23.
Oisin's Jugend.

[37] Als die Fianna eines Tages auf der Jagd waren, lief auf einmal ein schnellfüßiges Reh an ihnen vorbei, dem sie lange, jedoch vergebens, nachsetzten. Einer nach dem Andern gab die Verfolgung als nutzlos auf und zuletzt jagte nur noch Fion mit seinen Hunden hinter ihm her. Wie das Reh dies bemerkte, hielt es plötzlich ein und legte sich ruhig in das Gras. Bald hatten es die Hunde eingeholt, aber statt es zu fassen, legten sie sich neben es und leckten ihm zärtlich das Gesicht.

Ein solches Thier zu tödten, schien Fion eine Sünde und er beschloß, es mit nach Hause zu nehmen, wohin es ihm auch willig folgte. Als er nun am Abend allein in seinem Zimmer war, trat eine reichgekleidete Frau vor ihn und sagte: »Ich bin das Reh, das du heute verjagt hast; weil ich die Liebe des Druiden Fear Doirche zurückwies, verurtheilte er mich, drei Jahre lang in Rehgestalt in den Wäldern zu leben; doch theilte mir sein mitleidiger Diener mit, daß ich erlöst würde, sobald ich in's Gebiet des Fürsten von Almuin käme. Ich stellte daher meine Flucht ein, als ich mich nur von deinen Hunden Brann und Sceoluing verfolgt sah, denn ich wußte sehr gut, daß sie das Gemüth und den Verstand eines edlen Menschen besitzen und mir kein Leid zufügten.«

In den folgenden Monaten ging Fion weder auf die Jagd noch in den Krieg, sondern lebte nur für die gerettete Prinzessin. Nun geschah es aber, daß die Loch-Leannach (Scandinavier) in sein Land einfielen und er mit den Fianna gezwungen war, gegen dieselben zu ziehen. Nach einer Woche war der Friede wieder hergestellt und Fion konnte wieder nach Hause eilen; doch als er in der Nähe seiner Burg war, kamen ihm seine Diener weinend entgegen und begrüßten ihn mit halblauter Stimme.

»Warum kommt denn die Blume des Landes, meine Prinzessin, nicht?« fragte er.

»Tadle uns nicht, edler Herr;« antworteten sie, »als du die Streitaxt gegen die weißen Eindringlinge schwangst, erschien auf einmal dein Bild und das deiner beiden Hunde hier auf dem Hügel[37] und wir vernahmen den Ton deines Zauberhorns Dord Fionn. Die gute Saav sprang augenblicklich auf dich; ›meinen Beschützer, den Vater meines ungebornen Kindes muß ich sehen!‹ rief sie. Sie stürzte sich in die Arme des Luftgebildes; aber mit einem herzzerreißenden Schrei flog sie wieder zurück und die Gestalt schlug sie mit einer Haselgerte. In demselben Augenblicke stand ein schlankes Reh an ihrer Stelle, das von den beiden Hunden den Berg hinab getrieben wurde. Mehrmals versuchte es umzukehren, aber jedesmal faßten es die Hunde am Halse und zogen es mit Gewalt fort. Wir waren nicht müssig dabei, doch als wir unsere Waffen geholt hatten, waren Zauberer, Reh und Hunde verschwunden.«

Fion warf verzweifelnd seinen Schild zur Erde und stierte wild vor sich hin. Dann ging er, ohne ein Wort zu sagen in sein Gemach und ließ sich nicht vor dem nächsten Tage sehen.

Sieben Jahre lang durchsuchte er ganz Erin nach der geliebten Saav, aber nirgends war eine Spur von ihr zu entdecken.

Im achten Jahre geschah es, daß seine Hunde auf der Jagd ein kleines Gebüsch umzingelten und durch ihr Bellen anzeigten, daß sie etwas ganz Besonderes gefunden hatten. Fion eilte herbei und fand einen kleinen, schwarzhaarigen Knaben, an dem Brann und Sceoluing freudig hinauf sprangen. Sein Gesicht war das der geliebten Saav und auch aus seinem scheinbaren Alter schien hervorzugehen, daß er ihr Sohn sei. Fion nahm ihn mit nach Hause und als er groß geworden war und ordentlich sprechen gelernt hatte, erzählte er Folgendes:

»Ich und eine Hirschkuh, die mich zärtlich liebte, lebten in einem großen Garten, der mit einem hohen eisernen Zaune umgeben war. Von Zeit zu Zeit kam ein schwarzer Mann zu ihr und sprach zuweilen in zärtlichem und auch sehr häufig in grobem Tone mit ihr; aber was er sagte, konnte ich nicht verstehen. Er verließ sie stets sehr mißmuthig. Sie versuchte häufig mit mir zu entfliehen, aber es gelang ihr nicht. Bei seinem letzten Besuche schlug er sie mit einer Haselgerte, wonach sie ihm willenlos folgte. Ich wollte ihr nacheilen, aber ich war noch zu schwach, um zehn Schritte gehen zu können. Tag und Nacht suchte und schrie ich nach ihr und wenn mich die Hunde nicht aufgefunden hätten, wäre ich sicher den Hungertod gestorben.«

Der Knabe erhielt den Namen Oisin und ward späterhin der berühmte Sänger der Thaten der Fianna in Erin.[38]

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 37-39.
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