XLVI. Der Zauberlehrling.

[191] Lbs. 538 4 to.


Ein Königspaar hatte eine Tochter, Ingibjörg genannt. Nicht weit vom Hofe wohnte in einer Hütte ein Bauernpaar, das einen einzigen Sohn, namens Sigurður, besass. Der Knabe war klug, so dass er sogar lesen und schreiben lernte. – – Als er einst im Walde spazieren geht, begegnet er einem rotgekleideten Manne. Der fragt ihn, wie er heisse. Sigurður sagt das und erkundigt sich nun auch seinerseits nach dem Namen des Fremden. Dieser nennt sich Rauðkufl (Rotkutte). Darauf fragt ihn der Rote, ob er lesen und schreiben könne. Der Knabe bejaht es. »Dann will ich dich nicht«, sagt der Rote und geht fort. Nach seinem Weggange ärgert sich der Knabe, dass er die Wahrheit gesagt hat und versucht darum, ob er den Roten am anderen Tage nicht noch einmal treffen kann. Es glückt ihm auch, und der Fremde stellt jetzt die gleichen Fragen wie vorher. Sigurður behauptet nun frischweg, weder lesen noch schreiben zu können. Als Rauðkufl ihn fragt, ob er denn nicht derselbe sei, den er gestern angetroffen habe, erklärt er keck: »O, das war mein Bruder Siggy. Der hat gestern Abend so etwas erzählt. Ob er lesen und schreiben kann, weiss ich nicht. Aber er sitzt immer über Büchern, und vielleicht wird das ›lesen‹ genannt.« – Mit dieser Antwort zufrieden bietet Rauðkufl dem Knaben an, auf ein Jahr in seinen Dienst zu treten. Dieser willigt gern ein. Am nächsten Tage führt ihn Rauðkufl in sein Haus. Das ist von oben bis unten voll von Zauberbüchern, und Sigurður hat weiter nichts zu tun, als darauf zu achten, das keins von ihnen verdirbt. Rauðkufl geht darauf fort. Der Knabe ist nun allein im Hause nur mit einem Mädchen, das ihn bedient. Mit diesem hat es auch seine eigene Bewandtnis, denn er kann es immer nur bis zur Taille sehen – der ganze Unterkörper ist unsichtbar. Nun lernt in dieser Zeit Sigurður aus den Zauberbüchern, soviel er nur kann. Nach einem Jahre kommt Rauðkufl zurück, gibt dem Knaben 100 Taler Lohn und verspricht ihm das Doppelte, wenn er noch ein Jahr ihm dienen wolle. Der Knabe ist's zufrieden. Auch ein drittes[192] Jahr lässt er sich gern noch dort halten, und wie dieses fast verstrichen ist, da ist er durch die Bücher ein ebenso mächtiger Zauberer geworden wie sein Herr. Er weiss nun, dass Rauðkufl die Zeit seiner Abwesenheit mit seinen Brüdern Grænkufl und Blákufl verbringt, und dass die drei Zauberer die Absicht haben, ihn zu töten, sowie das dritte Dienstjahr vergangen ist. Am Tage vor Ablauf desselben kehrt er zu seinem Vater zurück. Diesem sagt er, dass am anderen Tage ein rotgekleideter Mann zu ihm kommen und das braune Pferd kaufen würde, das draussen im Stalle stehe. Er solle es ihm auch geben, aber nur ja nicht unterlassen, vorher die Kette des Pferdes zu sprengen. Der Alte verkauft das Pferd, lässt es aber auf die Bitte des Roten an der Kette. Nun führt Rauðkufl es triumphierend heim und bindet es im Stalle fest. Wie er fort ist, kommt das verzauberte Mädchen in den Stall. »Nun geht es dir schlecht, Sigurður«, sagt es zum Pferde. Auf die Bitten desselben sprengt es jedoch schnell die Kette, die das Pferd fesselt. In diesem Augenblicke kommt Rauðkufl mit einem glühenden Eisen, um den Knaben zu töten. Doch der verwandelt sich in einen Drachen und fliegt übers Haus. Rauðkufl verfolgt ihn in derselben Gestalt. Beide kämpfen lange zusammen, bis Sigurður endlich den Zauberer besiegt. Nun nimmt er alle Zauberbücher, die er brauchen kann, aus dem Hause fort und tritt in seinem heimischen Königreiche in den Dienst des Königs. Bald wird er Minister, und der König unternimmt nichts mehr ohne seinen Rat. Sigurður bittet ihn dringend, ohne sein Wissen und seine Zustimmung keinen Wintergast anzunehmen. Der König verspricht es auch, bricht aber aus Gedankenlosigkeit sein Wort, als der Minister einmal abwesend ist. Wie Sigurður heimkehrt, erkennt er sogleich in dem Gaste Blákufl, den Bruder des Roten. – – Die Königstochter Ingibjörg war mittlerweile durch Sigurður schwanger geworden. Ehe sie niederkommt, tritt Sigurður zu ihr und sagt, dass die Geburt schwer von statten gehen würde. Man würde schliesslich Blákufl rufen, und dann erst könne sie das Kind gebären. Wenn sie den Wintergast nun fragen würde, welchen Lohn er für diesen Dienst haben wolle, so würde er seinen Blick auf ihr Armband am linken Arm heften und sich[193] dieses ausbitten. Aber sie dürfe es ihm auf keinen Fall eher geben, bis sie es hätte auf den Boden fallen lassen. – Nun verschwindet Sigurður, und niemand weiss, wo er geblieben ist. Alles trifft nun nach seiner Voraussagung ein. Wie Blákufl das Armband verlangt, sagt Ingibjörg, dass er sehr uneigennützig und bescheiden sei. Sie wolle extra eine Volksversammlung zusammenrufen, um seine Güte allen kund zu tun. Sowie sie sich wieder erholt hat, lässt sie das Volk zusammenkommen und rühmt hier öffentlich den Wintergast. Wie dieser ihr nun das Armband vom Arme nehmen will, löst sie es selbst und lässt es wie zufällig zur Erde fallen. Blákufl wird bei diesem Anblick dunkelschwarz im Gesichte, und auch der Armring am Boden wird schwarz. Im gleichen Augenblicke verwandelt sich der Wintergast in einen riesigen Drachen, der King nimmt die gleiche Gestalt an, und beide kämpfen zusammen. Endlich fällt Blákufl tot nieder. Der andere Drache kehrt zurück und verwandelt sich zu aller Erstaunen in Sigurður. Nun wird eine glänzende Hochzeit gefeiert. – Eines Morgens, als Sigurður erwacht, ist Ingibjörg verschwunden, und sein Kind liegt ermordet in der Wiege. Zu gleicher Zeit ist es aber auch mit all seiner Zauberkunst zu Ende, traurig macht er sich auf, um die Gattin wiederzusuchen. Er steckt nur zwei Pfennige in die Tasche und geht fort. Spät am Abend kommt er an eine Hütte. Ein alter Mann tritt gerade heraus, und ihn bittet er um Nachtquartier. Drinnen in der Hütte sitzt noch ein altes Weib, augenscheinlich die Hausfrau. Wie Sigurður gegessen hat, steht er auf und gibt den beiden Alten je einen Pfennig. Diese werden darüber sehr vergnügt und zutraulich. Der Alte fragt ihn, wohin er eigentlich wolle. Wie er Sigurðurs Vorhaben erfährt, schüttelt er sorgenvoll den Kopf und meint, dass es eine böse Sache sei. Aber er wolle sehen, ob er ihm nicht helfen könne. – Am anderen Morgen sagt ihm sein Wirt, dass Grænkufl weit fort von dort seinen Wohnsitz habe. Um sein Haus sei ein sehr hoher Zaun. Wenn es ihm auch gelänge, diesen zu übersteigen, so sei die grössere Schwierigkeit die, einen Blick ins Innere des Hauses zu werfen. Denn nur dann würde er seine alte Zauberkraft wiederbekommen, die Grænkufl besiegen könne. Die alte Frau[194] gibt ihm nun drei Bohnen. Es sei oben am Hause eine ganz kleine Spalte. In diese solle er die Bohnen stecken, dann würde sie so gross wer den, dass er bequem hineinschauen könne. Aber er dürfe nur ja nicht vergessen, sich zuerst des Schwertes Von Grænkufl. zu bemächtigen. Denn dies sei die einzige Waffe, mit der er den Zauberer töten könne. Hierauf geht die Alte in die Hütte zurück. Sogleich nachher kommt eine schwarze Hündin herausgelaufen, die Sigurður vorher nicht gesehen hat. Der Alte leiht ihm das Tier, um sich von ihm den Weg zeigen zu lassen. Er solle sich auch hinten an ihren Schwanz halten, dann könne er gut den hohen Zaun überklettern. Wie Sigurður getreu den Weisungen jenseits des Zaunes sich befindet, verwandelt sich die Hündin in die alte Frau. Sie weissagt ihm den Sieg über den Zauberer und verabschiedet sich aufs freundlichste von ihrem Schützling. Nachdem Sigurður mit Hilfe der Bohnen einen Blick ins Haus getan hat, kehrt ihm seine alte Zauberkraft zurück, so dass er das Schwert Grænkufls zu sich zaubern kann. Gerade kommt sein Feind in Drachengestalt auf ihn zugeflogen. Sigurður kämpft in der gleichen Gestalt mit ihm. Sie verwandeln sich in immer andere Tiere und Ungeheuer, bis sie endlich in Menschengestalt miteinander kämpfen. Nun zieht Sigurður schnell das Schwert hervor und haut dem Zauberer den Kopf ab. Drinnen im Hause findet er seine Gattin wieder, sowie das Mädchen, das ihn früher bei Rauðkufl bedient hatte. Jetzt ist auch von dieser der Zauber genommen. Sie erzählt, dass sie eine geraubte Königstochter sei. Da sie den Rauðkufl nicht habe heiraten wollen, habe er sie dahin verwünscht, dass sie immer nur bis zur Taille sichtbar sein solle, so lange überhaupt noch einer der drei Brüder lebe. – Alle drei kehren nun vergnügt ins Königreich zurück. – –

Auch dieses Märchen soll ebenso wie »Die dankbaren Tiere«, »Die drei Freier um eine Braut« etc. nach Benfey auf einen indischen Ursprung zurückzuführen sein. In der mongolischen Bearbeitung der Vetâlapancavincati, dem Ssiddi-kür, wird folgendermassen erzählt: »Ein Zauberlehrling flüchtet sich vor seinen sieben Zaubermeistern in Gestalt eines Pferdes, doch sein dummer Bruder verkauft dieses Pferd den Zauberlehrern,[195] die ihn verfolgen. Diese wollen das Pferd nun schlachten. Da verwandelt es sich in einen Fisch. Drauf werden die sieben Magier zu sieben Reihern. Als sie den Fisch fangen wollen, wird er zu einer Taube, und die Keiner werden zu sieben Habichten. Jetzt flüchtet sich die Taube in den Busen eines grossen buddhistischen Weisen, zu Nâgasena. Die Magier kommen als sieben Bettelmönche und bitten den Weisen um seinen Rosenkranz. Auf die Einflüsterung des Täubchens wirft er ihnen die Kugeln hin, nur die Hauptkugel behält er im Munde. Die Kugeln werden zu Würmern, die sieben Hühner gierig aufpicken. Da lässt der Weise die Hauptkugel fallen, diese wird ein Mensch, der die sieben Hühner tötet, die sich alsdann in Menschenleichen verwandeln.« (Benfey I S. 411.)

Diese indische Erzählung soll nun ihrem Hauptinhalte nach, d.h. dem Kampfe des Zauberlehrlings mit seinen Meistern, den verschiedenen Verwandlungen und dem endlichen Sieg des Lehrlings, in viele Märchensammlungen übergegangen sein. – Bei Strap. (8. Nacht 5. Fabel S. 152 ff.) ist es ein Schneiderlehrling, dessen Meister ein Zauberer ist, und der ohne Wissen desselben von ihm die Zauberei lernt. Nachdem er heimgekehrt ist, verwandelt er sich in ein Pferd, das der Vater dem Zauberer verkauft. Da er dem Pferde aber vorher den Zaum nicht abgenommen hat, so führt es der Zauberer in seinen Stall und misshandelt es dort Tag für Tag. Die Töchter des Zauberers bringen das Tier aus Mitleid einmal zur Tränke, doch da verwandelt sich das Pferd in einen Fisch. Der Zauberer verfolgt ihn in gleicher Gestalt. Nun wird der Lehrling zum Goldringe, den die Prinzessin an den Finger steckt. Der Zauberer heilt den König von einer Krankheit und verlangt als Lohn dafür den Ring. Auf den Rat des Jünglings wirft ihn die Prinzessin gegen die Mauer. Hierdurch verwandelt er sich in Körner. Der Zauberer will diese als Hahn aufpicken, doch der Jüngling als Fuchs beisst ihm schließlich den Kopf ab.

In ähnlicher Weise wird dieses Märchen auch in der Walachei (Schott 18 »Der Teufel und seine Schüler« S. 193 ff.) und in Schleswig-Holstein (Müllenhoff XXVII »Der Teufel ist tot« S. 466 ff.) erzählt (vergl. auch Köhler Kl. Schr. S. 138 ff.).[196] In dem Grimmschen Märchen (68 »Der Gaudeif und sien Meester« I S. 271 ff.) ist diese Erzählung etwas verändert – auch fehlt dort die Episode mit dem King an dem Finger der Prinzessin bezw. Nonne. Bei Hahn (68 »Der Lehrer und sein Schüler« II S. 33 ff.) verwandelt sich der Jüngling, der vorher mit einer Jungfrau von einem Dämon entflohen war, in ein Maultier, dann in ein Badehaus, hierauf in einen Granatapfel, der auf den Boden fällt und zerspringt. Der Zauberer als Henne mit ihren Küchlein pickt die Körner auf, und der Jüngling beisst ihnen dann in der Gestalt eines Fuchses die Köpfe ab.

Die ursprüngliche Gestalt des Märchens, die naturgemäss in den verschiedenen Erzählungen Änderungen erfahren hat, weicht im Isländischen bedeutend von den übrigen Märchen dieser Familie ab, da dort aus dem einen Zauberer drei geworden sind. In dieser Mehrzahl stimmt es ja allerdings wieder zur mongolischen Erzählung. Jedoch verwandeln sich dort die Magier immer gleichzeitig und werden auch gleichzeitig getötet, während im Isländischen erst nach dem Tode des einen Zauberers der zweite und dritte Bruder in die Erzählung eingreifen.

– – – – Die Aussage des Knaben, dass er lesen und schreiben kann, dann aber die Widerrufung dieses Geständnisses, findet sich ebenso auch in einer Variante des Märchens bei Grimm (III S. 117) und bei Luzel: »Contes bretons« (Köhler Kl. Schr. S. 139). – – –

Aus dem Ringe ist im Isländischen ein Armband geworden, das der Zauberer dann auch nicht als Lohn für die Heilung des Königs, sondern als Lohn für die Hilfe bei der Königstochter von dieser erhält. Dass das Armband auf den Boden geworfen werden soll, stimmt auch mit den übrigen Märchen überein. Aber während hier in den anderen Erzählungen nach einigen Verwandlungen die Geschichte zu Ende ist, findet sie im Isländischen noch ihre Fortsetzung in dem Verlust der Gattin etc. Dieser letzte Teil ist in keinem der übrigen Märchen nachzuweisen, und er ist wohl im Isländischen durch die Vervielfältigung der Zauberer dem ursprünglichen Märchen hinzugefügt worden.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 191-197.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Klein Zaches

Klein Zaches

Nachdem im Reich die Aufklärung eingeführt wurde ist die Poesie verboten und die Feen sind des Landes verwiesen. Darum versteckt sich die Fee Rosabelverde in einem Damenstift. Als sie dem häßlichen, mißgestalteten Bauernkind Zaches über das Haar streicht verleiht sie ihm damit die Eigenschaft, stets für einen hübschen und klugen Menschen gehalten zu werden, dem die Taten, die seine Zeitgenossen in seiner Gegenwart vollbringen, als seine eigenen angerechnet werden.

88 Seiten, 4.20 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon