XII. Die zwölf Rinder.

[53] Árn. II 442–46. Nach einer Erzählung aus dem Westen von Dalir.


Zwölf Königssöhne verirren sich während eines furchtbaren Unwetters und kommen in die Gewalt einer Riesin. Bei dieser wohnen elf Töchter, ausserdem noch ein junges Mädchen. Wie die Unholdinnen einmal alle draussen vor der Höhle sind, warnt das Mädchen die Prinzen, die Alte würde sie in der Nacht bei ihren Töchtern schlafen lassen. Sie sollten dann den Riesinnen, sowie sie eingeschlafen seien, das Haar kurz scheren und ihnen die Hauben wegnehmen, um diese selbst aufzusetzen.[53] Dann sollten sie im Bette den Platz mit den Mädchen wechseln. In der Nacht würde die Unholdin sie alle ermorden wollen, an ihrer Stelle jedoch ihre eigenen Töchter erschlagen. Die Königssöhne folgen dem Kat. Nachdem die Riesin ihre elf Töchter getötet hat und nun zu dem Bette des Mädchens gekommen ist, springen die Königssöhne schnell auf und greifen die Alte tapfer an. Wie diese einsieht, was sie getan hat, und dass auch für sie keine Rettung mehr möglich ist, verwünscht sie die Prinzen in zwölf Stiere. Täglich sollen sie, in dieser Gestalt am Königshofe sich aufhalten und nur einmal an jedem Tage ihre frühere Gestalt bekommen. Aber das dürfen sie nur fern von allen Menschen auf einem einsamen Holme in einem grossen See, während sie dort ihre Mahlzeit einnehmen. Nicht eher sollen sie erlöst werden, bis ein Mann ihnen im Königreiche die gleiche Nahrung anbietet wie die, welche sie draussen auf dem Holme genossen haben. Während all dieser Zeit soll das Mädchen unaufhörlich von einem Brunnen zum anderen in der Nähe des Sees Wasser tragen. Wenn ein Mann sich unversehens an sie heranschleichen und sie zu Boden werfen wird, dann erst soll auch sie erlöst sein. – – Nun werden die zwölf Königssöhne von ihren Eltern allenthalben gesucht, aber keine Spur von ihnen entdeckt. Seltsam scheint aber, dass auf einmal täglich zwölf Stiere ins Königreich kommen, dort, ohne etwas zu fressen, eine Zeitlang verweilen und dann wieder verschwinden. – In der Nähe des Königshofes wohnt ein Bauernpaar mit seinem einzigen Sohne þorsteinn. Dieser hört viel von dem plötzlichen Verschwinden der Königssöhne und dem täglichen Kommen der Stiere reden. Er beschliesst, dieser Sache auf den Grund zu gehen, und bittet den König um Gastfreundschaft für den Winter. Diese wird ihm auch gern gewährt – Eines Tages folgt er den Stieren, wie sie wieder das Königreich verlassen. Sie eilen davon, doch er jagt ihnen aus Leibeskräften nach. Endlich kommen sie: an einen See. Die Stiere springen ins Wasser und schwimmen hin über zu einer Insel, nur der letzte von ihnen wartet auf þorsteinn und gibt ihm ein Zeichen, sich auf seinen Rücken zu setzen. – Auf der Insel sieht der Bauernsohn ein kleines Haus. Vor der Tür liegen zwölf Stierhäute, wahrend drinnen[54] zwölf Jünglinge schweigend ihr Mahl verzehren. Þorsteinn sagt auch kein Wort und nimmt von einem jeden ein Stück Brot und einen Schluck Wein, entgegen. Sorgfältig hebt er die ihm gereichte Mahlzeit auf. Nun verwandeln sich die Jünglinge wieder in Stiere und schwimmen zum Lande zurück. Der letzte trägt dann den Bauernsohn hinüber, þorsteinn geht einen kurzen Weg, bis sich ihm wieder ein seltsamer Anblick darbietet. Ein Mädchen trägt schweigend von einem Brunnen zum andern Wasser. Er tritt so schnell und unbemerkt von hinten an sie heran, dass sie zu Boden fällt. Nach einer Weile erholt sie sich und dankt ihrem Retter für ihre Erlösung. Nun erzählt sie ihm, wie es sich mit den Königssöhnen verhält, und was noch geschehen muss, um auch sie vom Zauber zu befreien. Am andern Morgen reicht þorsteinn den Stieren das von ihnen erhaltene Brot und den Wein. Sofort fällt die Stierhaut von ihnen ab, und zwölf Jünglinge liegen am Boden. Der König begrüsst freudig in ihnen seine Söhne, die zur Belohnung zu Gunsten des Bauernsohnes sogar auf ihr Königreich verzichten, þorsteinn heiratet dann das von ihm erlöste Mädchen, auch eine von der Riesin gestohlene Königstochter.

Eine Variante dieses Märchens, die die vorhergehende Erzählung in einigen Punkten ergänzt, findet sich in der Landesbibliothek (Lbs. 538 4 to). Das Königspaar hat ausser seinen zwölf Söhnen, von denen der jüngste Sigurður heisst, noch eine Tochter Ingibjörg. Als Sigurður elf Jahre alt ist, will er durchaus mit seinen Brüdern auf Abenteuer ausziehen. Doch der König lässt es wegen seiner Jugend nicht zu. Im nächsten und nächstfolgenden Jahre kommt der Knabe mit der gleichen. Bitte. Der Vater erlaubt es ihm und seinen Brüdern jedoch erst, nachdem er vierzehn Jahr alt geworden ist. Schiffe gibt er ihnen nicht, sondern nur dreissig Ritter und tüchtige Pferde. Drei Tage hindurch kommen sie auf ihrer Reise gut vorwärts, am vierten Tage jedoch beginnt ein furchtbares Unwetter. Auf Sigurðurs Rat reitet der älteste Ritter an der Spitze und dann alle weiter nach dem Alter, bis Sigurður als jüngster den Beschluss macht. Die Lanzenstangen halten sie wagerecht, so dass jeder Folgende mit der einen Hand das Lanzenende des Vorausreitenden fasst. Schliesslich stürzen die Ritter mit ihren[55] Pferden tot zu Boden, und auch die Pferde der elf ältesten Prinzen können nicht mehr vorwärts. Nun schleppt Sigurður alle seine Brüder, die er abwechselnd auf seinem Pferde reiten lässt, immer weiter, bis sie zu einer Hütte gelangen. Hier klopft er an die Tür. Ein junges Mädchen mit traurigem, verweintem Gesicht kommt zu ihnen heraus. Wie sie die Königssöhne erblickt, erschrickt sie furchtbar und bittet sie flehend, sogleich weiterzuziehen, denn in der Hütte sei ihnen der Tod gewiss. Da die Brüder aber vor Kälte und Hunger nicht mehr vorwärts können, so bittet Sigurður trotzdem um Nachtquartier.

Der alte König wartet vergeblich auf die Rückkehr seiner Söhne. Eines Tages kommt sein Hirte zu ihm und fragt ihn, woher es komme, dass er jetzt so viele Kinder besässe. Zwölf Stiere, die nachts immer beim Rindergehege wären, seien ihm ganz unbekannt. Sowie die Königstochter Ingibjörg das hört, eilt sie hinunter, um die fremden Stiere zu sehen. Diese sind sehr freundlich gegen sie, und besonders der kleinste schmeichelt sich ordentlich an sie heran. Sie eilt nun zum Vater zurück und sagt ihm, dass es mit diesen Rindern eine eigene Bewandtnis haben müsse, denn sie glaube sicher, in den Augen des kleinsten Stieres die Augen ihres Bruders Sigurður erkannt zu haben. – In seiner Ratlosigkeit beruft der König eine Volksversammlung. Er fragt hier, ob irgend einer ihm sagen könne, woher auf einmal so viele Rinder in sein Königreich gekommen seien. Als niemand darauf eine Antwort weiss, verspricht er demjenigen seine Tochter Ingibjörg und das halbe Königreich zur Belohnung, der ihm mitteilen könne, welche Nahrung diese zwölf Stiere zu sich nehmen. – Nun wohnt nicht weit vom Königsschlosse ein alter Mann mit drei Söhnen. Die beiden ältesten haben bei ihm gute Tage, während der jüngste, Sigmundur, alle Arbeit tun muss und nur in der Küche in der Asche liegen darf. Eines Tages macht sich nun der älteste Bauernsohn auf, um die vom Könige verheissene Belohnung zu erwerben. Er geht zum Rindergehege und treibt von hier alle zwölf Tiere mit der Peitsche fort. Dann nimmt er Wasser und Lehm, geht zum Könige und sagt, dass dies die Nahrung der Stiere sei. In der nächsten Nacht wird den Stieren Wasser[56] und Lehm angeboten. Als sie dieses nicht fressen, ist der Betrug entdeckt, und der Bauernsohn wird gehängt. Nicht besser ergeht es seinem zweiten Bruder. Auf die Nachricht vorn Tode seiner Lieblingssöhne wird der Alte so wütend, dass er mit Scheltworten und Schlägen Sigmundur aus dem Hause treibt. Nun kommt auch dieser zum Königshofe, und ihm gelingt es dann, den Zauber zu lösen und die versprochene Belohnung zu erringen.

Das hier folgende Märchen »Die Maus und die Spinne« bringt in seinem ersten Teile noch eine Variante zu den zwölf Stieren. Auch bei Asbj. wird das gleiche Thema behandelt in »De syv Folerne« (31 I S. 138 ff). Hier wird von drei Bauernsöhnen erzählt, die ihr Glück im Dienste eines Königs versuchen. Sie sollen ihm sieben Fohlen hüten und ihm am Abend sagen, was sie essen und trinken. Die beiden älteren Brüder lassen sich von einer Frau, die spinnend am Wege sitzt, von ihrer Aufgabe weglocken. Sie bringen dem Könige fälschlich Wasser und Erde als Nahrung der Tiere. Der Dummling kümmert sich nicht um die Frau. Ihn nimmt dann das kleinste Fohlen auf den Rücken und bringt ihn zuerst zu einer Hütte. Hier bekommt er ein Schwert, mit dem er an seinem Hochzeitstage den Fohlen den Kopf abhauen muss, damit diese wieder zu Menschen werden. Weiter bringt ihn das Fohlen zu einer Kirche, wo die sieben Königssöhne in ihrer menschlichen Gestalt am Altare Brod und Wein gereicht bekommen. Von dieser Nahrung bringt der Dummling am Abend dem Könige. Zum Lohne heiratet er dann die Königstochter und erbt das Reich, da die nun erlösten sieben Brüder der Prinzessin zu seinen Gunsten auf die Herrschaft verzichten.

Von dem Vertauschen der Kopfbedeckungen, um durch diese Täuschung dem Tode zu entgehen, erzählt auch Gonz. in der Geschichte von »Caruseddu« (83 II S. 143.). Weitere Nachweise finden sich noch bei Köhler (Kl. Schr. S. 196, 467, 547).

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 53-57.
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