III. Jóhanna.

[9] Lbs. 534, 4 to. Guðmundur Jónsson von Minna-Haf hörte dieses Märchen im Jahre 1882 von einem Manne aus der Þingeyar-sýsla.


Ein Königspaar hatte eine einzige Tochter, namens Jóhanna. Die war so schön und gut, dass nirgends ihresgleichen zu finden war. Nicht weit vom Schlosse wohnte in seiner Hütte mit seiner Frau und zwei Söhnen ein armer Mann, der Hörður hiess. Dia Königstochter spielte, so lange sie klein war, oft mit den Knaben, denn der älteste, Léttfeti, war ebenso alt wie sie, und der zweite, Snarfari, war nur ein Jahr jünger. Der ältere der Brüder glich ganz seinem Vater, der gross und hässlich und ausserdem von solcher Gemütsbeschaffenheit war, dass die meisten Leute nicht gern etwas mit ihm zu tun hatten. Der jüngere war jedoch schön und freundlich, gerade so wie die Mutter, die einst wegen ihrer Schönheit weit und breit bekannt war.

Als Jóhanna ihr zwölftes Jahr erreicht hatte und zur blühenden Jungfrau herangereift war, erkrankte der König sehr schwer. Frau und Tochter sassen Tag und Nacht an[9] seinem Bette, aber immer hoffnungsloser wurde sein Zustand. In ihrer Verzweiflung schickt die Königin ihre Tochter zu Hörður, ob er nicht noch Hilfe wisse. Wie Jóhanna zur Hütte kommt, wird sie vom Alten recht unfreundlich empfangen. Auf ihre flehentliche Bitte hin bestellt er sie auf den anderen Morgen wieder zu sich und verspricht, bis dahin nach Hilfe sich umzuschauen. Am anderen Tage wird das Mädchen von ihm an den See gesandt, der an der einen Seite der Königshalle sich befindet. Hier solle sie sich in einen Nachen setzen, der am Ufer liege, und diesen loslösen. Er würde dann von selbst mit ihr zu einem Holme fahren, wo ein heilkundiger Zwerg wohne. Wenn dieser verspräche, ihren Vater zu retten, so sei alles gewonnen. Jóhanna führt getreulich die Weisungen des Alten aus. Wie sie zum Zwerge kommt, erfährt sie jedoch von diesem gleichfalls einen höchst unfreundlichen Empfang. Der König habe ihn einst aus seinem Heim unter den waldbewachsenen Felsen verjagt, so dass er nun auf dem einsamen Holme wohnen müsse. Jetzt habe er sicher keine Lust, ihm auch noch das Leben zu retten. – Ratlos bleibt Jóhanna stehen, und schliesslich setzt sie sich an einen Bach und weint bitterlich. Nicht lange dauert's, so kommt ein kleines Mädchen, um Wasser zu holen, und auch dieses ist in Tränen. Jóhanna fragt mitleidig, was ihr fehle. Die Kleine erzählt, ein Messer und einen Gürtel verloren zu haben, die sie von der Mutter geliehen bekommen hätte. Jóhanna schenkt ihr sogleich ihr eigenes Messer und ihren eigenen Gürtel, beides kostbare Schmucksachen. Strahlend läuft die Kleine davon. Nach kurzer Zeit kommt eine Frau zu Jóhanna und dankt ihr für die Gaben, die sie ihrem Kinde geschenkt habe. Sie selbst könne ihr nichts zum Entgelt geben, aber wenn der Zwerg, ihr Mann, nach Hause käme, so solle sie schon ihren Lohn empfangen. Das Mädchen geht nun mit der Frau ins Haus, wird von ihr nach besten Kräften bewirtet und schläft in der Nacht mit der Tochter im gleichen Zimmer. Erst gegen Morgen kann sie jedoch einschlafen. Da scheint ihr im Traume, als versuche ein furchtbarer Unhold, sich neben sie zu legen. Sie kämpft mit allen Kräften gegen ihn. Wie er sie nicht besiegen kann, wird er wütend und verflucht sie. Sie solle am Tage[10] zum scheusslichsten Ungeheuer werden, in jeder Nacht solle ein riesiger, zottiger Hund bei ihr schlafen und ihr keine Ruhe lassen. – – Endlich erwacht Jóhanna. Der Zwerg ist mittlerweile heimgekommen und gibt ihr nun ein Mittel, das ihren Vater zu retten vermag. Zugleich sagt er aber auch, dass er den Zauber nicht aufzuheben vermöge, den im Traume der Unhold über sie ausgesprochen habe. Der einzige, der ihr vielleicht helfen könne, sei Hörður. Sie solle ihm vom Zwerge Gold bringen, und dann würde er wohl willig werden, denn er sei ja sein Pflegesohn. Wenn sie aber einst in grosser Not sei, so solle sie seinen Namen rufen – dann würde er zur Rettung herbeieilen. – – Jóhanna dankt dem Zwerge für seine Wohltaten und eilt nach Hause. Sowie der Vater das Mittel bekommt, ist er wieder gesund und frisch. Das Königspaar ist totunglücklich über den Fluch, der ihre Tochter betroffen hat, und Jóhanna sucht selbst noch Hörður auf, um ihn um Rettung anzuflehen. Der Alte verspricht zu tun, was in seinen Kräften stehe. Aber er habe nur wenig Hoffnung, denn der Riese, der sie verzaubert habe, sei der schlimmste Unhold weit und breit. – – Nun vergeht einige Zeit. Die Königstochter ist verschwunden, und an ihrer Stelle lebt ein furchtbares Ungeheuer im Schlosse. Der König lässt nun im ganzen Lanze bekannt machen, dass derjenige, der seine Tochter vom Zauber erlösen könne, sie zur Gemahlin bekommen solle. Als Hörður dies hört, sagt er zu seinen Söhnen: »Nun ist es an der Zeit, seine Manneskraft zu zeigen«. Snarfari, der jüngere Sohn, erklärt darauf sogleich, dass er sich aufmachen wolle, um das Mädchen zu befreien. Der Alte will lieber den ältesten Sohn fahren lassen, gibt aber schliesslich nach unter der Bedingung, dass er nach drei Tagen Léttfeti senden würde, wenn bis dahin Snarfari nicht zurückgekehrt sei. Hörður schickt nun seinen Sohn zuerst zu seinem Bruder Hálfdan, der draussen tief im Walde wohnt. Als Wahrzeichen sendet er ihm einen Ring und lässt ihn bitten, Snarfari nach besten Kräften beizustehen. Hálfdan nimmt den Neffen freundlich auf, aber auch er rät dringend von dem Vorhaben ab. Da jedoch der Jüngling sich nicht zurückhalten lässt, so schickt er ihn zum dritten Bruder Úlfur, der wieder eine Tagereise weiter draussen im Walde wohnt.[11] Dieser Oheim, der gleichfalls sich erst alle Mühe gibt, den Neffen vom Wagestück zurückzuhalten, entlässt ihn am anderen Morgen mit genauen Anweisungen, wie er sich zu verhalten habe. Es seien im ganzen sieben Riesen, ein altes Weib mit vier Töchtern und zwei Söhnen, mit denen er zu kämpfen haben werde. Der älteste Sohn habe sich der Königstochter bemächtigen wollen, um sie zu heiraten. Aber er habe sich nicht ins Haus des Zwerges hineinwagen können und habe darum aus Rache den schweren Zauber auf Jóhanna gelegt. – – Snarfari geht nun den Weisungen Úlfurs gemäss zur Höhle und kommt gerade dorthin, als die Unholde fort sind, um sich am Bache zu waschen. Er versteckt sich in ein Erdhaus, das unter dem Bette der Alten sich befindet. Hier wird er auch nicht von ihr gefunden, trotzdem sie bei der Rückkehr sogleich riecht, dass ein Mensch da sein muss. Als gegen Sonnenaufgang die ganze Riesengesellschaft endlich eingeschlafen ist, zündet Snarfari vor der Höhle einen grossen Scheiterhaufen an, um sie drinnen zu ersticken. Aber durch Ungeschicklichkeit macht er Lärm, alle erwachen, und die Alte stürzt sich gleich auf ihn, während die übrigen das Feuer löschen. Snarfari wird nun in eine schwere Eisenkiste gesteckt und soll beim nächsten Festmahle verspeist werden. – – Als nach drei Tagen der Sohn nicht heimgekehrt ist, sendet Hörður Léttfeti aus. Auch dieser findet bei den Oheimen freundliche Aufnahme, erhält von ihnen genaue Anweisungen und zugleich das Versprechen, dass sie ihm zu Hilfe kommen würden, sowie er ihre Namen rufe. Léttfeti gelangt gleichfalls in Abwesenheit der Riesen zur Höhle, befreit seinen Bruder und legt fünf Haarkämme, die Ulfur ihm gegeben hatte, in die fünf äussersten Betten, in denen die vier Töchter und der jüngste Sohn schlafen. Dann versteckt er sich mit Snarfari im Erdhause. Die Alte riecht bei ihrer Rückkehr gleich, dass ein Mensch da ist. Sie eilt mit ihrem ältesten Sohne ins Erdhaus, und während die Brüder mit ihnen kämpfen, rufen sie gegen die anderen Unholde die Oheime zur Hilfe. Durch Ulfurs Zauberschwert, das noch von Harðhaus hinn eldgamli stammt, kann der älteste Sohn getötet werden. An der Alten gleiten aber alle Schwerter ab, so dass Léttfeti nichts anderes übrig bleibt, als ihren Kopf an dem Felsen zu[12] zerschmettern. Die ganze Riesengesellschaft wird nun verbrannt, und alle Kostbarkeiten nehmen die Sieger aus der Höhle mit sich. – – – Eine der Töchter ist jedoch im Kampfgetümmel entflohen und eilt zur Königshalle, um sich an Jóhanna zu rächen. Mit dem Tode der Alten war gerade von dieser zur Freude aller der entsetzliche Zauber gewichen. Da kommt ein furchtbarer Unhold in die Halle und geht geradewegs auf Jóhanna los. In ihrer Todesangst ruft sie den Zwerg, und gleich steht er vor ihr. Er wirft der Riesin ein Sandpulver in die Augen, so dass sie heulend aus der Halle entflieht und sich in den See stürzt. – – – Nun kommen die Brüder herbei, ein Freudenfest wird gefeiert, und Léttfeti erhält zum Lohne die Königstochter.

Zu diesem Märchen weiss ich in den zur Vergleichung herangezogenen Sammlungen keinerlei Parallelen anzugeben. Nur einige der in ihm verwandten Motive lassen sich auch in anderen Märchen noch nachweisen.

Der Zwerg, der für das Geschenk, das seinem Kinde gemacht wird, sich dankbar zeigt, kommt noch einmal im Märchen vom »dankbaren Zwerge« und im »Märchen von der Bauerntochter Helga« vor. In dem letztgenannten Märchen verspricht dann gleichfalls der Zwerg, der Heldin zu Hilfe zu kommen, sowie sie in der Not seinen Namen nennt, ebenso wie ja auch die Oheime bei der Nennung ihres Namens zur Verteidigung ihrer Neffen erscheinen. Was die fünf Haarkämme, die in die Betten der Riesinnen gelegt werden, bedeuten sollen, geht aus dem Märchen nicht hervor. Hier ist entweder in unserer Erzählung eine Lücke, oder aber es hat sich aus einem anderen Märchen irgend ein Motiv eingeschlichen, das man nun nicht recht zu benutzen wusste. Dass einzelne Riesen nur durch ein bestimmtes Zauberschwert getötet werden können, oder dass an ihnen jedes Schwert abgleitet, ist ein in den Märchen oft wiederkehrender Zug. Er findet sich auch schon in den Sagen aus altgermanischer Zeit. Der Unhold Grendel, den Béowulf bekämpft, kann mit dem Schwerte nicht getötet werden, und auch an seiner furchtbaren Mutter gleitet die Waffe des Helden ab. Erst ihr eigenes Schwert, das an der Wand hängt, gibt ihr den Todesstoss.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 9-13.
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