V. Der zum Riesen verzauberte Königssohn.

[17] Lbs. 536 4 to. Nach der Erzählung von Frau Guðríður Eyolfsdóttir von Páll Pálsson in Árkvörn 1863/4 niedergeschrieben.


Ein Königspaar hatte drei Töchter. Wie einmal alle draussen vor dem Schlosse spielen, überfällt sie dichter Nebel. Der König findet nicht den Weg nach Hause, sondern verirrt sich tief in den Wald. Unter einer Eiche trifft er einen Riesen,[17] der verspricht, ihn nach Hause zu bringen, wenn er ihm seine jüngste Tochter geben wolle. Der König will darauf nicht eingehen und schleppt sich weiter fort. Er kommt nach einer Weile wieder mit dem Riesen zusammen, der ihm die gleiche Bedingung stellt. Aber auch jetzt will der König nichts davon wissen. Endlich ist er, halbtot von Müdigkeit und Hunger, am Ende seiner Kräfte angelangt. Nun kommt der Riese zum dritten Male zu ihm. Da der König nicht im Walde sterben will, so geht er endlich auf die Bedingung ein. Nun trägt ihn der Riese zum Königsschlosse zurück. Hier pflegen ihn Frau und Töchter aufs treueste, doch der König wird von Tag zu Tag trauriger. Endlich erzählt er, unter welcher Bedingung er sein Leben nur habe retten können. Die jüngste Tochter tröstet ihn und fordert ihn auf, sein Versprechen in jedem Falle zu halten. Nach einem halben Monate bringt das Königspaar, wie versprochen, das Mädchen zur Eiche in den Wald, und der Riese nimmt es hier in Empfang. Die Königstochter, der er die Wahl stellt, lässt sich von ihm nicht ziehen, sondern tragen und kommt nun mit ihm zur Höhle. Nach einiger Zeit wird sie schwanger. Als ihre Niederkunft herankommt, sagt der Riese, er müsse sie jetzt verlassen. Es würde zur Zeit der Geburt eine Riesin mit einer rotbraunen Hündin zu ihr kommen. Die Alte würde das neugeborene Kind der Hündin in den Rachen werfen. Doch sie müsse das ruhig dulden, dürfe kein Wort sprechen und auch nicht weinen. Alles geschieht nun so, wie der Riese es vorhergesagt hat. Wie die Hündin das Kind, einen Knaben, verschluckt, meint die Alte: »Ja, das geschieht nicht oft, dass du solche Leckerbissen bekommst!« Die Hündin läuft zur Höhle hinaus, während die Alte bei der Königstochter bleibt, um sie zu pflegen. Nach einer Woche geht sie fort, und der Riese kommt wieder und lobt seine Frau sehr, da sie sich so tapfer gehalten habe. Nach einem Jahre erwartet die Königstochter wieder ein Kindchen, und auch jetzt geht alles wie das erste Mal. Als die dritte Niederkunft herannaht, sagt ihr der Riese, dass sie diesmal eine besonders schwere Geburt überstehen; müsse. Aber sie dürfe nur ja keinen Laut ausstoßen oder weinen. Diesmal gebiert sie ein Mädchen. Wie auch jetzt[18] wieder das Kind der Hündin in den Rachen geworfen wird, kann sie es trotz aller Kämpfe nicht hindern, dass ihr eine Träne aus den Augen rollt. – – Auch jetzt lobt sie der Riese bei seiner Rückkehr und sagt nur, es sei schade, dass sie eine Träne geweint habe. – – Kurze Zeit nachher erklärt er, sie nun verlassen zu müssen. Sie solle jetzt ein ganzes Jahr allein in der Höhle bleiben, dürfe aber in ihr nicht neugierig Umschau halten und dürfe auch nie die Höhle öffnen. Sowie ein Jahr vergangen sei, solle sie unter ihr Ehebett schauen. Dort würde sie einen Brunnen finden. In diesem solle sie sich so lange waschen, bis sie in einem Spiegel, der daneben läge, sähe, dass sie ebenso schön wieder sei, wie einst als Jungfrau am Königshofe. Danach solle sie eine Kiste aufschliessen, dieser Kleider entnehmen und sich mit ihnen schmücken, und nun erst solle sie zur Höhle hinaustreten. Ein braunes, schön gesatteltes Pferd würde hier ihrer warten. Dies solle sie besteigen und dem Tiere die Wahl des Weges ruhig überlassen. – – Die Königstochter folgt treulich diesem Gebote. Wie das Jahr schon fast verstrichen ist, kann sie es vor Langeweile jedoch gar nicht mehr aushalten. Sie schaut sich nun in der Höhle um und findet hier eine kleine Nebenhöhle. Wie sie die Tür öffnet, sieht sie an der Wand zwanzig grosse Haken. An jedem Haken hängt eine tote Frau, nur ein Haken ist noch leer. Sie erschrickt furchtbar und weiss sich vor Verzweiflung kaum zu lassen. Doch da kommen zwei Vögelchen in die Höhle und singen so schön, dass sie ihre Furcht und ihre Langeweile vergisst. Nach einem Jahre wäscht und schmückt sie sich, verlässt die Höhle und besteigt das ihrer wartende Pferd. Dieses rennt gleich mit ihr fort. Es macht nicht eher Halt, bis es an eine prächtige Burg gelangt ist Da kommt ihr ein schöner Mann entgegen und begrüsst sie innig als seine Gemahlin. Er dankt ihr für seine Rettung denn durch ihre Standhaftigkeit habe sie ihn und die Seinigen von einem schweren Zauber erlöst. Er heisse Sigurður und sei König in diesem mächtigen Königreiche. Seine Mutter sei die Riesin gewesen und seine Schwester die rotbraune Hündin. Wie sie die Nebenhöhle geöffnet habe, sei er in grosser Angst gewesen. Darum habe er ihr die Vöglein geschickt, damit sie[19] an deren Gesang sich wieder erfreue. Es kommen nun zwei prächtig gekleidete Frauen herbei, die drei Kinder an der Hand führen, zwei Knaben und ein Mädchen. Das Mädchen ist aber auf dem einen Auge blind, weil die Mutter bei seiner Geburt eine Träne geweint hatte. Ein grosses Freudenfest wird gefeiert, und auch die Eltern der Königstochter werden dazu geladen.

Dieses Märchen zeigt mit dem folgenden Märchen nahe Verwandtschaft, denn in beiden handelt es sich um einen verzauberten Königssohn, der einer Prinzessin sich bemächtigt, damit diese ihn erlöse. Der jungen Mutter wird durch die dreimalige Wegnahme ihrer Kinder in beiden Märchen in gleicher Weise eine schwere Prüfung auferlegt. Es findet sich auch übereinstimmend der Zug, dass die Mutter bei der Geburt des letzten Kindes eine Träne weint, wodurch dann dasselbe auf einem Auge blind wird oder ein krankes Auge bekommt. Wenn soweit nun auch diese beiden Märchen übereinstimmen, so weichen sie im weiteren Verläufe völlig voneinander ab. Denn in dem eben erzählten Märchen ist die Königstochter standhaft genug, ihren Mann zu erlösen, während in dem Märchen von dem »zum Hunde verzauberten Königssohn« die junge Frau der Versuchung erliegt und nur nach langen Prüfungen mit dem Gatten erst vereinigt wird.

Die Art und Weise, wie der Riese den König dazu zwingt, ihm die jüngste Tochter zu versprechen, kommt in allen derartigen Märchen ziemlich gleichmässig vor. Der König ist entweder auf der Jagd oder auf dem Meere, er muss entweder das versprechen, was ihm zuerst entgegenkommt (Jephthas Tochter) oder aber von vornherein schon die jüngste Tochter. Dieser Eingang ist so stereotyp, dass z.B. in unserem Märchen auch von den drei Töchtern des Königs zuerst gesprochen wird, trotzdem es sich von Anfang bis zum Ende nur um eine Königstochter handelt und die Erwähnung der Schwestern gar keinen Zweck hat.

Die Frage, ob er die Braut ziehen oder tragen solle, stellt der Riese auch im Märchen von »Kolrassa« an die Schwestern. Die beiden älteren Schwestern lassen sich tragen, während die jüngste sich ziehen lässt. Auch das faeröische Märchen[20] »Risans klóta« (Faer. 2, S. 245 ff.) kennt die gleiche Präge des Riesen. Wie in unserem Märchen hier wählt auch die Jüngste, sich tragen zu lassen.

Der einsame Aufenthalt der Königstochter in der Höhle erinnert an den Eingang von »Bjarndreingnr«. Auch dort ist dieses Opfer von seiten der Frau augenscheinlich eine Bedingung zur Erlösung des Gatten. Für das Öffnen der verbotenen Türe finden sich in den isländischen Märchen von »Kolrassa«, »Snati-Snati« und »Þorsteinn mit dem Goldhaare« weitere Belege. Köhler (Kl. Schr. S. 129. 138. 256. 312. 331) gibt ferner hierzu noch eine stattliche Reihe von Märchen an, in denen das gleiche Motiv Verwendung findet. – In den isländischen Kolrassa-Märchen, sowie in der Mehrzahl der von Köhler zitierten Beispiele sind in dem verbotenen Zimmer blutige Leichen. Ob nun auch in unserem Märchen tatsächlich an den Haken neunzehn tote Frauen hingen, die der Riese vorher schon getötet hatte, oder ob es nur eine Sinnestäuschung war, um die Erlösung noch schwerer zu machen, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Die beiden Vöglein, die durch ihren lieblichen Gesang den furchtbaren Eindruck wieder vergessen machen, lassen fast das Letztere annehmen. Der Riese hat augenscheinlich Angst, dass durch diese zu weitgehende Probe die Standhaftigkeit seiner Retterin erschüttert sei, und so zaubert er die Vöglein in die verschlossene Höhle. –

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 17-21.
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