XXXV. Das Pferd Gullfaxi.

[155] Poest. S. 143–52.


Ein König, der einen einzigen Sohn Sigurður besitzt, heiratet nach langer Trauer um den Tod seiner ersten Gattin zum zweiten Male. Sigurður gewinnt seine Stiefmutter Ingibjörg so lieb, dass er immer bei ihr ist. Doch eines Tages will sie durchaus, dass er den Vater zur Jagd begleite. Da er ihr nicht gehorchen will, verbirgt sie den Knaben unter ihrem Bette und warnt ihn, nur ja sich ruhig zu verhalten. Bald darauf hört er ein furchtbares Dröhnen und sieht eine Riesin bis zu den Knöcheln aus dem Erdboden aufsteigen. Sie begrüsst[155] die Königin als Schwester und fragt, ob Sigurður zu Hause sei. Ingibjörg verneint es – er sei mit dem Vater zur Jagd geritten. Darauf setzt sie der Riesin allerhand Leckerbissen vor, an denen diese sich erlabt. Vor dem Weggange fragt sie noch einmal nach Sigurður, und dann verschwindet sie auf die gleiche Weise. Am folgenden Tage bleibt Sigurður wieder – trotz Ingibjörgs Bitten – zu Hause bei der Stiefmutter. Die Riesin, die nun kommt, ist noch schrecklicher anzuschauen – sie bleibt bis zu den Waden im Boden. Auch sie erkundigt sich mit den gleichen Worten bei ihrer Schwester Ingibjörg nach dem Königssohne, und alles verläuft, wie am Tage vorher. – Die dritte Riesin, die am dritten Tage kommt, ist die schrecklichste von allen – sie kommt überhaupt nur bis zu den Knieen aus dem Boden heraus. Zuerst scheint sie in betreff Sigurðurs den Worten ihrer Schwester Glauben zu schenken. Nachdem sie jedoch alle Leckerbissen zu sich genommen hat, legt sie – für den Fall, dass er so nahe ist, um sie hören zu können – den Fluch auf ihn, er solle halb verbrannt und halb verdorrt sein und nicht eher East noch Kühe finden, bis er sie aufgesucht habe. – – Um nun den Königssohn, der halb verbrannt und halb verdorrt aus seinem Verstecke zwischen dem Wandgetäfel hervorkommt, so bald wie möglich zu erlösen, gibt ihm die Stiefmutter ein Knäuel, das ihm den Weg zeigen soll und ferner drei Goldringe. Zuerst würde er zu ihrer ersten Schwester kommen. Sowie die ihn sehen würde, würde sie sagen »das ist gut! Da ist der Königssohn Sigurður. Der soll heute abend in den Topf.« Darauf würde sie ihn mit einem Bootshaken zu sich den Felsen hinaufziehen. Doch er brauche sich nicht zu fürchten. Sowie er sie von ihr gegrüsst und ihr einen Goldring übergeben hätte, würde sie freundlich werden. Sie würde ihn darauf zu einem Ringkampfe auffordern und ihm so lange aus einer Flasche zu trinken geben, bis er sie überwinden könne. – Mit den übrigen beiden Schwestern würde es ihm dann in der gleichen Weise ergehen, und die dritte würde dann schliesslich den Fluch wieder von ihm nehmen.

»Wenn aber«, also schliesst Ingibjörg ihre Weisungen, »meine Hündin zu dir kommen sollte mit Tränen in den Augen,[156] dann beeile dich heimzukehren, denn dann ist mein Leben in Gefahr« .... Es trifft nun alles nach der Stiefmutter Voraussagungen ein. Die dritte Schwester nimmt den Fluch wieder von ihm, und schickt ihn dann weiter zu einem See, wo er sich mit einem kleinen Mädchen anfreunden und ihm einen Goldring schenken soll. – – Sigurður folgt dem Rate. Das kleine Mädchen nennt sich Helga und erzählt, dass sie nicht weit von dort bei ihren Eltern wohne. Auf des Prinzen dringende Bitte nimmt sie ihn am Abend mit nach Hause. Damit der Vater ihn nicht findet, verwandelt sie ihn dadurch, dass sie ihren Handschuh über ihn hält, in ein Wollbüschel. Dieses wirft sie aufs Bett. Der Vater wittert bei der Heimkehr zwar gleich, dass ein Mensch da ist, muss sich aber, da er ihn nirgends findet, zufrieden geben. Der folgende Tag vergeht auf die gleiche Weise. Am dritten Tage zeigt Helga ihrem Spielgefährten alle Schätze der Wohnung, denn der Vater ist weit fort zur Kirche gegangen und hat ihr alle Schlüssel anvertraut. Nur eine eiserne Türe, zu der ein kleiner Schlüssel passt, wird von dem Mädchen nicht aufgeschlossen. Auf Sigurðurs flehentliche Bitte lässt sie ihn schliesslich ein wenig hineinschauen. Doch schnell stösst er die Türe ganz auf und geht hinein. Er sieht drinnen ein prächtig gesatteltes Pferd stehen. Über diesem hängt ein Schwert, auf dessen Griff folgende Worte eingeritzt sind: »Wer auf diesem Pferde sitzt und sich mit diesem Schwerte umgürtet, wird ein Glücksmensch werden.« Nun hat Sigurður keine Ruhe, bis ihm Helga erlaubt, sich mit dem Schwerte zu schmücken und einmal auf dem Pferde um das Haus herumzureiten. Sie sagt, das Pferd heisse Gullfaxi und das Schwert Gunnfjöður. Wer auf dem Pferde sitze, bekäme zugleich auch noch einen Zweig, einen Stein und einen Stock. Wenn man dann verfolgt würde, so brauche man nur den Zweig hinter sich zu werfen, so verwandele sich dieser sogleich in einen dichten Wald. Wenn man trotzdem des Verfolgers noch nicht ledig sei, so müsse man mit dem Stocke auf die weisse Seite des Steines schlagen. Dann entstünde ein solches Hagelwetter, dass jeder Feind in ihm umkommen müsse. – Wie Sigurður nun auf Gullfaxi ums Haus herumreitet, sieht er in der Entfernung Helgas Vater herbeikommen.[157] Er sprengt, so schnell er kann, in entgegengesetzter Richtung von dannen. Helga bricht nun in Tränen aus. Als der Riese seine Tochter weinend findet und die Ursache ihrer Tränen erfährt, eilt er dem Räuber nach. Sigurður, sieht ihn herankommen und wirft den Zweig hinter sich, so dass ein dich ter Wald entsteht. Nun muss der Riese noch schnell nach Hause laufen und eine Axt holen, um sich einen Weg zu bahnen. Doch schon ist er wieder so nahe, dass er fast den Schweif des Pferdes berührt. Da schlägt Sigurður auf die weisse Seite des Steines. Jetzt bricht hinter ihm ein solches Hagelwetter los, dass der Riese dabei jämmerlich ums Leben kommt. – .... Nachdem Sigurður eine Weile weiter geritten war, kommt die Hündin seiner Stiefmutter mit Tränen in den Augen zu ihm. Nun sprengt er heimwärts und kommt gerade noch zur rechten Zeit, um Ingibjörg zu erlösen, die auf einem Scheiterhaufen von neun Knechten verbrannt werden soll. Er erschlägt die Leute mit seinem guten Schwerte und geht dann mit der Stiefmutter zum Vater, den er über alles aufklärt. Später reitet er dann noch einmal zur Wohnung des Riesen, um sich die kleine Helga als Braut ins Königreich zu holen.

In der Landesbibliothek (Lbs. 536 4 to) findet sich das gleiche Märchen nur mit geringen Abweichungen. Páll Pálsson in Árkvörn hat es 1863/4 nach der Erzählung der alten Frau Guðriður Eyolfsdóttir niedergeschrieben. Der Held heisst hier Þorsteinn. Er wird verwünscht, weil er über die dritte Riesin, die sich bei ihrem Besuche etwas seltsam benimmt, laut gelacht hat. Die Stiefmutter gibt ihm ausser dem Knäuel noch ihre Hündin mit. Er soll nur dort einkehren, wo auch die Hündin sein will. Für jede der Schwestern gibt sie ihm ein Stück Fleisch und einen Ring. Das Fleischstück wirft er jedesmal am Abend einer Riesin in den Mund, und den Ring legt er morgens als Abschiedsgeschenk ins Waschwasser. Die drei Riesinnen nennen sich Skinskálm, Skinbrók und Skinhetta. Das Pferd Gullskó (vom Schwerte ist in diesem Märchen nicht die Rede) ist im Besitze von zwölf Riesen. Den Tag hindurch, während sie auf der Jagd sind, wird es von einem Mädchen bewacht. Zu diesem kommt Þorsteinn im Laufe des[158] Tages und bittet so lange, bis sie ihm das Pferd sattelt und ihn darauf reiten lässt. Er sprengt sogleich fort, wird dann aber von den zwölf Riesen verfolgt. Er ruft die Schwestern seiner Stiefmutter zur Hilfe, und diese übernehmen dann auch den Kampf, der mit dem Tode aller Riesen endet.

Eine zweite Variante (Lbs. 538 4 to) hat eine etwas längere Einleitung, die wahrscheinlich ursprünglich zum Märchen gehört, da sie die Besuche der drei Schwestern erklärt. Die Minister des verwitweten Königs sollen ihm eine Braut suchen. Sie geraten, wie gewöhnlich, in Nebel und verirren sich auf dem Meer zu einer Insel. Da sie Harfenklang hören, so gehen sie den Tönen nach und finden vier schöne Frauen in einem Zelte. Unter diesen sollen sie eine als Gattin für den König auswählen. Ihnen gefällt die Harfenspielerin am besten, worüber die drei anderen Frauen sehr aufgebracht sind. Der König will seine Braut, von der er sehr entzückt ist, sogleich heiraten, aber diese bittet sich eine dreijährige Frist aus. Kurz vor Weihnachten lässt ihr der König auf ihr Verlangen einen festen Turm bauen, und dorthin wird dann ein Bett gebracht, eine gute Mahlzeit, Wein und ein Lamm. Der Königssohn Hringur, der die künftige Stiefmutter sehr gern hat, darf schliesslich die Weihnachtsnacht dort bei ihr zubringen. Nun spielen sich die Ereignisse in der gleichen Weise wie in den beiden anderen Behandlungen dieses Märchens ab. Nur der Fluch der Riesin lautet etwas anders. Zur Strafe für seine Neugier wird Hringurs Schwester Ingibjörg in eine schwarze Hündin mit weissem Schwänze verwandelt. Der Königssohn selbst soll keine Ruhe finden, bis er das Pferd Gullskó bestiegen und mit dem Schwerte Gullfjöður der Hündin den Schwanz abgehauen und so die Schwester erlöst hat. – – Um das Pferd und das Schwert zu erlangen, muss sich Hringur auf den Rat der dritten Riesin in einen Floh verwandeln. Als solcher muss er unter das Kleid einer Riesin kriechen, der Eigentümerin von Pferd und Schwert, und dann als kleines Kind, das diese eben geboren zu haben glaubt, zu Boden fallen. Nach drei Tagen kann er als Riesenkind schon sprechen. Dann wird die Alte zur Jagd gehen und ihn ihren beiden älteren Söhnen anvertrauen. Während diese zum Spielen hinaus[159] in den Wald laufen, muss Sigurður schnell durch die Höhle eilen, bis er an einen See kommt. Mit einem dort liegenden Boote soll er dann zu einer Insel rudern, einen Vogel, der auf einem Ei sitzt, töten, das Ei aber sorgfältig verwahren. Darauf solle er sich wieder ins Bett legen und furchtbar schreien. Die Brüder würden ihn dann zu beruhigen suchen, doch er solle nicht aufhören, bis sie ihm erlauben würden, auf dem Pferde Gullskó zu reiten und das Schwert Gullfjöður in Händen zu halten. Dann solle er, immer einem Knäuel nach, mit dem Pferde schnell entfliehen. Sowie er dann der Riesin begegnen würde, solle er ihr, am sie zu töten, das Ei zwischen die Augen werfen. Denn das sei ihr Lebensei. – – Sigurður folgt all' diesen Weisungen, erhält Pferd und Schwert und erlöst dann die Schwester. – – – – –

Auch zu diesem Märchen kann ich keine Parallelen nachweisen. Eine Anzahl von Motiven finden sich auch in anderen isländischen Märchen verwandt.

Zum Knäuel, das den Weg weist, ist das Märchen »der verzauberte Riese« und die Anmerkungen dort zu vergleichen. Die Stelle des Knäuels vertritt in der einen Fassung eine Hündin. In einer Variante des Märchens von »dem durch Riesinnen geraubten Königssohne« wird der Bauerntochter Þóra gleichfalls durch eine Hündin, die ihre zauberkundige Pflegemutter ihr mitgibt, der Weg gezeigt.

Das Trinken aus der Flasche, durch das die Kraft wächst, ist ein schon oft gebrauchtes Märchenmotiv.

In einer Erzählung von »Útilegumenn« muss das durch einen Jüngling befreite Mädchen sich gleichfalls sofort auf den Weg machen, sowie der Hund desselben zu ihr kommt (Árn. II 241). In dem Märchen von der »guten Stiefmutter« wird Ingibjörg durch einen Traum angezeigt, dass ihretwegen ihre Retterin in Gefahr ist.

Über die auf der Flucht zur Hinderung der Verfolgung ausgeworfenen Gegenstände siehe »Þorsteinn mit dem Goldhaar« und die Anmerkungen dort.

Die Geschichte von Þorsteinn (Lbs. 536 4 to) hat viel Ähnlichkeit mit dem Märchen vom »Königssohne, der seine Schwester erlöst«. Auch die Namen der Riesinnen sind fast dieselben.[160]

Die Verwandlung in ein kleines Kind, das eine Riesin glaubt eben geboren zu haben, findet sich in mehreren Varianten des Märchens von den »drei Kostbarkeiten des Königs« ebenfalls verwandt.

Zu dem Lebensei, das in vielen isländischen Märchen eine Rolle spielt, ist die Anmerkung zu »Rauðiboli« zu vergleichen.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 155-161.
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