II. Blákápa.

[7] Lbs. 533, 4 to.


Ein König hat drei Töchter, von denen die jüngste Blákápa heisst. Wie diese 16 Jahre alt ist, freit ein Königssohn um sie. Doch der Vater verweigert sie ihm und gibt ihm die älteste Tochter zur Ehe. Nun spricht der Königssohn den Fluch aus, Blákápa solle zur furchtbaren Riesin werden und so lange an jedem ersten Sommertage ihre Dienerinnen töten, bis sich eine finde, die den Tod nicht fürchte.

Die älteste Schwester der verzauberten Prinzessin lebt sehr unglücklich mit ihrem Manne, denn dieser ist kein Königssohn, sondern ein Unhold. Sie hat eine Tochter, namens Hildur. Als diese 15 Jahre alt geworden ist, fühlt die Mutter ihr Ende nahen. Sie warnt ihre Tochter vor dem eigenen Vater, da dieser sie nach ihrem Tode heiraten wolle. Nach dem Rate der sterbenden Mutter flieht Hildur zur Riesin Blákápa. Sie dient ihr bis zum ersten Sommertage, und wie dann die Riesin sie zu ermorden droht, zeigt sie keine Furcht vor dem bevorstehenden Tode. – – Hildur heiratet nun den Bruder ihrer Mutter, nachdem dieser ihr vorher versprochen hatte, ohne ihre Zustimmung keinen Wintergast anzunehmen. Dieses Versprechen wird dann später vom Könige gebrochen. Als die Königin ein Kind gebären soll, kann nur der Wintergast (der in Wahrheit[7] ihr eigener Vater ist) ihr Hilfe leisten. Sie bringt einen Knaben zur Welt. Durch Gesang schläfert der Wintergast die übrigen Frauen ein und legt unter Hildurs Zunge Schweigegold. Dann schneidet er dem Knaben einen Finger ab, steckt ihn der Mutter in den Mund und legt das blutige Messer daneben. Das Kind wirft er darauf zum Fenster hinaus, wo es von Blákápa, die den Vorgang beobachtet hat, unbemerkt aufgefangen wird. – Hildur soll nun als Menschenfresserin verbrannt werden. Wie sie schon auf dem Scheiterhaufen sitzt, kommt die Riesin Blákápa, die sie befreit und mit sich fortnimmt. – Der Wintergast wird nun des Königs Minister. Nach Jahren verirren sich die beiden einmal auf der Jagd. Sie kommen in die Höhle der Blákápa. Hier muss der Minister seine Lebensgeschichte erzählen, und zur Strafe wird er dann in einen Kessel mit kochendem Wasser geworfen. Der König kehrt mit Hildur zum Hofe zurück, während der Knabe bei der Riesin bleibt. Wie dieser in der Nacht bei ihr schläft, wird aus der Riesin wieder eine Königstochter.

Hier haben wir die Verschmelzung von zwei verschiedenen Märchen. Zuerst handelt es sich um die Königstochter, die nur dann erlöst werden kann, wenn ihre Dienerin trotz aller Drohungen den Tod nicht fürchtet. Sowie der Fluch, ihre Dienerinnen töten zu müssen, von Blákápa genommen ist, greift die Erzählung ein neues Thema auf, d.h. die Verfolgung der unglücklichen Königin durch ihren eigenen Vater. Dieses Thema werde ich später in dem Märchen vom bösen Vater (No. XXXI) ausführlich behandeln. Es findet sich im Isländischen übrigens verschiedentlich verwandt, um ein Märchen noch länger auszuspinnen, z.B. Árn. II S. 399 ff., in dem Märchen von Lauphöfða (Lbs. 438, 4 to.) etc. In dem letztgenannten Märchen heisst die Riesin, die sich der unglücklichen Königin zuerst annimmt, gleichfalls Blákápa. Aber von deren späteren Erlösung ist dann nicht die Rede. Blákápa bietet der Königin, die einen Winter hindurch bei ihr wohnt, beim Scheiden an, sich aus ihrem Besitztum irgend etwas auszuwählen. Sie wählt nun für sich eine andere Riesin, die einen Korb auf dem Kopfe trägt und deshalb Lauphöfða genannt wird. Diese ist dann die verzauberte Prinzessin. – –[8]

In einem Märchen, dessen Anfang mir in Island Steingrímur Thorsteinsson erzählte, dessen Ende er sich aber leider nicht mehr entsinnen konnte, war das hilfreiche Wesen, das sich eines armen Mädchens annahm, gleichfalls Blákápa genannt. Es spielte in dem Märchen-Bruchstücke ziemlich die Rolle unserer Frau Holle. Der Name Blákápa findet sich auch in dem nächstfolgenden Märchen »von der zur Riesin verzauberten Königstochter« für die Schwester der guten Stiefmutter, die dem Prinzen bei der Lösung seiner Aufgaben hilft. Bei Árn. (II S. 92) heisst in den Volkssagen eine Riesin, über die aber nichts Sonderliches berichtet wird, auch Blákápa. Nach Maurer (S. 284) nennen sich die drei hochgewachsenen Frauen, die der kinderlosen Königin zu einem Kinde verhelfen, und die nachher die Patenschaft übernehmen, gleichfalls Blákápur, d.h. Blauröcke. Zu bemerken ist hier noch, dass von den Elbenfrauen im Isländischen immer erzählt wird, dass sie blau gekleidet seien. –

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 7-9.
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