XLIX. Die kluge Königstochter.

[205] Lbs 536 4 to. Von Páll Pálsson in Árkvörn, nach der Erzählung der alten Frau Guðriður Eyolfsdóttir 1863/4 niedergeschrieben.


Ein Kaiser hatte einen sehr gewalttätigen Sohn. Dieser nahm die Töchter der Schatzkönige seines Vaters zu sich, schlief drei Nächte bei ihnen und sandte sie dann wieder heim. Nicht eine konnte seiner Begier entgehen. – – Als einem Schatzkönige nun ein Töchterlein geboren wurde, hatte er solche Angst für die Zukunft des Kindes, dass er ausstreute, die Kleine sei gestorben. Dann liess er das Mädchen von einer weisen Frau in einem Erdhause heimlich aufziehen. Wie die Königstochter nun zwölf Jahre alt geworden war, ging sie aus dem Erdhause heraus und trat in den Königspalast, als ihr Vater gerade viele Gäste um sich versammelt hatte. Der König war sehr erschrocken über den Anblick seiner Tochter. Diese tat jedoch, als wenn sie es nicht merkte, umarmte den Vater zärtlich und bat ihn, ihr einen Turm zu geben und Dienerinnen darin, gerade so, wie die andern Königstöchter es hätten. Nun hielt der König seine Tochter schon für verloren. Da nun der Kaiserssohn ja doch bald von ihr erfahren würde, so willfahrte er traurigen Herzens dem Wunsche seines Kindes. – Sowie nun bekannt wird, dass diese Königstochter noch lebt, macht der Sohn des Kaisers sich auf, um persönlich die Steuern von diesem Könige zu fordern und zugleich an dessen[205] Tochter sich zu erfreuen. Als der König die kaiserlichen Schiffe sich nähern sieht, eilt er zum Turm seiner Tochter und überhäuft sie mit Vorwürfen. Doch diese bleibt ganz ruhig und tröstet den Vater und sagt, sie wolle schon zusehen, dass ihr kein Leid geschähe. Er solle nur einstweilen seinen Gast sehr freundlich empfangen. Der König geht seinem Herrn mit grossem Gefolge entgegen und bittet ihn zum Festmahle ins Schloss. Wie alle nun vergnügt beim Zechgelage sitzen, erscheint in herrlichem Schmucke die junge Königstochter mit ihren Jungfrauen. Der Prinz ist ganz geblendet von ihrer Schönheit und sagt ihr, dass er sie noch am gleichen Abende in ihrem Turme aufsuchen werde. Wie er kommt, wird er aufs freundlichste von ihr empfangen. Nachdem sie eine Weile mit einander geplaudert haben, verlangt er, die Nacht bei ihr zu schlafen. Auch damit ist die Jungfrau durchaus einverstanden. Schon hat er das Bett bestiegen, da kommt sie noch mit einem schönduftenden Tranke und sagt, den wollten sie gemeinsam geniessen. Sowie der Prinz ihn getrunken hat, sinkt er fest eingeschlafen in die Kissen zurück. Nun ruft die Königstochter ihre Jungfrauen, lässt den Prinzen in eine Kiste packen und diese zunageln. Am andern Morgen schicken die Jungfrauen zum Gefolge des Gastes und lassen sagen: Der Prinz habe befohlen, dass seine Leute mit einer Kiste, die sie im Turme holen sollten, so schnell wie möglich zum Kaiser zurückkehrten. Er selbst wolle noch eine Weile im Turme bei der Königstochter bleiben. Der Kaiser allein dürfe aber die Kiste nur öffnen! Wer sie unterwegs zu öffnen wage, müsse es mit dem Tode büssen. – – – Der alte Kaiser ist über die geheimnisvolle Sendung sehr erfreut und ist neugierig, welche Kostbarkeit ihm der Schatzkönig eigentlich zugedacht habe. Wie er die Kiste öffnet, findet er in ihr seinen eigenen Sohn nur mit einem Hemde bekleidet. Zuerst hält er ihn für tot, aber bald überzeugt er sich, dass er nur fest schläft. Beim Erwachen ist der Prinz sehr erstaunt, bei seinem Vater sich zu befinden. Er wütet über den schlauen Streich der Königstochter und sinnt auf Rache. In seiner Ratlosigkeit geht er nun zu einer Völva. Diese weigert sich lange Zeit, ihm zu helfen, da die Pflegemutter der Prinzessin eine der erfahrensten Zauberinnen sei,[206] und das Mädchen alle Künste von ihr gelernt habe. Endlich lässt sie sich durch reiche Schätze bewegen, einen Weg zur Bache ausfindig zu machen, trotzdem sie auch jetzt noch am Gelingen des Planes zweifelt. Der Prinz solle einen festen Turm bauen lassen. Hier solle er in einem Saale einen goldenen Stuhl, den sie ihm geben wolle, hinsetzen. Nach einiger Zeit würde vermutlich die Prinzessin kommen, um ihn zu besuchen. Dann solle er ihr alle seine Kostbarkeiten zeigen und sie schliesslich auch in diesen Saal führen. Bei dieser Gelegenheit solle er das Mädchen dann auf den Stuhl niederstossen und den Turm verschliessen. Der Kaiserssohn befolgt nun aufs genaueste alle Anordnungen der Zauberin. – Nach einer Weile verspürt die Königstochter Lust, nun ihrerseits dem Prinzen einen Besuch abzustatten. Der alte König ist zwar ausser sich über diesen Plan, aber schliesslich gibt er dem Wunsche der Tochter nach. Sowie man im kaiserlichen Schlosse die Schiffe der Prinzessin heranfahren sieht, eilt der Kaiserssohn zum Strande, begrüsst die Jungfrau aufs freundlichste und geleitet sie zum Schlosse. Nachdem er ihr hier alle seine Schätze gezeigt hat, führt er sie in den Turm. Ehe er jedoch das junge Mädchen auf den Stuhl niederdrücken kann, hat dieses ihn schon auf denselben hingeworfen, hat des Prinzen Obergewand weggenommen und dann die Türe des Saales und des Turmes fest hinter sich geschlossen. Die Leute sehen den Kaiserssohn von dem Turme zu den Schiffen gehen. Da diese gleich nachher die Anker lichten, so vermuten alle, dass der Prinz mitgefahren sei und beunruhigen sich daher nicht weiter um sein Ausbleiben. – Nun hatte am Tage vorher der Kaiserssohn all' seinen Leuten aufs strengste eingeschärft, dass keiner von ihnen den Turm öffnen dürfe, wenn auch von dort Weinen und Wehklagen gehört würde. Als daher in den folgenden Tagen im Turm Hilferufe und Jammergeschrei ertönt, kümmert sich niemand darum. Nach einigen Tagen wird der Lärm schwächer. Ein alter Diener kann das leise Winseln, das jetzt noch vom Turme zu hören ist, nicht länger mehr aushalten. Er geht zum Kaiser und bittet ihn um die Erlaubnis, den Turm aufbrechen zu dürfen. Es schade nichts, wenn ihn auch deswegen der Prinz nach seiner Rückkehr töten liesse. Er sei ja[207] doch schon alt und habe nicht mehr lange zu leben. Nur ungern bewilligt der Kaiser diese Bitte. Wie der Alte in den Saal tritt, findet er den Prinzen dem Tode nahe auf dem Stuhle sitzen. Erschrocken läuft er zum Kaiser, der nun so schnell wie möglich herbeieilt, um seinen Sohn zu befreien. Nachdem er den Unglücklichen durch Nahrung wieder etwas belebt hat, versucht er, ihn vom Stuhle aufzuziehen. Doch der Sohn schreit vor Schmerz und erklärt, dass das unmöglich sei. In dem Stuhle stäken viele Stacheln, die alle jetzt in seinem Fleische sässen, und die sich immer tiefer einbohrten, wenn er nur den leissesten Versuch mache, vom Stuhle sich zu erheben. Um Hilfe zu holen, wird vom Kaiser zur Völva geschickt. Doch die Leute kehren unverrichteter Dinge wieder zurück, denn die Zauberin sei an dem Tage der Ankunft der Prinzessin plötzlich gestorben. Nun werden aus aller Herren Länder die tüchtigsten Ärzte verschrieben, doch keiner kann den Prinzen von seinem Stuhle befreien, sodass er ein qualvolles Leben führt. Eines Tages lässt sich beim Kaiser ein ägyptischer Arzt melden. Es ist ein ehrwürdiger Alter in langem Gewände mit mächtigem silberweissen Barte. Dieser erklärt dem Kaiser, er könne vielleicht seinem Sohne Rettung bringen. Der Arzt gibt dem Prinzen aus einem Fläschlein zu trinken, lässt aus einer anderen Flasche einige Tropfen auf die Schenkel des Unglücklichen fallen, und dann zieht er ihn mit kräftigem Ruck vom Stuhle los. Nun ist der Prinz zwar von diesem befreit, aber alle Stacheln sitzen noch in ihm. Auf die Anordnung des Arztes wird er in ein Bett gelegt. Der Kaiser muss seinen besten Ochsen schlachten und ihm die Haut abziehen lassen. In diese schmiert der Arzt eine Salbe hinein und legt sie dann dem Kranken auf. Nach einiger Zeit beginnen die Stacheln sich im Fleische zu lösen, so dass sie nun der Alte mit der Zange behutsam herausziehen kann. Endlich nach langer Zeit ist durch die Kunst des Arztes der Prinz völlig wieder genesen, und Vater und Sohn wissen voll Dankbarkeit kaum, wie sie dem Retter lohnen sollen. Dieser lehnt jedoch jede Gabe ab, lässt sich aber von den beiden folgenden Eid schwören: Wenn sie einst im wildesten Kampfe sich befinden und dann den Arzt mit der Friedensfahne sehen, so müssen sie sofort das Gefecht[208] aufgeben und mit dem Feinde dann den für diesen ehrenvollsten Frieden schliessen. – – – Hierauf geht der Kaiser und sein Sohn gern ein, da sie überzeugt sind, dass es niemals dahin kommen wird. – – – Der Prinz wundert sich oft darüber, dass die Hände des Arztes so fein, weich und zart wie Frauenhände sind, und auch der Kaiser ist mit dem Sohne der Ansicht, dass der Alte nicht das ist, was er vorstellt. Sie beschliessen nun, der Sache auf den Grund zu kommen. Eines Abends, als sie den Alten erwarten, lassen sie vor der Tür einen dicken Faden spannen und meinen, der Alte würde über ihn fallen, wenn er wirklich so hinfällig wäre, wie er sich anstelle. Der Arzt fällt auch wirklich, steht aber schnell wieder auf und beklagt sich beim Kaiser bitter über die Bosheit seiner Hofleute. Nun fassen die beiden einen andern Plan. Sie fordern den Alten auf, als Zeichen ihrer grossen Würdigung mit ihnen gemeinsam ein Bad zu nehmen. Der Arzt weiss diese Ehre auch sehr zu schätzen und nimmt anscheinend freundlich die Einladung an. Nun hatte die Königstochter – denn diese spielt die Rolle des Arztes – zwei ihrer Leute und ihren treuen Hund von Anfang an in ihrer Nähe behalten. Mit ihnen verabredet sie nun ihren Plan. Der Kaiser und sein Sohn haben sich schnell ihrer Kleider entledigt und sind schon im Bade drinnen, während der Alte mit seinen steifen Gliedern anscheinend mit grosser Mühe sein Obergewand erst auszieht. Die beiden rufen ihm zu, sich zu beeilen. In diesem Augenblicke hört man draussen ein erbärmliches Hundegeheul. »Natürlich sind die infamen Hofleute wieder dabei, meinen armen Hund zu quälen«, sagt der Alte entrüstet. Sofort hat er sein Obergewand wieder übergeworfen und eilt mit einer Schnelligkeit, die für sein Alter wahrhaft überraschend ist, zum Bade hinaus. Der Kaiser und sein Sohn kleiden sich an, so schnell wie sie nur können. Aber wie sie herauskommen, ist von dem Arzte keine Spur mehr zu sehen. – – – Nun rüsten die beiden ein gewaltiges Heer, um sich am Schatzkönige und seiner schlauen Tochter blutig zu rächen. Wie die grosse Flotte vom Königreiche aus gesehen wird, eilt der König verzweiflungsvoll zu seiner Tochter. Doch das Mädchen tröstet ihn und sagt, sie werde schon für einen guten[209] Ausgang sorgen. Er solle nur einstweilen sich rüsten und dem Feinde mutig entgegen ziehen. Wie die Heere aufeinander prallen und ein wilder Kampf entbrennt, in dem die kleine Schar des Königs sicher bald unterlegen wäre, sieht der Kaiser und sein Sohn mit einem Male den ägyptischen Arzt mit der Friedensfahne erscheinen. Sofort gebieten sie, getreu ihrem Eide, dem Kampfe Einhalt und erklären dem Könige, mit ihm sich versöhnen und einen ehrenvollen Frieden schliessen zu wollen. Dem Könige wird für alle Zeiten der Tribut erlassen, und der Kaiserssohn heiratet die Königstochter, von deren Schönheit und Klugheit er ganz hingerissen ist, und mit der er dann später die glücklichste Ehe führt.

Verkürzt und mit geändertem Schlüsse findet sich dieses Märchen noch auf den Fær-oern (Fær. 31 »Kongadóttirin, id duld var inni í átján ár« S. 361 ff.). Ein König lässt seine Tochter aus Furcht vor dem Kaiser, der alle Jungfrauen entehrt, achtzehn Jahre in einem Erdhause auf erziehen. Schliesslich duldet es die Prinzessin nicht mehr in dieser Abgeschlossenheit. Sowie der Kaiser von ihrer Existenz hört, kommt er, um die Nacht mit ihr zuzubringen. Sie setzt das Bett über das Klosett und richtet es so ein, dass der Kaiser, sowie er das Bett besteigt, ins Klosett hinunterfällt. Zur Rache lässt der Kaiser ihr eine Goldkrone machen, durch den der erste, der sie aufsetzt, aussätzig wird. Sie ist jedoch flink genug, ihm die Krone aufs Haupt zu drücken. Nun wird der Kaiser aussätzig. Die Prinzessin kommt nun als Arzt verkleidet und heilt ihn ... Um die Königstochter gründlich zu bestrafen, befiehlt der Kaiser, dass seine drei geringsten Knechte bei ihr schlafen sollen. Acht Tage Frist bittet sich hierzu die Prinzessin aus. In dieser Zeit schmückt sie ihr Zimmer auf das herrlichste, lockt die Mutter des Kaisers, die nichts von den Befehlen ihres Sohnes weiss, in das prächtige Zimmer und verspricht ihr alles darin zum Eigentum, falls sie an ihrer Stelle die Nacht in dem Zimmer zubringen wolle. Da die Kaiserin-Mutter nicht weiss, um was es sich handelt, ist sie bereit dazu, falls nur die Königstochter so lange zum Kaiser sich legen wolle. Denn sie und ihr Sohn seien gewöhnt, Rücken gegen Rücken gekehrt im gleichen Bette zu schlafen. Die Prinzessin geht nun zum[210] Kaiser. Sowie die drei Knechte zu der einem jeden von ihnen zugewiesenen Zeit ins Zimmer der Prinzessin kommen, entfliehen sie entsetzt, als sie die alte Kaiserin dort ihrer wartend finden. In der Nacht steht nun auch der Kaiser auf, um sich am Anblick seines Opfers zu laben. Zu seinem Schrecken findet er jedoch statt der Prinzessin die eigne Mutter dort vor. Nachdem der erste Zorn des Kaisers verraucht ist, beschliesst er, die Jungfrau zu heiraten, da er eine klügere Frau doch unmöglich finden könne. – –

Weitere Parallelen zu diesem Märchen sind mir nicht bekannt.

Zu dem Versuche, das wahre Geschlecht eines verkleideten Mädchens durch ein Bad zu entdecken, stimmt von den Märchen, in denen dieses Motiv Verwendung findet, am meisten Bas. mit unserem isländischen Märchen überein. Dort soll die als Jüngling verkleidete Jungfrau mit dem Sohne des Hauses ein Bad nehmen. Verabredetermassen ruft sie jedoch vorher ein Knecht hinweg, da der Vater im Sterben liege. (Bas. 3. Tag 6. Märchen 1 S. 335 ff.)

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 205-211.
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