4. Der Betteljunge.

[93] Die Verwandlung in ein kleines Riesenkind, durch die der Bauernsohn Þorsteinn im Märchen vom »missgestalteten Weiblein« den Ring wiederbekommt, findet sich (Lbs. 536 4 to von Páll Pálsson nach den Erzählungen der alten Frau Guðríður Eyolfsdóttir niedergeschrieben) auch für sich stehend in einem kleinen Märchen wieder. Hier sind dem Könige ein Goldring, ein Schachbrett und eine Goldharfe gestohlen worden. Ein Betteljunge möchte gern die ausgesetzte Belohnung sich verdienen, d.h. die Königstochter heiraten und später König werden. Er entdeckt zufällig die Diebe in einem alten Bauernpaare, das keine Kinder hat und sich deswegen immer gegenseitig Vorwürfe macht. Heimlich kriecht er zur Alten unters Deckbett. Jetzt glauben sie ein Kind bekommen zu haben, wickeln den Knaben und legen ihn in die Gold wiege. Da er immer schreit, geben sie ihm zur Beruhigung auch noch das Schachbrett und die Goldharfe. Doch das Feuer ist erloschen, drum müssen die Alten noch in der Nacht zum nächsten Gehöfte, um Feuer zu holen. In der Zwischenzeit läuft der Betteljunge mit den drei Kostbarkeiten fort und erhält die Königstochter.

Zu dem ersten Märchen »Lupus« finden sich im Griechischen und Sizilianischen Parallelen. Bei Hahn stimmen vor allem mit unserm Märchen die Varianten überein, die er zu dem Märchen »von dem Schönen und dem Drakos« in seinen Anmerkungen gibt (II S. 178 ff.). Hier handelt es sich auch immer darum, dass ein Schlaukopf mit seinen Brüdern zuerst in die Gewalt von Menschenfressern gerät. In der Nacht entfliehen sie, nachdem vorher irrtümlich von ihrem Wirte die eigenen Kinder getötet worden waren (die isländische Fassung mit dem Schlafdorne ist wohl Entstellung). Sie kommen nun zu einem Könige. Da der Schlaukopf von diesem besonders geehrt wird, so suchen die Brüder ihm zu schaden und bringen den König dazu, ihn verschiedentlich gefährliche Wege zu senden, um einzelne Kostbarkeiten zu stehlen. Nachdem er alle Aufträge glücklich ausgeführt hat (auch im griechischen Märchen tötet und kocht der Schlaukopf die Menschenfresserin[94] und bemächtigt sich dann des vom Könige Gewünschten), heiratet er die Königstochter. – – – In der Geschichte von »Caruseddu« (Gonz. 83, II S. 143 ff.) verbringen die Brüder gleichfalls die Nacht beim Menschenfresser und werden vor dem Tode nur durch die Schlauheit des jüngsten gerettet. Caruseddu muss dann gleichfalls für den König, dem er mit seinen beiden Brüdern dient, beim Menschenfresser verschiedene Kostbarkeiten stehlen. Im übrigen nimmt das Märchen dann einen anderen Verlauf. – – – Dieses Stehlen von Kostbarkeiten wozu der Held durch den Neid seiner Brüder oder sonst irgend welcher Höflinge veranlasst wird, findet sich auch sonst in den Märchen. Im Isländischen ist uns dieses Motiv ja schon in »Snati-Snati« begegnet, Asbj. benutzt es in dem Märchen »Om Askeladden, som stjal Troldets Sølvænder« etc. (1, I S. 1 ff.), bei Gonz. findet es sich noch in dem Märchen von »Ciccu« (30, I S. 191 ff), bei Bas. im Märchen von »Corvetto« (3. Tag 7. Märchen I S. 345 ff.) und bei Kreutzw. im Märchen vom »Schlaukopf« (8, S. 115 ff.). Köhler gibt (Kl. Schr. S. 305 ff.) noch weitere Literaturangaben.

Die Frage des Lupus an seine Brüder, ob sie wüssten, wo sie die Nacht zubringen würden, ist dieselbe, wie Ganti sie an die beiden Prinzen richtet.

Zu dem Lebensei, das in einem Papiersack verwahrt ist, sind die bei »Rauðiboli« gegebenen Zusammenstellungen zu vergleichen.

Das Motiv, den Minister Herrauður seine Lebensgeschichte erzählen zu lassen, wird gern am Schlüsse der isländischen Märchen benutzt, um den Schuldigen zu entlarven. Wir finden es z.B. im Märchen vom »Vater, der seine eigene Tochter verfolgt«, im »dankbaren Toten« etc. Dass die beiden älteren Brüder einen Zwerg, eine alte Frau, irgend ein Tier etc. unterwegs schlecht behandeln, während der jüngste mit der betreffenden Persönlichkeit freundlich ist, sie eventuell an seinem Mahle teilnehmen lässt, ist ein ausserordentlich verbreitetes Märchenmotiv. Es findet sich eigentlich in all den Erzählungen, wo von den guten Eigenschaften des verachteten Jüngsten die Rede ist.[95]

Das Pferd Gullskó und das Schwert Dynfjöður ist wohl eine Erinnerung an das Märchen vom »Pferde Gullfaxi«.

Zu den Höhlenfenstern, die durch die Atemzüge der schlafenden Riesen so schnell auf- und zugeschlossen werden, dass ein Mann nur mit Mühe hindurchschlüpfen kann, sind die aneinanderschlagenden Berge oder Felsen zu vergleichen, die in verschiedenen anderen Märchen dem Helden die gleichen Schwierigkeiten bereiten. (Köhler Kl. Schr. S. 572.)

Von dem unsichtbarmachenden Steine, den Vakri Vesalingur in der Hand hält, wird auch in den isländischen Volkssagen erzählt (Árn. I S. 650–1 und Maurer S. 180–2). Köhler (Kl. Schr. S. 114) macht in Bezug auf diesen Tarnstein auch noch auf Wuttke »Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart« (S. 298 ff.) und F.L. Grundtvig »Lösningsstenen« (S. 130 ff.) aufmerksam.

Der erste Sommertag, d.h. der erste Tag des Monats Harpa, ist ein Tag, der auch heute noch in Island gerne festlich begangen wird (Árn. II S. 575–6). Es ist auch ein Termin, der in den isländischen Märchen oft wiederkehrt. Blákápa muss am ersten Sommertage ihre Dienerin töten, bis zum ersten Sommertage will der König wissen, welche Speise die zwölf Rinder zu sich nehmen etc.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 93-96.
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