30.
Der Flaschenberg.

[51] Mick Purcell war ein armer Landmann, der in der Nähe von Mallow wohnte. Er schlug sich kümmerlich mit seiner Familie durch und wenn er am Ende des Vierteljahres seinem Miethsherrn den Zins für sein kleines Ackerland bezahlen konnte, so konnte er schon zufrieden sein und war es gewöhnlich auch. Einst aber starben alle seine Hühner und Schweine und es blieb ihm von allem seinem Vieh nur noch eine Kuh übrig, was ihn so zurückbrachte, daß er mit seiner Miethe ein halbes Jahr im Rückstande bleiben mußte. Als der dritte Jahrestermin heranrückte und sich seine Lage nicht im mindesten verbessert hatte, fragte er seine Frau mit Thränen in den Augen, was sie thun sollten.

»Nächsten Montag ist Viehmarkt in Cork,« erwiderte Molly, »da bringst du unsere Kuh hin und verkaufst sie.«

»Und was sollen wir dann anfangen?«

»Gott wird schon weiter helfen; verlasse dich nur auf ihn. Weißt du nicht mehr, daß er uns, als unser kleiner Wilhelm sterbenskrank war, den guten Doktor aus der Stadt schickte, der ihm gute Arznei[51] und warme Kleider brachte und ihm, als er genesen war, noch zwei Schillinge dazu schenkte?«

»Du sprichst immer so; aber gewöhnlich hast du Recht. Ich werde morgen nach Cork gehen.«

Am nächsten Tage band er der Kuh einen Strick um den Hals und versprach seiner Frau, sie nur für den höchsten Preis zu verkaufen.

Sein Weg führte ihn an den Ruinen und Wallgräben des alten Schlosses von Mourne vorbei und traurig seufzte er: »O, wenn ich doch nur die Hälfte des Geldes hätte, das hier vergraben liegt, dann würde ich meine arme Kuh nicht auf den Markt treiben.«

Langsam schritt er weiter und als er auf den Berg kam, der jetzt unter dem Namen der »Flaschenberg« bekannt ist, rief auf einmal Jemand »Guten Morgen!« hinter ihm. Mick Purcell drehte sich um und sah einen kleinen, zwerghaften Mann mit gelbem, runzligem Gesichte, spitzer Nase und rothen Augen vor sich.

»Guten Morgen!« erwiderte er freundlich, aber er fürchtete sich doch ein wenig und trieb seine Kuh etwas schneller an. Aber der Kleine folgte; da er einen sehr langen Rock an hatte und man die Beine gar nicht sehen konnte, so schien es, als gleite er nur über den Boden hin.

»Wo willst du mit der Kuh hin?« fragte er.

»Auf den Viehmarkt nach Cork.«

»Um sie zu verkaufen?«

»Das ist doch selbstverständlich.«

»Willst du sie mir nicht verkaufen?«

»Was willst du dafür geben?«

»Ich gebe dir diese Flasche!« Damit zog er eine Flasche unter seinem Mantel hervor und zeigte sie dem armen Mick, der darauf nicht umhin konnte, laut aufzulachen.

»Lache nur zu,« sagte der Kleine, »aber ich gebe dir die Versicherung, daß diese Flasche mehr werth ist, als du in Cork für die Kuh erhältst; sie ist zehntausendmal mehr werth!«

Mick lachte wieder und sagte dann: »Hältst du mich wirklich für einen so großen Narren, daß ich meine Kuh für eine Flasche und noch dazu für eine leere hergäbe?«

»Wenn du mir die Kuh dafür gibst, wirst du es nie bereuen; nimm die Flasche!«[52]

»Was würde meine Frau dazu sagen? Und wie soll ich den Miethzins bezahlen!«

»Aber diese Flasche ist mehr werth als alles Geld auf der Erde; jetzt, Mick Purcell, frage ich dich zum letzten Male, ob du sie haben willst oder nicht?«

Mick war ganz erstaunt, daß der Kleine seinen Namen kannte.

»Thue, wie ich dir sage,« fuhr Jener fort; »ich kenne und achte dich; wenn du die Flasche nicht annimmst, wird es dich späterhin hundertfach gereuen. Deine Kuh kann ja auch sterben, ehe du nach Cork kommst. Auch können dort so viele Kühe sein, daß du sie vielleicht nicht einmal verkaufen kannst und wenn du mit dem Gelde nach Hause gehst, kannst du leicht von Räubern überfallen werden. Weise deshalb dein Glück nicht von dir!«

»Das thue ich auch nicht,« erwiderte Mick, »und wenn die Flasche wirklich so gut ist, wie du sagst, trotzdem mir eine leere Flasche nie gefallen hat, so gebe ich dir gerne die Kuh dafür.«

»Hier ist die Flasche!«

Mick nahm sie. »Wenn du mich betrogen hast,« sagte er, »so wird dich der Fluch eines unglücklichen Mannes überall hin verfolgen!«

»Dein Fluch ist mir so gleichgütig wie dein Segen. Wenn du heute Abend nach Hause kommst und dein Weib mit Zanken und Schelten fertig ist, kehrst du das Zimmer schön rein, legst ein frischgewaschenes Tuch auf den Tisch, stellst die Flasche auf die Erde und befiehlst ihr, ihre Schuldigkeit zu thun.«

»Ist das Alles?«

»Ja, dann wirst du ein reicher Mann.«

»Gott gebe es!«

Darnach ging Mick nach Hause. Nach einigen Minuten drehte er sich wieder um, um seine Kuh zum letzten Male zu sehen; aber sie war nebst dem Manne von der Straße verschwunden. »Gott sei bei mir,« seufzte er; »von dieser Erde ist der Mensch sicherlich nicht!«

Dann kniete er nieder und betete, gab aber dabei sorgfältig Acht, daß er die Flasche nicht zerbrach.

Als er zu Hause ankam, fragte ihn seine Frau: »Bist du schon wieder zurück? In Cork bist du doch nicht in so kurzer Zeit gewesen?[53] Was ist vorgefallen? Wo ist die Kuh? Hast du sie verkauft? Wie viel hast du dafür bekommen? Was hast du sonst Neues erfahren? Erzähle doch gleich.«

»Sobald du mich zu Worte kommen und mich aussprechen läßt, sollst du alles hören. Wo die Kuh jetzt ist, kann ich dir jedoch nicht sagen.«

»Nun, du hast sie verkauft; wo hast du das Geld?«

»Laß mich doch die Geschichte erst erzählen.«

»Wofür hast du denn die Flasche unter deiner Weste versteckt?«

»Sei doch endlich mit deinem Fragen still.« Darauf stellte er die Flasche auf den Tisch und sagte: »Das ist alles, was ich für die Kuh bekommen habe.«

Seine Frau war wie vom Donner gerührt. »O, ich glaubte, du wärest ein vernünftigerer Mensch,« rief sie schluchzend aus; »wie sollen wir nun den Miethzins bezahlen?«

»Kannst du mich denn kein vernünftiges Wort sprechen lassen? Der alte Mann, dem ich begegnete – eigentlich begegnete er mir – sprach lange Zeit mit mir auf dem Berge und bat mich, ihm die Kuh zu verkaufen und sagte, die Flasche sei das Einzige, was mir helfen könne –«

»Ja wohl, das Einzige für dich, Narr!« Sie wollte die Flasche ergreifen und sie ihm an den Kopf schleudern; aber er erwischte sie noch zur rechten Zeit und steckte sie wieder unter seine Weste.

Darauf kehrte er das Zimmer rein, deckte den Tisch mit einem weißen Tuche und stellte die Flasche auf die Erde und sprach: »Flasche, thu' deine Schuldigkeit!«

»Mamma, sieh' doch!« rief ihr fünfjähriger Sohn, »sieh' doch einmal dort hin!«

Die Mutter drehte den Kopf nach dem Tische und sah, wie zwei kleine, winzige Kerle aus der Flasche krochen, den Tisch mit Gold- und Silbergeschirr deckten und die kostbarsten Speisen darauf legten. Darnach krochen sie wieder in die Flasche zurück.

Solche Teller und Schüsseln, Gabeln und Messer hatte das Ehepaar noch nicht gesehen und solche Speisen, wie darauf waren, hatte es im Leben noch nicht gekostet.

»Was sagst du nun zu der Flasche?« fragte Mick seine Frau.

»Ich bin neugierig,« erwiderte sie, »ob diese kleinen Herren die Sachen wieder forttragen werden.«[54]

Sie warteten lange, aber es kam Niemand. »Nun Mick,« sprach die Frau, »der fremde Mann hat dich nicht angeführt und du wirst sicherlich noch ein reicher Mann werden.«

In der folgenden Nacht schliefen beide nicht, sondern berechneten, für wieviel sie wohl das viele Gold- und Silbergeschirr verkaufen könnten und am nächsten Morgen stand Mick früher wie noch jemals auf und eilte mit seinen Schätzen nach Cork.

Als er sie verkauft hatte, kaufte er sich und seiner Frau schöne Kleider und da ihm das Gehen zu unbequem vorkam, so kaufte er sich auch Pferd und Wagen und gab sich überhaupt in jeder Hinsicht große Mühe, den reichen Herrn zu spielen.

Dies kam seinem Miethsherrn verdächtig vor und er spionirte so lange an Mick herum, bis er den Grund seines Reichthums ausgefunden hatte. Er bot ihm ein gutes Stück Geld dafür, aber Mick schlug das Anerbieten aus; doch als er ihm das Landgut auf immer dafür geben wollte, überlieferte er ihm die Flasche.

Mick glaubte, er sei nun sein ganzes Leben lang einer jeden Noch enthoben; aber da täuschte er sich; denn seine Frau glaubte, das Geld nehme gar kein Ende und wirtschaftete toll in den Tag hinein. Und so kam es dann, daß sie in ganz kurzer Zeit wieder so arm wie vorher waren und nur noch eine Kuh besaßen, die Mick wieder nach Cork treiben mußte, um sie dort zu verkaufen.

Als er wieder auf den bekannten Berg kam, bemerkte er plötzlich den zwerghaften Mann vor sich.

»Nun, Mick Purcell,« sprach er, »habe ich dir nicht gesagt, daß du ein reicher Mann werden würdest?«

»Du hast keine Lüge gesagt, aber jetzt bin ich kein reicher Mann mehr. Hast du vielleicht noch so eine Flasche? Ich gebe dir recht gerne die Kuh dafür.«

»Hier ist die Flasche,« erwiderte er; »du weißt, was du damit zu thun hast.«

»Das weiß ich noch ganz gut.«

»Lebe wohl!«

»Lebe wohl, guter Mann, lebe wohl!« Mick eilte nach Hause und schrie seiner Frau schon von Weitem zu, daß er eine andere Flasche habe.

Dieselbe beeilte sich, so schnell sie es vor Freude vermochte, den[55] Tisch zu decken und als Mick eintrat, setzte er gleich seine Flasche darunter und rief: »Flasche, thu' deine Schuldigkeit!«

Augenblicklich krochen zwei furchtbare Kerle aus der Flasche und prügelten den armen Mick nebst seiner Frau dermaßen, daß sie sich kaum noch rühren konnten.

Sobald Mick sich wieder aufraffen konnte, steckte er die Flasche unter seine Weste und ging damit zu seinem Miethsherrn.

»Was willst du?« fragte dieser.

»Ich habe eine andere Flasche!«

»Ist sie so gut wie die erste?«

»Noch viel besser! Wenn du es erlaubst, so lasse ich dich gleich eine Probe sehen.«

»Ich bin's zufrieden.«

Kurz darnach lag der Miethsherr unter dem Tische und bat Mick, doch um Gotteswillen die Flasche wieder mitzunehmen und die beiden wüthenden Kerle zu besänftigen.

»Die hören nicht eher auf, bis ich meine alte Flasche wieder habe!« sprach Mick.

»Nimm sie, sie steht dort auf dem Schranke!«

Mick holte sie und ging mit den beiden Flaschen nach Hause. In kurzer Zeit war er wieder reich und es fehlte ihm an Nichts. Sein Miethsherr aber ward so arm wie eine Kirchenmaus und er war froh, daß Mick's Sohn seine einzige Tochter heiratete, wodurch auch er der Sorgen überhoben wurde.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 51-56.
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