35.
Die Nixe von Gollerus.

[63] Eines schönen Sommermorgens stand Dick Fitzgerald am Hafen von Smerwick und rauchte behaglich sein Pfeifchen.

»Diesen Morgen sollte sich ein jeder folgende zum Muster nehmen,« sprach er leise zu sich selber. Daß er keine Gesellschaft hatte, schien ihm übrigens nicht recht zu sein; denn er fuhr fort: »Was ist eigentlich der Mensch in der weiten Welt ohne Frau? Eine Flasche ohne einen Tropfen darin, ein Tanz ohne Musik, ein Angel ohne Haken, ein Messer ohne Stiel – kurzum, er ist nur ein halber Mensch!«

Währenddem er nun nachdachte, wie er selber diesem Bedürfnisse abhelfen könne, fielen seine Augen auf eine fremd aussehende Jungfrau, die am Fuße eines Felsens saß und ihr grasgrünes Haar kämmte. Neben ihr lag die Cohuleen Driuth oder die kleine Zaubermütze, wie sie gewöhnlich die Wassernixen gebrauchen. Da Dick sehr wohl wußte, daß er mit dem Besitze jener Mütze auch zugleich die schöne Jungfrau in seine Gewalt bekam, so schlich er sich leise herbei und nahm sie unbemerkt weg und das Mädchen sah ihn erst, nachdem es zu spät war.

Sie weinte bitterlich, aber Dick ließ sich durch nichts bewegen, sein werthvolles Pfand wieder herauszugeben.

»Weine nicht,« sprach er mitleidig und setzte sich an ihre Seite und legte ihre Hand in die seinige, um sie zu trösten.

»Wie heißt du, mein Schatz?« fragte er nach einer Weile, aber sie gab ihm keine Antwort und es schien, als könne sie gar nicht sprechen.

Darauf legte er ihre Hand an sein Herz und seufzte.[63]

»Mensch,« sprach sie, »willst du mich essen?«

»Nicht für alle Unterröcke und Schürzen in ganz Irland,« rief Dick freudig aus, »lieber würde ich mich selber aufessen!«

»Aber, was willst du, Mensch, wenn du mich nicht issest, eigentlich mit mir thun?«

»Lieber Fisch, ich will dich vor der ganzen Welt zur Frau Fitzgerald machen!«

»Das brauchst du nicht zweimal zu sagen; ich gehe mit dir, sobald ich mein Haar geflochten habe.«

Als sie damit fertig war, steckte sie den Kamm in die Tasche und flüsterte dem Wasser einige Worte zu.

»Sprichst du, Schatz, mit dem Wasser?«

»Ich sagte ihm nur, es solle meinem Vater mittheilen, daß er mich nicht zurückerwartet.«

»Wer ist denn dein Vater, mein lieber Schatz?«

»Was? du kennst meinen Vater nicht! Er ist ja der König der Wellen!«

»Dann bist du ja eine Prinzessin! Also dein Vater ist der Wasserkönig; ihm gehört wohl auch das viele Geld auf dem Meeresgrund?«

»Was ist Geld?«

»Ein sehr nützliches Ding. Die Fische verstehen dich vielleicht und bringen dir, was du haben willst?«

»Gewiß.«

»Das ist sehr schön. Ich habe leider nur ein Strohbett zu Hause und das paßt doch nicht für eine Königstochter; ein schönes weiches Federbett mit ein paar warmen wollenen Decken – doch was spreche ich doch eigentlich – du hast wohl nie da unten im Wasser erfahren, was ein Bett ist?«

»O, ich habe allein vierzehn Betten, Austerbetten nämlich!«

»Doch ich sprach von einem Federbette –«

Dick endete seinen Satz nicht; Bett oder keins, Geld oder keins, dachte er, ich heirate die schöne Wasserjungfrau, und ging gleich mit ihr zum Priester.

»Was fällt dir ein,« sprach dieser, »du wirst doch keinen Fisch heiraten wollen? Sieh' doch einmal die Schwimmhaut zwischen ihren Fingern und die Schuppen auf ihrem Nacken an!«[64]

»Ich bitte euch, Hochehrwürden,« erwiderte Dick, »sie ist die Tochter eines Königs und da nimmt man es nicht so genau!«

»Und wenn sie die Tochter von fünfzig Königen wäre – ein Mensch kann doch keinen Fisch heiraten!«

»Sie ist so sanft und schön wie der Mond!«

»Und wenn sie so schön wie die Sonne sammt allen Sternen ist, – ich sage dir, es geht nicht!«

»Aber sie besitzt alles Gold unten auf dem Meeresgrund und ich kann für mein gutes Geld schon leicht einen andern Priester finden, der mich mit ihr traut!«

»Das ändert die Sache natürlich ganz bedeutend; aber warum hast du denn dies nicht gleich gesagt? Du mußt sie unbedingt heiraten und wenn sie hundertmal ein Fisch wäre. Geld darf man bei diesen schlechten Zeiten nicht ausschlagen!«

Darauf fand die Trauung statt und Dick ging alsdann mit seiner jungen Frau nach Hause. Es war ein Vergnügen zuzusehen, wie geschickt sie sich bei den häuslichen Arbeiten anstellte und wie fleißig sie beständig war; daß Dick daher ein sehr glückliches Leben mit ihr führte, versteht sich wohl von selbst. Dick wäre sicherlich sein ganzes Leben glücklich geblieben, wenn er die Cohuleen Driuth sorgfältig verwahrt hätte. Aber zuletzt dachte er vor lauter Glück gar nicht mehr daran und so kam es dann, daß, als er eines Tages auf den Markt gegangen war, seine Frau sie beim Stubenkehren in einer Ecke fand. Sie hob sie auf und dachte über die vielen glücklichen Stunden nach, die sie unten im Wasser verlebt hatte und sehnte sich nach ihren Eltern und Gespielinnen zurück.

»Doch, was wird Dick sagen, wenn er zurückkommt und seine Kinder ohne Mutter findet?« sprach sie zu sich. »Nun, er wird mich ja nicht auf immer verlieren, denn ich werde bald wieder zu ihm zurückkehren.« Darnach küßte sie ihr jüngstes Kind in der Wiege und bat ihre älteste Tochter, ja recht Acht auf es zu geben, bis sie wiederkomme.

Dann ging sie hinab an den Strand. Das Meer war still und ruhig und die helle Sonne spiegelte sich darin. Ihre schönen Jugendjahre zogen noch einmal an ihrem Geiste vorüber, dann setzte sie ihre Mütze auf und verschwand im Wasser. Als sie das Wasser[65] berührte, vergaß sie Alles, was sie auf dem Lande erlebt hatte und kam daher auch nie wieder.

Dick ging tagtäglich mit seinen Kindern an den Strand und rief nach ihr, aber vergebens. Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß sie ihr Vater gegen ihren Willen mit Gewalt zurückbehalte; denn daß sie ihn und die Kleinen jemals vergessen konnte, war ihm nicht denkbar.

Quelle:
Knortz, Karl: Irländische Märchen. Zürich: Verlagsmagazin J. Schabelitz, 1886, S. 63-66.
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