XLVII. Die hochmütige Königin.

[197] Lbs. 536 4 to. Von Páll Pálsson in Árkvörn nach der Erzählung der alten Frau Guðríður Eyolfsdóttir 1863/4 niedergeschrieben.


Es war einmal ein König, der eine einzige, sehr schöne, aber auch sehr hochmütige Tochter besass. Als er starb, bestimmte er, dass seine Tochter nach ihm Königin werden solle. Und das geschah auch. – Von allen Seiten kommen nun die tüchtigsten Königssöhne, um ihre Werbung bei der jungfräulichen Königin anzubringen. Keiner ist ihr aber gut genug, jeden schickt sie am folgenden Tage, kahl geschoren und lächerlich gemacht, in seine Heimat zurück. Zwei Königssöhne hören auch von der Schönheit und dem Übermute dieser Königin. Der ältere Prinz beschliesst, trotz aller Gefahren, um sie zu freien. Wie er hinkommt, wird er aufs freundlichste aufgenommen und zur Königin in ihren festen Turm geführt. Sie bietet ihm hier Wein an und gibt auch anscheinend seiner Werbung Gehör. Am andern Tage will sie ihm ihre Antwort mitteilen. Als der Königssohn am folgenden Morgen erwacht, findet er sein Haupt kahl geschoren und seine Kleider mit weissen Flecken bedeckt. Während er darüber noch seine Leute ausforscht, kommt ein Bote der Königin, ihnen zu sagen, dass sie so gleich alle an den höchsten Galgen gehängt würden, wenn sie nicht sofort das Königreich verliessen. Der Königssohn kehrt beschämt nach Hause zurück. Doch sein jüngerer Bruder tröstet ihn jetzt und sagt, mit diesem Misserfolge wollten sie sich nicht zufrieden geben. Er wolle nun mit ihm fahren, und dann würden sie sehen, was sie erreichten. Wie die beiden Königssöhne mit ihrem Schiffe landen, werden sie von dem Minister der Königin freundlich empfangen und im Namen der Herrin ins Schloss eingeladen. Doch die Prinzen erklären, lieber draussen auf der Wiese ihr Zelt aufschlagen zu wollen. Wie die Königin das Zelt der Brüder sieht, gefällt es ihr so über alle Massen, dass sie es zu erwerben wünscht. Sie sendet ihren Minister mit Geld zu den Prinzen, und diese sind auch willig, den Wunsch der Königin zu erfüllen. Nur müssten sie noch die nächste Nacht in demselben schlafen. Am andern Morgen wird es dann der Königin richtig abgeliefert.[198] Aber nun schlagen die Brüder ein noch viel prächtigeres Zelt auf. Auch dieses will die Königin kaufen, und auch dieses erhält sie unter der gleichen Bedingung. Das dritte Zelt, das von den Prinzen nun benutzt wird, ist so schön und so prächtig, dass die Königin ihr Verlangen, es zu besitzen, gar nicht mehr bemeistern kann. Sie sendet wieder ihren Minister mit grossen Schätzen zu den Brüdern. Aber diese erklären nun, die Königin müsse selbst kommen, um es ihnen abzukaufen. Wie sich nach langem Zögern die Königin endlich zur Wiese hinausbemüht, sagen die Prinzen wie gewöhnlich, sie könne das Zelt erst am anderen Tage bekommen. Sie dürfe jedoch in der Nacht schon in ihm schlafen. Wie sie am folgenden Morgen erwacht, ist das Zelt samt den Königssöhnen verschwunden, sie selbst aber liegt in den Armen eines schmutzigen, hässlichen alten Mannes. Der ist gleich beim Erwachen sehr grob gegen sie und läuft von ihr fort. Sie läuft ihm den ganzen Tag nach, bis sie endlich am Abend in eine Hütte kommen. Dort bringen sie die Nacht zu. Am anderen Morgen fängt der Alte wieder an zu schimpfen und fragt, ob sie vorhabe, sie beide verhungern zu lassen? Sie solle lieber einen Teil ihrer Kleider verkaufen, damit sie etwas zu essen bekämen. Wie sie mit einem Korbe voll Speisen endlich heimkommt, nimmt er sich die besten Stücke heraus und wirft ihr den Rest zu. Am anderen Tage geht es ihr nicht besser. Bald hat sie all' ihre Gewänder verkauft, so dass sie nur noch die notwendigste Bedeckung auf dem Leibe hat. Nun bricht sich der Alte auch noch ein Bein. Schimpfend und fluchend lässt er sich von seiner Trau, die unter der Last ächzt und stöhnt, eine Strecke weit bis zur nächsten Hütte tragen. Sie solle nur fortgehen und sehen, irgendwo Essen zu bekommen. In ihrer Ratlosigkeit läuft sie fort und bettelt, bekommt aber schliesslich nur ein Stück Brot. Wie sie mit ihm zur Hütte zurückkehrt, ist ihr Mann verschwunden. Sie geht nun in das Haus zurück, in dem sie vorher wenigstens ein Stück Brot bekommen hatte. Lange Zeit steht sie hier vor der Türe, ohne dass jemand sich um sie kümmert. Endlich kommt ein Mann mit weissgefleckten Kleidern heraus, schlägt sie und geht dann wieder hinein. Nun wagt sie sich ins Haus zur Köchin und[199] bettelt bei ihr um Essen und Kleider. Diese gibt ihr auch etwas und lässt sie in der Küche sitzen. Am Abend wird sie in ein Zimmer geführt, bekommt dort zu essen und darf auch in einem Bette schlafen. Am anderen Morgen kommt ein Mädchen zu ihr herein, bringt sie in ein ganz goldenes Zimmer und setzt sie hier auf einen Goldstuhl. Nachdem sie hier eine Weile gewartet hat, tritt ein Mann ins Zimmer, dessen Kleider ganz voll weisser Flecken sind. Mit Schrecken erkennt sie in ihm den Königssohn, den sie erst vor kurzem so beschimpft von ihrem Hofe weggesandt hat. Der Prinz erklärt ihr nun, dass jetzt sie in seiner Gewalt sei. Sie habe nur unter zwei Dingen zu wählen: entweder sie heirate ihn sofort, oder sie werde an den höchsten Galgen gehängt. Unter diesen Umständen zieht die Königin vor, den Prinzen zu heiraten. Nun werden ihr die elenden Lumpen, die die Köchin ihr gab, abgenommen und fürstliche Kleider für sie gebracht. Mit Erstaunen erkennt sie in ihnen ihre eigenen Gewänder, die sie erst vor wenigen Tagen nach und nach verkauft hatte. Sie erfährt nun, dass der widerwärtige Alte und der Königssohn die gleiche Persönlichkeit sind, und dass ihr Gatte diesen Weg gewählt hatte, um sie für ihren Stolz und Übermut einmal gründlich zu demütigen.

Dieses Märchen behandelt die bekannte Geschichte von der übermütigen Königstochter, die all' ihre Freier verspottete und schliesslich auf irgend eine Weise gezwungen wurde, irgend einen armseligen Mann zu heiraten. Hier erlebt sie nun böse Tage, bis sie am Schlüsse aller Demütigungen erfährt, dass der Gatte von geringem Stande in Wahrheit einer ihrer früher verspotteten Freier ist.

In der Einleitung unterscheiden sich die Märchen, die dieser Familie angehören, darin, dass entweder der Vater über den Hochmut seiner Tochter so entrüstet ist, dass er sie dem ersten besten Manne gibt (Grimm 52 »König Drosselbart« S. 191 ff.) oder sie verstösst (Gonz. 18 »Die gedemütigte Königstochter« I S. 118 ff.), oder aber, dass die Prinzessin sich in einen Mann niederen Standes verliebt (Cosquin 44 »La princesse d'Angleterre« H S. 98 ff.) oder für einige Kostbarkeiten sich einem Gärtner oder gar Bettler hingibt (Bas. 4. Tag[200] 10. Märchen II S. 135 ff. und Asbj. 45 »Haaken Borkenskjæg« S. 222 ff.). Bei Zingerle bildet dieses Märchen die Fortsetzung des in »Ganti á Hólnum« behandelten Themas, d.h. die gedemütigte Frau ist die Königstochter, die das ihr aufgegebene Rätsel nicht raten konnte.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 197-201.
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