὸ κἀκείναc εὐθυμίαc ἕνεκα καὶ παρηγορίαc μύθουc διεξιέναι τοῖc παιcί.

25

Vgl. z.B. Plat. Gorg. p. 527 Α: Τάχα δ᾽ οὖν ταῦτα μῦθόc cοι δοκεῖ λέγεcθαι, ὥcπερ γραόc, καὶ καταφρονεῖc αὐτῶν; Republ. Ι, p. 350 Ε: ἐγὼ δέ cοι, ὥcπερ ταῖc γραυcὶ ταῖc τοὺc μύθουc λεγούcαιc, εἶεν ἐρῶ.

26

V. 1182: οὕτω ποτ᾽ ἦν μῦc καὶ γαλῆ, wie unser ›Es war einmal‹, das neugriechische ›Ἤτανε μιὰ φορά‹ u.s.w. Vgl. was der Scholiast dazu bemerkt: πρὸc τὴν cυνήθειαν, ὅτι τὸν μῦθον προέταττον οὕτωc, οἷον, ἦν οὕτω γέρων καὶ γραῦc. καὶ Πλάτων ἐν φαίδρῳ [p. 237, Β] »ἦν οὕτω δὴ παῖc, μᾶλλον δὲ μειρακίcκοc᾽ τούτῳ δ᾽ ἦcαν ἐραcταὶ πάνυ πολλοί.«

27

V. 1185: μῦc καὶ γαλᾶc μέλλειc λέγειν ἐν ἀνδράcιν;

28

Lud. Friedlaenderi dissertatio, qua fabula Apulejana de Psyche et Cupidine cum fabulis cognatis comparatur, in zwei Königsberger Universitätsprogrammen vom J. 1860. Darauf hat er den ganzen Gegenstand im 1. Theil seiner Darstellungen aus der Sittengesch. Roms anhangsweise von neuem behandelt, und dieser Aufsatz ist in den neueren Auflagen des angeführten Werkes durch Aufzeigung einiger anderer mehr oder minder deutlicher Spuren des Volksmärchens im Alterthum, sowie durch Adalbert Kuhn's vollständigere Nachweise von Parallelen zu der Erzählung des Apuleius bereichert worden. Vgl. noch Hartung ›Auslegung des Mährchens von der Seele und des Mährchens von der schönen Lilie, nebst einer kurzgefassten Naturgeschichte des Mährchens überhaupt‹, im Jahresbericht des k. Gymnas. zu Erfurt, Ostern 1866, S. 11 – Die von Friedlaender und Kuhn gegebenen Nachweise aus heutigen Volksmärchen liessen sich noch vermehren. Ich beschränke mich auf einen einzigen Nachtrag zu Kuhn bei Friedl. I, 5434, welcher mir nicht unwichtig scheint. Bei Apuleius (V, 23) fällt, während Psyche sich liebetrunken über den schlafenden Eros beugt, aus ihrer Lampe ein Tropfen heissen Oels auf des Gottes Schulter, worauf er erwacht und forteilt, die Geliebte in dumpfer Verzweiflung zurücklassend. Hierzu vgl. L. Gonzenbach Sicilian. Märchen Nr. 16 (I, S. 108), wo die Katastrophe auf sehr ähnliche Weise erfolgt: Peppino wünscht die zarte von ihm geliebte Mädchengestalt einmal zu sehen, die – in einem schönen Schlosse im Innern eines Felsens – allnächtlich neben ihm im Bette ruht, aber am Morgen stets verschwunden ist. Dies bewirkt er durch ein Geschenk seiner Mutter, ein Fläschchen und eine kleine Kerze, die, wenn in das erstere gesteckt, sich alsbald von selbst entzündet. ›Als sie (die Geliebte) aber eingeschlafen war, nahm er schnell die Kerze hervor und steckte sie in das Fläschchen; alsbald brannte sie licht und hell, und bei dem Scheine sah er ein Mädchen von so wunderbarer Schönheit, dass er sich nicht von dem Anblicke trennen konnte, und sie voll Entzücken anschaute. Wie er sich aber über sie neigte, um sie zu küssen, fiel ein Tropfen Wachs auf ihre feine Wange, – in demselben Augenblick verschwand das ganze schöne Schloss, und er fand sich in finstrer Nacht, nackt und allein‹ u.s.w. Vgl. auch ebendas. Nr. 15 mit R. Köhlers Anm. – Da die Vermuthung geäussert worden, dass das von Apuleius bearbeitete Volksmärchen vielleicht ein griechisches war (vgl. Friedl. I, 521), so wird es interessiren zu erfahren, dass mir auf der Insel Zakynthos von sehr glaubwürdiger Seite versichert wurde, es sei hier ein dem Märchen des Apuleius sehr ähnliches im Munde des Volkes. Leider bin ich desselben nicht habhaft geworden, wenn auch einige Stücke meiner Sammlung Berührungspunkte mit der Erzählung des Apuleius darbieten.

29

In der Einleitung zu dem oben genannten Werke, B. I, S. 9–16, auch S. 27 (in dieser Einleitung findet man auch die wesentlichsten, an verschiedenen Stellen verstreuten Aeusserungen von Jacob und Wilhelm Grimm über den Gegenstand zusammengestellt). Vgl. auch Hahn's Sagwissenschaftliche Studien, Jena 1876, S. 51 f.

30

Früher (Vorrede zum Pantschatantra p. XXII f.) war Benfey der Meinung, dass die Verbreitung der indischen Märchen nach dem Occident in grossem Massstabe erst mit dem 10. Jahrhundert n. Chr. durch die nähere Berührung der islamitischen Völker mit Indien erfolgt sei. Später, nachdem F. Liebrecht in Ebert's Jahrb. für roman. und engl. Literat., B. II, 1860, S. 314–334, überzeugend nachgewiesen, dass der aus dem 7. oder 8. Jahrhundert stammende, geistliche griechische Roman ›Barlaam und Josaphat‹ auf eine buddhistische Quelle zurückgehe, hat er jene Ansicht modificirt und einen früheren Beginn der litterarischen Ueberleitung indischer Conceptionen nach dem Westen angenommen. S. Gött. gel. Anzeigen vom J. 1860, S. 874.

31

S. Ebert's Jahrb. III, 1861, S. 79; vgl. auch Heidelb. Jahrb., 57. Jahrg., 1864, S. 205 f. Ferner verweise ich auf den gediegenen, von gründlicher Sachkenntniss zeugenden anonymen Aufsatz ›Neue Märchen-Forschungen‹ in der Zeitschrift ›Die Grenzboten‹, 28. Jahrg., 1869, II. Sem., II. B., S. 98–108, durch welchen ich zu erneutem Nachdenken über den Gegenstand angeregt und in meiner Ueberzeugung befestigt worden zu sein bekenne.

32

Hierüber hat Liebrecht Treffendes gesagt und einige merkwürdige Beispiele dieser Art angeführt in Ebert's Jahrbuch II, 1860, S. 121 ff. Vgl. auch desselben Vorrede zu seiner deutschen Bearbeitung von John Dunlop's Geschichte der Prosadichtungen, Berlin 1851, p. XVII.

33

Vorrede zum Pantschatantra p. XXV.

34

Ich will hier, vieles Andere übergehend, nur an die eine, von Hahn Griech. und alb. Märchen I, S. 27 und Sagwissensch. Studien S. 52 hervorgehobene Thatsache erinnern, dass die Sammlung von ›Tausend und eine Nacht‹, von der es eine sehr verbreitete neugriechische Uebersetzung gibt, auf den neugriechischen Märchenschatz fast gar keinen Einfluss gehabt hat. Und so dürfte derselbe voraussichtlich auch durch die Uebersetzung abendländischer Märchen ins Vulgärgriechische, die neuerdings Michael Deffner zu Athen veröffentlicht hat (vgl. Literar. Centralblatt 1873, Nr. 28), wenig oder gar nicht alterirt werden.

35

Das ist ein reines Prunkcitat, denn in jenem Aufsatz findet sich gar nichts direct auf unsre Frage Bezügliches.

36

Beiläufig bemerkt, ist dieses unrichtig. Vielmehr nimmt auch Müller einen zwischen den beiden extremen Ansichten vermittelnden Standpunkt ein, wie zu ersehen aus den Essays B. II, S. 217 f. der d. Ausg. (Leipzig 1869).

37

Die Sage von Polyphem, a.o.a.O. S. 23.

38

Etwas Anderes ist es natürlich, wenn jemand sich mit Märchendeutung befasst und beispielsweise einen in einem Märchen erwähnten runden Kuchen auf die Sonne bezieht. Da kann er, selbst die Richtigkeit der Deutung zugegeben, nicht ohne Weiteres einen Rückschluss auf die Mythologie des Volkes machen, bei dem er das Märchen vorfindet. Allein davon findet man in meinem Buche nichts.

39

Vgl. z.B. S. 54. 56. 57.

40

Dieses Stück, welches als Schauplatz der erzählten Begebenheit die Umgegend von Theben nennt, unter die Sagen aufzunehmen hatte mich die Bemerkung der Gebrüder Grimm in der Vorrede zu den Deutschen Sagen (Berlin 1816), S. V bewogen, wonach die Sage das Besondere hat, ›dass sie an etwas Bekanntem und Bewusstem hafte, an einem Ort oder einem durch die Geschichte gesicherten Namen.‹ Es ist dies allerdings im allgemeinen als eines der die Sage vom Märchen unterscheidenden Merkmale anzuerkennen, trifft aber nicht für alle Fälle zu. Vgl. noch Ludwig Bechstein Deutsches Märchenbuch, Vorwort S. III der 1. Auflage (Leipzig 1847).

41

Denn die neuerdings von F. Liebrecht in Höpfner's und Zacher's Zeitschrift für deutsche Philologie, B. II, 1870, S. 177–183 unter der Aufschrift ›Neugriechische Sagen‹ bekannt gemachten, einer von einem griechischen Metropoliten im vorigen Jahrhundert verfassten allgemeinen Weltgeschichte entnommenen elf Erzählungen sind keine wirklichen Volkssagen, wie ihr Inhalt deutlich genug lehrt. Woher der Verfasser jener Weltgeschichte sie genommen, ist nicht bekannt.

42

S. besonders S. 105, 110–117, 119 f., 122 (Neraïdensagen), S. 164 ff. (Vampyrsagen), S. 177 f. (Sagen vom Teufel), S. 185 ff. (zakynthische Sagen von der Hausschlange), S. 188 f. (Sagen von sonstigen Ortsgeistern) und S. 193 ff. (Drachensagen); ferner S. 197 f. (Sagen von eingemauerten Menschen), S. 205 ff. (Sagen von den alten Hellenen), S. 244 (Unterweltsfahrten), endlich auch S. 43 f. und 47 (Heiligenlegenden).

43

Conon Narrat. 15 (Mythogr. ed. Westerm. S. 130).

44

Émile Gebhart in dem Aufsatz ›Un pèlerinage aux sanctuaires du paganisme. L'Olympe et le Styx‹, in der Revue des deux mondes, T. LXIX, 1867, S. 1002. Leake Travels in the Morea III, S. 148 f., der die Sage in folgender etwas abweichender Fassung hörte: ›Two devils possessed the lake, one of whom resided near Gióza, the other towards Lykúria. These demons, as was to be expected of such characters, often quarrelled, and at length a terrible conflict occurred between them at a place near the top of Mount Saetá. The one who lived on the western side of the lake, and was the more cunning devil of the two, devised a plan of pelting his adversary with balls made of the fat of oxen, which, when they came in contact with the devils skin, caught fire and annoyed him so terribly, that he was seized with a panic, and could find no way of escape but through the mountain, leaving a passage by which the waters flowed off and left the plain dry.‹ Eine dritte Version dieser Sage endlich findet man bei Dodwell Reise durch Griechenland II, 2, S. 331 d.d. Uebers. v. Sickler.

45

S. besonders Leake Travels in the Morea III, S. 166 f., welcher auch die in einzelnen Punkten von einander abweichenden antiken Berichte am vollständigsten angeführt und besprochen hat. Vgl. noch E. Curtius Peloponnesos I, S. 196. – Leake bemerkt, er habe in Solos keinen Menschen, selbst den Lehrer nicht ausgenommen, gefunden, der so unterrichtet gewesen, um zu wissen, dass er in der Nähe der alten Styx wohne. Dies beweist die Echtheit der örtlichen Ueberlieferung. – Nach Schwab Arkadien S. 16 herrscht bei den heutigen Umwohnern des Styxfalls noch ein anderer Glaube, nämlich der, dass das herabtropfende Wasser, an einem bestimmten Tage des Jahres, den niemand weiss, getrunken, die Eigenschaft habe, den Trinker unsterblich zu machen; wobei man sich an die jüngere Achillessage erinnert, wonach Thetis ihren Sohn in die Styx tauchte und ihn so unsterblich machte.

46

d.i. unterirdische Abflüsse.

47

Ulrichs Reisen und Forschungen in Griechenland I, S. 212 f.

48

Ponqueville Voyage de la Grèce VI, S. 12 der 2. Ausgabe (Paris 1826. 27). Ueber die Oertlichkeit vgl. Bursian Geogr. v. Griechenl. II, S. 280 f.

49

L. Ross Kleinasien und Deutschland (Halle 1850), S. 10.

50

S.E. Curtius Peloponnesos II, S. 553 f. und 598, Anm. 96.

51

S. Chandler Travels in Asia minor and Greece, B. II, S. 207–209 der Oxforder Ausg. v.J. 1825. Ross Erinnerungen und Mittheilungen aus Griechenl. S. 180. Leake Die Demen von Attika, S. 67 d.d. Uebers. Conze Reise auf den Inseln des thrakischen Meeres, S. 33 und 49. Vgl. jetzt auch Lolling in d. Mittheilungen des deutschen archaeol. Institutes in Athen, I, 1876, S. 83 f. – Dem zuerst genannten Briten wurde die in der marathonischen Ebene gehende Sage von einem Eingeborenen so erzählt, dass die übermüthige Frau sammt ihrer Hürde und ihrer zahlreichen Herde zu Stein geworden sei, und eine am Boden liegende sitzende weibliche Bildsäule ohne Kopf als die versteinerte Alte bezeichnet. Auch versicherte man ihm, dass die Felsen in der dortigen Gegend, von einem gewissen Punkte aus betrachtet, das Ansehen von Schafen und Ziegen in ihrer Hürde hätten. Chandler glaubte demnach diese Felsen mit den von Pausanias I, 32 a.E. erwähnten πέτραι τὰ πολλὰ αἰξὶν εἰκαcμέναι, welche man ehedem die ›Ziegenherde des Pan‹ nannte, identificiren zu dürfen, und meinte, dass die Alte der modernen Sage einfach an die Stelle des antiken Hirtengottes getreten sei. Allein nach der Beschreibung des Pausanias befand sich die sogenannte Ziegenherde des Pan innerhalb der diesem geweiheten Grotte, und es müssen demnach Stalaktiten gewesen sein, deren Formen den alten Griechen zu dieser Bezeichnung Anlass gaben. Gleichwohl wird die angeführte Uebereinstimmung der Vorstellungen in der nämlichen Gegend in alter und neuer Zeit schwerlich eine blos zufällige sein. Ich denke mir, dass bis auf Chandler's Zeiten unter den Bewohnern der marathonischen Ebene die Erinnerung an das Vorhandensein merkwürdiger, einer Ziegenherde gleichenden Felsbildungen in der Umgegend aus dem Alterthum sich erhalten hatte, dass aber der Ort selbst ihnen nicht mehr genau bekannt war.

52

Politis Μελέτη ἐπὶ τ. βίου τ. νεωτ. Ἑλλήνων Ι, S. 36. Derselbe theilt S. 35 die Sage in folgender Fassung mit: die Alte habe am letzten Tage des März, in dem Wahne, dass nunmehr alle Gefahr vorüber sei, verächtlich ausgerufen: Πρίτcι, Μάρτι μου! τὰ ξεχείμαcα τὰ κατcικάκια μου!, d.i. ätsch, März, nun hab' ich doch meine Zicklein überwintert; da habe der März im Zorne vom Februar noch einen Tag geborgt, habe durch ungeheure Kälte die Alte genöthigt, sich unter den Kessel zu stecken, in dem sie Käse bereitete, und sie in dieser Lage sammt ihrer ganzen Herde zu Stein werden lassen. Ganz ähnlich Sathas in d. Νεοελλ. Ἀνάλ. I, S. 321 f. – Auf diese Sage beziehen sich endlich auch die Sprüchwörter Nr. 42 ab und 43 ab bei A. Mommsen Griech. Jahreszeiten I, S. 28. Vgl. dazu die Berichtigungen Liebrecht's in d. Jahrb. für klass. Philologie B. CVII, 1873, S. 239, welcher hier zugleich auch, mit Verweisung auf das von ihm zu Gervas. S.182 ff. Zusammengestellte, die Ansicht ausspricht, dass die Alte die Wintergöttin oder den Winter repräsentire.

53

S. Meineke zu Steph. Byz. S. 601 und zu Theocr. 5, 121 (d. 3. Ausg., Berlin 1856). Vgl. auch Pape-Benseler Wörterb. d. gr. Eigenn. unter Γραῖα.

54

φούcταιc oder φουcτανέλλαιc, d.i. Krieger, eine von der modernen Tracht hergenommene Bezeichnung.

55

Ross Erinnerungen u. Mittheilungen aus Griechenland S. 192 f. Vgl. auch Fr. Lenormant Monographie de la voie sacrée Éleusinienne, T. I (Paris 1864), S. 525, n. 1, welcher behauptet, dass sich in der Umgegend von Marathon zu allen Zeiten die Erinnerung an eine grosse und fürchterliche Schlacht erhalten gehabt, und hierfür den türkischen Namen eines dortigen Weilers, cεφέρι, d.i. Schlacht, geltend machen will, worauf nicht eben viel zu geben sein dürfte. Vgl. über diesen Weiler Leake Die Demen von Attika, S. 66 und besonders S. 76, Anm. 210 der d. Uebers.

56

Ampère in der Revue des deux mondes, T. VII, 14. année, nouv. s., 1844, S. 44. – Lenormant a.a.O. macht, wiewohl auf Ampère verweisend, aus dem kleinen Reiter einen ›cavalier gigantesque, armé d'une massue,‹ und Politis Μελέτη I, S. 153 schreibt's ihm nach.

57

Pausan. I, 32, 5. Vgl. auch 15, 3.

58

Pausan. I, 32, 4: ἐνταῦθα ἀνὰ πᾶcαν νύκτα καὶ ἵππων χρεμετιζόντων καὶ ἀνδρῶν μαχομένων ἔcτιν αἰcθέcθαι? καταcτῆναι δὲ ἐc ἐναργῆ θέαν ἐπίτηδεc μὲν οὐκ ἔcτιν ὅτῳ cυνήνεγκεν, ἀνηκόῳ δὲ ὄντι καὶ ἄλλωc cυμβὰν οὐκ ἔcτιν ἐκ τῶν δαιμόνων ὀργή.

59

Vgl. Adolf Wuttke. Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart, 2. Bearbeitung, Berlin 1869, S. 17.

60

Ross Griechische Königsreisen I, S. 55 f. Vgl. auch desselben Reisen im Peloponnes S. 93, Anm. 53. Das Vorhandensein dieser Ueberlieferung in dem parnasischen Arachoba bestätigte auch Dr. Kremos.

61

Bretós im Ἐθνικὸν Ἡμερολόγιον vom J. 1867, S. 97.

62

Schott Walachische Maehrchen (Stuttg. und Tüb. 1845), Nr. 12, S. 152 f., welches Stück die Ueberschrift trägt: ›Eine Geschichte aus der Römerzeit.‹ Vor alten Zeiten, erzählen die Walachen, herrschte der Brauch die bejahrten Leute zu erschlagen, weil man sie als unnütz ansah. Ein junger Mann, der's nicht über sich vermochte, den eignen Vater zu tödten, verbarg denselben im Keller und ernährte ihn heimlich. Nun begab es sich, dass alle streitbaren Männer zum Kampfe ausziehen mussten wider ein Ungeheuer, das von seiner Höhle aus ringsumher Jammer und Elend verbreitete. Da gab der am Leben gebliebene Alte seinem Sohne einen heilsamen Rath mit auf den Weg, dessen Befolgung allen Rettung brachte. Als sie nun erfuhren, wer den Rath gegeben, sahen sie ein, dass es nicht gut sei die alten und eben darum erfahrenen Leute zu tödten, und so wurde die grausame Sitte aufgehoben.

63

Ueber das alte Κείων νόμιμον handelt ausführlich Bröndsted Voyages dans la Grèce, 1. Livraison, Paris 1826, S. 63 ff. Vgl. Böckh's Bemerkungen hierzu in d. Ges. kleinen Schriften, Bd. VII, S. 346 ff. Die wichtigsten Zeugnisse der Alten findet man bei Heraclid. Polit. 9, S. 14 Schneidew., Strab. X, p. 486. Aelian. V. Hist. III, 37. Valer. Max. II, 6, 8.

64

S. besonders F. Liebrecht zu Gervasius von Tilbury, S. 84 ff. Vgl. jetzt auch E. Rohde D. griech. Roman S. 230 Anm. nebst dem Nachtrag auf S. 545.

65

S. Ross Reisen im Peloponnes S. 93, der auch folgende hierauf bezügliche Verse eines Liedes anführt: cτὸ χανδάκι τοὺc ἐχανδακώcανε, Στὴν cκάλαν τοὺc ἐcκαλώcανε, Στὸν Ἅγιον Ἠλιὰν τοὺc ἐλυώcανε, und zum Vergleich heranzieht, was Herakleides bei Athenaeos XII, p. 524 von den Milesiern erzählt: κρατήαc ὁ δῆμοc καὶ τοὺc πλουcίουc ἐκβαλὼν καὶ cυναγαγὼν τὰ τέκνα τῶν φυγόντων εἰc ἁλωνίαc βοῦc cυναγαγόντεc cυνηλοίηcαν καὶ παρανομωτάτῳ θανάτῳ διέφθειραν. Vgl. noch E. Curtius Peloponn. I, S. 302. – Dass auf dem Lykaion noch zu Pausanias‹ Zeit Menschen geopfert wurden, ist nach der geheimnissvollen Ausdrucksweise desselben, mit welcher er es ablehnt auf die Art des dortigen Opferdienstes sich einzulassen (VIII, 38, 7), nicht im geringsten zu bezweifeln. Vgl. Welcker Kleine Schriften III, S. 162, und von Stackelberg Der Apollotempel zu Bassae, S. 102.

66

Conze Reise auf den Inseln des thrakischen Meeres, S. 48.

67

Νεοελληνικὰ Ἀνάλεκτα I, S. 327 f. – Gemeint ist wohl das grösste der drei Eilande dieses Namens, die Νέα Καϋμένη. – Eine andere an derselben Stätte haftende Ueberlieferung erinnere ich mich in der Ἐφημερὶc τῶν φιλομαθῶν gelesen zu haben, vermag aber gegenwärtig die Notiz nicht aufzufinden. Vgl. noch Politis Μελέτη I, S. 407.

68

Lolling in den Mittheilungen des deutschen archaeolog. Institutes in Athen I, S. 136 und 138. – Ueber die Mohren als Ortsgeister vgl. Volksleben I, S. 188.

69

Griechische Königsreisen II, S. 208.

70

Ross Erinner, u. Mittheil. aus Griechenl. S. 229.

71

Ross Griech. Königsreisen a.a.O.

72

E. Curtius Peloponnesos I, S. 309.

73

Derselbe a.a.O. II, S. 448 und 577.

74

Pashley Travels in Crete I, S. 188 f.

75

Vgl. unten die Anmerkungen zu Nr. 23 der Märchen.

76

Ulrichs Reisen und Forschungen in Griechenl. I, S. 123 f. und S. 128, Anm. 32.

77

Ross Griech. Königsreisen I, S. 175.

78

Wyse An Excursion in the Peloponnesus II, S. 19, der βαcιλοπούληc gibt, was Hellenisirung ist.

79

Ross Erinner. u. Mittheil. a. Griechenl. S. 193, welcher vergeblich nach einer Sage zur Erklärung dieses Namens forschte, die aber denn doch vorhanden sein wird.

80

Ludwig Steub Bilder aus Griechenland, Theil I (Leipzig 1841), S. 175, der gleichfalls trotz aller Bemühungen nichts Genaueres darüber zu erfahren vermochte.

81

Κυρὰ ᾽Ρήνη, d.i.Εἰρήνη.

82

Le mont Olympe et l'Acarnanie S. 458 f. (bekanntlich werden die Flussgötter meist als in der Tiefe wohnend vorgestellt). Vgl. übrigens hierzu die theilweise übereinstimmende, an den Namen des Kaisers Trajan sich knüpfende Sage aus Bessarabien, die Friedlaender Sittengesch. Roms I, S. 539 d. 4. A. aus Haxthausen Studien über die innern Zustände Russlands II, 460 mittheilt.

83

S. Pococke's Beschreibung des Morgenlandes, Theil II, S. 352 d. deutschen Uebersetzung, neue Ausg., Erlangen 1791. 4. Vgl. dazu Hoeck Kreta I, S. 24 f. und 381, und II, S. 159. Leider ist Pococke's Mittheilung allzu knapp.

84

Ussing Griech. Reisen und Studien (Kopenhagen 1857), S. 117 f.

85

Conze Reise auf den Inseln des thrak. Meeres S. 51.

86

Der Name ist ungriechisch.

87

Heuzey Le mont Olympe et l'Acarnanie S 359.

88

Buchou La Grèce continentale et la Morée S. 398 f. Vgl. E. Curtius Peloponn. II, S. 381 und 566.

89

Ross Griech. Königsreisen II, S. 208.

90

Buchon a.a.O. S. 402. Vgl. Ross Reisen auf den griech. Inseln I, S. 111 f.

91

Das Lied liegt uns in mehreren Versionen vor. S. Passow Popul. Carmina Graeciae recentioris Nr. 485 und 485 a. Chasiotis Συλλογὴ τῶν κατὰ τὴν Ἤπειρον δημοτικῶν ᾀcμάτων (Athen 1866), S. 115, Nr. 39 (am Ende unvollständig). Buchon a.a.O. S. 401 f., der das Lied aus dem Munde eines Hirten hörte, es aber nur in französischer Uebertragung gibt. Vgl. ferner Ross a.a.O. (Kythnos) und Conze Reise auf den Inseln des thrak. Meeres S. 5 (Thasos). – Nach der von Buchon mitgetheilten Version, die sich auf die Ruine in Argolis bezieht, ist die Schöne ein fränkisches Mädchen. Buchon meint (S. 403 ff.), vielleicht liege dieser Sage ein in der griechischen anonymen Chronik der Eroberung Moreas durch die Franken erwähntes, um das Jahr 1291 fallendes Ereigniss zu Grunde, nämlich die Besitzergreifung der Festung von Araclavon im Inneren des Peloponnes Seitens des fränkischen Ritters Geoffroi de Brière, der durch eine ähnliche List, nämlich in Folge einer erheuchelten Krankheit, Einlass in die Festung erhielt und sich derselben bemächtigte, nachdem er die Besatzung trunken gemacht; eine Begebenheit, die dann in der Erinnerung des Volkes sich umgestaltet und mit irgend einem anderen Ereigniss verbunden hätte, dessen Heldin ein fränkisches Mädchen gewesen. – Ein ›Schloss der Schönen des Landes‹, um die ein kühner Jüngling wirbt, kommt auch in einem epirotischen Märchen vor (Hahn Nr. 22).

92

Annuaire de l'Association pour l'encouragement des études Grecques en France, Jahrgang VIII, Paris 1874, S. 392 ff.

93

Pausan. I, 37 a.E. Vgl. Bursian Geographie von Griechenland I, S. 327.

94

Vgl. Bursian a.a.O. II, S. 17.

95

Reise durch Griechenland I, 2, S. 238 der d. Uebers.

96

Jedenfalls nur verhört oder verdruckt für Κακὴ Πεθερά.

97

II, 711–832 (vgl. V. 830 ff.: saxum iam colla tenebat, Oraque duruerant, signumque exsangue sedebat. Nec lapis albus erat: sua mens infecerat illam).

98

Leake Travels in the Morea II, S. 114.

99

Leake a.a.O. S. 105.

100

Taularios in der Πανδώρα XII, φ. 285, S. 519.

101

Ross Reisen auf den griech. Inseln III, S. 66. Oder ist etwa Ὑγιανῆ verhört für Διγενῆ? – Absichtlich übergangen ist bei dieser Zusammenstellung der mir bekannten griechischen Ortssagen 1) die von François Lenormant Monogr. de la voie sacrée Éleusinienne I, (Paris 1864), S. 399 ff. veröffentlichte Legende von der heiligen Dimitra, welche ich im Rhein. Mus. N.F.B. XXXI, S. 273 ff. als eine Fälschung erwiesen zu haben glaube, und 2) die von Julius Faucher in dem Buche ›Ein Winter in Italien, Griechenland und Konstantinopel‹, B. II (Magdeburg 1876), S. 195 ff. mitgetheilte Erzählung, welche die Ibykossage auf Iktinos, den Erbauer des Parthenon, überträgt und die Entdeckung seiner Mörder durch namensverwandte ἰκτῖνεc, d.i. Weihen, erfolgen lässt, eine Erzählung, die durch ihr gelehrtes Gepräge deutlich zeigt, dass sie keine echte Volkssage ist: ja sie muss sogar durch das Schillersche Gedicht beeinflusst worden sein, da in ihr der Eumenidenchor vorkommt, der bekanntlich eine Zuthat Schiller's ist (F. nennt als seinen Gewährsmann einen griechischen Herrn aus Athen, der von der Ibykossage kein Wort gewusst habe).

102

Triantaphyllidis Οἱ φυγάδεc, Athen 1870, S. 174 f., welche Schrift mir nicht zu Gebote steht. Den Inhalt des Liedes gibt aber, mit theilweiser Anführung des Textes, auch Politis Μελέτη I, S. 278 f. wieder, aus welchem ich geschöpft habe.

103

Loukas Φιλολογικαὶ Ἐπιcκέψειc I, S. 31 f. Vgl. auch Sakellarios Κυπριακά III, S. 273 u.d.W. Διεν(ν)ήc.

104

S. Sakellarios III, S. 46 ff. Loukas I, S. 34 ff. Bei Passow Popul. Carmina Nr. 430 steht eine kürzere, nicht kyprische Version dieses Liedes, welche etwas weniger ins Ungeheure ausmalt und von einem Siege des Digenis im Kampfe mit Charos nichts berichtet. Vgl. auch noch die kretischen Lieder bei Anton Jeannaraki Ἄcματα Κρητικά, Leipzig 1876, Nr. 276 und 93, und über den Ringkampf des Digenis mit Charos im Allgemeinen, der in der That an gewisse Züge der Heraklessage erinnert, Volksleben der Neugr. I, S. 231.

105

Passow Pop. C. Nr. 516 (aus Euboea), und Theod. Kind Anthologie neugriechischer Volkslieder v.J. 1861, S. 62 (nach der handschriftlichen Mittheilung eines Griechen). Weder der eine noch der andere gibt das Lied völlig correct.

106

Vgl. Volksl. d. Neugr. I, S. 187, Anm. 4.

107

Sakellarios III, S. 11 ff. Vgl. auch Jeannaraki Nr. 83.

108

a.a.O., Vorwort S. XVII.

109

Ἱcτορία καὶ cτατιcτικὴ Τραπεζοῦντοc S. 35 ff.

110

Les Exploits de Digénis Akritas, épopée byzantine du dixième siècle publiée pour la première fois d'après le manuscrit unique de Trébizonde, Paris 1875.

111

S.W. Wagner in Zarncke's Literar. Centralbl. v.J. 1876, S. 17. É. Legrand Chansons populaires Grecques (spécimen d'un recueil en préparation), Paris 1876, S. 4, Anm. 2.

112

Auch sonst legen byzantinische Schriftsteller diesen Namen Sprösslingen aus Ehen zwischen Personen verschiedener Rasse bei. Vgl. Wesselofsky in Röttger's Russischer Revue, Jahrg. IV, St. Petersburg 1875, S. 540, in welchem Aufsatze, wie beiläufig bemerkt sei, eine russische Redaction des Gesanges von Digenis nachgewiesen wird.

113

S.V. 824–833 (S. 68).

114

S. Passow Pop. Carm. Nr. 440. Legrand Recueil Nr. 89, S. 194, und Chansons popul. (spécimen), S. 18. Sathas–Legrand Exploits de Digénis, Introd. S. LVII f.

115

Ioannidis Ἱcτορία S. 39, und darnach Sathas-Legrand Introduct. S. CXXXII.

116

Sathas-Legrand a.a.O. S. XCIX f.

117

Introduct. S. CI f.

118

Sathas-Legrand S. 271. – Es ist hier nicht der Ort, näher auf diese Fragen einzugehen. Vgl. im Allgemeinen Wagner a.a.O. und Bursian in der Jenaer Literaturzeitung v.J. 1876, S. 696 f.

119

Ganz ähnliche Erfahrungen, wie ich, hat in diesem Punkte Giuseppe Morosi in den griechischen Dörfern Süditaliens gemacht. S. dessen Studi sui dialetti greci della Terra d'Otranto S. 91.

120

Im Jahre 1870 hat eine griechische Dame eine Sammlung lakonischer Klaggesänge zu Athen veröffentlicht unter dem Titel: Προοίμια Μυρολογίων Λακωνικῶν cυλλεγέντα ὑπὸ τῆc κυρίαc Στ. Π. Ῥαζέλου. Diese Sammlung, die mir erst vor kurzem zugänglich geworden, enthält viel Werthvolles, und mehrere Lieder derselben sind Varianten der von mir gesammelten. Zu bedauern ist, dass die Herausgeberin die Stücke nicht numerirt hat, wodurch das Citiren erschwert wird; auch sind sie nicht einmal durchgängig genau von einander abgetheilt (von einer früher in Athen erschienenen kleinen Sammlung speciell lakonischer Myrologia hat C. Wachsmuth D. alte Griechenl. im neuen S. 112 eine Probe mitgetheilt; auch hat G. Perrot maniatische Klaggesänge mitgebracht und Legrand zur Veröffentlichung überlassen: s. Annuaire de l'Assoc. pour l'encourag. des études Gr. VIII, 1874, S. 389. Vgl. Legrand Recueil Nr. 124). Ferner sind Myrologia zu finden in den Νεοελληνικὰ Ἀνάλεκτα I, S. 121–127, Nr. 69–81, in der athenischen Zeitung Αὐγή v. 14. April 1869, S. 4, bei Chasiotis Συλλογὴ τῶν κατὰ τὴν Ἤπειρον δημοτικῶν ᾀcμάτων, Athen 1866, S. 172–185, obwohl die hier vereinigten 30 Nummern nur zum kleineren Theile Myrologia im engeren Sinne sind, wie denn auch in der betreffenden Rubrik der Passow'schen Sammlung (Nr. 352–407) nur die wenigsten als solche gelten können. Ferner hat Morosi in dem o.a. trefflichen Werke eine Anzahl eigentlicher Klaggesänge aus den griechisch redenden Dörfern der Terra d'Otranto veröffentlicht. Auch unter den von G.G. Pappadopoulos in der Πανδώρα, T. XV, 1864, φ. 353 mitgetheilten Volksliedern der Griechen auf Corsica (in getreuer italienischer Uebersetzung wieder herausgegeben von Astorre Pellegrini unter dem Titel Canti popolari dei Greci di Cargese. Bergamo 1871) sind ein paar Myrologia. Vgl. endlich noch Elpis Melena Kreta Biene, München 1874, S. 27–30, und Lelekas Δημοτικὴ Ἀνθολογία, Athen 1852 (von Passow nicht gekannt), S. 35 f.

121

Die Klagefrauen, die ich selbst kennen lernte, machten zwischen beiden Arten keinen Unterschied, begriffen die eine wie die andere unter dem Namen μυρολόγια.

122

Wer sich davon überzeugen will, der möge die Reisewerke namentlich von Pashley, Fellows und Newton in die Hand nehmen.

123

Damit soll natürlich keineswegs behauptet werden, dass die heutige Aussprache in allen Stücken die alte sei.

124

Ueber diese sonderbare Erscheinung hat einige sehr richtige Bemerkungen gemacht der treffliche italienische Gelehrte Comparetti bei Gelegenheit seiner Anzeige der Deville'schen Schrift über den tsakonischen Dialekt in Kuhn's Zeitschrift XVIII, S. 132 f.

125

Die griechischen (attischen) Jahreszeiten mit Bezug auf Religionsgebräuche und Sitten, in den Verhandl. der 27. Versamml. deutscher Philologen in Kiel, S. 147–156. – Derselbe, Mittelzeiten. Ein Beitrag zur Kunde des griech. Klimas. Schleswig 1870. Derselbe, Griech. Jahreszeiten, unter Mitwirkung Sachkundiger herausgegeben, Heft I–IV, Schleswig 1873–76 (Heft I enthält: neugriech. Bauernregeln, vom Herausgeber, Heft II: das Klima von Athen, von Ludwig Matthiessen, Heft III: Zeiten des Gehens und Kommens und des Brütens der Vögel in Griechenland und Ionien, Heft IV: Klima von Corfu, Ianina und Smyrna, von F. Bösser).

126

S. besonders S. 100. 107. 109–111.

127

Es möge mir gestattet sein, weil nun einmal der Gegenstand darauf leitet, an dieser Stelle anzuführen, wie z.B. das Capitel über die Neraïden von K. Dilthey, einem Gelehrten, der seine Competenz auf mythologischem Gebiete durch manche schöne Abhandlung dargethan hat, in der archäol. Zeitung, N.F., B. VI, 1873, S. 91, A. 4 beurtheilt wird. Es heisst daselbst: ›Ueberhaupt sind B. Schmidts Mittheilungen über die Neraïden von unschätzbarem Werth; sie bieten nach verschiedenen Seiten Stoff, die hier angeregten Gedankenreihen fortzuspinnen und zu stützen. Es scheint, dass in diesem wie in vielen anderen Stücken der griechische Volksglaube keine wesentlichen Veränderungen seit dem Alterthum erlitten hat.‹ Weitere briefliche Aeusserungen desselben übergehe ich gern, wie sehr sie auch zur Bestätigung des oben Gesagten dienen könnten.

128

Vgl. Volksl. d. Neugr. I, S. 222 ff.

129

Gött. gel. Anzeigen v.J. 1865, S. 518 f.

130

Vgl. Volksl. der Neugr. I, S. 9.

131

Benetoklis in d. Ἐφημερὶc τῶν Φιλομαθῶν 1862, S. 2177. Ballindas ebend. 1861, S. 1842. Petalas Ἰδιωτικὸν τῆc Θηραϊκῆc γλώccηc (Athen 1876), S. 41; βουνία = κόπροc βῳδίου ist auch bereits bei Koraïs Ἄτακτα IV, 1, S. 59 verzeichnet. Auf Zakynthos sagt man cβουνιά mit einem in der Volkssprache öfters dem Anlaut vorgesetzten c.

132

νάκαρα, τά, = ἡ φυcικὴ δύναμιc τοῦ ἀνθρώπου: Petalas a.a.O. S. 105.

133

Vgl. meine Bemerkungen in d. Gött. gel. Anz. 1865, S. 514.

Quelle:
Schmidt, Bernhard: Griechische Märchen, Sagen und Volkslieder. Leipzig: Teubner, 1877, S. 1-62.
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