XIII. Die Maus und die Spinne.

[57] Lbs. 537 4 to.


Ein Bauernsohn, namens Sigurður, soll die einzige Kuh seines Vaters verkaufen. Er begegnet draussen im Walde einem Manne, der ihm, wie er glaubt, einen Beutel mit Geld für das Tier gibt. Wie jedoch zu Hause der Beutel aufgemacht wird, schlüpfen eine Maus und eine Spinne heraus und verschwinden. Der Vater wird über diesen dummen Kauf so böse, dass er den Sohn aus dem Hause wirft. Ratlos irrt dieser nun im Walde umher, bis die Maus ihm begegnet, ihn tröstet und sagt, dass alles zu seinem Heile ausschlagen solle. Er kommt nun, von der Maus begleitet, zu einem Könige, der ihm Aufnahme gewährt. Er hat hier die Aufgabe, täglich die zwölf Stiere desselben zu hüten und ihm bis zum ersten Sommertage jeden Abend etwas von der Speise mitzubringen, die die Stiere zu sich genommen haben. Auf den Rat der Maus folgt er den Tieren gleich am andern Morgen. Wie er mit ihnen an einen Fluss gelangt, sitzt dort am Ufer ein Mann und spielt Schach. Dieser will ihn durchaus zur Teilnahme am Spiele verlocken. Doch die Maus hat Sigurður schon vorher gewarnt, diesem Manne keine Antwort zu geben, sondern ihn unbarmherzig in den Fluss zu werfen. Darauf bedeutet ihm der letzte Stier, der auf ihn gewartet hat, sich auf seinen Rücken zu setzen, und dann schwimmt er mit ihm hinüber. Nun gelangt Sigurður mit dem Tiere an ein Haus. Hier fällt die Stierhaut von ihm ab, und nun sind es zwölf Männer, die sich schweigend an den Tisch setzen und essen. Jeder gibt dem Burschen einen Bissen von seinem Teller, den Sigurður am Abend dann dem Könige bringt. So geht es Tag für Tag, bis endlich am ersten Sommertage alle Stiere erlöst und dauernd wieder zu Menschen geworden sind. Sie waren die Brüder des Königs und waren in der Kindheit, als der König auf einer Heerfahrt war, von der bösen Stiefmutter in Stiere verwandelt worden.

Auf den Rat der Maus bittet sich nun Sigurður die Königstochter Helga zum Lohne aus. Doch der Minister des Königs, Rauður, freit gleichfalls um die Königstochter. Nun soll derjenige[58] sie bekommen, der sich dreimal so gut vor dem andern verstecken kann, dass dieser ihn nicht findet. Auf den Rat der Maus versteckt sich Sigurður nun dreimal hinter den Giebel der Halle. Wie Rauður ihn dort suchen will, setzt sich die Maus so in seinen Haaren fest, dass er schliesslich von dem Vorhaben ablässt. Nun soll Rauður sich verstecken. Das erste Mal ist er ein Pfahl an der Rückseite des Hauses, dann ein grosser Löffel in der Küche und schliesslich eine zweiäugige Nadel in der Nadelbüchse der Prinzessin. Den Pfahl schlägt Sigurður auf den Rat der Maus mit aller Kraft auf den Boden nieder, den Löffel taucht er in siedendes Wasser, und der Nadel sticht er ein Auge aus. Jedesmal zeigt sich dann Rauður vor Schmerz schreiend in seiner wahren Gestalt, und nun liegt er zerschlagen, verbrannt und halb blind im Bette. Er bekennt, dass er der Bruder der bösen Stiefmutter sei. Durch Verlockung der Wächter zum Spiele habe er immer bisher die Erlösung der Stiere zu verhüten gewusst. Sigurður und Helga halten nun Hochzeit. In der ersten Nacht schlüpfen die Maus und die Spinne zu ihnen unters Deckbett, und am andern Morgen liegen dort an Stelle der hässlichen Tiere zwei wunderschöne Königskinder.

Dieses Märchen ist eine Zusammensetzung des Märchens von den zwölf Stieren mit dem Märchen von dem König oder der Prinzessin, die nur den heiraten will, der im Verstecken sie besiegt. Dem Pfahle, der hart auf den Boden geschlagen wird, entspricht in dem Märchen von »der Königstochter, die in ein Pferd verwandelt war«, der Hammer, und auch die Verwandlung in eine Nadel, deren Auge der Suchende durchstechen will, ist in beiden Märchen dieselbe. Ebenso wie dort das Pferd, so verhindert es hier die Maus, dass ihr Schützling gefunden werden kann.

Die Verlockung zum Schachspiel, dem in dem norwegischen Märchen die Aufforderung der Alten, sich lausen zu lassen, entspricht, scheint mir echt isländisch zu sein. Unter den drei Kostbarkeiten des Königs, die in einigen Märchen wiedergeholt werden müssen, befindet sich verschiedentlich ein Schachbrett (vgl. auch den »Roman de Gauvain« aus dem 13. Jahrh.). In dem Märchen »von dem von Riesinnen geraubten Königssohn«[59] vertreiben sich die Jugendgefährten in der Höhle die Zeit durch Schachspiel, und in einer Variante des Märchens vom »goldenen Schuh« kommen die bösen Schwestern täglich zu einem Königssohne, um mit diesem Schach zu spielen. – Auch heute noch soll auf Grimsey, wie man mir in Island erzählte, das Schachspiel von der ganzen Fischerbevölkerung so eifrig betrieben werden, dass sie alle ihre Freistunden damit ausfüllen. – Das Schach muss nach seinem Bekanntwerden ein anderes Brettspiel, das früher auch mit grossem Eifer augenscheinlich gespielt wurde, völlig verdrängt haben. Die »Völuspá« lässt die Götter schon Brett spielen (Str. 8: Tefldu í túni), und nach dem Wiederauftauchen der Erde werden die goldenen Brettspiele im Grase gefunden, die sie in der Vorzeit gehabt hatten (Str. 61: Þar munu eptir undrsamligar gullnar töflur í grasi finnask, Þærs í árdaga áttar höfðu). Zwei Söhne Ragnarr Loðbrók's sitzen beim Königbrett, wie ihnen der Fall ihres Vaters mitgeteilt wird (Ragnars Saga Loðbrókar S. 212), Friðþjófs spielt mit seinem Blutsbruder Björn Brett und lässt sich von den Gesandten der jungen Könige, die Hilfe von ihm heischen, im Spiel nicht stören (Friðþjófs Saga ens frækna S. 117) etc. In der »Heimskringla« ist zum ersten Male nachweislich vom Schachspiel die Rede, und zwar soll nach der Angabe Snorris König Knút seinen Schwager Ulf aus Anlass eines Streites beim Schachspiele haben töten lassen. Danach müsste also das Schachspiel schon im ersten Viertel des 11. Jahrhunderts an den Höfen gespielt worden sein (Heimskringla S. 424). Hier ist jedoch der Ausdruck leika at skáktafli, während das alte Brettspiel durch tefla bezeichnet wird. Es ist also wohl zu vermuten, dass der Streit beim alten Brettspiel entstanden war, dass jedoch Snorri dieses Spiel durch das ihm zu seiner Zeit schon besser bekannte Schachspiel ersetzte. Wie dann in Island das Schachspiel zum Brettspiel κατ᾽ ἐξοχήν wird, verdrängt der alte Ausdruck tefla das umständliche leika at skáktafli.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 57-60.
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