XXIV. Þorsteinn mit dem Goldhaar.

[96] Lbs. 425 8 vo. Von Ásthildur Johanna Guðmundsdóttir auf Breiðabólstaðir.


Ein Bauernjunge, namens Þorsteinn, ist so faul, dass er weder arbeiten noch essen will. Seine Eltern stecken ihn schliesslich in eine Holzbütte und füttern ihn. Wie sie ihn nach einiger Zeit wieder herausnehmen, ist Þorsteinn schimmelig geworden. Nun geht der Junge in sich und beschliesst sich zu bessern. Er läuft von den Eltern fort und geht immer weiter, bis er endlich an eine Höhle gelangt. Hier findet er auf dem Feuer einen Topf und einige ungebackene Kuchen. Diese backt er, setzt den Topf beiseite, reinigt die ganze Höhle und versteckt sich hierauf. Am Abend kommt eine Riesin.[96] Wie sie daheim alles so wohl geordnet findet, verspricht sie dem, der die Arbeit getan habe, eine freundliche Aufnahme. Nun tritt Þorsteinn hervor. Er bleibt lange Zeit bei der Riesin und verrichtet ihr alle Hausarbeit. Diese vertraut ihm schliesslich so sehr, dass sie ihm alle Schlüssel, mit Ausnahme eines einzigen, überlässt. Einmal findet Þorsteinn diesen Schlüssel unerwartet im Bette der Riesin. Er öffnet mit ihm ein kleines Haus und sieht hier ein braunes Pferd, ein goldgeschmücktes Schwert, und einen Eisenkessel. In diesem Kessel ist Goldsand. Wie Þorsteinn einen Finger hineinsteckt, wird dieser ganz golden. Nun taucht Þorsteinn sein Haar hinein, so dass es wie das schönste Gold schimmert. Wie er wieder aus dem Hause gehen will, sagt das Pferd zu ihm: »Komm du morgen wieder zu mir, nimm Kessel und Schwert mit dir und besteige mich dann. Darauf will ich dir weiter sagen, was du zu tun hast.« – – – Am Abend bindet sich Þorsteinn ein Tuch um den Kopf und einen Verband um den Finger. Er sagt der Riesin, er habe sich gerade den Kopf gewaschen, und den Finger habe er am Feuer verbrannt. Am anderen Tage folgt er dem Rate des Pferdes. Wie er in den Wald reitet, sieht er sich von der Riesin verfolgt. Auf den Rat des Pferdes wirft er den Kessel hinunter, und dieser wird sogleich zum grossen Scheiterhaufen. Doch die Riesin hat ihn bald überschritten. Nun soll Þorsteinn das Schwert hinwerfen, aber so, dass es zerbricht. Das erste Mal glückt es ihm nicht. Er springt nun schnell vom Pferde und wirft es zum zweiten Male so heftig zu Boden, dass es zersplittert. Nun wird daraus ein hoher steiler Fels. Wie die Riesin hinüberklettern will, verliert sie auf halber Höhe das Gleichgewicht, stürzt hinunter und bricht das Genick. Þorsteinn reitet nun weiter, bis er an ein Königreich gelangt. Hier muss er auf den Rat des Pferdes diesem eine Grube graben und es dort hineinlassen, selbst aber an den Hof gehen, um zu sehen, was es dort gibt. Der König ist schwer krank. Nichts kann ihm helfen als eine Adlerlunge, ein Rabenherz und Fuchsmilch. Das Pferd verschafft ihm am ersten Tage die Adlerlunge. Wie er mit ihr zum Könige gehen will, begegnen ihm drei Höflinge, die vergeblich nach diesem Heilmittel gesucht haben. Auf ihre Bitte[97] hin überlässt ihnen Þorsteinn die Lunge unter der Bedingung, dass sie ohne Handschuhe zum Könige gehen. Sie tun das auch, bekommen aber statt Dank Scheltworte wegen dieser Unziemlichkeit. Am zweiten Tage überlässt Þorsteinn diesen drei Höflingen das Rabenherz, das das Pferd ihm verschafft hatte. Sie müssen aber jetzt ohne Hosen den König aufsuchen. Wie die drei so ankommen, nimmt man ihnen das Herz ab, wirft sie selbst aber zur Türe hinaus. Am dritten Tage kommt Þorsteinn mit der Fuchsmilch, und sie gibt er den Höflingen nur unter der Bedingung, dass sie sich gegenseitig das Diebeszeichen auf die Stirne brennen. Wie sie, um sich nicht zu verraten, vor dem Könige den Hut nicht abnehmen, wird er so böse, dass sie endlich notgedrungen das Haupt entblössen müssen. Nun sieht er das Diebeszeichen auf ihrer Stirn und lässt sie sogleich hängen, da er sicher ist, dass sie einem anderen Lunge, Herz und Milch gestohlen haben. Er lässt bekannt machen, dass derjenige, der sein Leben gerettet habe, seine Tochter zur Frau und zu seinen Lebzeiten das halbe Reich bekommen, nachher aber König werden solle, Þorsteinn gibt sich jetzt zu erkennen. Wie er königlich geschmückt in die Halle tritt, bewundern alle seine leuchtenden Goldhaare. Auf die Bitte des Pferdes schlägt Þorsteinn ihm den Kopf ab. Da steht ein wunderschöner Königssohn vor ihm. Dieser erzählt, die Riesin habe ihn gestohlen, um ihn zu heiraten. Da er sich aber geweigert habe, sei er in ein Pferd verwandelt worden und habe nur erlöst werden können, wenn ein Mann ihm das Haupt abschlüge. –

Dieses Märchen, das in der vorliegenden Fassung im Isländischen nicht ganz vollständig überliefert ist, da es einige Motive auslässt, die in den meisten übrigen Märchen, die dieses Thema behandeln, sich finden (die Entdeckung seiner Goldhaare, Heirat mit der jüngsten Prinzessin, Schlacht oder Turnier), ist ausserordentlich verbreitet. Bei Asbj. (14) »Enkesønnen« (S. 55 ff.) wird einem Burschen, der bei einem Riesen dient, verboten, vier Kammern zu betreten. Er übertritt das Verbot und findet in der dritten Kammer einen Kessel, in dem ohne Feuer etwas zu kochen scheint. Wie er den Finger hineintaucht, wird dieser golden. Er wickelt ein Tuch um den Finger[98] und behauptet, ihn verbrannt zu haben. In der vierten verbotenen Kammer findet er ein Pferd. Auf den Rat desselben wäscht er sich im Kessel, so dass er schön und stark wird. Dann reitet er fort. Um den Riesen an der Verfolgung zu hindern, wirft er, durch das Pferd veranlasst, zuerst die Peitsche, dann einen Stein und schliesslich eine Wasserflasche hinter sich. Daraus wird ein Wald, ein Gebirge und ein grosser See. Der Riese will den See austrinken und zerspringt dabei. – Am Königshofe bedeckt er seinen Kopf, da er angeblich Ausschlag hat, mit einer Perrücke von Flechten. Die Prinzessin beobachtet einmal, wie sich der unscheinbare Gärtners junge, um sich zu waschen, die Perrücke abnimmt und verliebt sich in ihn. Wie der König das Verhältnis entdeckt, werden beide gefangen gehalten. Bei einem ausbrechenden Kriege will der Gärtnersjunge auch mitziehen. Man gibt ihm eine hinkende Schindmähre und lacht ihn aus, als er mit ihr im Sumpfe stecken bleibt. Sowie die andern fortgezogen sind, setzt sich der Bursche ritterlich gekleidet auf sein eigenes Pferd und zieht in die Schlacht, die durch seine Tapferkeit gewonnen wird. So reitet er drei Tage unentdeckt, endlich wird er am Taschentuche, das der König ihm für seine Wunde gegeben hat, erkannt und mit der Prinzessin vermählt. Sowie dem Pferde der Kopf abgeschlagen ist, wird es zum Königssohne verwandelt. – Grundtv. (15 »Vildmanden« I S. 175 ff.) erzählt (ebenso auch Grimm in 136 »Eisenhans« II S. 181 ff.), dass ein Königssohn einem wilden Manne wider den Willen seines Vaters den Käfig geöffnet habe, so dass dieser entflohen sei. Da nun auch der Prinz nicht länger am Hofe bleiben kann, so nimmt sich draussen im Walde der wilde Mann seiner an. Seinen Kopf taucht er dort in einen Brunnen, so dass sein Haar leuchtend wie Gold wird. Darauf folgt der Aufenthalt am Königshofe und ein Turnier, in dem der Gärtnersjunge unerkannt die drei Goldäpfel der Prinzessinnen gewinnt. Zwei von diesen schenkt er fort an fremde Ritter, den Apfel der jüngsten behält er. Die drei Freier reiten nun zweimal zur Jagd. Der verachtete Gärtnersjunge überlässt seine Jagdbeute den beiden übrigen Freiern für die beiden Goldäpfel und für zwei Hautstücke, die er aus ihren Rücken schneidet. Darauf[99] folgt die Schlacht. Nach derselben geht der Gärtnersjunge ritterlich gekleidet zum Königshofe und entdeckt nun den Betrug der Schwäger. – – – Grimm erzählt nichts von diesem Betrüge. Bei ihm, wie bei Grundtv., fehlt der Zug, dass der Jüngling sich heimlich von dem wilden Mann entfernt und von diesem verfolgt wird. – – – Am vollständigsten findet sich dieses Märchen bei Cosquin (I 12 »Le prince et son cheval« S. 133 ff.) und bei Schneller (20 »Der Prinz mit den goldenen Haaren« S. 42 ff.), die einander fast in allen Zügen entsprechen. Bei Cosquin ist es der Vater eines Prinzen, der diesem ein bestimmtes Zimmer verbietet, bei Schneller sein Herr, dem er dient. Wie im Isländischen und bei Grimm und Asbj. taucht der Jüngling bei Cosquin zuerst einen Finger in den Goldbrunnen, dann erst das Haupt – Schneller hat diesen Zug ausgelassen. Auf der Flucht werden im lothringischen Märchen Schwamm, Striegel und Stein zu Wald, Fluss und Gebirge, bei Schneller Kamm, Schere und Spiegel zu Zaun, Dornwald und See. Das Heilmittel (bei Cosquin zweimal Töpfe mit Wasser von der Königin von Ungarn, bei Schneller Blut von einem Drachen) überlässt er seinen Schwägern gegen die Goldäpfel – bei Cosquin müssen sie sich dabei noch hundert Hiebe aufzählen lassen. Durch Abschlagen des Kopfes wird, in beiden Märchen das Pferd wieder zum Menschen entzaubert.

Hahn erzählt in seinen Anmerkungen zu dem Märchen »vom Prinzen und seinem Fohlen« eine Variante, die, von der abweichenden Einleitung abgesehen, fast in allen Zügen unser Märchen enthält (Hahn II S. 197 ff). Wir finden hier den Jüngling, der bei einem Drakos zuerst den Finger, dann den ganzen Körper in eine Goldpfütze taucht, auf der Flucht mit dem Pferde aus der verbotenen Kammer Seife, Kamm und Spiegel hinter sich wirft, am Königshofe sich verkleidet, von der jüngsten Prinzessin aber in seiner wahren Gestalt gesehen und von ihr darauf zum Manne gewählt wird, dann Verschaffung der Milch von einer Hirschkuh für den erblindenden König, scheinbare Überlassung des Heilmittels an die Schwäger, die dafür von seinem Pferde sich in den Hintern treten lassen müssen, schliesslich Sieg in der Schlacht und Verbindung seiner Wunde mit dem Taschentuch des Königs, wodurch die[100] Entdeckung herbeigeführt wird. Nur der letzte Zug fehlt hier, dass nämlich das hilfreiche Pferd ein verzauberter Mensch ist und durch Abschlagen des Kopfes seine natürliche Gestalt wieder erhält. – – – – Ausser diesen hier kurz skizzierten Märchen, die das gleiche Thema wie im Isländischen behandeln, bringen Köhler (Kl. Schr. S. 330 ff.) und Cosquin in ihren Anmerkungen noch zahlreiche weitere Literaturnachweise.

In »Le bénitier d'or« (Cosquin 38, II S. 60 ff.) geht die Patentochter der Jungfrau Maria in das verbotene Zimmer und taucht den Finger in goldenes Weihwasser und bringt ihn dann an die Stirn. Um das Gold zu verbergen, legt sie sich um Stirn und Finger einen Verband an. Bei Grimm ist in dem gleichen Märchen dieser Zug schon etwas verwischt, denn das junge Mädchen rührt dort mit dem Finger ein wenig den Glanz des goldenen Zimmers an und kann dann nachher das Gold nicht mehr wegbekommen.

Vor den Verfolgungen der Riesen, Menschenfresser etc. retten sich die Verfolgten entweder durch Verwandlungen oder wie hier im Märchen durch Auswerfen einzelner Gegenstände, die dann zu Bergen, Flüssen, Seeen etc. werden. Dieses Motiv lässt sich im Isländischen ebenso wie in den Märchen anderer Völker noch vielfach belegen. Durch das Auswerfen von drei Schwanzhaaren der Kuh Búkolla werden daraus Teich, Scheiterhaufen und Felsen, und im »Pferd Gullfaxi« wird ein hingeworfener Zweig zu einem dichten Walde. Bei Hahn (1 »Vom Asterinos und der Pulja« I S. 65 ff.) verwandeln sich Messer, Kamm und Salz in eine ungeheuere Ebene, in einen Wald und in ein Meer. In dem Märchen »Die Wassernixe« (Grimm 79, I S. 294) werden Bürste, Kamm und Spiegel zu einem Bürstenberg, Kammberg und Glasberg, in der »Geschichte von der Fata Morgana« (Gonz. 64, II S. 49 ff.) wirft der Jüngling auf den Rat seines Pferdes drei Granatäpfel hinter sich, woraus dann ein Strom, ein Dornenberg und ein Feuerberg entstehen etc.

Der zweite Teil unseres Märchens von der, Heirat der jüngsten Königstochter mit einem verachteten Pferdejungen wird auch auf den Fær-öern erzählt (Fær. 16 »Rossadrongurin« S. 296 ff.). Die Prinzessin schickt hier ihren Mann zweimal[101] mit den beiden Schwägern zur Jagd. Diesen überlässt der Pferdejunge dann seine reiche Jagdbeute für die beiden Goldäpfel und dafür, dass er ihre Ohren mit einem Sklavenzeichen versehen darf. Darauf folgt dann die durch den fremden Ritter siegreiche Schlacht und die Erkennung durch des Königs Taschentuch.

In einem Märchen bei Gonz., das sonst zu dem im Märchen »Bjarndreingur« zu besprechenden Thema »die neidischen Gefährten oder Brüder« gehört, nehmen die Königssöhne den missachteten Schwager, der aber in Wahrheit ihr verratener jüngster Bruder ist, mit auf die Jagd. Sie kaufen ihm seine reiche Jagdbeute dadurch ab, dass sie sich von ihm zwei schwarze Flecken auf die Schultern machen lassen. Köhler vergleicht hierzu in den Anmerkungen zu den sizilianischen Märchen (Gonz. II S. 240) noch die spanische Vulgärromanze bei Duran Nr. 1263. Juan überlässt seinen Brüdern das Heilwasser, die Löwenmilch und die feindliche Fahne. Zum Entgelt müssen sie ihm dafür zwei Birnen geben, die der König ihnen geschenkt hatte, sich ein Ohr abschneiden und auf die linke Schulter ein Sklavenzeichen aufbrennen lassen. –

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 96-102.
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