XLVIII. Vom Bauernsohne, der die Königin heiratet.

[201] Lbs. 536 4 to. Von Páll Pálsson in Árkvörn nach der Erzählung der alten Frau Guðriður Eyolfsdóttir 1863/4 niedergeschrieben.


Zwei Königssöhne spielen in ihrer Kindheit viel mit einem Bauernsohn, namens Finnur. Wie sie älter werden, wollen sie neidvoll nichts mehr von ihm wissen, da er in allem viel tüchtiger ist wie sie. Sie erbitten sich einst vom Vater Urlaub, um draussen in der Welt sich Ehre und Reichtum zu erwerben. Der Vater stattet sie glänzend aus. Als sie spät am Abend an eine Höhle kommen, beschliessen sie, hier zu übernachten. Während des Abendbrods, tritt ein überaus, hässliches kleines Geschöpf zu ihnen und fragt, ob es mit ihnen oder gegen sie sein solle. Die Königssöhne sind sehr entrüstet und sagen, es solle nur ruhig gegen sie sein. Sie wollten mit solchem kleinen Ungeheuer nichts zu tun haben, es solle sich zum Teufel scheren. Darauf schlafen sie die Nacht hindurch in der Höhle und ziehen am anderen Tage weiter. – Finnur hat auch keine Lust, untätig bei den Eltern zu bleiben. Auch er erbittet sich Urlaub und zieht in die Welt hinaus. An der gleichen Höhle kommt das gleiche hässliche kleine Geschöpf zu ihm und stellt die gleiche Frage. Finnur erklärt jedoch, er wolle die Kleine lieber mit sich, als gegen sich haben. Dann lässt er sie freundlich an seinem Abendbrod teilnehmen. Ehe das kleine Ungeheuer sich verabschiedet, sagt es dem Bauernsohne, er solle es herbeiwünschen, wenn er seine Hilfe gebrauchen könne. Finnur kommt nun in ein Königreich, wo er bei der Königin als Wasserträger etc. in den Dienst tritt. Vor ihm sind schon die beiden Königssöhne in dasselbe Königreich gekommen und haben beim Könige[201] Aufnahme gefunden. Finnur erwirbt sich durch seine Zuverlässigkeit und Treue die Gunst der Königin. Als er sich im Frühjahre verabschiedet, schenkt sie ihm für seine Dienste ein »Tischlein deck dich«, das Zwerge einst geschmiedet haben. Die beiden Königssöhne haben sich dagegen während des Winters weder Ansehen, noch Geld erworben, sondern müssen dem Könige für ihren Aufenthalt am Hofe noch viel zahlen. Sie sind vor Finnur, den sie überhaupt nicht gesehen haben, schon weiter gezogen und haben im Herbste bei einem anderen Könige Aufnahme gefunden. Auch Finnur kommt in das gleiche Königreich. Er tritt wieder bei der Königin in Dienst, und auch bei ihr findet sein Fleiss volle Anerkennung. Zum Abschiede schenkt sie ihm einen Krug von der Zauberkraft, dass in ihn jeder Trank hineinkommt, den man sich nur hineinwünscht. Bei der dritten Königin, bei der im folgenden Winter Finnur in Dienst tritt, steht er in so hohem Ansehen, dass er in allen Dingen ihre rechte Hand ist. Einst sendet sie ihn mit einem Auftrage in die Halle des Königs. Hier findet er unter den Hofleuten seine Jugendgespielen. Freundlich will er sie begrüssen, doch sie fühlen sich zu vornehm, um ihn zu kennen. – Als Finnur im Frühjahre von der Königin sich verabschiedet, schenkt sie ihm eine Zauberschere, durch die man sich die prächtigsten Kleidungsstücke herbeiwünschen kann. Finnur zieht weiter und trifft nun vor dem vierten Königreiche die beiden Königssöhne. Diese sind in grosser Ratlosigkeit und begrüssen daher den Jugendgespielen jetzt sehr freundlich. In diesem Reiche herrscht nämlich eine jungfräuliche Königin, die keinen unverschnittenen Mann in ihrem Gefolge oder in ihrer Nähe duldet. Finnur meint, man könne sie doch wenigstens fragen, ob sie ihnen nicht unter anderen Bedingungen für den Winter Aufnahme geben wolle – wenigstens er wolle es für sich versuchen. Nun schliessen sich die beiden Königssöhne ihm an. – Die Königin will von anderen Bedingungen jedoch nichts wissen. Sie lässt den dreien nur die Wahl, sich entweder sogleich verschneiden zu lassen oder aber auf einer unfruchtbaren Insel zum Verhungern ausgesetzt zu werden. Die beiden Königssöhne wählen das erstere, während Finnur die Insel vorzieht. Wie er zur Insel gelangt,[202] findet er dort eine Menge Leichen und eine Schar halbverhungerter Männer. Er setzt sogleich sein »Tischlein deck dich« hin, das nach kurzer Zeit alle Inselbewohner wieder zu Kräften bringt. Vom Königreiche aus sieht man, dass auf der Insel sich jetzt immer eine ganze Schar von Männern sehr vergnügt herumtreibt. Da die Königin ahnt, dass Finnur daran schuld sei, so lässt sie ihn eines Tages wieder zu sich holen. Lange Zeit lässt er die Königin vergeblich danach forschen, durch welche Zaubermittel er sich und die Gefährten am Leben erhalte. Endlich erzählt er ihr von seinem »Tischlein deck dich« und zeigt es ihr. – Nun will die Königin um jeden Preis das Zaubertischchen besitzen, aber Finnur will es auch für die grössten Schätze nicht hergeben. Endlich sagt er, dass er unter einer Bedingung ihr den Tisch geben wolle. Unbedacht gesteht sie ihm die Erfüllung der Bedingung zu. Finnur verlangt nun, eine Nacht auf dem Boden neben ihrem Bette schlafen zu dürfen. Am anderen Tage möge sie ihn dann gleich zur Insel zurück bringen lassen. Empört über diese Frechheit soll er sogleich getötet werden, doch Finnur erinnert sie an ihr Königswort. Schliesslich geht die Königin auf die Bedingung ein, nur sollen vier Männer mit Lichtern und gezückten Schwertern neben dem Bette stehen und Finnur bewachen. Der Bursche ist es zufrieden. In der Nacht schläft er auf dem Boden neben ihrem Bette und rührt und regt sich nicht. Am folgenden Morgen wird er zur Insel zurückgebracht. Nach einiger Zeit, als die Leute auf der Insel immer noch leben, wird Finnur wieder zur Königin geholt. Er zeigt ihr nun seinen Zauberkrug, den er nur hergeben will, wenn er zu ihren Füssen in ihrem Bette schlafen darf. In dieser Nacht müssen nun acht Männer wachen, aber Finnur rührt und regt sich nicht. – Wie die Königin zum dritten Male den Burschen von der Insel holen lässt, sind alle Männer dort prächtig gekleidet, und Finnur selbst hat ein Gewand an, das für einen Kaiser sich geziemt hätte. Die Königin kann die Zauberschere nur bekommen, wenn Finnur im Bette neben ihr, doch auf dem Deckbette liegen darf. Zwölf Männer müssen aber jetzt mit Lichtern und gezogenen Schwertern Wache stehen. Wie Finnur eine Weile auf dem Deckbette liegt, wünscht er sich heimlich das kleine Ungetüm zur Hilfe[203] herbei. Im gleichen Augenblicke liegt er auch schon unter dem Deckbette neben der Königin, und die Männer, die ihn deswegen durchbohren wollen, können kein Glied rühren. Die Königin, die von der Verzauberung der Wächter nichts weiss, ruft ihnen zu:


»Æ, sløkkvið ljós og sliðrið sverð,

Sláið ey að sinni,

Pvi hann er með sinn fiðil á ferð

Í fögru brekku minni.«


»Ei, löscht das Licht und steckt das Schwert ein,

Und schlaget nicht sogleich zu,

Denn er ist mit seiner Fiedel auf der Fahrt

In meinem schönen Garten.«


In diesem Augenblicke können die Wächter sich wieder rühren und verlassen das Zimmer. Am folgenden Morgen thront Finnur neben der Königin im Hochsitze, und eine prächtige Hochzeit wird gefeiert. In der Nacht darauf schläft das Ungeheuer zu den Füssen des jungen Paares und ist am Morgen in eine schöne Prinzessin verwandelt. – – – –

Auf den Fær-oern und in Norwegen wird ein ähnliches Märchen erzählt (Fær. 17 »Geldingarnir á slotinun« S. 300 ff. und Asbj. 38 »Det har ingen Nød med den, som alle Kvindfolk er forlibt i« S. 194 ff.). Zum Unterschiede von der isländischen Erzählung handelt es sich in beiden Märchen um drei Brüder, von denen jeder einmal einen Wunsch äussern darf. Die beiden älteren wünschen sich Geld oder Ansehen beim Könige, der jüngste die Liebe der Frauen. Dieser jüngste, der seinen reichen Brüdern dienen muss, erhält nun von drei Frauen, die sich in ihn verliebten, ein Kleidermesser, ein »Tischleindeckdich« und einen Getränkekrug, (Asbj. bezw. ein »Tischleindeckdich«, einen Getränkekrug und eine Kleiderschere). Im norwegischen Märchen wird dann erzählt, dass die Brüder, die sich für Kaiserssöhne ausgeben, in einem König reiche in hohes Ansehen kommen, während »Askeladden« zu den lumpigen Bettlern hinaus auf einen Holm geführt wird. Im Færöischen heisst es, wie im Isländischen, dass die beiden älteren Brüder sich kastrieren lassen mussten (nach der zweiten Fassung aus Fosså, Bordø sogleich, nach der ersten Fassung von Fuglø erst, nachdem der König auf sie eifersüchtig geworden war). Die Erzählung von Fosså stimmt dann mit dem Norwegischen und Isländischen[204] darin überein, dass der Jüngling der Prinzessin die Zaubergaben schenkt, wenn er in ihrem Schlafzimmer schlafen darf. Nach der Erzählung aus Fuglø verkauft er dem Könige Tuch und Krug und schenkt der Prinzessin die Schere. Darauf verliebt sie sich so in ihn, dass der König ihn ihr zum Manne geben muss. – Während im Isländischen das kleine Ungeheuer dem Burschen hilft, sein Ziel zu erreichen, gibt sich im Norwegischen und Færöischen ihm die Prinzessin beim dritten Male freiwillig hin, weil sie seinen Zaubergaben entsprechend sich in ihn verliebt hat.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 201-205.
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