XVIII. Kísa.

[73] Þork. S. 282–7. Nach einem Manuskripte der Landesbibliothek in Reykjavík, 1866 geschrieben (Lbs. 423 8 vo).


Einer kinderlosen Königin droht ihr Gatte, der gerade auf Schatzreisen auszieht, dass er sie töten lassen würde, wenn sie bis zu seiner Heimkehr kein Kind habe. Traurig sitzt die Königin in ihrem Garten. Da kommt eine alte Frau zu ihr und rät ihr, im Walde aus einer Quelle zu trinken, drinnen seien zwei Forellen, eine schwarze und eine weisse. Die weisse Forelle solle sie hinunterschlucken, aber nur ja nicht auch die schwarze. – Die Königin folgt dem Rat, trotz aller Sorgfalt schlüpfen jedoch beide Forellen ihr in den Mund. Nach neun Monaten gebiert die Königin ein wunderschönes Mädchen und eine schwarze Katze (Kísa). Voller Entsetzen lässt die Mutter das Tier in den Wald jagen. Als die Königstochter, die Ingibjörg genannt wurde, herangewachsen war, kommt einst die Katze zu ihr und begrüsst sie als Schwester. Mit Scheltworten wird sie von der Jungfrau fortgewiesen. Am folgenden Abend und am dritten Abend wiederholt sich derselbe Vorgang. Beim letzten Male ist auch noch die Königin zugegen, die jedoch ebensowenig von einer Katze als Tochter etwas wissen will. – Kurz nachher verirrt sich Ingibjörg beim Spiele mit ihren Dienerinnen im dichten Walde. Ein Riese kommt zu ihr und bietet ihr an, sie mit sich heimzunehmen. Da sich die Prinzessin weigert, ihm zu folgen, schlägt er ihr mit einer Axt beide Füsse ab und geht dann fort. Nach einer Weile sieht Ingibjörg ihre Schwester Kísa mit einem Wagen, den sie mit ihrem Schwänze vorwärtszieht, vorbeikommen. Auf ihr flehentliches[73] Bitten nimmt Kísa die hilflose Schwester schliesslich auf den Wagen und fährt mit ihr zu einer Hütte. Hier legt sie auf die blutenden Stümpfe Lebenşgras, das sofort den Schmerz wegnimmt. Dann ladet die Katze auf ihren Wagen eine Salztonne und macht sich mit ihr auf zur Höhle des Riesen. Dort hört sie gerade, wie der Unhold seiner Frau von seiner Begegnung mit der Prinzessin erzählt und die Absicht ausspricht, am andern Tage Ingibjörg vollends zu töten, wenn sie nicht freiwillig mit ihm zur Höhle kommen wolle. Unbemerkt streut Kísa ihre ganze Salztonne in die Grütze. Nach der Mahlzeit ist die Riesengesellschaft so durstig, dass einer nach dem andern sich aufmacht, um Wasser zu holen. Kísa ertränkt sie der Reihe nach im Brunnen. Dann geht die Katze in die Höhle, sucht die abgehauenen Füsse Ingibjörgs, die der Riese mit Lebensgras bedeckt hatte, und fährt sie dann im Wagen zu ihrer Schwester. Durch das Lebensgras wachsen die Füsse dann wieder an die Stümpfe an. Nach acht Tagen fährt Kísa die Prinzessin wieder zum Schlosse zurück. Wie Ingibjörg heiratet, bedingt Kísa zum Lohne sich aus, zu den Füssen des Brautpaares schlafen zu dürfen. Am anderen Morgen liegt das Katzenfell, das dann schnell verbrannt wird, am Boden, und aus der Katze ist eine schöne Prinzessin geworden. Diese erzählt dann, dass sie und Ingibjörg Schwestern gewesen seien. Eine böse Stiefmutter habe sie zu Forellen verflucht. Nicht eher könnten sie erlöst werden, bis eine Königin sie verschlucke und wiedergebäre. Dann solle jedoch Kísa, da sie der Stiefmutter noch feindlicher gesinnt gewesen sei, zuerst zu einer Katze werden. Ihre Menschengestalt solle sie erst dann wiederbekommen, wenn sie in der Hochzeitsnacht ihrer Schwester zu den Füssen des Brautpaares geschlafen habe. –

In der Landesbibliothek (Lbs. 538 4 to) finden sich noch zwei Varianten dieses Märchens. Nach der ersten, die ohne Angabe des Erzählers ist, wird Dagbjört (so ist wegen ihrer lichten Schönheit die Prinzessin genannt worden) von einem dreiköpfigen Riesen in seine Höhle geschleppt. Hier soll sie das furchtbare Ungeheuer küssen, doch sie weigert sich entsetzt und wird nun zur Strafe mit den Haaren festgebunden. Wie es dunkel wird, kommt zu ihr eine Katze und fragt[74] »willst da meine Schwester sein, Dagbjört?« – Entsetzt schlägt sie ihr diese Bitte ab, und traurig läuft die Katze fort. Am nächsten Abend wiederholt sie die gleiche Frage. Die Königstochter ist nun mittlerweile durch Hunger so geschwächt, dass sie in alles einwilligt. Nun läuft Kísa ins Königreich, wo gerade Kinder geschlachtet und gekocht werden. Sie fragt den König, ob sie nicht so viel vom Fleische mitnehmen dürfe, wie sie auf der Schwanzspitze tragen könne. Der König ist es zufrieden. Nun schleppt die Katze zum Entsetzen aller alles Fleisch davon und eilt mit ihrer Last in den Wald. Mittlerweile hat hier der Pflegevater der Katze, der ein mächtiger Zauberer war, den Riesen getötet und Dagbjört befreit. Kísa kommt mit dem Fleisch gerade zur rechten Zeit, um die arg verhungerte Prinzessin ordentlich sättigen zu können. Dagbjört kehrt nun mit ihr zu den Eltern zurück und behandelt die Katze fortan als ihre Schwester. Wie zwei Königssöhne kommen, von denen der ältere um sie freit, will sie ihn nur heiraten, wenn der jüngere Bruder sich mit ihrer Katze vermählen will. Nach langem Sträuben ist dieser dann endlich dazu bereit. Am Morgen nach der Hochzeitsnacht liegt neben ihm im Bette eine wunderschöne Prinzessin, auf dem Boden aber ein schwarzes Katzenfell, das sogleich verbrannt wird. Die zweite Variante (von Jón Bjarnarson auf Þúfur) erzählt, dass eine Königin zwei Töchter gehabt habe, Helga und Ingibjörg. Einst ist sie schwer krank und fragt nun ihre Töchter, wie diese Krankheit wohl enden wird. Helga sagt, das wisse sie nicht, während Ingibjörg das Leiden der Mutter für tödlich erklärt. Über diese Antwort wird die sterbende Königin so böse, dass sie ihre Tochter in eine Katze verwandelt. Sie könne nicht eher erlöst werden, bis ein Königssohn sie heirate. – – – Nach dem Tode der Mutter geht Helga mit ihrer Katze in den Wald. Sie kommt hier zu einer alten Frau, die ihr Nachtquartier gibt. Am folgenden Tage soll sie dafür der Alten den Pferdestall reinigen und die goldene Nadel wiederfinden, die dort vor vier Jahren verloren ging. Auf Kísas Rat lässt sich nun Helga Hacke, Rechen und Eimer geben. Im Pferdestall sagt dann die Katze: »Hacke, hacke du, Rechen, miste du, Eimer, trage du hinaus!« Während[75] nun der Stall gereinigt wird, schaut Kísa auf einem Querbalken sitzend aufmerksam auf den Boden, bis sie dort endlich die Goldnadel entdeckt. Nun trägt Helga den Fand zur Alten, und diese sagt ihr zum Lohne, dass für sie und ihre Schwester zwei Freier ins Königreich gekommen sind. In der Hochzeitsnacht wird dann Kísa erlöst.

Dieses Märchen wird, mit allerdings einigen Abweichungen, schon bei Strap. erzählt (3. Nacht 3. Fabel I S. 190 ff.). Hier gebiert eine Marquise zugleich mit einer Tochter auch eine Natter. Wie das junge Mädchen einmal allein im Garten ist, wird sie von der Natter als Schwester begrüsst, und am folgen den Tage wird sie dann von der Natter zuerst in Milch, dann in Rosenwasser gebadet. Nun erscheint sie von wunderbarer Schönheit und ist mit Zaubergaben gesegnet, d.h. Perlen und Edelsteine fallen aus ihren Haaren, und Teilchen und Rosen spriessen beim Waschen ihrer Hände hervor. Doch sie soll diese Zaubereigenschaften vor ihren Eltern verbergen. Da sie diesem Gebot der Natter nicht folgt, ergeht es ihr nach der Heirat mit dem Könige von Neapel recht schlecht. Denn die Stiefmutter des Gatten schickt sie in Abwesenheit des Königs mit zwei Knechten hinaus in den Wald, um sie töten zu lassen. Aus Mitleid mit ihrer Schönheit schenken die Knechte ihr das Leben, schneiden ihr aber die Hände ab und stechen ihr die Augen aus, da dieses die von der Stiefmutter verlangten Wahrzeichen sind. Auf die verzweifelte Bitte der jungen Königin erscheint nun schliesslich die Natter zur Hilfe. Sie fügt die Hände wieder an die Arme, und auf die Wunden, wie auf die Augen legt sie ein heilsames Kraut. Die Hände wachsen nun wieder an, und die Sehkraft kehrt zurück. Dann streift die Natter ihre Haut ab und wird zu einem schönen jungen Mädchen. Durch die Hilfe der Schwester wird dann auch die junge Königin mit ihrem Gatten wieder vereinigt und die Stiefmutter bestraft.

Im Norwegischen ist dieses Märchen auch bekannt (Asbj. 54 »Lurvehætte« I S. 281 ff.). Eine kinderlose Königin badet sich auf den Rat eines alten Bettelweibes eines Abends und setzt das Badewasser unters Bett. Am Morgen wachsen in demselben zwei Blumen, eine hässliche und eine schöne. Da[76] die Blumen ihr so gut schmecken, so isst die Königin entgegen dem Rate der Alten alle beide auf. Nun gebiert sie zwei Töchter, zuerst ein wahres Ungeheuer auf einem Bocke reitend und dann ein liebliches Mädchen. Die schöne Prinzessin bekommt durch den Zauber einer Riesin einen Kalbskopf. Die Schwester fährt mit ihr allein auf einem Schiffe fort bis zu der Wohnung der Riesin. Hier stiehlt sie den Kopf der Königstochter und setzt ihr denselben an Stelle des Kalbskopfes wieder auf. Nach längerer Fahrt kommen sie dann in ein Königreich, dessen Herrscher Witwer ist und einen Sohn besitzt. Der König will nun die schöne Prinzessin heiraten, doch Lurvehætte will es nur zugeben, wenn der Sohn des Königs sich mit ihr vermählen will. Auf dem Wege zur Kirche verwandelt sich dann das Ungeheuer in eine schöne Prinzessin.

Von der gleichzeitigen Geburt eines Knaben und eines Ichneumon wird auch im Pantschatantra erzählt (Benf. II S. 326 ff.). Im weiteren Verlauf weicht jedoch dieses Märchen völlig von dem hier behandelten Thema ab. – – –

Wie im isländischen Märchen und bei Strap. die abgehauenen Hände und Füsse durch ein Lebensgras oder Heilkraut wieder geheilt werden, ebenso wird bei Grimm durch drei grüne Blätter eine Tote wieder belebt (16, I S. 65 ff.). Bei Bas. (1. Tag 7. Märchen I S. 90 ff.) wird der Kopf des Bruders durch ein heilsames Kraut wieder an den Hals gefügt, und in der parallelen Erzählung bei Grimm (60 »die zwei Brüder« S. 230 ff.) holt der Hase die Lebenswurzel, um den Kopf wieder anzuheilen.

Dass Ingibjörg und Kísa eigentlich zwei wiedergeborene Prinzessinnen sind, ist in unserm isländischen Märchen ein Zug, der sich nur hier belegen lässt. Aus der altisländischen Literatur wird das Gleiche auch von Sigrún und Helgi erzählt (Helgakviða Hundingsbana II). –

Das Verbrennen der Tierhülle, wodurch der verzauberte Mensch gezwungen wird, seine menschliche Gestalt zu behalten, ist nach Benfey ein indischer Glaube (Benf. I S. 253). Der Vater des als Schlange geborenen Brahmanensohnes verbrennt z.B. in der Hochzeitsnacht des Sohnes dessen Schlangenhaut, so dass der Sohn seine menschliche Gestalt behält (Benf. II S. 147).[77] Die Reinigung des Pferdestalles, die auf Kísas Aufforderung Hacke, Rechen und Eimer von selbst besorgen, findet sich auch noch einmal in dem Märchen »Litill, Trítill und die Vögel«. Die Werkzeuge, die alle Arbeiten verrichten, sind auch in den isländischen Zaubersagen vertreten (vergl. z.B. Árn. I S. 12, S. 494 etc.).

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 73-78.
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