34.
Der verwunschene See.

[61] In dem Westen Irlands befindet sich ein See, in dem viele junge Leute das Leben verloren haben und deren Leichname nie mehr gefunden wurden. Nicht weit davon wohnte ein junger Bauer, Namens Boderick Keating, der sich in Bälde mit der schönen Peggy Honan verheiraten wollte.

Als dieser einstmals mit einigen Kameraden in Limmerick gewesen war und den Brautring gekauft hatte, neckten ihn jene und sagten, er habe sich da umsonst Unkosten gemacht, da ihn sein Nebenbuhler Delaney doch noch ausstechen werde.

Aber Roderick hörte nicht darauf und hielt als Antwort triumphirend den Ring in die Höhe. Doch wie er ihn wieder in die Tasche stecken wollte, entglitt er seinen Fingern und rollte hinab in den See unter allgemeinem Gelächter der Umstehenden.[61]

»Nun muß ich wieder nach Limmerick zurück!« rief er weinend aus, »und einen andern Ring kaufen. Oder hat vielleicht Jemand von euch für eine zehnfache Belohnung Lust, in's Wasser zu tauchen und ihn zu holen?«

Doch diese Frage war vergebens; Keiner meldete sich dazu, da Jeder über das Gefährliche dieses Unternehmens schon seit seiner Kindheit allerlei grauenerregende Geschichten gehört hatte.

Wie nun Roderick stumm da stand und nicht wußte, was er beginnen sollte, trat ein armer Mann zu ihm und fragte, ob sich sein Anerbieten auch auf ihn erstrecke.

»Gewiß, Paddeen!« erwiderte Roderick.

Darauf zog jener seinen Rock aus und sprang beherzt in den See. Er tauchte immer tiefer und tiefer und es schien ihm, als sei gar kein Boden da. Endlich erblickte er unten ein Licht und als er dasselbe erreicht hatte, befand er sich auf einmal in einer wunderschönen Gegend, in der die früher Ertrunkenen munter einhergingen und sich allerlei Beschäftigungen machten. Paddeen sprach jedoch zu Keinem, trotzdem er die Meisten davon kannte, sondern ging einem großen Schlosse zu, in dem er sich wegen des Ringes erkundigen wollte. Als er in die Thüre trat, kam eine Frau, die so dick war, daß sie einem zweibeinigen Bierfasse glich, auf ihn zu und wünschte ihm »guten Morgen«.

»Guten Morgen!« erwiderte Paddeen.

»Was willst du hier?«

»Roderick Keating's goldenen Ring!«

»Hier hast du ihn.«

»Ich danke dir. Kannst du mir nicht sagen, ob ich denselben Weg wieder zurück muß, den ich gekommen bin?«

»Bist du denn nicht gekommen, mich zu heiraten?«

»Warte noch ein wenig, lieber Schatz, ich will erst den Ring zurückbringen, damit ich meine Bezahlung erhalte.«

»Wenn du mich heiratest, brauchst du dich um solche Kleinigkeiten nicht zu bekümmern; hier ist alles in Hülle und Fülle, was du brauchst.«

Doch Paddeen that, als höre er es nicht, und marschirte rüstig weiter; denn er hatte nicht die geringste Lust, ein so unverschämt fettes Frauenzimmer zu heiraten.[62]

Als er oben wieder glücklich angekommen, erhielt er fünf Guineen zur Belohnung und das war mehr, als er in seinem Leben jemals besessen hatte. Zurück aber ging er nicht mehr: denn, dachte er, wenn das fette Weib mit aller Gewalt einen Mann haben will, und so reich ist, wie sie vorgab, so kann sie sich ja unten leicht einen auswählen.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 61-63.
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