3. Das Märchen vom »Slægðabelgur« (dem Schlauberger).

[246] Lbs. 537 4 to (1862). Nach der Erzählung von Frau Guðrún Guðmundsdóttir auf Hvammur im Laxárdalur niedergeschrieben.


Ein Bauernsohn, der dem König seine Kunst im Stehlen beweisen soll, stehlt diesem zuerst aus dem verschlossenen Gehöfte seinen wilden Stier, dann das Betttuch aus dem königlichen Bette und schliesslich den König selbst. Wie er den letzteren im Sacke hat, schleppt er ihn so lange mit sich herum, bis der König ihm einen heiligen Eid schwört, sich nicht an ihm rächen zu wollen. Zugleich muss er ihm später die einzige Tochter zur Frau versprechen. Um ihn los zu werden, schickt der König ihn zu seinem Bruder, angeblich, damit dieser ihn in allen Ritterkünsten unterweise, in Wirklichkeit aber, damit er ihn sogleich töte. Unterwegs liest Slægðabelgur, der dem Könige trotz all' seiner Versprechungen nicht traut, den Brief desselben. Er schreibt noch in derselben Nacht mit des Königs Handschrift einen anderen Brief, in dem der Bruder des Königs ersucht wird, Slægðabelgur als künftigen Schwiegersohn in allen eines Ritters würdigen Künsten zu unterweisen. Diesen falschen Brief steckt er dann unbemerkt seinem Begleiter in die Tasche. – – Slægðabelgur wird nun ein so trefflicher Ritter, dass er bald alle anderen an Tüchtigkeit und Gelehrsamkeit übertrifft. Nach Jahren kommt er mit prächtiger Begleitung zum Königshofe zurück. Er gibt sich für einen fremden Prinzen aus und erhält auf seine Werbung hin die Königstochter. Am Hochzeitsabende gesteht er dem alten Könige den ganzen Betrug und erhält schliesslich volle Verzeihung. – – – –

Während die beiden ersten Märchen darin übereinstimmen, dass einem niedrig geborenen Kinde mehrmals nach dem Leben getrachtet wird, um eine vom Schicksal vorausbestimmte[246] Heirat zu verhindern, und dass schliesslich die Heirat durch Briefvertauschung allen Nachstellungen zum Trotz dennoch zu stände kommt, weicht das dritte Märchen insoweit ab, dass in ihm der Held selbst sein Schicksal zu dem gewünschten Ziele lenkt. Da aber auch hier der Zweck durch Briefvertauschung erreicht wird, so habe ich auch die dritte Erzählung mit den beiden vorhergehenden Märchen unter einer Überschrift vereinigt. – – –

Die Parallelen zu diesem Märchen kann ich in norwegischen, deutschen, englischen und griechischen Märchensammlungen nachweisen. Weitere Literatur findet sich noch bei Köhler (Kl. Schr. S. 466) verzeichnet.

Im »Spruch der Maren« (Schmidt 2 S. 67) hört ein Mann, der einst in einem fremden Hause übernachtet, dass drei Frauen einem neugeborenen Mädchen dort in der Nacht die Zukunft prophezeien und sagen, es würde später den gerade anwesenden Fremden zum Gatten bekommen. Der Fremde wirft nun das Kind zum Fenster hinaus, so dass es an einem Pfahle angespiesst wird. Dann macht er sich aus dem Staube. Als er nach Jahren heiratet, entdeckt er beim Erblicken der Narbe, dass seine Frau tatsächlich mit dem Kinde identisch ist, das er glaubte aus dem Wege geräumt zu haben. – – – In einem anderen griechischen Märchen (Hahn 20 »Die erfüllte Prophezeiung« I S. 161 ff.) wird einem Kaufmann gewahrsagt, dass der Sohn eines armen Mannes sein ganzes Vermögen vergeuden würde. Um dies zu verhindern, wirft er das Kind in einen Fluss. Ein Schäfer rettet es jedoch vor dem Tode und zieht es auf. Nach Jahren erkennt der Kaufmann den Knaben und schickt ihn zu seiner Frau mit einem Briefe. Ein göttlicher Mann vertauscht unterwegs das Schreiben, so dass der Knabe, statt getötet zu werden, mit der Tochter des Kaufmanns verheiratet wird. Auch jetzt will ihn der Schwiegervater noch verderben, jedoch der Mordanschlag fällt auf ihn selber zurück und kostet ihm das Leben. Kurze Zeit nachher hat dann auch der Knabe das grosse Vermögen des Kaufmanns durchgebracht. – – –

Das deutsche und das norwegische Märchen (Grimm 29 »Der Teufel mit den drei goldenen Haaren« I S. 112 ff. und Asbj. 5 »Rige Peer Kræmmer« S. 19 ff.) zeigen sehr viel übereinstimmende[247] Züge. Im Deutschen ist ein Bauernknabe in einer Glückshaut geboren worden, und dem Könige wird erzählt, dass nach einer Prophezeiung dieser Knabe die Tochter des Königs heiraten würde. Im Norwegischen hört der reiche Peer Kræmmer von einem Sterndeuter, dass seine einzige Tochter einen eben geborenen Müllerssohn heiraten wird. Bei Grimm wie bei Asbj. wird nun der Knabe den Eltern entlockt und in einem Kasten ins Wasser geworfen. Ein Müller findet das Kind noch lebend und zieht es auf. Als später der König, ebenso wie Peer Kræmmer, entdeckt, dass der Knabe noch lebt, wird er mit einem Briefe an die Gattin gesandt. Räuber lesen zufällig das Schreiben und vertauschen es. Anstatt dem Befehle des Königs bezw. Peer Kræmmers entsprechend getötet zu werden, wird der Knabe mit der Tochter verheiratet. Auch jetzt versucht in beiden Märchen der Vater, des unwillkommenen Schwiegersohnes sich zu entledigen, doch auch jetzt missglücken seine Anschläge. – – –

Im englischen Märchen (Jac. I »The fish and the ring« S. 190 ff.) wird das niedrig geborene Mädchen, das der Edelmann nicht zur Schwiegertochter haben will, aus dem Flusse von einem Fischer gerettet. Räuber vertauschen dann den Brief, mit dem der Edelmann sie zum zweitenmale verderben will, und so wird sie mit dem Sohne des Edelmanns verheiratet. Der hierüber wütende Vater wirft einen Ring ins Meer und erklärt, nicht eher dürfe sie ihm wieder vor die Augen kommen, bis sie den Ring ihm vorzeigen könne. Beim Zubereiten eines Fisches findet sie den Ring, so dass nun der Edelmann es aufgibt, den Bestimmungen des Schicksals sich zu widersetzen. –

Das Motiv der Briefvertauschung findet sich schon bei Saxo Grammaticus in der Geschichte des Prinzen Amlethus.

Quelle:
Rittershaus, Adeline: Die neuisländischen Volksmärchen. Halle: Max Niemeyer, 1902, S. 246-248.
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