24.
Oisin's Greisenalter.

[39] Nach der unglücklichen Schlacht von Gavra wurde Oisin, der einzige überlebende Held, von der schönen Wassernymphe Niav entführt und hundertundfünfzig Jahre im Lande der ewigen Jugend tief unter dem atlantischen Ocean gehalten. Darnach aber ward er des eintönigen Glückes müde und er wünschte nach dem Lande seiner Kindheit und seiner Heldenthaten zurückzukehren, was ihm die liebende Niav, wenn auch ungern, erlaubte. Er setzte sich auf sein weißes Pferd und ritt fort.

Doch in den Thälern und Wäldern Erin's erinnerte man sich nicht mehr des Ruhmes von Fion. Die Burg von Almuin war zerfallen und wilder Epheu umrankte ihre Ruinen. Wo sonst Wallgräben und Schanzen dem Krieger Schutz gegen seine Feinde boten, sah er mit Kreuzen verzierte Kapellen, aus denen die frommen Lieder der Priester ertönten. In Dublin hatte St. Patrik eine große Kirche errichtet.

Als Oisin in die Nähe dieser Stadt kam, waren mehrere Leute damit beschäftigt, einen großen Stein auf einen Karren zu laden; er stieg vom Pferde und half ihnen, hatte jedoch dabei das Unglück, daß der Karren plötzlich umfiel und seinen Schimmel erdrückte. Darnach wurde er nach Bal a' Cliath geleitet, wo ihn St. Patrik in sein Haus nahm und ihn zum Christenthum zu überreden suchte. Doch er wollte nichts davon wissen und erzählte nur von der Heldenzeit der Fianna. Als sich Patrik's Diener einst über seinen erstaunlich großen Appetit wunderten, sagte er, daß in seiner Jugend ein Lerchenschenkel so viel Fleisch wie jetzt der eines Hammels gehabt habe und daß ein Eichenblatt so groß wie ein Schild und eine Erdbeere so dick wie ein Kopf gewesen sei. Doch man glaubte ihm nicht und er ließ sich daher von einem jungen Manne zur großen Säule in der Ebene von Kildare führen. Dort ließ er auf der Südseite nachgraben und nach einigen Stunden hielt er das Dord Fionn, das berühmte Horn Fions, in der Hand.

»Blase,« sprach er zu seinem Gefährten, »und laß mich wissen, was du siehst.«[39]

Er blies in das Horn und bald darnach ertönte ein donnerähnliches Geräusch.

»Ich sehe,« sprach der Begleiter zu dem schwachsichtigen Oisin, »eine große Anzahl riesiger Vögel auf uns zufliegen.«

»Laß den Hund los!« antwortete er.

Er that, wie er geheißen und als sich einige Vögel niedergesetzt hatten, faßte der Hund einen am Beine und der Diener nahm seinen Speer und tödtete ihn. Dann schnitt er ihm ein Bein ab und gab es Oisin.

Auf dem Wege nach Hause fanden sie auch eine Erdbeere und ein Eichenblatt von der besagten Größe; als Oisin diese Zeichen St. Patrik brachte, ward er von ihm und seinen Leuten mit der größten Hochachtung behandelt.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 39-40.
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