1.
Der Wechselbalg.

Die Frau eines Matrosen gebar einst während der Abwesenheit ihres Mannes einen Knaben und wollte ihn nicht eher taufen lassen, als bis ihr Gemahl zurückgekehrt sei. Die Frauen der Nachbarschaft baten sie zwar tagtäglich, sie solle doch die Taufe nicht aufschieben, denn wer wisse, was dem Kinde sonst passiren könne; aber sie ließ sich einmal nicht bereden und sprach: »Mein Mann muß jeden Tag kommen.«

Doch der Mann kam nicht und als der Knabe beinahe zwei Jahre alt war, hörte die Mutter eines Abends, da sie von der Feldarbeit nach Hause gekommen war, ein merkwürdiges Jammern in seinem Schlafzimmer. Eiligst lief sie an sein Bett und fragte, was ihm fehle.

»O, Mamma, Mamma!« rief er, »ich bin krank und friere, nimm ja die Bettdecke nicht von mir!«

Gleich gab ihm die Mutter Milch zu trinken und fragte ihren ältesten Sohn, der sieben Jahre alt war, seit wie lange sein Brüderchen krank sei.

»Mutter,« antwortete dieser, »er war so glücklich wie ein König, als du fort warst, und sprang munter und guter Dinge im Zimmer umher. Als ich nun auf einige Augenblicke in unsere andere Stube gegangen war, kam es mir vor, als flögen hunderte von großen Vögeln durch den Schornstein, und darnach hörte ich meinen Bruder schreien, und als ich wieder zurückkam, erkannte ich ihn kaum mehr, so verändert hatte er sich in der kurzen Zeit. Seine Kleider waren zerrissen und sein Gesicht so schmutzig, als habe er sich den ganzen Tag im Schlamm herumgewälzt.«[1]

Wie sie ihn nun recht betrachtete, wußte sie nicht, was sie vor Schreck thun sollte. Sein Gesicht war so runzlig wie das eines achtzigjährigen Greises; seine Arme und Beine waren so abgemagert wie ein Besenstiel und über und über mit Haaren bedeckt. Trotz alledem schien er aber doch noch ihrem jüngsten Sohne zu gleichen und Niemand konnte sie überzeugen, daß es ein Wechselbalg sei.

Nun hatten sich die Nachbarsfrauen wieder viel zu erzählen und eine meinte, das komme davon, wenn man sein Kind nicht zur rechten Zeit taufen ließe.

Um diesem Gerede Einhalt zu thun, sagte sie dann eines Tages zu dem Kleinen: »Komm, Alanna, ich will dich schön anziehen und in die Kirche tragen, damit du die heilige Taufe empfängst!«

Aber da schrie der Kleine plötzlich so schrecklich, daß die Dänen fortgelaufen wären, wenn sie es gehört hätten; die Mutter ließ ihn daher ruhig zu Hause, da sonst die ganze Dorfjugend hinter ihr her gezogen wäre.

Als sie am nächsten Abend wieder aus dem Felde kam und nach dem Knaben sah, bemerkte sie, daß er rein angezogen und schön gewaschen und gekämmt war. »Hast du dies gethan?« fragte sie ihren ältesten Sohn.

»Nein«, erwiderte er, »die Nachbarn haben Recht und du hast Unrecht, was ich dir gleich beweisen will. Als ich ein wenig vor die Thüre gegangen war, hörte ich auf einmal allerlei Kinderlieder im Zimmer singen und wie ich mich vor das Schlüsselloch geschlichen hatte, sah ich eine Menge kleiner, weißer Frauen, die ihn wuschen und kämmten; sobald ich jedoch die Thüre aufmachte, verschwanden sie plötzlich.«

»Du sprichst gerade wie die Nachbarn!« sagte die Mutter unwillig.

Am nächsten Tage hatte Pat eine neue Geschichte zu erzählen.

»Mutter,« sagte er, »als du heute früh fortgingst, richtete sich der Kleine im Bette auf und befahl mir, ihm deine Thonpfeife zu reichen, damit er ein wenig rauchen könne.« »Hallunke!« entgegnete ich ihm, »das werde ich der Mutter sagen!« »Sag es ihr nur immerhin,« antwortete er, »sie glaubt dir doch kein Wort!«

»Und das thue ich auch nicht!« erwiderte die Mutter.

Endlich kam ein Brief von ihrem Gemahle, in dem er ihr mittheilte, daß er bald zurück sei. »Nun!« rief sie freudig aus, »wird auch[2] bald die Taufe gefeiert werden!« Darnach zog sie sich an und ging in die Stadt, um Zucker, Thee und Fleisch einzukaufen. Als dies die Nachbarn sahen, liefen sie augenblicklich in ihr Haus und eine starke Frau wickelte den Wechselbalg in ein Tuch und trug ihn fort nach dem nahen Teiche. Er zappelte und fluchte, daß die Bauern die Hände über dem Kopfe zusammenschlugen; aber die Frau fürchtete sich nicht und warf ihn beherzt in's Wasser. Trotzdem er so schwer wie Blei zu sein schien, sank er doch nicht unter, sondern schwamm, die Zähne fletschend und gräßlich lachend, im Teiche herum. »Sagt der Frau,« schrie er, »sie könne von Glück sagen, daß ich sie nicht erwürgt habe!«

Als sie wieder zurückkehrten, begegnete ihnen unterwegs die Frau mit ihrem rechten Kinde auf dem Arme.

»Heute noch muß mein Sohn getauft werden,« sagte sie, »und ihr alle seid hiermit zum Feste eingeladen!«

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 1-3.
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