33.
Das Geister-Pferd.

[60] Morty Sullivan war ein junger Mann von lockeren Sitten. Alle Ermahnungen seiner Eltern fruchteten nichts und die Thränen, die sie über ihren ungerathenen Sohn weinten, waren unzählig.

Eines Tages verschwand er und Niemand konnte sagen, wohin er gegangen war. Seine Eltern starben vor Gram und wurden von fremden Händen in's Grab gelegt.

Nach dreißig Jahren kehrte Sullivan wieder zurück und als er seine Eltern nicht mehr am Leben fand, ward er traurig und fragte einen Priester um Rath. Dieser befahl ihm, eine Pilgerreise zur Kapelle des heiligen Gobnate in Ballyvourney anzutreten, was er auch that.

Sein Weg führte durch eine rauhe Gebirgsgegend. Nun ward er einst an einem Abend von einem Nebel umringt, der so dick war, daß er keine zehn Schritte weit sehen konnte. Doch er verlor den Muth nicht und marschirte rüstig weiter, bis er endlich ein Licht sah, auf das er zuging. Er glaubte, dies sei ganz in seiner Nähe, aber er marschirte Meile auf Meile und erreichte es doch nicht. Endlich sah er es dicht vor sich und bemerkte auch, daß eine alte Frau dabei[60] saß, die mit dem Abendessen beschäftigt war. Er ging auf sie zu und fragte, wie es käme, daß sie sich mit ihrem Feuer so schnell bewegen könne.

Die Frau sah ihn an, antwortete aber nicht. Ihre Augen waren dunkelroth und aus ihrem Munde kam ein widriger Schwefelgeruch.

»Wie heißt du?« fragte sie nach einer Weile.

»Morty Sullivan, zu dienen!« erwiderte er.

»Das wollen wir gleich sehen. Fasse meine Hand an und ich werde dich bald an den Ort deiner Bestimmung gebracht haben.«

Sie ergriff ihn bei der Hand und fort ging es mit ihm im Sturmessaus durch die Luft; das Feuer eilte voraus.

Bald waren sie am Eingange einer großen Höhle, woselbst das alte Weib nach seinem Pferde rief, das auch gleich erschien. Morty mußte sich darauf setzen, aber in demselben Augenblicke lag er auch unten im Abgrunde.

Als Morty am nächsten Morgen erwachte und die vielen blutunterlaufenen Stellen an seinem Körper betrachtete, schwur er einen heiligen Eid, nie mehr mit einer Schnapsflasche in der Tasche auf die Pilgerreise zu gehen.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 60-61.
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