XXXVI. Die Königstochter Lydia.

[161] Lbs. 425 8 vo. Von Ásthildur Jóhanna Guðmundsdóttir in Breiðabólstaðir erzählt.


Ein Königspaar hat eine wunderschöne Tochter, namens Lydia. Wie sie erwachsen ist, stirbt die Mutter. Der König geht einst im Walde Harfenklang nach und findet eine schöne Frau mit ihrer Tochter. Diese wird nun Königin. Lydia hält sich von der Stiefmutter möglichst fern und lebt mit ihren Gespielinnen in einem hohen Turme, den der Vater ihr erbauen liess. Der König stirbt, lässt sich aber von seiner zweiten Frau versprechen, dass sie gut für seine Tochter sorgen wolle. Doch diese hält nicht Wort, ja, sie treibt schliesslich sogar Lydia mit Schlägen und Schimpfworten aus dem Reiche. Das Mädchen gelangt zu einem Bauernhofe, wo es freundliche Aufnahme findet. In der Nahe wohnt eine reiche Gräfin. Diese lernt Lydia kennen, hört durch sie ihre Lebensgeschichte und nimmt sie zu sich. Im Schlosse wird das Mädchen ganz als Tochter der Gräfin behandelt. Die Gräfin stirbt, doch vorher schreibt sie noch einen Brief an ihren einzigen Sohn Valdimar, der noch auf der Schule ist, und legt ihm die Sorge für Lydia besonders ans Herz. Der Sohn kommt heim, und nach dem letzten Wunsche der Mutter verlobt er sich mit der Königs tochter. – Als er einst mit seinem Blutsfreunde Edvard im Schlossgarten spazieren geht, sieht dieser Lydia, die sich unbemerkt glaubt, unverschleiert am Fenster stehen und sich das Haar kämmen. Er wird von solch brennender Liebe zu ihr ergriffen, dass er erklärt, sterben zu müssen, wenn er das Mädchen nicht heiraten dürfe. Aus Liebe zum Freunde verzichtet[161] Valdimar auf die Braut und verlobt sich mit einem anderen Mädchen. Eine Doppelhochzeit soll gefeiert werden. Als Lydia in den Saal tritt, erkennt sie in Valdimars Braut ihre Stiefschwester und sieht neben ihr noch die böse Stiefmutter. Sie fällt vor Schreck in Ohnmacht. Ein junger Mann, der sie schon lange glühend liebte, benutzt diese Gelegenheit, um sie unbemerkt fortzutragen. Inzwischen hat sich schon das Gerücht verbreitet, dass es mit der künftigen Schwiegermutter des Grafen seine eigene Bewandnis habe. Man legt versuchsweise einen Zauberstab auf sie, und da wird sie sogleich zur riesenhaften Unholdin. Nun wird sie samt ihrer Tochter getötet. Valdimar und Edvard ziehen aus, um die spurlos verschwundene Lydia zu suchen. Eines Tages treffen sie einen Mann, der erklärt nicht länger leben zu können, da die schöne Lydia ihn durchaus nicht erhören wolle. Ehe sie ihn hindern können, hat er sich schon erschossen. Nach langem vergeblichen Suchen kommen die Freunde in ein Pfarrhaus. Valdimar trifft in der Kirche Lydia wie der, und nun treten alle drei die Heimreise an. Edvard gibt sich schliesslich mit einer anderen Braut zufrieden, so dass Valdimar und Lydia einander doch heiraten können.

Ausser dem Zauberstab, den im »verlorenen Goldschuh« der Freier Mjaðveigs gleichfalls benutzt, um die wahre Natur seiner Braut zu erkennen, kann ich in diesem herzlich unbedeutenden Märchen keine weiteren Motive, die auch anderswo gebraucht werden, nachweisen. Parallelen in anderen Sammlungen liessen sich ebensowenig finden.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 161-162.
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