XVI. Der zum Löwen verzauberte Königssohn.

[65] Árn. II S. 386–91. Nach dem Manuskripte vom Pastor Sveinbjörn Guðmundsson.


Ein Königspaar hatte eine Tochter, namens Háðvör. Mit ihr wurde ein Pflegebruder, Hermóður genannt, zusammen erzogen, und schön früh verlobten sich die beiden miteinander. Nach dem Tode der Königin verheiratete der König sich wieder. Die zweite Gattin hatte er mit ihrer Tochter und einer Dienerin in einem unbekannten Lande gefunden, als er nach dem Bäte seiner sterbenden Gattin auf dem Wege war, um die Königin von Hetland zu freien. Die fremde Frau gab sich für die Gesuchte aus, und so wurde die Hochzeit gefeiert. – Háðvör und Hermóður kümmern sich wenig um die Stiefmutter und ihre Tochter. Zwischen der Königstochter und der fremden Dienerin, die Olöf heilst, entsteht jedoch bald gute Freundschaft. Einst muss der König fort auf Heerfahrt. Nach seiner Abreise kommt die Stiefmutter zu Hermóður und fordert[65] ihn auf, ihre Tochter zu heiraten. Doch er will nichts davon wissen. Nun wird die Königin wütend und wünscht, dass er auf einer einsamen Insel leben und am Tage ein Löwe, in der Nacht aber ein Mensch sein soll. Nicht eher könne er erlöst werden, bis Háðvör sein Löwenfell verbrenne. Hermóður verflucht nun seinerseits die Königin, dass sie und ihre Tochter nach seiner Erlösung zu Ratte und Maus werden und stetig im Schlosse miteinander kämpfen sollen, bis er nach seiner Rückkehr sie beide mit dem Schwerte tötet. – Nun verschwindet Hermóður, und niemand weiss, was aus ihm geworden ist – Olöf sagt nun der Königstochter Haft vor, wozu die Stiefmutter ihren Pflegebruder verwünscht hat, und wie sie ihn erlösen kann. Sie erzählt ihr, dass die Stiefmutter und ihre Tochter zwei schlimme Riesinnen seien, die auch sie einst aus ihrem Elternhause geraubt hätten. Doch sie könnten ihr nichts Böses anhaben, denn der grüne Mantel, den sie immer trüge, schütze sie vor jeder Verfolgung. Schlimm stünde es jetzt um Háðvör. Der dreiköpfige Bruder der Stiefmutter wolle sie heiraten. Um sich vor ihm zu retten, solle nun die Königstochter siedendes Pech bereit halten. Sowie sie unterirdischen Lärm höre, und der Fussboden sich öffnen würde, solle sie das Pech in die Öffnung giessen, dann würde der Riese getötet. Die Königstochter folgt diesen Weisungen. Früh am nächsten Morgen geht die Stiefmutter, der Böses ahnt, vor das Burgtor und sieht dort ihren Bruder, den dreiköpfigen Riesen, tot am Boden liegen. Sie verwandelt ihn in einen wunderschönen Königssohn und eilt dann klagend zu ihrem Gemahl, der mittlerweile von seiner Heerfahrt zurückgekehrt ist. Sie sagt, Háðvör habe ihren unschuldigen Bruder erschlagen. Für dieses Verbrechen müsse sie Genugtuung haben, denn der Bruder sei für die Königstochter ein Freier gewesen, wie sie ihn sich nur habe wünschen können. Da der König ihr die Bestrafung seiner Tochter überlässt, so bestimmt sie, dass ein grosser Leichenhügel für den Toten aufgeworfen werde, und dass Háðvör lebend das Grab mit ihm teilen soll. – Der verzweifelnden Königstochter gibt auch jetzt wieder Olöf guten Rat. Sie soll sich einen weiten Mantel machen lassen und ihn in den Hügel mitnehmen. Der Riese würde dort gleich seine[66] frühere Gestalt bekommen und als Gespenst umgehen. Wenn er von ihr ein Stück Fleisch aus ihren Waden für seine beiden Hunde verlange, solle sie es ihm nicht eher geben, bis er ihr gesagt habe, wo Hermóður sei, und wie sie zu ihm gelangen könne. Beim Verlassen des Hügels solle Háðvör ihren Mantel lose um die Schultern hängen und ihn fahren lassen, denn der Riese würde betrügerisch noch versuchen, sie am Mantel zurückzuhalten. – Die Königstochter entkommt nun glücklich aus dem Leichenhügel. Da sie sich nach den Angaben des Riesen aus der Haut ihrer Fusssohlen Schuhe gemacht hat, mit denen sie über Wasser und Land gehen kann, so gelangt sie schliesslich zu dem ihr bezeichneten Eilande. Aber hier stehen am Strande nach allen Seiten so hohe Felsen, dass sie nicht weiss, wie sie ins Innere zu kommen vermag. Ermüdet schläft sie ein. Im Traume kommt eine riesige Frau zu ihr und verspricht, ihr zu helfen. An einem der Felsen würde ein Seil herabhängen, an dem solle sie sich aufziehen. Ein Knäuel und einen Gürtel würde sie beim Erwachen neben sich liegend finden. Der Gürtel würde sie vor Hunger schützen, und das Knäuel würde ihr zur Höhle des Hermóður den Weg zeigen. Háðvör gelingt es nun, das Löwenfell zu verbrennen und so den Geliebten zu erlösen. Die Frau, die der Königstochter im Traum erschienen war, ist eine gutmütige Riesin, die mit fünfzehn jungen Söhnen gleichfalls auf der Insel wohnt. Sie ist gerne bereit, den beiden weiter zu helfen. Sie leiht ihnen ein Schiff, um zum Festlande zu gelangen und bittet, sie herbeizurufen, wenn sie in Not seien. Auf der Fahrt sieht sich denn auch das junge Paar von einem gewaltigen Walfische verfolgt, da der Riese aus dem Leichenhügel jetzt diese Gestalt angenommen hat, um sie zu verderben. Auf ihren Hilferuf erscheint die befreundete Riesin gleichfalls als Walfisch, von fünfzehn jungen Walfischen begleitet. Es entsteht ein Kampf im Wasser, in dem der Riese unterliegt. – – – Wie Hermóður und Háðvör ins Königsschloss zurückkehren, herrscht dort grosse Trauer. Die neue Königin samt ihrer Tochter sind verschwunden, aber eine Ratte und eine Maus kämpfen in der Halle den ganzen Tag miteinander, und niemand ist im stände, die ekligen Tiere zu vertreiben. Wie Hermóður sie mit seinem[67] Schwerte tötet, liegen auf dem Boden zwei scheussliche Unholdinnen, die sogleich verbrannt werden. Nun wird der König über alle Ereignisse aufgeklärt, und das junge Paar feiert seine Hochzeit.

Ebenso wie in unserm Märchen die von den Riesinnen geraubte Königstochter Olöf durch ihren grünen Mantel vor: allen Fachstellungen der Unholde geschützt ist, so bekommt Mjaðveig im »goldenen Schuh« ein Brusttuch von der toten Mutter, und in der »Gänsemagd« (Grimm 89 II S. 10 ff.) gibt die alte Königin ihrer scheidenden Tochter ein Läppchen mit drei Blutstropfen mit. So lange sie dieses bei sich trägt, kann niemand Gewalt über sie bekommen.

Auch Sæmundur fróði wirft nach der isländischen Volkssage (Árn. I S. 491) einen Mantel über sich, wie er die »schwarze Schule« verlässt. Der Teufel greift den Mantel, während Sæmundur entschlüpft.

Die Schuhe aus Menschenhaut spielen auch sonst in der isländischen Zaubersage eine Rolle. Es heilst von ihnen, dass sie nie aufgebraucht würden, so lange man mit ihnen nicht auf einen Kirchhof oder sonst geweihten Boden geht. Bei Árn. (I S. 443 ff.) wird von einem Dienstknecht erzählt, dass dieser seinem Versprechen zufolge so lange bei einem Bauern bleiben wollte, bis ein Paar Schuhe, die der Bauer ihm gegeben hatte, verbraucht seien. Im dritten Jahre sind die Schuhe noch wie neu. Auf den Rat eines unbekannten Mannes geht der Knecht nun mit den Schuhen auf einen Kirchhof, und da fallen sie ihm sofort wie Zunder von den Füssen.

Einen gleichen Gürtel, wie die Riesin der Háðvör schenkt, hat in dem Märchen »die rechte Braut« Isodda von ihrer Pflegemutter bekommen.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 65-68.
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