CVII. Christus mit dem Kreuze auf dem Rücken.

[379] Dav. 151–61. Nach einer Erzählung von Þorsteinn Erlingsson.


Ein mächtiger König hat eine einzige Tochter. Diese will er nur dem Freier geben, der die Kraftproben ausführen kann, die er ihm auferlegt. Ein fauler, unnützer Bauernbursche hört auch von der Königstochter, und welche Bedingungen an[379] die Bewerbung um sie geknüpft sind. Er beschliesst, hier sein Glück zu versuchen. Eines Nachts nimmt er die lahme und glasäugige Schindmähre, die im Besitze seiner Eltern ist, und reitet auf ihr von Hause fort. Gegen Morgen kommt er in einen Wald. Wie er eine Weile hindurchgeritten ist, hört er furchtbaren Lärm und sieht dann, wie ein Ritter aus dem Walde vor einem Löwen flüchtet. Der Bursche will nun auch so schnell wie möglich der Gefahr entfliehn, doch sein elendes Tier ist nicht mehr von der Stelle zu bringen. Kaum hat nun der Löwe den Ankömmling erblickt, so lässt er den Ritter fahren und stürzt sich auf die neue Beute. Mit Windeseile springt der Bauernbursche vom Pferd herunter und klettert auf einen Baum, während der Löwe den unglücklichen Gaul zerreisst und verzehrt. Nach der Mahlzeit trollt das Tier sich von dannen. Der Ritter kommt nun zum Bauernburschen, dankt ihm vielmals für seine Rettung und bietet ihm zum Lohne seine Rüstung und sein eigenes Pferd an. Nun kommt der Bursche wie ein Ritter geschmückt in das Königreich. – – – Die erste Aufgabe, die der König dem neuen Bewerber stellt, ist die, ihm bis zum andern Abend die Häupter von zwei Riesen zu überbringen, die nördlich von der Burg ihren Wohnsitz haben. Der fremde Ritter bittet nun vom König sich ein gutes Pferd, Waffen und Rüstung aus und reitet wohlgemut am folgenden Morgen aus der Burg. Sowie er nicht mehr gesehen werden kann, hält er sich in südlicher Richtung, da er natürlich nicht die mindeste Absicht hat, irgendwie sein Leben zu wagen. Doch er verirrt sich und kommt nach langem Ritte gerade in die Nähe der Höhle, die er vermeiden wollte. Er ist oben auf einem Bergkamm, während die Riesen gerade unter einem senkrechten Abhang des Berges zum Schlafen sich hingelegt haben. Steine lösen sich beim Wandern unter des Burschen Füssen. Die Riesen, die von ihnen getroffen werden, fahren aus dem Schlafe und beschuldigen einer den andern eines Mordversuches. Schliesslich kämpfen sie und erschlagen einander. Sowie der Bursche sieht, dass sie tot sind, schneidet er ihnen mit vieler Mühe die Köpfe ab, bindet sie hinten auf den Rücken des Pferdes und reitet so zum Schlosse zurück. Beim Könige spielt er sich furchtbar auf. Diese Arbeit sei ja[380] das reinste Kinderspiel gewesen. – – – Am folgenden Tage soll er nun einen wilden Stier töten, der östlich von der Burg zu finden ist. Auch jetzt versucht er wieder, nach der entgegengesetzten Seite zu fliehen, kommt aber gerade dem wütenden Tier in den Weg. Er flüchtet sich vor ihm mit seinem Pferde über einen grossen und gefährlichen Sumpf, bis er endlich an ein festes Gehege kommt, in dem die Bauern ihr Vieh vor dem Stier zu bewahren pflegten. Da der Verfolger nur schlecht im Sumpfe vorwärts kommt, so erhält er dadurch einen kleinen Vorsprung, so dass er noch schnell die Türe des Geheges öffnen kann. Blind vor Wut stürzt der Stier hinein. Doch die Öffnung ist zu eng, er bleibt drinnen stecken und kommt vor Hunger und Müdigkeit schliesslich um. Sowie der Bursche sich von seinem Tode überzeugt hat, reitet er zurück und gibt den Bauern der Umgegend, die ihm für seine Heldentat nicht genug danken können, den Auftrag, dem Stiere den Kopf abzuschneiden und ihn dem Könige zu bringen. Am Hofe erklärt er selbstbewusst, die von ihm geleistete Tat sei eigentlich nur die Tat eines mittelmässig tüchtigen Mannes gewesen. – – – Seine letzte Aufgabe ist nun, einen Riesen zu töten, der ohne Schonung schon lange Zeit das Königreich verheert. Das Pferd, die Waffen und die Rüstung, die der König zu diesem Wagestück ihm gibt, sind noch viel besser und prächtiger wie die der beiden letzten Tage, so dass der Bursche ganz zufrieden ist, mit ihnen endlich flüchten zu können. Doch ob er will oder nicht – auch jetzt reitet er wieder unwissentlich der Gefahr in die Arme! Er kommt zu einem verödeten Dorfe, in dem der Riese gerade alle Einwohner ermordet. Auf diese Kunde hin will der Bursche natürlich sogleich fliehen. Doch der Mann, der ihm davon erzählte, halt sein Pferd fest und lässt nicht nach, ihn zum Kampfe anzuflehen. Um ihn nun loszuwerden, schickt er ihn zum Riesen ins Dorf. Er solle sagen, es sei nun ein tapferer Ritter da, der mit ihm kämpfen wolle. Sowie der Bote fort ist, gibt er seinem Pferde die Sporen und jagt davon. Doch bald nachher sieht er sich schon von dem Riesen auf einem gewaltigen Pferde verfolgt. Immer geringer wird der Zwischenraum, nun kommt er an einen breiten Graben, der ihn von einem Weideplatze trennt, sein[381] Pferd setzt mit ihm hinüber, doch dann verliert er aus Angst die Besinnung. Wie er nach langer Zeit erwacht, fühlt er ein schweres Gewicht auf sich liegen. Nach näherer vorsichtiger Untersuchung entdeckt er, dass der Riese tot auf ihm liegt, von seinem eigenen gewaltigen Spiesse durchbohrt. Nun fasst der Bursche wieder Mut, schneidet mit grosser Mühe dem Unhold den Kopf ab, bindet ihn an das Pferd des Riesen und reitet so zum Königsschlosse. Hier wird er höchst ehrenvoll empfangen, und noch in derselben Nacht darf er bei der Königstochter schlafen. – – – Wie er am andern Morgen erwacht, hört er draussen grossen Lärm. Darauf kommt sein Schwiegervater ins Schlafzimmer gestürzt und sagt, nun hinge alles von seiner Tapferkeit ab. Ein früherer heidnischer Bewerber sei nun, um sich zu rächen, mit einem gewaltigen Heere gelandet. Der Bursche springt aus dem Bette und will in den Unterkleidern durch eine Hintertüre des Schlosses sich flüchten. Doch draussen sind viele Leute versammelt, die ihn nun sogleich umringen und jubelnd als ihren Führer anerkennen. Der König ist sogar sehr gerührt, dass er es so eilig hatte, dem Feinde entgegen zu stürzen! Da ihm kein anderer Weg der Rettung bleibt, so bedingt nun der Bursche sich aus, ganz allein den Feind in die Flucht schlagen zu dürfen. Er verlangt dafür nur die Waffen, die Rüstung und das Reitpferd des Königs. Das letztere ist nämlich so flink, dass er auf ihm sicher zu entfliehen hofft. Doch wie er das Pferd bestiegen hat, wird dieses scheu und brennt durch. Es wendet sich zu einem Zaungehege in der Nähe der feindlichen Zelte. Der Zaun ist so wacklig, dass ein Teil sich loslöst und dem Burschen am Rücken hängen bleibt. Nun rast das Pferd in gerader Richtung auf die Feinde los. Wie der Anführer derselben den Burschen mit dem Gitter auf dem Rücken sieht, ruft er den Seinigen zu: »Jeder Kampf gegen diesen Feind ist unmöglich. Denn das ist Christus selbst mit seinem Kreuze auf dem Rücken!« Darauf stürzt das feindliche Heer in wilder Flucht zu den Schiffen und segelt, so schnell es geht, heimwärts. Stolz auf den errungenen Sieg reitet nun der Bauernbursche zum Schlosse zurück, wo er bald eine glänzende Hochzeit mit der Königstochter feiert.[382]

Die meisten Märchen von dem feigen Prahlhans, der durch glücklichen Zufall eine Reihe von Heldentaten zu begehen scheint, und der schliesslich die Tochter des Königs heiratet, haben die Einleitung, wie sie in unserm folgenden Märchen sich findet. Dass jedoch auch schon früh dieses Märchen ohne diese Einleitung erzählt wurde, geht aus der Bemerkung bei Grimm hervor (III S. 29). Denn hier erklärt er, dass er die zweite Hälfte vom »tapferen Schneiderlein« als eine selbständige Erzählung im »Wegkürzer« von Montanus (Strassburg 1557) gefunden und an den vorhergehenden Teil von »Sieben auf einen Streich« angeknüpft habe.

Die in unserem Märchen besonders hervorstechende Episode ist der ungewollte Kampf gegen den Feind mit dem ausgerissenen Zaun als Kreuz auf dem Rücken. Das gleiche wird von dem betrügerischen Prahlhans in zwei wälschtyroler Märchen erzählt (Schneller 53 »Hans der Starke« S. 150 ff. und 54 »Der starke Hans« S. 155 ff.). Grimm teilt ferner im dritten Bande (S. 31 ff.) eine Erzählung aus einem holländischen Volksbuche mit, wo »Kobisjen den onversaagden«, dem sein Pferd gegen den Feind durchbrennt, in der Angst an ein morsches Kreuz sich anklammert und mit diesem bewaffnet den Feind in die Flucht schlägt. Nach Cosquin (S. 100) findet sich das gleiche Motiv auch in einer mongolischen Erzählung des Siddhi-Kür, ferner in einem russischen, ungarischen und in einem deutschtyroler Märchen.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 379-383.
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