LIX. Der treue Jugendfreund.

[239] Lbs. 538 4 to. Von Emma Björnsdóttir in Þúfur erzählt.


Ein Königspaar hatte einen Sohn, der Þórir hiess. In einem anderen Königreich hatte das Herrscherpaar zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn hiess Sigurður und die Tochter Þórdýs. Da die beiden Königreiche dicht nebeneinander lagen, so spielten die Königskinder immer miteinander. Ein armer Mann wohnte nicht weit von den Königreichen in einer Hütte. Auch er hatte einen Sohn, der gleichfalls mit den Königskindern spielen durfte. Wie aber sein Vater starb, musste er sich selbst sein Brod verdienen, und so kam er zu dem Vater Þórirs. Hier musste er für die Küche Wasser und Asche tragen und wurde deshalb Øskuberi (Aschenträger) genannt. Als Þórir sechzehn Jahre alt geworden war, fingen die Leute an, darüber zu reden, dass er und Þórdýs einander liebten. Bald hörte dies auch die Mutter des jungen Mädchens. Sie wurde darüber sehr böse, denn sie hielt das Königreich Þórirs für zu gering, als dass dieser es wagen dürfte, um ihre Tochter zu freien. Sie liess nun einen festen Turm aufführen und verschloss in ihn die junge Þórdýs mit einer Anzahl von Dienerinnen. Als Þórir die Geliebte nicht mehr treffen konnte, hielt es ihn nicht länger in der Heimat. – Auf seine Bitte rüstet ihm der Vater zur Wikingfahrt ein Schiff aus. Sigurður, der seinen Pflegebruder nicht verlassen will, schliesst sich ihm an. Auch Øskuberi wäre gern mitgezogen, doch auf die Bitte Þórirs bleibt er daheim, um für den Fall der Not seiner Jugendgespielin Þórdýs zur Seite zu stehen. – Nach kurzer Zeit kommt ein reicher Ministerssohn als Freier um Þórdýs. Die Königin zwingt nun ihre Tochter, ihm das Jawort zu geben, nur verlangt das Mädchen noch vierzehn Tage[239] Frist bis zur Hochzeit. In dieser Zeit gebiert sie heimlich einen Sohn, den sie nach dem Vater Þórir nennt. Ihre vertrauteste Hofdame Sigriður sendet sie gleich nach der Geburt mit dem Knaben zu einer Freundin, um ihn dort aufziehen zu lassen. Nun kommt der Hochzeitstag heran. Am Abend vorher geht Øskuberi zum Pferdewärter hinaus und bietet ihm an, in der Nacht für ihn zu wachen. Dieser ist gern bereit dazu. Sowie der Wächter eingeschlafen ist, tötet ihn Øskuberi und nimmt die fünf besten Pferde mit sich. Dann geht er heimlich zur Königstochter und fordert sie auf, mit ihm zu entfliehen, um auf diese Weise der verhassten Ehe zu entgehen, Þórdýs ist damit einverstanden. Sie reiten nun eilig fort und fühlen sich nicht eher sicher, bis sie nach sechs Tagen an einen grossen See kommen. Hier baut Øskuberi eine Hütte. Er schliesst nun mit Þórdýs das Obereinkommen, dass sie nach sechs Jahren einander heiraten wollen, wenn bis dahin Þórir sie nicht aufgesucht habe. – Die Königin vermisst am Hochzeitstage ihre Tochter und schickt nun nach allen Richtungen Leute aus, um sie zu entdecken. Einen halben Monat hindurch werden diese Nachforschungen fortgesetzt, doch immer vergeblich. Der Ministerssohn muss nun ohne Frau wieder in die Heimat zurückkehren. Nach fünf Jahren kehrt Þórir mit vielen erbeuteten Schiffen heim, die alle schwer beladen sind mit den Schätzen, die er auf der Heerfahrt gewonnen hatte. Sein Pflegebruder Sigurður aber war im Kampfe gefallen. Sowie er von dem Verschwinden seiner Braut hört, lässt er seine Schiffe rund um das Land segeln, um sie zu suchen. Er selbst durchstreift mit einer grossen Schar alle Wälder, Täler und Gebirge nach der Verlorenen. Endlich kommt er in der Nähe eines Sees an die kleine Hütte, und hier findet er dann die verlorene Braut, die Øskuberi bis dahin getreulich beschützt hat. Sie machen sich nun gleich zur Heimfahrt auf. Wie sie in einen Wald kommen, sehen sie hier einen kleinen Knaben, der mit einem Bogen Vögel schiesst. Erschreckt flüchtet sich der Kleine vor ihnen zu einer Frau, und diese eilt sogleich mit ihm in den Wald zurück. Aber Þórdýs stürzt eilends ihr nach, denn sie hat in ihr ihre Dienerin Sigríður erkannt. Auch hier gibt es ein freudiges Wiederfinden. Sigríður erzählt, dass die Freundin[240] den Knaben nicht habe aufziehen wollen. Darauf sei sie mit ihm in den Wald geflüchtet und habe ihn hier die ganze Zeit hindurch nach besten Kräften gepflegt. Alle reiten nun heim, Þórir und Þórdýs, sowie Øskuberi und Sigríður heiraten einander.

Diese Erzählung, ebenso wie die vorhergehende, machen den Eindruck, als seien sie die kurz zusammengefasste Inhaltsangabe eines Ritterromanes. Ausser vielen romanhaften Unwahrscheinlichkeiten sind eigentliche Märchenmotive in ihnen nicht enthalten.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 239-241.
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