X. Die zur Hündin verzauberte Königstochter.

[47] Maur. 314–7. Nach Rímur, die um 1700 von der Dichterin Steinunn Finnsdóttir gedichtet wurden.


Der König Logi in Rogaland bat eine Tochter namens Signý. Nachdem seine Gattin Álfheiður, eine Tochter des Königs Dagr und der Königin Dýrlaugur, gestorben war, sendet er Boten aus, die um Hlaðvör, die Tochter des Königs Gunnar von Gautaland, für ihn werben sollen. Die Boten verirren sich aber und kommen in ein völlig unbekanntes Land. Hier finden sie ein kleines Gehöft, auf dem eine wunderschöne Frau wohnt, die sie alle zu sich einladet. Sie bezaubert sie so, dass sie für ihren König um ihre Hand anhalten. Auch der König ist mit der Wahl sehr zufrieden, während seine Tochter Signý ihn warnt, da die Braut eine Unholdin sei. Als bald nachher der König auszieht, um im Namen seiner Tochter auf die Erbschaft des Königs Dagr Ansprach zu machen, geht die Stiefmutter zur Kammer der Königstochter und verwünscht sie in die Gestalt eines grimmigen Hundes. Jede neunte Nacht solle sie wieder zum Menschen werden, aber dann nackt auf freiem Felde liegen. Aus der Verzauberung könne sie nur kommen, wenn ein Königssohn sie in ihrer Hundegestalt heirate. Signý legt ihrerseits auf die Stiefmutter den Fluch, dass sie nach der Rückkehr dem König alle ihre Schandtaten gestehen und dann für ewig eine Katze werden soll. – – Die Königstochter verschwindet, so dass niemand weiss, was aus ihr geworden ist. Nur ein alter Mann behauptet, er habe einen Hund mit Menschenaugen gesehen, das sei die Königstochter gewesen. – – – Nun läuft Signý als Hyndla (die kleine Hündin) durch viele Länder, bis sie nach Gautaland kommt. Hier findet sie Unterschlupf bei zwei alten Leuten, die sie als Schäferhund verwenden. – – – Ásmundur, der Sohn des Königs Gunnar von Gautaland, ist einst auf der Jagd und findet am Wege eine nackte Frau, die sich mit Laub zugedeckt hat, und neben der sich ein Hundegewand befindet. Er will sie wecken, um ihr Bekleidung anzubieten, doch da ist sie schon aufgesprungen, hat ihr Gewand übergeworfen und bellt ihn an. Auf dem Heimwege findet er nun einen Runenstab, den Hyndla[48] dort niederlegte, da sie auf ihm ihr Schicksal eingeschnitten hatte. Nun wird der Königssohn trübsinnig, bis er auf die Aufforderung der Mutter, sich eine Braut zu suchen, erklärt, er wolle den Schäferhund der alten Bauern heiraten oder sonst sterben. Trotz aller Vorstellungen lässt er das Hochzeitsmahl richten. Doch sowie alle die geladenen Gäste hören, dass die Braut eine Hündin ist, machen sie sich alle davon. Auf dem Brautsitze bellt Hyndla so gewaltig, dass die Mutter des Königssohnes ihr einen Goldring um die Schnauze legt. Darauf wird sie dann stille. In der Nacht fällt das Hundegewand von ihr, es wird sogleich verbrannt, und nun ist sie vom bösen Zauber erlöst.

Der erste Teil dieses Märchens, d.h. die zweite Heirat des Königs mit einer unbekannten Frau, die seine Brautwerber unterwegs gefunden haben, seine Abwesenheit und die Verfluchung der Prinzessin durch die böse Königin, ist eine Einleitung, wie sie uns im Isländischen in der Mehrzahl von allen Stiefmuttermärchen begegnet. Das Märchen wird erst zur selbständigen Erzählung im zweiten Teile, wo von den Erlebnissen der verzauberten Prinzessin die Rede ist. Hier zeigt es auffallende Übereinstimmung mit zwei griechischen Märchen. Im »Ziegenkind« (Hahn 14 I S. 127 ff.) wird erzählt, dass ein Königssohn einmal beobachtete, wie eine Ziege, die eine Frau statt einer Tochter geboren hat, ihre Haut heimlich abwirft und zum wunderschönen Mädchen wird. Er freit um sie und setzt auch die Hochzeit durch, trotzdem die Ziege beim Feste sich völlig wie ein Tier benimmt. Wie sie einmal aus ihrem Fell geschlüpft ist, nimmt er es und verbrennt es. – Einen ähnlichen Inhalt hat das Märchen vom »Dohlenkind« (Hahn 57 I S. 305 ff.). Der einzige Unterschied ist nur, dass das vom Königssohn gewählte Mädchen statt einer Ziege scheinbar eine Dohle ist. – – Auch in einem modernen indischen Märchen (Benf. I S. 263) heiratet ein Prinz ein Affenweibchen, freilich hier ohne zu wissen, dass die Erwählte ein wunderschönes Mädchen ist. Wie er dann die Tierhülle verbrennt, verliert er seine Gattin und wird erst nach, langem Suchen mit ihr wieder vereinigt.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 47-49.
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