XVII. Der Fluch der Patin.

[68] Árn. II 424–27. Aus der Sammlung von Árni Magnússon Nr. 602 a 4 to., Papierhandschrift (ums Jahr 1700.)


Eine junge, kinderlose Herzogin, die sich sehr nach einem Kinde sehnte, ging einst mit ihrer Dienerin in einem schönen[68] Haine spazieren. Hier wurde sie so vom Schlaf übermannt, dass sie nicht mehr widerstehen konnte und sich zur Ruhe niederlegte. Im Traum erschienen ihr drei blau gekleidete Frauen, die zu ihr sprachen: »Wir kennen deinen Wunsch, und wir wollen dir zur Erfüllung desselben verhelfen. Gehe zu einem Bache hier in der Nähe, in dem du eine Forelle sehen wirst. Bücke dich und sieh zu beim Trinken, dass die Forelle dir in den Mund schwimmt. Dann wirst du bald nachher schwanger werden. Wir wollen dann später das neugeborene Kind aufsuchen und ihm den Namen geben.« Die Königin richtet sich nach diesen Weisungen und kommt dann auch mit einem schönen Mägdlein nieder. Eine alte Frau aus einer benachbarten Hütte leistet ihr bei der Geburt die nötige Hilfe. Ihr hatte die Herzogin vorher gesagt, dass zum neugeborenen Kinde drei Frauen kommen würden. Diese solle sie festlich empfangen und sie mit alle dem bewirten, was schon vorher die Herzogin für die Gäste bereitgestellt hatte. Die alte Frau tischte jedoch nur für zwei Gäste auf und behielt das, was für die jüngste bestimmt war, für sich. – Die drei Erwarteten kommen und nennen sich alle Blákápa. Wie die jüngste von ihnen sieht, dass ihr kein Empfang bereitet ist, wird sie furchtbar zornig. Die beiden älteren Frauen geben nun dem Kinde nach ihrer Mutter den Namen Mærþöll und schenken ihr Schönheit, Güte und Klugheit, und dazu noch die Gabe, dass alle ihre Tränen in Gold verwandelt werden. Ein prächtiger Königssohn solle sie heiraten, und mit ihm solle sie in Liebe ein glückliches Leben führen. – Die jüngste will die Segenswünsche der Schwestern nicht aufheben. Aber sie fügt zur Strafe für den schlechten Empfang hinzu, dass die Prinzessin in ihrer Hochzeitsnacht zum Sperlinge werden und nur in den drei ersten Nächten für kurze Zeit ihre Menschengestalt wieder bekommen solle. Wenn nicht einer dann schnell die Sperlingshaut verbrenne, müsse sie auf immer ein Vogel bleiben. Über diese Verwünschung werden die beiden anderen Frauen so wütend, dass sie alle in Eile das Schloss verlassen und nie wiedergesehen werden. – – Mærþöll wächst nun bei ihren Eltern zur herrlichen Jungfrau heran, und alle Segenswünsche erfüllen sich ihr aufs schönste. Von dem Golde ihrer Tränen[69] ist der Herzog, ihr Vater, so reich geworden, dass ausserhalb und innerhalb der Burg alles von Gold ist. Ein schöner, mächtiger Königssohn kommt nun aus fernen Landen und freit beim Herzog um Mærþöll. Das Mädchen wird ihm auch zugesagt, aber da der Vater nur ungern sein Kind verliert, soll Mærþöll mit der Bauerntochter Helga, ihrer Freundin und Gespielin, die Kleider wechseln, und diese soll als Herzogstochter gelten. Der Königssohn, dem die Dienerin viel schöner erscheint, als die vermeintliche Herrin, gibt zur Probe beiden Jungfrauen einen Backenstreich. Da weint die Herzogstochter gewöhnliche Tränen, während den Augen der Dienerin Gold entquillt. Nun ist der Betrug entdeckt, und der Herzog muss seine Tochter mit dem Königssohn ziehen lassen. Die Bauerntochter Helga begleitet das junge Paar. In der Hochzeitsnacht bittet Mærþöll ihre Gespielin, für sie in den ersten drei Nächten in den Armen des Königssohnes zu schlafen, denn jetzt würde die Verwünschung an ihr sich erfüllen. Helga ist dazu auch bereit, nur weiss sie nicht, wie sie Gold weinen soll, da der Königssohn ihr stets am Abend ein Tuch gibt, das bis zum andern Morgen mit Gold gefüllt sein muss. Die Prinzessin rät ihr nun, dem Königssohne einen Schlafdorn zu stecken und dann zu ihr hinaus auf den Hügel zu kommen. Für kurze Weile erhielte sie ja ihre Menschengestalt wieder, so dass sie in dieser Zeit das Tuch mit Tränen füllen könne. – – – In der Nacht, als der Königssohn durch den Schlafdorn fest eingeschlafen ist, erhebt sich Helga, kommt zum Hügel und ruft die Freundin herbei:


Komi, komi, Mærþöll,

Komi min vina,

Komi ljósa mær

á lyng götu;

jeg á gull að gjalda,

en gráta ekki má.


Komme, komme, Mærþöll,

Komme, meine Freundin,

Komm, du lichte Maid,

Auf den Heideweg.

Gold soll ich geben,

Aber kann es nicht weinen.


Da fliegt ein Sperling zu ihr und verwandelt sich dann in die Königstochter. Am dritten Abend sticht die treue Helga dem Prinzen den Schlafdorn absichtlich so lose, dass er bald herausfällt, und dadurch der Bräutigam erwacht. Da er die Braut vermisst, macht er sich auf, sie zu suchen. Draussen auf dem[70] Hügel sieht er zwei Frauen stehen. Er schleicht sich hinzu und hört nun, wie Mærþöll der Freundin noch einmal ihre Leidensgeschichte erzählt und für immer dann von ihr Abschied nimmt. Während die beiden in langer, schmerzlicher Umarmung sich umschlungen halten, eilt er hinzu, nimmt das Sperlingsgewand und verbrennt es. Nun ist Mærþöll erlöst und führt mit dem Gatten in Liebe ein glückliches Leben.

Eine Parallele zu diesem Märchen findet sich bei Grundtv. in »Hindeprinsessen« (6, II S. 72 ff.). Hier wird die Königstochter, die schon von Kindheit an einem Prinzen verlobt ist, von ihrer bösen Stiefmutter verflucht, dass sie zur Hindin werden solle, sowie sie ins Brautbett steige. Ein armes Bauernmädchen, das mit ihr auferzogen ist, und das der Prinzessin sehr ähnlich sieht, legt sich am Hochzeitsabend zum Bräutigam ins Bett, während die wahre Braut als Hindin in den Wald läuft. Drei Jahre hindurch lebt nun die treue Dienerin in Stellvertretung der Gattin mit dem jungen König in einem geschwisterlichen Verhältnisse. Während dieser Zeit geht sie an jedem Weihnachtsabend hinaus in eine Waldhütte, da dann die Prinzessin für eine Stunde ihre Menschengestalt wieder erhält. Am dritten Weihnachtsabend schleicht der junge König sich nach, belauscht das Gespräch der beiden und erlöst seine Gattin.

Gleichwie hier die kinderlose Königin durch das Verschlucken einer Forelle schwanger wird, ebenso auch in dem Märchen »Kísa« (vergl. auch Bjarnar Saga Hitdaelakappa S. 42–3. Anm. Maurers). In dem Verschlucken des ganzen Fisches weicht dieses Motiv von den übrigen Märchen, die es auch benutzen, im Isländischen ab. Denn dort, z.B. bei Hahn (Nr. 22), Gonz (Nr. 39), Grimm (Nr. 85) etc., wird der Fisch, den ein kinderloser Mann fängt, zu Hause zerschnitten und meist zwischen der Frau, dem Pferde und den Hunden verteilt, (vergl. Köhler, Kl. Schr. S. 179 ff.).

Maurer (S. 287) macht in betreff der drei Frauen, die nachher als Paten erscheinen, auf die Nornir der älteren, die Völvur und Spákonur der späteren Sagen aufmerksam und erwähnt »Nornagests saga« c. 11 und »Saxo Grammaticus« VI S. 272 (ed. Müller), wo in gleicher Weise wie hier von dem Segen[71] der beiden älteren und dem Fluche der jüngsten Schicksalsschwester erzählt wird. Auch bei Grimm kommen im Dornröschen zwölf weise Frauen, um das Kind zu segnen – die dreizehnte, die aus Versehen nicht eingeladen war, legt einen Fluch auf die Kleine. Gute Feeen sprechen bei Bas. (2. Tag 8. Märchen I S. 238 ff.) über das Mädchen, das aus einem Rosenblatt geboren war, einen Zaubersegen. Nur die letzte, die schnell noch herbeieilen will, verrenkt sich in der Eile den Fuss und stösst im Schmerze eine Verwünschung gegen das Kind aus.

Was den Namen Mærþöll anbetrifft, so hält Maurer ihn nur für eine Korruption von Marðöll oder Marþöll, den Beinamen der Freyja, (S. 287), eine Ansicht, die viel Wahrscheinlichkeit für sich hat, da von dieser Göttin ja auch gesagt wird, dass sie goldene Tränen weine.

Dass von den weisen Frauen dem Kinde die Gabe geschenkt wird, goldene Tränen zu weinen, ist im Vergleiche zu den Wundergaben, die andere Mädchen zuerteilt bekommen, noch sehr bescheiden. Köhler (Kl. Schr. S. 126 ff.) gibt eine ganze Auslese von wunderbaren Eigenschaften, die in den verschiedenen Märchen die Heldin schön besitzt, oder mit denen sie auf irgend eine Weise erst später beglückt wird. Bei Grimm weint die »Gänsehirtin am Brunnen« Perlen und Edelsteine (179, II S. 266 ff.), in einem griechischen Märchen bei Hahn (28, I S. 193 ff) wird von einem Mädchen erzählt, dass es Rosen lacht und Perlen weint, dem Aschenbrödel wird bei Asbj. (55 »Buskebruden« S. 288 ff.) verliehen, dass beim Strählen Gold aus den Haaren, beim Sprechen Gold aus dem Munde fällt. Ebenso fallen im Sizilianischen einer Märchenheldin aus den Haaren Perlen und Edelsteine, aus dem Munde aber Rosen (Gonz. 34, I S. 227 ff). Noch reicher gesegnet ist ein Mädchen bei Bas. (4. Tag 7. Märchen II S. 84 ff). Durch den Wunsch einer alten Frau, der sie Gutes erwies, kommen beim Atmen Rosen und Jasmin aus ihrem Munde, Perlen und Granaten fallen ihr vom Kopf, und Lilien und Veilchen spriessen unter ihren Füssen hervor.

Über das Stecken des Schlafdorns verweist Köhler (Kl. Schr. S. 261) bei der Besprechung von einem Campbellschen Märchen, in dem eine Alte der Heldin eine Schlafnadel in den Rock[72] gesteckt hat, auf Grimms Mythologie S. 1155 und L. Uhlands Schriften S. 464 = Germania 8, 79. Von dem Schlafdorn ist in isländischen Märchen noch verschiedentlich die Rede, z.B. in dem Märchen von »Vilfríður Völufegri« (d.h. hier in meiner Sammlung »Schneewittchen« genannt), dann in dem Märchen von »Björn bragðastökkur« (= der Vater, der seine eigene Tochter verfolgt) etc.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 68-73.
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